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Ein Beitrag von Christian Reder mit Fotos aus
dem Privatarchiv von Gotte Gottschalk



"Wie geht es Dir?", fragte ich Heinz-Jürgen Gottschalk, den alle eigentlich nur "Gotte" nennen, vergangene Woche, nachdem wir uns schon etwas länger nicht gehört hatten. "Gut, alles tutti", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, und man glaubt ihm diesen Satz auch. Er klingt gut gelaunt und optimistisch.001 20230513 1014052966 Dabei hätte gerade Gotte allen Grund, in den höchsten Tönen über das Erlebte in den vergangenen drei Jahren besonders laut zu klagen. Aber das tut er nicht. Das ist nicht sein Naturell. Er scheint ein unerschütterlicher Optimist, und dafür gibt es auch gute Gründe.

Neue Heimat
Einer davon ist sein Lebensmittelpunkt. Dort, wo andere Urlaub machen, lebt er jetzt schon seit fast 10 Jahren, nämlich auf der Insel Rügen in dem staatlich anerkannten Erholungsort Saßnitz. Das Leben lockte ihn in den 10er Jahren dahin. Früher machte er dort mit seiner Band und auch solo regelmäßig Musik. Gotte pendelte zu der Zeit immer noch zwischen seinem Wohnort Berlin und seiner Geburtsstadt Erfurt, wo seine Band ansässig war, und reiste für Konzerte immer hoch an die See. Als das mit der Band in die Brüche ging, fragte ihn ein Freund, "Sag mal, warum bleibst Du nicht einfach hier oben?" Das taten er und seine Frau, die eigentlich schon immer dahin ziehen wollte, dann auch. Und Gotte hatte außer seiner Konzerttätigkeit noch einen weiteren Bezug zur Insel. Schon als Kind verbrachte er auf Rügen schon viel Zeit in Ferienlagern. Sein Vater war bei der Firma Topf & Söhne - einem Erfurter Familienunternehmen und Ofenbauer, später Mälzer & Speicherbau - tätig, und die sorgten in den 50ern und 60ern dafür, dass die Kinder der Angestellten im Sommer auf der Insel in Zeltlagern ihre Ferien verbringen und sich dort erholen konnten. Er hat schöne Erinnerungen an diese Zeit, lebt nun fest hier oben und hat jeden Morgen, wenn er die Vorhänge aufzieht, ein Postkartenmotiv vor Augen.

Berufliche Erfolge
Ein weiterer Grund, positiv auf das bis jetzt gelebte Leben zu blicken, ist seine Karriere. Seine Biographie liest sich wie ein Märchen. Als die BEATLES in den 60ern den Weg für die Pop- und Rockmusik, wie wir sie heute kennen, ebneten, gehörte er zu den deutschen Pionieren, die die gleiche Mission hatten. Zusammen mit Jürgen Kerth und den Spotlights - später Rampenlichter - eroberte er von Erfurt aus die (ost)deutsche Musikwelt. Die beiden Musikanten lieferten den Soundtrack für die damalige junge bzw. "neue" Generation. So hieß später auch eine seiner Bands, nämlich NEUE GENERATION, in der er nach kurzen Aufenthalten u.a. bei der Armee (TBA Combo), Horst Krüger Band und den Nautiks weiter an der deutschen Musikgeschichte schrieb. Ab 1980 war er schließlich als Solist unterwegs und war dies auch im anderen Teil Deutschlands, nachdem er 1985 die Saiten "gewechselt" hatte und fortan welche "Made in Western Germany" auf seine Klampfe aufzog. Kam sein erstes Solo-Album 1984 noch bei AMIGA in der DDR heraus, erschien das zweite, nach ihm selbst benannte, Werk im Jahre 1989 bei der westdeutschen Polydor. Das alles ist lange her und auch nach der Wende blieb "Gotte" seiner Berufung, Musik tief aus dem Herzen zu machen, treu. Als Solist und Teil von Bands wie VITAL oder GOLDEN SONGS tat er dies. Ein besonderes Highlight seiner Karriere dürfte die Zeit zwischen 2017 und 2019 gewesen sein, als er in der Begleitband von Albert Hammond spielte und dort auf internationalem Parkett steppte.

