Willi Woigk
 
 
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Interview aus 05/2019



Jede Region in unserem Land hat eine oder mehrere Bands, die in den heimatlichen Gefilden kult sind, von dort aus auch "Ausflüge" in die restliche Republik unternehmen und Erfolge feiern können. Die Spider Murphy Gang aus München ist so eine Band, auch Torfrock aus Hamburg, Extrabreit aus Hagen und ZOFF aus dem Sauerland gelten "daheim" als große Nummer und setzten über die eigenen Stadtgrenzen hinaus ihre Duftmarken. Willi Woigk ist Chef gleich zweier solcher Kapellen! Eine davon ist die bereits in den 60ern von ihm mit gründete Gruppe POLARS, die mit einem ihrer Lieder sogar im kapitalistischen Ausland im Radio zu hören war, und die andere heißt PASCH. Mit beiden hat er in über 50 Jahren Bandgeschichte ordentlich Bambule gemacht. In dem folgenden Interview, das von unserem Freund Marcel für seine Sendung bei "Radio Marabu" entstand, 001 20190610 1863765338bekommt Ihr jetzt tiefe Einblicke in die Karriere von Willi iWoigk und die Geschichte seiner Bands, die ihren Nachhall weit über die Stadtgrenzen Gothas und die Landesgrenzen Thüringens hinaus hat. Es geht um Rebellion, Verbote, Erfolge und Rückschläge, aber auch um den Spaß, den der Beruf des Musikers mit sich bringt, auch wenn von Außen immer wieder Störfeuer kommen ...

 


 

Ein Thema in unserem Gespräch wird Deine Agentur Eastside Promotion sein, des Weiteren wird es um POLARS und PASCH gehen. Was sind denn Deine persönlichen Themen des Jahres 2019?
Natürlich geht es in erster Linie um Eastside Promotion, meine Agentur. Im Moment habe ich mit der KRISSY MATTHEWS BAND aus England wieder eine Band auf Tournee. Mit Krissy arbeite ich schon seit zwölf Jahren zusammen. Damals war er 14 und hatte noch seine Eltern dabei. Inzwischen ist er in England schon ein ziemlicher Rockstar geworden. Auch spielt er u.a. bei Chris Farlowe mit oder bei der HAMBURG BLUESBAND.

Du bist auch selbst mit Deinen Bands unterwegs. So gibt es beispielsweise zwei Termine mit PASCH, aber natürlich geht es auch mit den POLARS weiter.
Ja, das stimmt. Mit PASCH haben wir hin und wieder mal Termine, aber mit den POLARS spielen wir doch deutlich häufiger. Diese Band gibt es immerhin schon seit 57 (!) Jahren!

002 20190610 1319303308Ein Termin, der uns derzeit alle betrifft, ist die Europawahl. Du bist jemand, der gerne klar und deutlich seine Meinung artikuliert. Das hast Du bereits zu DDR-Zeiten getan, weshalb es natürlich die eine oder andere Zensur-Querele gegen Dich gab. Das hat sich wahrscheinlich bis heute erhalten, denn Du bist ein kritischer Geist geblieben, eine Art Freidenker, oder?
Man könnte einfach sagen, ich bin immer dagegen. Man macht sich natürlich viele Gedanken über das politische Geschehen. Was mir z.B. nicht gefällt, ist z.B. dieser ständige gegenseitige Hass und gerade jetzt das Herunterreißen von Wahlplakaten. Ich habe beispielsweise beobachtet, dass AfD-Wahlplakate einfach so abgerissen und vernichtet wurden. Das finde ich nicht in Ordnung. Man sollte die Leute doch bitteschön frei entscheiden lassen, wofür Sie sich zur Wahl entscheiden. Immerhin haben 15 Prozent der Menschen diese Partei gewählt, somit ist das eine ordentlich gewählte Partei und man kann nicht auf diese Art mit ihr umgehen.

Da bin ich ganz Deiner Meinung. Wir beide sind aber auch Leute, die schon mal CDU oder Linke gewählt haben. Wie auch immer, das sind auf jeden Fall Umgangsformen, die einer Demokratie nicht würdig sind.
Ganz genau. Ja, ich habe auch schon die Linken gewählt. Was sich aber seit 2015 entwickelt hat, damit bin ich einfach nicht einverstanden und deshalb muss ich dazu auch mal etwas sagen.

