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Ein Beitrag von Christian Reder



Vor 40 Jahren war die Welt noch eine völlig andere. Wer hätte damals gedacht, dass man nahezu alles in einer virtuellen Welt erledigen kann, ohne einen Fuß vor die Haustür setzen zu müssen? Unsere Filme holen wir inzwischen "on demand" bei Streaming-Diensten, denn Videotheken, wie sie damals an jeder Ecke zu finden waren, sind längst Geschichte. Unser Essen bestellen wir uns heutzutage über eine App auf dem Smartphone, worüber es gleich bezahlt und mit dessen Hilfe es Minuten später von einem Boten an die Haustür geliefert wird. Und auch in Spielhallen muss man heute nicht mehr gehen, weil man jetzt auf der Couch sitzend ziemlich schnell ein Casino mit schneller Auszahlung im Internet finden kann. Viele Neuerungen erleichtern uns das Leben, aber manch' Schönes bleibt dabei auch auf der Strecke. So z.B. in der Musik. Sie wird kaum noch in Plattenläden - wenn man überhaupt noch einen im Ort hat - oder auf Plattenbörsen gesucht, sondern in Rekordzeit im Netz gefunden und gestreamt. Dort findet man nahezu alles, was man hören will. Das war 1983 noch anders. Damals tauchte eine Band namens FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD auf, die als ersten Musikgruppe überhaupt ihre Singles in zig verschiedenen Versionen veröffentlichte und auf 12" Maxi Singles in den Handel brachte. Maxi Singles gab es damals noch nicht so lange, und es war eigentlich üblich, zu seinen als Single ausgekoppelten Songs lediglich eine Maxi-Version heraus zu bringen. Nicht so die FRANKIES … sie boten ihren Fans gleich mehrere Versionen an. Sie sorgten mit dieser Strategie dafür, dass der Fan lange richtig viel Spaß mit ihrer Musik und damit hatte, jeden einzelnen ihrer Mixe aus irgendeinem Winkel der Welt zusammen zu tragen. Etwas, dass in der heutigen Zeit aus verschiedenen Gründen auch fast ausgestorben ist, wie z.B. Promo-Maxis oder Maxi-Singles (CDs und stellenweise auch Vinyl) an sich.


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Eigentlich, so erzählt man sich, soll die Gruppe, die auch kurz nur "FGTH" genannt wurde, bereits im Jahre 1980 gegründet worden sein. Doch 1983 nahm man erstmals von ihr Notiz. In diesem Jahr entdeckte Produzent Trevor Horn die Gruppe und nahm einen sich nur wenig später zum Welthit entwickelnden Song auf. Im Oktober 1983 veröffentlichten Frontmann Holly Johnson, Vortänzer und Chorsänger Paul Rutherford, Schlagzeuger Peter Gill, Gitarrist Brian "Nasher" Nash und Bassist Mark O'Toole, unter dem Namen FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD in England diesen Titel als ihre erste Single: "Relax" war geboren. Ein geschichtsträchtiges Ereignis, denn die anschließende Welle erfasste (fast) jeden Musikfreund auf der Welt! Manch einen - so wie den Autor dieser Zeilen - hat der Hype und die Faszination um die Kapelle bis heute nicht losgelassen. Es dauerte aber etwas, bis der Song die Spitze der britischen Single-Charts eroberte, aber am 12. November 1983 war es soweit. Dies war der Anfang einer bis dahin beispiellosen Karriere und FRANKIE schaffte etwas, das noch nicht einmal den großen Beatles aus ihrer Heimat gelang. Einen gewissen Anteil an dem Erfolg hatte auch der Medienrummel, der um ihren ersten Song gemacht wurde. Der britische Sender BBC, der die Single wegen des anzüglichen Covers und des homoerotischen Textinhalts mal eben auf den Index setzte und damit ein Radio- und TV-Boykott auslöste, war Auslöser dieses Medienrummels. Ihr Boykott machte weltweit in den Medien natürlich die Runde und bewirkte prompt das Gegenteil von dem, was die selbsternannten Hüter des guten Geschmacks bewirken wollten. Die Band machte sich daraus einen Spaß und nutzte die kostenlose Werbung für sich. Radiomoderator Mike Read bezeichnete die Single "Relax" am 11. Januar 1984 in seiner Sendung "1 Breakfast Show" als "absolut obszön" und weigerte sich, die Platte noch einmal in seiner Sendung zu spielen. Dies entwickelte sich zum Eigentor für den Radiomann: Seine Moderation mit der Ansage, die Nummer sei so obszön, dass er sie nicht mehr spielen wolle, ließ die Band kurz darauf von Schauspieler Chris Barrie noch einmal einsprechen, machte daraus eine Parodie und nutzte die Aufnahme u.a. auch als Introduktion für die Maxi-Version ihrer dritten Single "The Power Of Love". Der Song "Relax" jedoch setzte zum Siegeszug über die Grenzen Groß Britanniens hinaus an. Schneller als es sich die BBC in den schlimmsten Träumen hätte ausmalen können …