Auf Tour mit Albert
Noch ein Grund für gute Laune. Dass er überhaupt dabei mitmachte, dass sich der große Albert Hammond mit der orchestralen Umsetzung seiner Lieder einen Lebenstraum erfüllen konnte, hatte er alten Kontakten aus der Vergangenheit zu verdanken. Gotte wirkte lange Jahre in München in einem Chor mit, der bei Album-Produktionen im Studio für verschiedene Künstler tätig war. Dort sang er zusammen mit einer Dame namens Sandrina Sedona, die 1991 auch beim Grand Prix de la Chanson mitgemacht und zuletzt bei Peter Gabriel im Studio gearbeitet hat. Sandrina hatte nach 20 Jahren über Facebook entdeckt, dass es ihren alten Kollegen Gotte noch gibt. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade für den Chor verantwortlich, der bei Hammonds Projekt zum Einsatz kommen sollte und hatte die Idee, ihn auch bei Hammond als Gitarrist in dessen Begleitband mit unterzubringen. Irgendwann im Jahre 2017 war Gotte mit dem Auto auf dem Weg zum Erlebnis Bergwerk Merkers, wo er mit seiner Band am Abend ein Konzert spielen sollte. An diesem Tag war der Geburtstag seines verstorbenen Vaters, an den er gerade während der Fahrt dachte, als das Telefon ging. Als ob es ein Zeichen des Himmels gewesen war, war Sandrina am anderen Ende und fragte, ob er bei Hammonds Orchester-Projekt nicht mitmachen wolle. Und das war echtes Glück. Ein paar Minuten später wäre Gotte 600 Meter tief im Bergwerk gewesen, wo es keinen Telefonempfang gibt, und die beiden hätten sich verpasst. Wer weiß, ob es dann zu einem weiteren Anruf und somit zu seinem Mitwirken gekommen wäre …

002 20230513 1794381748Auf diesem Weg kam Gotte schließlich dazu, mit Hammond und weiteren Musikgrößen gemeinsam auf der Bühne zu stehen, und so führte ihn die Tour über die Grenzen Deutschlands hinaus bis nach London in die Carnegie Hall und in die O² World von Dublin. Dies bescherte dem Erfurter Musikanten zwei ereignisreiche und abenteuervolle Jahre, bei dem es auch ein Wiedersehen mit seinem Kumpel Peter Cheesemur aus England gab, den er schon als 18-jähriger in seiner Heimatstadt Erfurt kennengelernt hatte. Der Brite Cheesemur war damals als junger Student auf der Durchreise in Richtung Ungarn und traf dort auf Gotte. Die beiden wurden Kumpel. Zuerst Brieffreunde und später, als Gotte in die BRD übersiedelte, auch im richtigen Leben. Cheesemurs Cousin war übrigens der 2001 verstorbene Songwriter Mike Hazlewood, der auch schon mit Albert Hammond eng zusammen gearbeitet hatte. Dies erfuhr Gotte aber erst im Zuge seines Einstiegs bei Hammond durch seinen Kumpel Peter. Irgendwie scheint die Musikwelt tatsächlich ziemlich klein zu sein … Mit Ausbruch des Corona-Virus kam das Pojekt von Hammond jedoch komplett zum Erliegen. Ob es damit nochmal weitergehen wird, steht derzeit in den Sternen.

Harte Zeiten
Apropos Corona … In der Coronazeit machte der Musiker dann leider Erfahrungen, die wirklich niemand braucht. Es zogen tiefschwarze Wolken über dem sonst so sonnendurchfluteten Leben des Wahl-Rüganers auf. Ob er selbst Corona hatte und ob ein möglicher Infekt im Frühjahr 2021 der Auslöser für das war, was im Sommer des Jahres passierte, weiß Gotte gar nicht. War sein lebenslanger Bedarf an gesundheitlichen Tiefschlägen eigentlich schon mit der Krebserkrankung Ende der 1990er Jahre bis über das Lebensende hinaus gedeckt, gab es nämlich einen unerwünschten Nachschlag in Form von zwei Herzinfarkten. Beide ereilten ihn im Sommer 2021. Nach dem Ersten wurde ihm ein Stent gesetzt. Kaum aus der Klinik entlassen, streckte ihn ein zweiter Infarkt nieder, und dieses Mal richtig. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt Gottes Frau in der Nähe, die rechtzeitig Hilfe rufen konnte, sonst wäre er heute nämlich nicht mehr da. Er musste eine Stunde lang vom herbei gerufenen Notarzt wiederbelebt werden und überlebte diesen Infarkt nur mit sehr viel Glück. Ein weiterer Stent wurde gesetzt.