Das sind innenpolitische Themen. Es gibt aber auch noch außenpolitische Themen. Themen, die mit der Flüchtlingskrise zusammenhängen, aber auch Syrien ist aktuell oder die Ukraine. Und da gehen ja oftmals die Berichte und die Realität darüber weit auseinander.
Auf alle Fälle. Es ist zweitweise kaum noch zu ertragen, was da über die Medien verbreitet wird. Und manchmal kann ich mir das dann gar nicht mehr anschauen.

Du beziehst Dich dabei gerne auf unser Grundgesetz.
Natürlich, denn ich finde, dass gerade unser Grundgesetz von ganz oben schlimm gebeugt oder sogar gebrochen wird. Dabei möchte ich eigentlich nur, dass unser Grundgesetz eingehalten wird, das würde mir schon reichen.

Einigen wir uns also auf diese Formel: für das Grundgesetz gehen wir auf jeden Fall wählen.
Ja klar. Es muss unbedingt gewählt werden und jeder sollte dabei seine Meinung offen kundtun.

Jetzt wollen wir uns um die Geschichte der POLARS kümmern. Die Geschichte einer Beat-Legende aus Thüringen, eine der ältesten deutschen Beatbands. Willi Woigk war von Anfang an dabei.
Das ist richtig. Ich habe die POLARS 1962 mit gegründet.

Da gab es ja unter anderem die Geschichte von einer Bassgitarre ...
Es war so, dass ich in Schmalkalden studierte und in der Zeit in einer Studentenband gespielt habe. Während des Studiums fuhren wir oftmals zum Ernteeinsatz und da sah ich zum ersten Mal eine Band, die eine Bassgitarre dabei hatte. Die Band hieß SPUTNIK BAND. Und ich wusste sofort, dass war genau der Sound, den ich mir immer vorgestellt habe. Bis dahin war die Bassgitarre nämlich ein völlig unbekanntes Instrument. Da fragte ich einfach mal, ob die mir nicht auch so eine Bassgitarre besorgen könnten und siehe da, es klappte. Das Teil sollte 450 Mark kosten. Ich borgte mir das Geld von meinen Dozenten und holte mir dann die Bassgitarre ab. In Schmalkalden spielte damals gerade die PUTZI BAND, bei denen ich mir hätte vorstellen können einzusteigen. Denen fehlte nur noch eine Bassgitarre. Die hatten bis dahin Schlagzeug, zwei Gitarren und einen Kontrabass und spielten schon Sachen von den SHADOWS und so. Das war für die damalige Zeit schon ein richtig ordentlicher Sound. Also habe ich den Plan gefasst, bei denen unbedingt einzusteigen. Ich ging zu dem Kontrabassisten, den ich übrigens schon länger kannte, weil er auch in meiner Schülerband mitgespielt hat und bestellte ihn einfach für den Abend ab. Ich sagte ihm: "Du brauchst heute Abend mal nicht zu kommen, die wollen irgendwas anderes ausprobieren". Die Band wartete natürlich auf ihren Kontrabassisten, aber ich sagte ganz frech: "Euer Bassist kann heute nicht kommen, der hatte eine Geburtstagsfeier". Die waren natürlich ratlos, also stellte ich mich vor und bot ihnen an, an diesem Abend einzuspringen. Ich holte also meine Bassgitarre und alle staunten: "Was ist denn das?" - "Das ist eine Bassgitarre". Rein zufällig hatte ich natürlich auch meinen Verstärker für die Bassgitarre dabei. Und von dem Abend an habe ich dann bei den Jungs mitgespielt. Was sie nicht wussten: ich hatte mir ihr Programm vorher schon drauf gedrückt. Kurze Zeit später benannten wir uns dann um in THE POLARS. Erst wollten wir uns POLARIS nennen, was wir aber nicht durften, da es damals gleichnamige amerikanische Raketen gab. Also beließen wir es bei THE POLARS, was auch zunächst durchging. Doch dann kamen die Fragen nach dem "THE". Warum nutzen wir einen englischen Artikel, obwohl es sich doch um eine deutsche Band handelt, wurden wir gefragt. Unsere Antwort lautete: "Die Abkürzung THE bedeutet Thüringer Heimat Ensemble". Die Leute grinsten und ich wusste nicht, ob sie uns das glaubten oder nicht. Auf jeden Fall stand es dann auch in der Zeitung, dass wir Thüringer Heimat Ensemble heißen.

