Nautiks: "Leben und Liebe
sind Warten und Abschied" (LP)
VÖ: 26.09.2025; Label: ROKKfilm Records; Katalognummer: n.n.b. (CD), Musiker: Heinz-Jürgen "Gotte" Gottschalk (voc, g), Werner Zentgraf (g, voc), Gabi Merz (g), Sany Tong (v, voc), Volkmar Jaschke (bg), Egon Böhm (bg), Alexander Jereczinski (org, p), Bernd Schulze (sax, fl), Siegfried Hörger (dr), Jochen Kloß (dr); Produktion: Luise Miersch (Original), Jens-Uwe Berndt & Jörg-Rainer Friede (für die LP); Bemerkung: Dieses Album beinhaltet Titel aus den Jahren 1970 bis 1973. Sie stammen alle aus dem DRA (Rundfunkarchiv). Das Album ist ausschließlich auf Schallplatte zu haben und HIER erhältlich;Titel: Seite A: "Gestern ist vorbei", "Liebst Du mich wirklich", "Ich fand Liebe, ich fand Dich", "Rosentanz", "Winter Ade", "Gestempelt 585" Seite B: "Auch das ist das Leben", "Denn Du bist ein Mensch", "Sturm", "Frag doch mich, mein Freund", "Tage des Wartens sind vorbei" |
Rezension:
Es gab mal Zeiten in diesem Land, da konnte nicht jeder Musiker und nicht jede Band die eigenen Songs auf einer Schallplatte veröffentlichen. Da wurde seitens des Staates Kreativität ausgebremst oder gleich ganz verhindert. Und so mancher Zeitgenosse aus dem Politbüro war sehr kreativ, wenn es darum ging, einer ihm unliebsamen Kapelle das Leben so richtig schwer zu machen. Davon kann der Musiker Gotte Gottschalk ein besonders hässliches Lied singen. Was ihm und den Bands aus seiner Sturm- und Drangzeit widerfahren ist, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Dass es so etwas mal gegeben hat, ist schwer zu glauben.
Um mal nur beim Beispiel der Gruppe Nautiks zu bleiben: Die Band wurde 1968 gegründet, musste dann Anfang der 70er kurzzeitig aussetzen, da einzelne Musiker zur NVA (Armee) eingezogen wurden (die "Einladung", den Wehrdienst abzuleisten, war natürlich reine Schikane), und wurde letztlich 1973 - kurz nach der Rückkehr der Musikanten vom Wehrdienst - aufgrund fadenscheiniger Gründe und lächerlicher Vorwürfe ganz verboten. In der kurzen Zeit ihrer Existenz war die Kapelle aber ziemlich kreativ und kurz vor ihrem Verbot auf dem Weg nach ganz oben. Auf der Überholspur und bei den PUHDYS schon im Rückspiegel.
Dass wir Musikfreunde überhaupt Songs von den Nautiks zu hören bekommen, haben wir nur ein paar ganz wenigen Leuten zu verdanken. Zum einen wäre da die Musikproduzentin Luise Miersch, die wir hier bei Deutsche Mugge ja auch schon im Interview hatten. Sie hat dafür gesorgt, dass viele Amateurbands in den Siebzigern ihre selbstgeschriebenen Songs im Studio aufnehmen konnten - so auch die Nautiks. Manch ein von ihr produzierter Titel einer aufstrebenden Nachwuchsband (alles Amateure) wurde schließlich im Radio gespielt. Mit etwas Glück landete einer sogar auf Schallplatte. Bei den Nautiks waren es drei Songs, die auf sogenannten Split-Singles veröffentlicht wurden. Das heißt: Auf der einen Seite war ein Lied der Nautiks, auf der anderen Seite der Single der Song einer anderen Band. Ein ganzes Album war den Nautiks leider nicht vergönnt.
An dieser Stelle kommt aber - über 50 Jahre später - ein anderer Player ins Spiel, der viele, viele Jahre später dafür sorgt, dass wir nun doch noch in den Genuss mancher Lieder kommen, die Luise Miersch einst in ihrem Ü-Wagen oder in irgendeinem Studio auf dem Land produziert hat: nämlich die Damen und Herren vom Plattenlabel ROKKfilm. Sie bringen nun in den nächsten Tagen ein Vinylalbum heraus, das den Titel "Leben und Liebe sind Warten und Abschied" trägt und auf dem sich 11 Rundfunkproduktionen der Gruppe Nautiks befinden.