Am 6. Februar 1984 platzierte sich die Band mit "Relax" auch in Deutschland an der Chart-Spitze. Knapp zwei Wochen später hatten sie auch die Schweiz fest in der Hand, Frankreich folgte ebenfalls mit einem Platz 1, und am 7. April landete der Song auf Platz 10 der US-Billboard-Charts und hielt sich dort insgesamt 23 Wochen (!) in den Hitparaden. Der Bannstrahl der BBC wurde übrigens im Dezember 1984 wieder aufgehoben, aber da waren die Jungs von FRANKIE schon weltweit erfolgreich und konnten sich auf die Entscheidung der BBC ein Ei pellen! Ich kann heute gar nicht mehr genau sagen, wo und wann ich "Relax" das erste Mal gehört habe. Ich glaube aber, dass es an einem Mittwochabend im Spätherbst des Jahres 1983 in "Mal Sondock's Hitparade" beim Radiosender WDR2 war. Es kann aber auch die "Schlagerrallye" samstags auf dem gleichen Kanal gewesen sein. Wie dem auch sei … Charakteristisch für FRANKIE und ihre Debüt-Single waren die E-Bass-Figur Mark O'Tools und der Einsatz von Samples und Sprachsequenzen. Dazu dieser enorme Druck, den der Produzent der Nummer eingehaucht hatte. Über die Entstehung des Songs werde ich gleich noch etwas mehr erzählen, aber so etwas wie "Relax" hatte ich vorher noch nicht gehört. Der FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD-Sound traf punktgenau mein Geschmackszentrum. Es war sofort mein favorisierter Song und löste auch bei mir die eingangs beschriebene Sammelleidenschaft aus. Neben der gängigen 7"- und der Album-Version gab es - wie eingangs schon kurz beschrieben - auf der ganzen Welt verschiedene Vinyl-Ausgaben mit immer wieder anderen und neuen Mixen. In Australien, Neuseeland und den Staaten gab es z.B. den "U.S. Dance Mix", in den Staaten gab es außerdem noch die "Instrumental-" und die "Vocal Long Version", hier in Europa den "Sex Mix" und den "Sex Mix Edit", Canada bot den Fans die "Long Version" an, in Italien konnte man den "DJ Mix" in Plattenladen kaufen, aus England konnte man sich von Händlern den "Warp Mix" schicken lassen und wer gute Drähte nach Südamerika hatte, hatte die Chance, einen weiteren "Disco Mix" für seine Sammlung ergattern zu können. Ich kannte damals allerdings niemanden dem es gelungen war, alle verfügbaren Versionen in die eigene Sammlung stellen zu können. Manch eine Promo oder ausländische Pressung wurde sogar mit (Achtung … Übertreibung) Organen gehandelt.


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Die Zeit damals hatte noch einen anderen wesentlichen Unterschied zu der heute: Es gab noch keinen so aufgeblähten Boulevard-Journalismus und auch kein Internet. So erfuhr man gerade hier in Deutschland nur wenig über die Geschehnisse um das Quintett und was so im Hintergrund alles abging. Hauptinformationsquelle war hier die BRAVO oder ein Angehöriger der Britischen Armee, wenn man denn einen kannte. Hier in Dortmund waren sie jedenfalls stationiert, und mein Vater arbeitete mit seiner Firma in der Kaserne. Was mich als Fan damals begeisterte, war aber ein hinter verschlossenen Türen von Band, Produzent und anderen Kreativen geplanter Ablauf. Somit auch der Beweis dafür, dass Erfolg sehr wohl steuerbar ist. Nach der Vertragsunterzeichnung von FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD beim Plattenlabel ZTT wurde nämlich genau dieser Erfolg geplant. Mitinhaber von ZTT, Paul Morley, organisierte eine bis dahin noch nie dagewesene und provokante Werbekampagne, die er als "strategischen Angriff auf den Pop" bezeichnete. Die Single "Relax" war der Auftakt einer Single-Trilogie, die die Themen Sex ("Relax"), Krieg ("Two Tribes") und Religion ("The Power Of Love") beinhalten, und die allesamt damals polarisierten und provozierten. Erst kurz vor der Veröffentlichung der dritten Single "The Power Of Love" am 19. November 1984, und über ein Jahr nach Veröffentlichung der ersten Single "Relax", wurde das Album "Welcome To The Pleasuredome" in die Läden gebracht. Und dies setzte einen weiteren dicken Strich unter das Wirken der Band und ihrer Strategen hinter den Kulissen. Inhalt und Aufmachung der Doppel-LP sowie die dazugehörige Werbekampagne waren bis dahin einmalig in der Welt der Pop-Musik.