Ende des Jahres 2021 ging es ihm gesundheitlich wieder sehr schlecht und Gotte musste in eine Spezialklinik nach Karlsburg eingeliefert werden. Hier wurde ihm dann nicht nur richtig geholfen, sondern auch festgestellt, dass bei den Behandlungen nach den beiden Infarkten Mist gebaut wurde. Kaum zu glauben, aber der erste ihm gesetzte Stent wurde an einer völlig falschen Stellen angebracht - "Mitten in der Prärie", wie er selbst scherzhaft sagt - und der Zweite so, dass er mehr Schaden anrichtete als zu helfen. Als sei dies alles noch nicht genug, starb seine Lebensretterin und Ehefrau im Mai 2022, ein halbes Jahr nach dem Alptraum - und riss eine Lücke in das durch die gesundheitlichen Probleme eh schon durcheinander gewirbelte Leben Gottes. Wie viel Pech und Unglück kann ein einziger Mensch in so kurzer Zeit ertragen? Und wie kann man dann noch diesen Optimismus bewahren? Er tut es jedenfalls und es scheint, dass er immer wieder auf die Beine kommt, wenn er mal "auf dem Rücken liegt".


 
Steine - bemalt von Gotte Gottschalk (Zum Vergrößern bitte anklicken)



Lebenskraft durch Kunst
Ertragen lässt es sich wohl mit den eingangs erwähnten schönen Dingen des Lebens und auch mit seiner Malerei. Gotte bemalt Steine, die er am Strand von Rügen findet. Die Motive, die er auf sie malt, kommen aus den Steinen selbst. "Du musst nur genau hingucken, dann springen Dich die Motive an", sagt er und zeigt stolz einige seiner kleinen Schätze. Wenn er malt, ist das wie Urlaub für seine Seele. Aber natürlich spielt auch die Musik nach wie vor eine große Rolle, um im Leben glücklich zu sein. Sie war immer sein Begleiter, und sie ist es noch, bzw. wieder. Nach den schlimmen Erlebnissen in den Jahren 2021 und 2022 findet Gotte nämlich langsam wieder Zeit und Muße für sie. In London entdeckte er vor einigen Jahren ein Geschäft, das nur mit Ukulelen handelte und dabei dieses Instrument für sich. Zuerst beschäftigte er sich mit der Sopran- dann mit der Tenor-Ukulele, und landete schließlich bei einer Bariton-Ukulele, die er dann dahin gehend modifizierte, dass er die Saitenanzahl verdoppelte und sie inzwischen mit acht Saiten spielt. Dabei entdeckte Gotte das Geheimnis, wie George Harrison,003 20230513 1554671983 einer seiner Idole, auf die eine oder andere Songidee gekommen sein muss, denn es macht ihm eine Riesenfreude, auf dem neuen Instrument zu spielen und Lieder entstehen zu lassen. Gotte geht jeden Tag ans Meer, hat dort am Wasser einen Stein, auf dem er immer sitzt und seine Ukulele spielt. "Das Meer schenkt mir eigentlich jeden Tag irgendeine Melodiefolge, bei dem der Rest dann automatisch kommt", erzählt mir der Musiker mit einer unüberhörbaren Begeisterung für das, was er da jeden Tag erlebt. Sein Traum wäre es jetzt, aus dem neuen Material ein Album entstehen zu lassen, aber dafür fehlt es derzeit noch an Geld. Die sowohl durch Corona als auch durch die eben näher beschriebenen gesundheitlichen Probleme verursachte konzertlose Zeit hat ein enorm großes Loch ins Budget geschlagen. Als Rentner stand ihm keine staatliche Hilfe zu, wie sie andere Musikerkollegen bekommen haben. Es fehlt also derzeit an den nötigen finanziellen Mitteln, um so ein Projekt anzugehen. Auch wenn er seit einiger Zeit wieder Musik machen und auftreten kann, muss für so ein Projekt erst mal gespart werden. Es sei denn, hier liest ein potentieller Geldgeber mit und möchte als Wunscherfüller in Erscheinung treten. Dann möge er sich einfach beim Autor dieser Zeilen oder bei Gotte direkt mal melden …