Was man den Liedern auf der LP nicht anhört, ist, dass sie unter ziemlich abenteuerlichen Bedingungen aufgenommen worden sind. "Man hatte nur ein gewisses Kontingent an Zeit, in dem die Lieder eingespielt werden konnten", erzählt Bandgründer Gotte Gottschalk über die Produktion in der Anfangszeit. "Der Großteil der Zeit ging dafür drauf, dass die Aufnahmegeräte für den Sound richtig eingestellt wurden. Besonders das Schlagzeug machte dort Probleme", fügt er hinzu. Die Technik-Kollegen, die mit Luise Miersch vor Ort waren, nahmen vorher meist Chöre und klassische Ensembles auf und hatten mit Rockmusik wenig am Hut. Trotzdem gelang es, die Titel sehr gut einzufangen und zu konservieren. Am Ende standen sie für den Einsatz im Rundfunk zur Verfügung.
Beeinflusst waren die Musiker der Nautiks damals von Eric Burdon und seinen ANIMALS, Eric Clapton und auch BLIND FAITH, was den Stücken auf der ersten LP-Seite auch "anzusehen" ist. Später, und das wird dann auf der zweiten LP-Seite deutlich, kamen dann auch der Soul und die Funk-Musik deutlich ins Spiel. Hier liegen die Gründe dafür bei der Tante eines guten Freundes von Gotte, die in Amerika lebte. Sie kam gelegentlich nach Thüringen zu Besuch vorbei und brachte dann die "richtige schwarze Musik" mit. So lernte Gotte z.B. SLY & THE FAMILY STONE, EARTH WIND & FIRE und KOOL & THE GANG kennen. Diesen Stil verfolgte Gotte dann später auch bei der NEUEN GENERATION und bei HORST KRÜGER weiter, probierte sie aber zuerst bei den Nautiks aus.
Den Anfang des auf besagter, neuer LP befindlichen Programms macht der Song "Gestern ist vorbei", mit dem wir auf der A-Seite starten dürfen. Vom Inhalt her einen Mutmacher, musikalisch ein typischer Beat-Titel der damaligen Zeit. Er startet mit dieser "Marmor, Stein und Eisen"-Gitarre und ist durchzogen von einem auch bei international erfolgreichen Gruppen der damaligen Zeit eingesetztem Orgelsound.
Den Britischen "Einschlag" hört man auch deutlich bei "Ich fand Liebe, ich fand Dich". Die Band zeigt sich hier richtig verspielt, und lässt gleich zu Beginn mit dem Spinett-Intro aufhorchen. Auch hier kommt im Verlauf der schwere Orgel-Sound wieder zum Einsatz, und erstmals auch ein Bläser, nämlich Bernd Schulze am Saxophon.
Apropos Bläser: Die kommen in voller Besetzung dann beim Song "Rosentanz" zum Einsatz. Das ist übrigens auch der einzige Titel auf dieser Platte, der ohne Gottes Dazutun im Studio entstand, auch wenn er der Komponist ist. Gotte war damals schon bei der Armee und seine Kollegen nahmen die Nummer - von Alexander Jereczinski arrangiert und von Gabi Merz gesungen und betextet - letztlich ohne ihn auf. Die hier zu hörenden Bläser stammen von der Modern Soul Band und von Klaus Lenz, und wurden damals nachträglich noch hineingemischt. Luise Miersch wollte dem Lied mit dem Bläser-Einsatz noch mehr Tiefe geben, und lud sie deshalb nach der Aufnahme durch die Nautiks ins Studio ein. Ihre Idee ging voll auf … Der Song besticht außerdem durch einen psychodelischen Anflug im Mittelteil, wenn Jereczinski auf seinen Tasten einen Ausflug unternimmt und sich mit dem Saxophon ein kleines Duell liefert.