Man kann sagen, das war erst der Anfang vom Stress mit den Behörden. Da wird es noch einiges zu berichten geben. Euer Klassiker ist der Titel "Eskimo", den ihr, wie auch einige weitere Aufnahmen, in der damaligen CSSR aufgenommen habt. Dieser Titel lief später sogar im Westradio, und zwar bei Radio Luxemburg.
Ja, das stimmt. Ich habe das sogar selber im Radio gehört. Wir bekamen auch ordentlich Schwierigkeiten, weil sich das schnell rumgesprochen hatte. Später waren sie froh, wenn sie Bands wie die PUHDYS oder KARAT in den Westen exportieren konnten. Aber bei uns war das noch etwas Verwerfliches.

Gab es damals in der Tschechei denn so etwas wie Privatstudios, dass das so einfach ging?
Nein, das passierte alles noch vor dem Prager Frühling. Da war das alles noch unheimlich locker. Vor uns waren gerade die SHADOWS im Studio, unsere großen Vorbilder. Eigentlich wollten wir für unsere Platte auch einen SHADOWS-Song aufnehmen, aber man sagte uns, das brauchen wir nicht, denn wir waren eben erst hier und haben aufgenommen. Das war schade, denn hätten wir davon gewusst, wären wir natürlich hingefahren. Auf jeden Fall war das ein richtig offizieller staatlicher Sender in Bratislava, wo wir aufgenommen hatten.

Sehr interessant. Und dann gab es im Nachgang des Stresses mit den Behörden auch einen neuen Bandnamen. Ihr nanntet Euch nun die WOSTOKS.
Ja, aber das war erst nach unserem Verbot, welches 1966 erfolgte. Es war so, dass damals bei unseren Konzerten die Hallen krachend voll waren und die Bahnhöfe regelrecht belagert wurden. Woche für Woche strömten mindestens um die 1.500 Leute zu unseren Auftritten. Das war auch der eigentliche Grund, weshalb wir verboten wurden. Und natürlich war auch noch das 11. ZK-Plenum dazwischen, auf dem Walter Ulbricht seine berühmten Sätze zu dem "amerikanischen Yeah Yeah Yeah" sagte. In diesem Zusammenhang wurden ja noch weitere Beat-Gruppen verboten. Nach unserem Verbot gab es aber jede Menge Proteste von den Jugendlichen.005 20190610 1299908939 Und das hat geholfen, denn bald darauf wurden wir wieder einbestellt und man sagte uns, wir dürfen weiterspielen, aber nicht mehr unter dem Namen POLARS. Man schlug uns den Namen WOSTOKS vor, nach dem russischen Raumschiff. Und wir durften auch nicht Englisch singen, denn das ist die Sprache des Klassenfeindes.

Dazu fällt mir auch etwas Lustiges ein. Ich besitze ein antiquarisches Buch über die X. Weltfestspiele 1973 in Berlin. Das wurde auch in alle möglichen Sprachen übersetzt außer Englisch. Aber zurück zur Bandgeschichte. Euern Klassiker "Eskimo" habt Ihr ja damals für AMIGA eingespielt. Offiziell findet man den Titel heute aber nur unter dem Namen FRANKE ECHO QUINTETT. Wie hängt denn das zusammen?
Nein, den haben wir nicht bei AMIGA aufgenommen, sondern nur in der CSSR. Wir hatten damals nur eine relativ schlechte Anlage und in den AMIGA-Aufnahmestudios gab es keine echten Verstärker. Das hat also alles nicht hingehauen und AMIGA sagte, "Schade, wir hätten die Nummer wirklich gerne mit Euch gemacht". Zur gleichen Zeit waren in einem anderen Studio die BUTLERS aus Leipzig tätig. Die hatten frisch von der Leipziger Messe eine Dynacord-Anlage bekommen. Wir fragten also bei denen nach, ob sie uns nicht einmal für kurze Zeit einen Verstärker borgen könnten. Die Antwort war "Nein!". Die waren total unkollegial, was mich seinerzeit entsetzt hat. Wahrscheinlich hatten die Angst vor der Konkurrenz, ich weiß es nicht. Damit wir nun aber nicht völlig umsonst nach Berlin gefahren sind, fragte AMIGA uns, ob wir den Titel nicht verkaufen wollen. Nach einigem Überlegen sagten wir "Ja", AMIGA kaufte den Titel und kurz darauf wurde er vom FRANKE ECHO QUINTETT eingespielt.