Musikalische Wurzeln
Die Familie Gottschalk ist seit mehreren Generationen eng mit der Musik verbunden. Schon Gottes Mutter und ihre drei Schwestern bildeten einen Chor, der auf Familienfeiern für Unterhaltung sorgte. Damals, als es noch keine TV-Geräte gab und die Zeiten andere waren. Auch Gottes Nachwuchs sorgt dafür, dass es keinerlei Nachschubprobleme in Sachen Musik gibt. Sein Sohn Sascha Gottschalk ist hauptberuflich zwar Beamter, aber als Hobbymusiker unter dem Namen "Thief" bekannt, hat u.a. beim JAZZANOVA-Projekt mitgewirkt, und mit dem PULSAR MOD CLUB sein eigenes Ding laufen mit dem er Platten produziert und veröffentlicht. Bisher ist es aber nur einmal dazu gekommen, dass Vater und Sohn gemeinsam Musik gemacht haben. Und zwar fand das im Rahmen einer privaten Geburtstagsfeier eines Freundes statt. Zu einem gemeinsamen Auftritt von Gotte mit seiner Enkelin, die als Berliner Techno-DJane unter dem Namen MASHA ebenfalls Musik macht und auch international z.B. in den USA und Mexiko ziemlich erfolgreich ist, kam es bisher jedoch noch gar nicht. Aber wer weiß, was die Zukunft für das "Familienunternehmen" Gottschalk noch so alles bereit hält.

Happy Birthday!
Heute, am 16. Mai, wird Gotte Gottschalk 75 Jahre alt, aber eine laute Feier wird es nicht geben. Ein paar Freunde wird er in ein gemütliches Restaurant ausführen, ansonsten wird der Tag eher leise begangen. Grund dafür ist auch der Tod seiner Schwester Anfang des Monats. Einen Tag nach seinem Geburtstag hat er jetzt die schwere Aufgabe vor sich, nach Erfurt zu reisen um seine Schwester auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Sie wird dort zu Grabe getragen. Es ist ihm wirklich zu wünschen, dass diese Beisetzung der Schlusspunkt unter eine schwere Phase im seinem Leben ist, und dass ab diesem Tag dann wieder für längere Zeit ausschließlich die Sonne scheint. Es hat ihn nun oft genug "auf den Rücken gedreht"! Dabei wird sicher auch seine neue Liebe eine große Rolle spielen, die in Gottes Leben getreten ist und ihm viel Kraft gibt. Und da sind ja noch sein Sohn und die Enkelin, die in seine Fußstapfen treten und das fortsetzen, was er immer noch macht, so wie am vergangenen Wochenende in Heringsdorf, Binz und Gören, wo er wieder live seine Lieder spielen und das Publikum begeistern konnte. "Es ist ein Glücksfall, dass wir die Musik und die Kunst haben", sagt er und fügt hinzu, "… und natürlich auch die Freunde im Leben. Das ist nicht selbstverständlich, dass man Freunde hat, die einem auch in schlechten Zeiten zur Seite stehen". Und wer kann das besser beurteilen als er, der jetzt drei Jahre am Stück das Pech gepachtet zu haben scheint. Alles Gute, lieber Gotte. Bleib so ein Optimist und uns noch möglichst lange erhalten! Trotz allem Pech und aller Katastrophen der letzten Zeit hoffen wir, dass Du einen schönen Tag haben wirst.






Seh- und Hör-Bar:







   
   
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