Bei "Winter ade" lassen dann ganz dezent Ian Anderson und JETHRO TULL schön grüßen, denn die Jungs von den Nautiks schicken hier abermals Bernd Schulze ins Rennen, diesmal aber mit der Flöte. Im Arrangement leicht aufgekratzt rockt sich das Ensemble hier abermals mit deutlich britischen Einschlag durch knapp drei Minuten.
Insgesamt sechs Songs aus der "Anfangsphase" der Nautiks hält die erste Seite dieser Schallplatte bereit und auf der zweiten Seite wird einem der Output aus der Phase nach dem Wehrdienst Gottschalks gereicht. Dann auch musikalisch deutlich hörbar gereift und mit weiteren Einflüssen aus anderen Bereichen (siehe oben).
Seite 2 startet mit einer späten Nummer und zugleich mit dem zuletzt produzierten Song der Nautiks, nämlich "Auch das ist das Leben" (1973). Hier ist sogar Hansi Biebl an der Gitarre zu hören, den Luise Miersch - wie zwei Jahre zuvor auch schon die Bläser - nachträglich noch ins Studio bestellt hatte, um einen zusätzlichen Part einzuspielen. Die Nummer klingt luftig und locker, ja zu Beginn sogar ein wenig karibisch, wenn man so will, und versprüht gleich gute Laune. THE SWEET hatten damals ja auch so eine Anwandlung ("Co-Co" und "Papa Joe"), auch wenn das von dem hier zu hörenden Stück weit, weit weg ist, denn nach einem kurzen Intro geht es hier dann doch recht soulig und rockig weiter. Auch hier überrascht die Band wieder im Mittelteil mit einer Art Improvisation auf dem Klavier.
Richtig amerikanischen Sound bekommen wir bei "Denn Du bist ein Mensch" zu hören - auch in Sachen Gesang. Das groovt, das rappelt … besonders ziehen das Gitarrenspiel und das James Brown-artige Stöhnen Gottschalks alle Blicke auf sich.
Dies tut dann auch das Spiel auf den schwarzen und weißen Testen von Alexander Jereczinski zu Beginn des Titels "Sturm". Sein Intro erinnert an ein klassisches Werk und leitet ein Stück ein, das seine Verwandtschaft mit dem zuvor gehörten "Denn Du bist ein Mensch" nicht verleugnen kann.
Aus der zweiten Phase der Nautiks haben es schließlich fünf Lieder auf die B-Seite der LP geschafft. Sie sind - wie bereits erwähnt - musikalisch auf einer anderen Ebene als die Stücke auf der ersten Seite und bilden ganz deutlich ab, auf welche Art und Weise und in welche Richtung die Gruppe ihre Entwicklung genommen hat.
Einmal mehr ist es dem Label ROKKfilm gelungen, einen musikalischen Schatz zu heben. Hier bekommt der Hörer - knapp 52 Jahre nach dem Verbot der Gruppe - erstmals die Gelegenheit so richtig zu erkunden, was für eine talentierte und großartige Band hier von Seiten der Politik kaputt gemacht worden ist. Es ist müßig, darüber zu philosophieren, wohin die Reise dieser Band hätte gehen können, hätte man ihr nur eine Chance gegeben, in Ruhe weiterarbeiten zu können. Möglicherweise hätte sie Bands wie den hier eben erwähnten PUHDYS ganz locker den Rang ablaufen können. Während man bei den PUHDYS zum Beispiel deutlich gehört hat, woher man seine Inspiration nahm - manch ein Stück klang dem Original mehr als nur ähnlich -, haben die Nautiks lediglich die Einflüsse aus der Musik von der britischen Insel oder aus den USA angedeutet, aber eigene Lieder daraus entstehen lassen, die eine deutliche Handschrift trugen - nämlich eine eigene. Und das - man kann es hier hören - alles auf hohem und internationalem Niveau.