Was hältst Du von dieser Version des FRANKE ECHO QUINTETTS?
Gar nichts. Wir waren sogar regelrecht entsetzt darüber. Unter anderem ist da so ein schrecklich hupendes Saxophon drin. Es war jedenfalls überhaupt nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Die haben etwas ganz anderes aus der Nummer gemacht.

Damit sind wir auch schon beim Kapitel REINER FRITZLAR COMBO angelangt und somit am Anfang der 70er Jahre.
Es war natürlich so, dass auch die WOSTOKS schnell wieder verboten wurden. Da gingen ganze Rundschreiben an sämtliche Polizeistationen raus, dass wir nicht mehr engagiert werden dürfen. Somit waren wir also wieder weg vom Fenster, denn wenn ein Veranstalter uns buchen wollte, wurde ihm die Genehmigung dafür versagt. Ich wollte aber unbedingt weiter Musik machen. Und so holte ich mir einige Zeit danach einen Musiker aus Mühlhausen ins Boot, das war Reiner Fritzlar. Unser Keyboarder war mit Reiner zusammen bei der Armee, daher kannte er den. Reiner war auch einverstanden und hatte Lust, mit uns zu spielen. Um darauf hinzuweisen, dass wir aus Mühlhausen stammen, nannten wir uns dann auch REINER FRITZLAR COMBO. Damit hatten wir die Herrschaften in Gotha ausgetrickst. Als Amateurband musste man ja immer seine Einstufung machen, was wir umgehend in Mühlhausen erledigten und die Einstufung und Zulassung auch bekamen, denn die wussten ja in Mühlhausen nicht, dass wir in Gotha eigentlich verboten waren. Wir spielten kurz darauf auch wieder in Gotha und als die dort lasen, dass der Kapellenleiter Willi Woigk heißt, wussten die natürlich, dass wir doch wieder aktiv waren. Aber jetzt konnten sie nichts mehr dagegen machen, da wir ja eine offizielle Zulassung aus Mühlhausen hatten. Wir durften uns sogar wieder nach Gotha ummelden. Das ging auch eine Weile gut, bis wir im Herbst 1971 auch als REINER FRITZLAR COMBO verboten wurden. Angeblich hatten wir auf unseren Konzerten die 60/40-Regel nicht eingehalten. Letztlich waren aber auch diesmal wieder die vielen Massen, die wir angezogen haben mit unserer Musik, der wirkliche Grund für das erneute Verbot. Wir spielten meistens im Waggonbau Gotha, da passten 2.000 Leute rein. Der Laden war immer rappelvoll, es war unglaublich.

Später kam dann die STUDIO-GRUPPE 72. Zunächst bekamt Ihr dafür interessanterweise keine Zulassung, weil es sich hier nur um eine Rhythmusgruppe handelte, die aus Bass, Gitarre und Schlagzeug bestand. Also genau wie bei Jimi Hendrix. Aber das war denen wohl nicht Tanzmusik genug.
Nachdem nun auch die FRITZLAR COMBO nicht mehr spielen durfte, nahm ich wieder zwei Musiker aus der Band mit und wir wollten es einfach mal zu dritt versuchen. Wir wollten Songs von CREAM oder Hendrix spielen, so in diese Richtung sollte es gehen. In dieser Besetzung haben wir mit Sondergenehmigung sogar zwei oder dreimal gespielt. Dann mussten wir aber doch irgendwann zur Einstufungsveranstaltung gehen, wo man uns klipp und klar sagte, man wird uns nicht zulassen, da wir ja nur eine Rhythmusgruppe wären, aber keine richtige Kapelle. Man empfahl uns, noch ein Saxophon oder eine Orgel einzubauen, oder gleich beides, und dann könnten wir uns erneut vorstellen. Nun hatte ich damals schon des Öfteren mit einigen Leuten von der Musikhochschule probehalber zusammen gespielt, zum Beispiel mit Thomas Abendroth und Wolfgang Klawonn, aber das ging wirklich nie über den Probenkeller hinaus. Denen erzählte ich, dass ich in Gotha eine Band habe und ich sie gerne dabei hätte. Die waren auch einverstanden. Wir meldeten uns dann wieder zur Einstufung an und bekamen sofort die Sonderstufe zugewiesen. Kurz danach verließ uns unser Schlagzeuger, weil der nebenbei noch als Barmusiker spielen wollte, um auf diese Art seinen Berufsausweis zu bekommen. Für ihn stellten wir dann Micha Schwandt ein, der ja inzwischen seit Jahrzehnten schon bei KARAT trommelt. Wir gaben uns bei der Gelegenheit auch gleich noch einen anderen Namen und hießen ab sofort BLUES VITAL. Wir wurden dann auch gleich zur 1. Werkstattwoche der Jugendtanzmusik nach Frankfurt/Oder geschickt und gewannen nicht nur einen Sonderpreis, sondern sind auch gleichzeitig noch nachgefördert worden, denn man hatte vor, uns bei den Weltfestspielen in Berlin auftreten zu lassen. Es war nämlich so, dass inzwischen unzählig viele Bands verboten waren und man händeringend nach guten Bands suchte, die noch spielen durften. Dafür bekamen wir sogar 15.000 Mark, wovon wir uns gleich postwendend auf dem Schwarzmarkt für 11.000 Mark eine Orgel kauften und den Rest ebenfalls auf dem Schwarzmarkt für ein Echo-Gerät ausgaben.

Das sind wirklich interessante Einblicke in die Geschichte der DDR-Rockmusik. Es gibt aus dieser Phase auch eine Plattenproduktion von Euch, die 1972 aufgenommen wurde und auf einem AMIGA-Sampler enthalten ist.
Ja, das war die "HALLO Nr. 8" und der Titel heißt "Blues von der Flüchtigkeit der Zeit". Die Nummer wurde im Dezember 1972 kurz nach der Werkstattwoche aufgenommen. Da wollte man unbedingt eine Aufnahme von uns machen und veröffentlichen. So sind wir auf die "HALLO Nr. 8" gekommen.

Mitte der 70er Jahre warst Du Berufsmusiker, relativ erfolgreich, regelmäßig auf Tournee und auch im Fernsehen zu sehen.
Zunächst müssen wir noch erwähnen, dass auch BLUES VITAL umbenannt wurde und nur noch VITAL hieß. Grund dafür waren diverse Umbesetzungen innerhalb der Band. Micha Schwandt ging zu KARAT und Thomas Abendroth wanderte ab zur HORST KRÜGER BAND. Dafür kamen Werner Zentgraf und Siegfried "Stifte" Hörger in die Band und auch Reiner Fritzlar kehrte zurück. Da wir nun weniger Blues spielten und ohnehin unsere neuen Mitspieler dem Blues nicht so sehr zugetan waren, ließen wir das "Blues" im Namen weg und nannten uns nur noch VITAL. Das lief alles sehr gut, wir hatten alle unser Studium abgeschlossen und erhielten den Berufsausweis, durften sogar Auslandsgastspiele wahrnehmen. Ich machte das ungefähr zehn Jahre lang, dann wurde es mir ein bisschen zu langweilig und ich wollte mal etwas anderes ... Neues machen. Irgendwie war auch die Zeit reif, mal etwas aufzumucken, denn die Verhältnisse in der DDR wurden immer schlimmer. In dieser Zeit lernte ich eine junge Band kennen, die hießen LANDPLAGE. Mir gefiel das sehr gut, was die machten. Das klang etwas rebellisch, war eine Mischung aus Punk, ein bisschen Jazz, ein bisschen New Wave, es war schwer zu beschreiben. Ich wollte ihnen helfen und versuchte für sie Gigs klarzumachen, aber irgendwie ging das nicht wirklich. Die Veranstalter stießen sich allesamt an dem Namen LANDPLAGE, weil sie dachten, für eine Band mit diesem Namen bekommt man eh keine Auftrittsgenehmigung. Ich erklärte den Jungs das Problem, woraufhin Andreas "Kirsche" Kirchner, der damalige Sänger von LANDPLAGE, meinte, man hätte nachgedacht und wolle sich jetzt KARACHO nennen. Die Herren vom Kreiskulturamt schlugen mir vor, dass ich als erfahrener Berufsmusiker den Kapellenleiter machen sollte und die Jungs ein bisschen unter meine Fittiche nehmen könnte. Das tat ich dann auch. Ich zog mich bei VITAL zurück, weil ich auch merkte, das wird da nichts mehr und stieg bei KARACHO als Chef ein. Die hatten dann sogar mal einen echten Hit, und zwar hieß der Song "Er ist ein Popper". Das Ding schaffte es in den Wertungssendungen sogar auf Platz 1. Es ging dann aber natürlich auch hier nicht lange gut, obwohl KARACHO sogar Fördergruppe werden sollte. Doch an dieser Stelle meldete die FDJ-Bezirksleitung Erfurt Bedenken an, denn da gäbe es den sogenannten Karacho-Weg in Buchenwald, wo die Gefangenen entlang getrieben wurden. Also hieß es, wir könnten uns nicht weiter KARACHO nennen. Zunächst hießen wir dann EXTRA, verbunden mit einigen personellen Umbesetzungen, aber das klappte nicht, da irgendwie alle untereinander zerstritten waren. Ich nahm mir dann Kirsche und den Schlagzeuger beiseite und sagte: "Wir gründen jetzt eine neue Band und heißen PASCH".