Die vom Label ROKKfilm im Archiv des Rundfunks gefundenen Lieder erstrahlen hier nun in neuem Glanz. Wie bei den Platten zuvor sind auch für diese Veröffentlichung alle Lieder von Jörg-Rainer Friede gemastert und aufpoliert worden. Sie bestechen durch einen tollen und glasklaren Sound. Alle Instrumente sind deutlich zu hören, und es wird einem so die Gelegenheit gegeben, jede Kleinigkeit aus dem Gesamtarrangement herauszuhören. Und davon, liebe Freunde, gibt es hier eine ganze Menge. Das hier nun vorliegende Album wird bei seinem Käufer sicher mehr als nur einmal laufen, denn sowohl die spannende Musik als auch die eben erwähnten Kleinigkeiten liefern ausreichend Gründe dafür. Ein weiterer Grund ist das Cover, das mit seinem abermals sehr ausführlich gestalteten Booklet fast einer Geschichtsstunde gleichkommt.
(Christian Reder)
Um mal nur beim Beispiel der Gruppe Nautiks zu bleiben: Die Band wurde 1968 gegründet, musste dann Anfang der 70er kurzzeitig aussetzen, da einzelne Musiker zur NVA (Armee) eingezogen wurden (die "Einladung", den Wehrdienst abzuleisten, war natürlich reine Schikane), und wurde letztlich 1973 - kurz nach der Rückkehr der Musikanten vom Wehrdienst - aufgrund fadenscheiniger Gründe und lächerlicher Vorwürfe ganz verboten. In der kurzen Zeit ihrer Existenz war die Kapelle aber ziemlich kreativ und kurz vor ihrem Verbot auf dem Weg nach ganz oben. Auf der Überholspur und bei den PUHDYS schon im Rückspiegel.
Dass wir Musikfreunde überhaupt Songs von den Nautiks zu hören bekommen, haben wir nur ein paar ganz wenigen Leuten zu verdanken. Zum einen wäre da die Musikproduzentin Luise Miersch, die wir hier bei Deutsche Mugge ja auch schon im Interview hatten. Sie hat dafür gesorgt, dass viele Amateurbands in den Siebzigern ihre selbstgeschriebenen Songs im Studio aufnehmen konnten - so auch die Nautiks. Manch ein von ihr produzierter Titel einer aufstrebenden Nachwuchsband (alles Amateure) wurde schließlich im Radio gespielt. Mit etwas Glück landete einer sogar auf Schallplatte. Bei den Nautiks waren es drei Songs, die auf sogenannten Split-Singles veröffentlicht wurden. Das heißt: Auf der einen Seite war ein Lied der Nautiks, auf der anderen Seite der Single der Song einer anderen Band. Ein ganzes Album war den Nautiks leider nicht vergönnt.
An dieser Stelle kommt aber - über 50 Jahre später - ein anderer Player ins Spiel, der viele, viele Jahre später dafür sorgt, dass wir nun doch noch in den Genuss mancher Lieder kommen, die Luise Miersch einst in ihrem Ü-Wagen oder in irgendeinem Studio auf dem Land produziert hat: nämlich die Damen und Herren vom Plattenlabel ROKKfilm. Sie bringen nun in den nächsten Tagen ein Vinylalbum heraus, das den Titel "Leben und Liebe sind Warten und Abschied" trägt und auf dem sich 11 Rundfunkproduktionen der Gruppe Nautiks befinden.
Was man den Liedern auf der LP nicht anhört, ist, dass sie unter ziemlich abenteuerlichen Bedingungen aufgenommen worden sind. "Man hatte nur ein gewisses Kontingent an Zeit, in dem die Lieder eingespielt werden konnten", erzählt Bandgründer Gotte Gottschalk über die Produktion in der Anfangszeit. "Der Großteil der Zeit ging dafür drauf, dass die Aufnahmegeräte für den Sound richtig eingestellt wurden. Besonders das Schlagzeug machte dort Probleme", fügt er hinzu. Die Technik-Kollegen, die mit Luise Miersch vor Ort waren, nahmen vorher meist Chöre und klassische Ensembles auf und hatten mit Rockmusik wenig am Hut. Trotzdem gelang es, die Titel sehr gut einzufangen und zu konservieren. Am Ende standen sie für den Einsatz im Rundfunk zur Verfügung.