PASCH wurde ja zu einer echten Kultband in Thüringen und auch heute gibt es die noch als KIRSCHE & CO.
Ich muss sagen, wir wurden auch überregional bekannt und haben eigentlich gar nicht so viel in Thüringen selber gespielt. Wir spielten viel in Sachsen, in Berlin. Dort zum Beispiel in der Wuhlheide vor 5.000 Fans. Aber auch im "Haus der jungen Talente" oder in Rostock und Görlitz. Man kann also wirklich nicht sagen, dass man uns nur in Thüringen kannte, sondern wir waren eine DDR-bekannte Kultband. AMIGA kam dann eines Tages auf uns zu und fragte, ob wir nicht mal eine Platte machen wollten, stellten aber die Bedingung, dass wir vorher unsere Texte ändern müssten. Das kam für uns aber überhaupt nicht in Frage, denn unsere Fans kannten natürlich alle unsere Texte und wir wären völlig unglaubwürdig geworden. Deshalb gibt es von PASCH auch keine einzige Rundfunkaufnahme oder was von AMIGA. Wir haben aber eigene Aufnahmen gemacht.

Ab 1981 warst Du auch wieder mit den POLARS unterwegs.
Richtig. 1981 wurden wir plötzlich wieder zugelassen. Es gab da einen alten Fan von uns, der nun beim Rat des Kreises oberster Kulturchef war. Den traf ich mal zufällig in der Stadt und im Laufe unseres Gesprächs meinte er, die POLARS könnten doch auch mal wieder auftreten. Ich sagte ihm, die Band sei noch immer verboten. Aber der Mann besorgte uns eine Sondergenehmigung, woraufhin wir tatsächlich nach vielen Jahren zunächst wieder ein paar Proben machten und dann drei Tage am Stück die Stadthalle Gotha ausverkauften. Das war der pure Wahnsinn! Und seitdem haben wir nebenbei immer mal wieder eine kurze Tournee mit den POLARS gespielt. In Originalbesetzung wohlgemerkt! Aber meine Hauptband blieb PASCH.

1986 hast Du trotz der Erfolge mit PASCH und den POLARS einen Ausreiseantrag gestellt, der 1988 auch genehmigt wurde und Dich zunächst nach Konstanz führte. Was hat Dich dazu getrieben?
Ganz einfach, wir bekamen immer mehr Schwierigkeiten wegen unserer Musik. Wir waren halt sehr aufmüpfig, sprachen unter anderem die riesigen Umweltprobleme in der DDR an. Zum Beispiel hatten wir eine Textzeile, "... dann ist es soweit | dann haben wir es geschafft | alle Ideale sind vergessen | die Freiheit ist in Haft". Wir bekamen immer wieder kurz vor den Konzerten gesagt, wir dürften heute nicht auftreten, was sich mit der Zeit so sehr häufte, dass ich keine Lust mehr darauf hatte. Eigentlich war angedacht, dass die komplette Band einen Ausreiseantrag stellt und wir im Westen gleich weiterspielen. Aber natürlich klappte das nicht. Kirsche beispielsweise wollte dann doch hier bleiben. Er hörte mit PASCH auf und gründete stattdessen im Herbst 1987 KIRSCHE & CO. Dafür fragte ich André Greiner-Pol von FREYGANG, dessen Band sowieso Spielverbot hatte, ob er mitmacht und auch Garry Franke, so dass wir übergangslos mit neuem Sänger und neuem Gitarristen weitermachen konnten. 1988 konnte ich dann auch wirklich raus aus der DDR.

Schon ein Jahr später fiel ja dann die Mauer und es ging für Dich wieder zurück nach Gotha.
Ja, richtig. Zuerst spielten wir wieder mit den POLARS, und sogar fast in Originalbesetzung. Ich hatte aber trotzdem noch meinen Hauptwohnsitz in Konstanz, wo ich auch erst im Jahr 2000 endgültig die Zelte abbrach.

Zwischenzeitlich gab es einige Jubiläen, z.B. 40 Jahre POLARS und dann 50 Jahre POLARS. Du bist aber auch als Veranstalter unterwegs und hast auch einige internationale Bands am Start, die u.a. auf verschiedenen Festivals spielen.
Das begann bereits 1992. Eine der ersten Bands, die ich holen konnte, waren BLOOD, SWEAT & TEARS. Viele Leute warnten mich, das nicht zu tun, aber ich war sehr optimistisch und zog das durch. Es wurde zum Glück ein voller Erfolg, die Leute kamen von überall her, Gotha war krachend voll, BLOOD,SWEAT & TEARS waren super gut drauf, kamen sogar mit ihrem Original-Sänger. Meine erste Veranstaltung war also gelungen. Danach holte ich dann Leute wie Roger Chapman oder Eric Burden in die Stadt, auch CANNED HEAT spielten hier. Ich organisierte aber auch immer wieder Oldie-Veranstaltungen, wo alles dabei war, was man sich so denken kann. Zum Beispiel die LORDS, RATTLES, MUNGO JERRY, HERMANS HERMITS, TROGGS, MIDDLE OF THE ROAD ...

Es gibt ein schönes Zitat von Dir: "So lange ich auf der Bühne stehen kann, wird es die POLARS geben". Was schätzt Du, wie lange wird es noch sein?
Oh, das ist eine schwierige Frage. Wenn es meine Gesundheit erlaubt, noch lange. Ich war mal auf einem Chuck Berry-Konzert, da war der auch schon 86. Wenn der in diesem Alter noch auf der Bühne stehen konnte, werde ich das hoffentlich auch schaffen.

Wir haben ja nun die Bandgeschichte der POLARS gehört und mitbekommen, dass eine ständige Begleiterscheinung der Stress mit den Behörden war. Bereust Du im Rückblick den einen oder anderen Hickhack? Siehst Du auch bei Dir Fehler? Vom Talent her hättet Ihr ja durchaus eine AMIGA-Plattenkarriere hinlegen können.
Na klar, wir hätten zum Beispiel bei PASCH die Texte ändern müssen. Aber wir haben darauf verzichtet und uns gesagt, wir haben genügend Fans und haben es überhaupt nicht nötig, unter diesen Bedingungen eine Platte zu machen. Wir wussten nämlich auch aus den Erfahrungen in der DDR, dass es so manchen Kultband gab, die eine Platte machten und anschließend runterfielen, weil sie sich darauf einließen, ihre Texte zu ändern. Außerdem wollten wir bestimmte Aussagen treffen mit unserer Musik und den Texten.

Genau, die DDR-Musik kann ja nicht nur beschränkt werden auf die ganz großen Namen, denn es gab noch sehr viele aus der zweiten und dritten Reihe, auf die das auch zutrifft. Wie ist das mit der Anpassung heute?
Wir machen immer noch das, was wir mögen. Natürlich sind auch alte POLARS-Songs dabei, denn viele alte POLARS-Fans wünschen sich das. Es kommt ja auch immer noch ein Stammpublikum von 300 Leuten, wenn wir hier spielen. In der Stadthalle Gotha oder bei Open Airs werden es sogar noch mehr wie zum Beispiel kürzlich auf dem Heuberg, da kamen 2.000 Menschen, die uns sehen wollten. Wir spielen aber auch neuere Stücke, denn wir müssen auch neues Publikum heranführen. Auf jeden Fall machen wir solche Musik, die wir selber auch vertreten können und biedern uns nicht an, wenn z.B. jemand sagt: "Spielt doch mal was von Helene Fischer". Das passierte vor kurzem auf einem unserer Konzerte. Unser Schlagzeuger hat dem, der sich das gewünscht hat, geantwortet, er hat heute seine Helen Fischer-Perücke nicht mit.