Beeinflusst waren die Musiker der Nautiks damals von Eric Burdon und seinen ANIMALS, Eric Clapton und auch BLIND FAITH, was den Stücken auf der ersten LP-Seite auch "anzusehen" ist. Später, und das wird dann auf der zweiten LP-Seite deutlich, kamen dann auch der Soul und die Funk-Musik deutlich ins Spiel. Hier liegen die Gründe dafür bei der Tante eines guten Freundes von Gotte, die in Amerika lebte. Sie kam gelegentlich nach Thüringen zu Besuch vorbei und brachte dann die "richtige schwarze Musik" mit. So lernte Gotte z.B. SLY & THE FAMILY STONE, EARTH WIND & FIRE und KOOL & THE GANG kennen. Diesen Stil verfolgte Gotte dann später auch bei der NEUEN GENERATION und bei HORST KRÜGER weiter, probierte sie aber zuerst bei den Nautiks aus.
Den Anfang des auf besagter, neuer LP befindlichen Programms macht der Song "Gestern ist vorbei", mit dem wir auf der A-Seite starten dürfen. Vom Inhalt her einen Mutmacher, musikalisch ein typischer Beat-Titel der damaligen Zeit. Er startet mit dieser "Marmor, Stein und Eisen"-Gitarre und ist durchzogen von einem auch bei international erfolgreichen Gruppen der damaligen Zeit eingesetztem Orgelsound.
Den Britischen "Einschlag" hört man auch deutlich bei "Ich fand Liebe, ich fand Dich". Die Band zeigt sich hier richtig verspielt, und lässt gleich zu Beginn mit dem Spinett-Intro aufhorchen. Auch hier kommt im Verlauf der schwere Orgel-Sound wieder zum Einsatz, und erstmals auch ein Bläser, nämlich Bernd Schulze am Saxophon.
Apropos Bläser: Die kommen in voller Besetzung dann beim Song "Rosentanz" zum Einsatz. Das ist übrigens auch der einzige Titel auf dieser Platte, der ohne Gottes Dazutun im Studio entstand, auch wenn er der Komponist ist. Gotte war damals schon bei der Armee und seine Kollegen nahmen die Nummer - von Alexander Jereczinski arrangiert und von Gabi Merz gesungen und betextet - letztlich ohne ihn auf. Die hier zu hörenden Bläser stammen von der Modern Soul Band und von Klaus Lenz, und wurden damals nachträglich noch hineingemischt. Luise Miersch wollte dem Lied mit dem Bläser-Einsatz noch mehr Tiefe geben, und lud sie deshalb nach der Aufnahme durch die Nautiks ins Studio ein. Ihre Idee ging voll auf … Der Song besticht außerdem durch einen psychodelischen Anflug im Mittelteil, wenn Jereczinski auf seinen Tasten einen Ausflug unternimmt und sich mit dem Saxophon ein kleines Duell liefert.
Bei "Winter ade" lassen dann ganz dezent Ian Anderson und JETHRO TULL schön grüßen, denn die Jungs von den Nautiks schicken hier abermals Bernd Schulze ins Rennen, diesmal aber mit der Flöte. Im Arrangement leicht aufgekratzt rockt sich das Ensemble hier abermals mit deutlich britischen Einschlag durch knapp drei Minuten.
Insgesamt sechs Songs aus der "Anfangsphase" der Nautiks hält die erste Seite dieser Schallplatte bereit und auf der zweiten Seite wird einem der Output aus der Phase nach dem Wehrdienst Gottschalks gereicht. Dann auch musikalisch deutlich hörbar gereift und mit weiteren Einflüssen aus anderen Bereichen (siehe oben).
Seite 2 startet mit einer späten Nummer und zugleich mit dem zuletzt produzierten Song der Nautiks, nämlich "Auch das ist das Leben" (1973). Hier ist sogar Hansi Biebl an der Gitarre zu hören, den Luise Miersch - wie zwei Jahre zuvor auch schon die Bläser - nachträglich noch ins Studio bestellt hatte, um einen zusätzlichen Part einzuspielen. Die Nummer klingt luftig und locker, ja zu Beginn sogar ein wenig karibisch, wenn man so will, und versprüht gleich gute Laune. THE SWEET hatten damals ja auch so eine Anwandlung ("Co-Co" und "Papa Joe"), auch wenn das von dem hier zu hörenden Stück weit, weit weg ist, denn nach einem kurzen Intro geht es hier dann doch recht soulig und rockig weiter. Auch hier überrascht die Band wieder im Mittelteil mit einer Art Improvisation auf dem Klavier.
Richtig amerikanischen Sound bekommen wir bei "Denn Du bist ein Mensch" zu hören - auch in Sachen Gesang. Das groovt, das rappelt … besonders ziehen das Gitarrenspiel und das James Brown-artige Stöhnen Gottschalks alle Blicke auf sich.
Dies tut dann auch das Spiel auf den schwarzen und weißen Testen von Alexander Jereczinski zu Beginn des Titels "Sturm". Sein Intro erinnert an ein klassisches Werk und leitet ein Stück ein, das seine Verwandtschaft mit dem zuvor gehörten "Denn Du bist ein Mensch" nicht verleugnen kann.
Aus der zweiten Phase der Nautiks haben es schließlich fünf Lieder auf die B-Seite der LP geschafft. Sie sind - wie bereits erwähnt - musikalisch auf einer anderen Ebene als die Stücke auf der ersten Seite und bilden ganz deutlich ab, auf welche Art und Weise und in welche Richtung die Gruppe ihre Entwicklung genommen hat.
Einmal mehr ist es dem Label ROKKfilm gelungen, einen musikalischen Schatz zu heben. Hier bekommt der Hörer - knapp 52 Jahre nach dem Verbot der Gruppe - erstmals die Gelegenheit so richtig zu erkunden, was für eine talentierte und großartige Band hier von Seiten der Politik kaputt gemacht worden ist. Es ist müßig, darüber zu philosophieren, wohin die Reise dieser Band hätte gehen können, hätte man ihr nur eine Chance gegeben, in Ruhe weiterarbeiten zu können. Möglicherweise hätte sie Bands wie den hier eben erwähnten PUHDYS ganz locker den Rang ablaufen können. Während man bei den PUHDYS zum Beispiel deutlich gehört hat, woher man seine Inspiration nahm - manch ein Stück klang dem Original mehr als nur ähnlich -, haben die Nautiks lediglich die Einflüsse aus der Musik von der britischen Insel oder aus den USA angedeutet, aber eigene Lieder daraus entstehen lassen, die eine deutliche Handschrift trugen - nämlich eine eigene. Und das - man kann es hier hören - alles auf hohem und internationalem Niveau.
Die vom Label ROKKfilm im Archiv des Rundfunks gefundenen Lieder erstrahlen hier nun in neuem Glanz. Wie bei den Platten zuvor sind auch für diese Veröffentlichung alle Lieder von Jörg-Rainer Friede gemastert und aufpoliert worden. Sie bestechen durch einen tollen und glasklaren Sound. Alle Instrumente sind deutlich zu hören, und es wird einem so die Gelegenheit gegeben, jede Kleinigkeit aus dem Gesamtarrangement herauszuhören. Und davon, liebe Freunde, gibt es hier eine ganze Menge. Das hier nun vorliegende Album wird bei seinem Käufer sicher mehr als nur einmal laufen, denn sowohl die spannende Musik als auch die eben erwähnten Kleinigkeiten liefern ausreichend Gründe dafür. Ein weiterer Grund ist das Cover, das mit seinem abermals sehr ausführlich gestalteten Booklet fast einer Geschichtsstunde gleichkommt.
(Christian Reder)

VÖ: 26.09.2025; Label: ROKKfilm Records; Katalognummer: n.n.b. (CD), Musiker: Heinz-Jürgen "Gotte" Gottschalk (voc, g), Werner Zentgraf (g, voc), Gabi Merz (g), Sany Tong (v, voc), Volkmar Jaschke (bg), Egon Böhm (bg), Alexander Jereczinski (org, p), Bernd Schulze (sax, fl), Siegfried Hörger (dr), Jochen Kloß (dr); Produktion: Luise Miersch (Original), Jens-Uwe Berndt & Jörg-Rainer Friede (für die LP); Bemerkung: Dieses Album beinhaltet Titel aus den Jahren 1970 bis 1973. Sie stammen alle aus dem DRA (Rundfunkarchiv). Das Album ist ausschließlich auf Schallplatte zu haben und HIER erhältlich;