Wenn Du heute nochmal einen kritischen Text schreiben würdest, was wäre dann das Thema?
Ach, da gäbe es wahrlich genug zu kritisieren. Zum Beispiel wäre es dieses Zerwürfnis zu Russland, was mir unheimlich stinkt und unsere Hörigkeit gegenüber den Amerikanern. Russland ist für uns ein natürlicher Handelspartner, warum verderben wir uns das mit denen derartig? Die Russen weiten derweil ihre Handelsbeziehungen mit China aus und für uns ist es dann irgendwann zu spät. Ich finde, die Politiker machen zur Zeit richtig viel Mist.

Ihr habt wie viele nationale und internationale Kollegen vor 60 Jahren den Soundtrack einer ganzen Generation bestimmt. Die Biologie bestimmt nun aber notgedrungen den Rückzug aus dem Musikgeschäft. Was wird von Eurer Generation und Eurer Musik bleiben?
Die 60er und 70er Jahre waren mit ihren Musikrichtungen unser Ding. Aber ich bin auch sehr aufgeschlossen gegenüber neueren Musikstilistiken.

Der kulturelle Wettstreit fand ja auch zwischen den Gesellschaftssystem statt. Kultur war also ein Aushängeschild für beide Seiten, Kultur wurde hier wie da stark finanziert. War das für Künstler eine Art Privileg?
Wir hatten eigentlich nur insofern ein Privileg, als dass wir verhältnismäßig frei waren. Das galt vor allem für Berufsmusiker. Ja natürlich waren wir in gewisser Weise privilegiert, wir haben auch mehr verdient als ein normaler Arbeiter. Ich arbeitete ja früher als Ingenieur im Getriebewerk. Wir waren etwa zweitausend Beschäftigte und unser Werksleiter verdiente um die 2.000 Mark im Monat. Und ich als Berufsmusiker bekam 3.000, manchmal sogar bis zu 4.000 Mark pro Monat. Allerdings haben wir dafür auch zwanzig, fünfundzwanzig Mal im Monat gespielt. Und wir mussten für unsere Anlage, die ja zu großen Teilen aus dem Westen kam, das Geld 1:5 umtauschen. Da ist viel Geld draufgegangen, aber wir konnten am Ende gut davon leben. Aber man darf nicht vergessen, diese Privilegien waren nur so lange vorhanden, wie man sich nicht gegen den Staat aufgelehnt hat. Bei PASCH war es dann nämlich so, dass wir gegen die Regeln verstießen und somit die Privilegien für uns wegfielen. Das ging soweit, dass wir aus der KGD, der Konzert- und Gastspieldirektion, rausgeflogen sind, die uns eigentlich vermitteln sollten.

012 20190610 1456279706Informierst Du Dich noch über aktuelle Musik?
Das ist ganz schwierig zu beantworten. Mir fällt da höchstens Udo Lindenberg ein, aber der ist ja nun auch nicht mehr der Aktuellste. Ansonsten höre ich immer noch viel Rock'n'Roll, weil wir damit angefangen haben und das unser Ursprung war. Aus den 80er Jahren fallen mir Bands wie FOREIGNER oder TOTO ein, auf die ich sehr stand. Aber zur tagesaktuellen Musik kann ich nicht so viel sagen, da halte ich mich lieber zurück und überlasse das den Jüngeren. Es ist völlig in Ordnung, dass die etwas anderes hören und mögen. Ich persönlich komme nur nicht klar mit Techno, das ist mir suspekt.

Dann die letzte Frage. Du hast die Band verjüngt ...
Richtig. 2012 haben wir unseren 50. Geburtstag in der Stadthalle Gotha gefeiert. Bis zu diesem Jubiläum wollten einige unserer Musiker noch mitmachen, danach war es an der Zeit, die Band zu verjüngen. Zu uns gehört jetzt Jimi Bäzol an der Gitarre, der auch schon vorher immer mal bei uns mitgespielt hat und unter anderem auch bei der Schweden-Tour dabei war. Dann haben wir Siggi Heilek am Schlagzeug, den ich auch schon lange kenne. Und auch meine Tochter Viola ist dabei, nur wenn sie gerade mit ihrer eigenen Band eine Mugge hat, macht dafür Ralf "Zappa" Iben mit. Wir sind irgendwie eine große Familie.

Interview: Marcel Fischer
Bearbeitung: tormey, cr
Fotos: Marcel Fischer







   
   
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