Und an dieser Stelle noch der versprochene Einblick in die Geschichte des Liedes: Der Song "Relax" wurde bereits im Juli 1983 aufgenommen, und die Geschichte dahinter ist so interessant und schräg, wie die Bandgeschichte der FRANKIEs selbst auch. Produzent Trevor Horn (u.a. selbst Musiker bei den BUGGLES) war damals schon bekannt für seinen Hang zum Perfektionismus und seine konkreten Vorstellungen, wie was zu klingen und zu funktionieren hat. Daher war es für die damals gerade mal 20 Jahre alten Musiker kaum umsetzbar, was Horn von ihnen forderte, zumal die Arrangements und die musikalische Umsetzung des Stücks nicht gerade ohne Anspruch waren. Horn empfand die ersten Aufnahmen, die die jungen Musiker einspielten, als unbefriedigend und ließ den instrumentalen Part des Songs "Relax" von einer Schatten-Band einspielen. Dies, obwohl das Stück gar nicht von ihm sondern von den Bandmitgliedern Johnson, O'Toole und Gill geschrieben wurde. Das Lied entstand auf diese Art vollständig in Horns eigenem Studio in London und mit anderen Musikern. O'Toole, Nash und Gill blieben daheim und Holly Johnson sang als einziger der Autoren seinen Part später auf die fertige Instrumentalversion des Stücks. Wie viel Trevor Horn an dem Lied und die für ihn perfekte Umsetzung lag, lässt sich an den Produktionskosten ablesen. Allein "Relax" kostete 70.000 Britische Pfund! Und der Plan ging - wie wir inzwischen wissen - auf. Dass die Band den Song auch selbst perfekt spielen konnte, bewiesen die fünf Briten übrigens auf unzähligen Konzerten ihrer erfolgreichen Tournee im Jahre 1985, die sie u.a. auch hierher nach Deutschland führte.

Die 70.000 Pfund Produktionskosten spielte die Nummer dann auch ziemlich schnell ein. Die Eindrücke und das Neue, das "Relax" mitbrachte, ließen die Band und ihr Produzenten-Team erst mal auf die Völker der Erde wirken. Fast acht Monate nach der VÖ von "Relax" legten sie erst mit der zweiten Single "Two Tribes" nach. Auch diese Single und das dazugehörige Video wurden zum Erfolg und toppten teilweise sogar noch den Überhit "Relax". Wie viele verschiedene Mixe es am Ende von "Two Tribes" gab, ist selbst mir als großem Anhänger dieser Gruppe und ihrer Musik nicht bekannt. Es waren jedenfalls weit mehr als bei der Debüt-Single. Im Dezember 1984 - pünktlich zur Weihnachtszeit - brachte FGTH die dritte Single "The Power of Love" heraus. Die Band um Holly Johnson war nach Gerry & the Pacemakers im Jahr 1963 die erste Band, die in England mit ihren ersten drei Singles den ersten Platz der Single-Charts belegten - wie weiter oben schon erwähnt, war das etwas, das selbst die BEATLES nicht schafften. In Deutschland erreichte das fälschlicher Weise inzwischen als "Weihnachtslied" gehandelte Stück Platz 4 der Single-Charts. "The Power Of Love" war im Dezember '84 einer der Lieder, die bei mir am häufigsten liefen. Nein, es war nicht "Last Chistmas"!!!


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Seit 1983 und der Single "Relax" begleitete mich die Band schon, und seitdem hat sich wirklich vieles verändert. Die Welt ist eine andere geworden und mit "Skandalen", wie sie einst FGTH "inszenierten", kann man heute auch keine Oma mehr vom Nachttopf aufschrecken. Was sich dagegen nicht verändert hat, ist die Magie, die von der Musik der FRANKIEs ausgeht und die Erinnerungen an die Zeit nach der Veröffentlichung von "Relax". Die Monate zwischen November 1983 und Dezember 1984, die mit der VÖ ihres Debüt-Albums "Welcome To The Pleasuredome" gekrönt wurde, waren spannend und sind heute wohl durch nichts mehr zu toppen. Am Ende des Jahres, zu meinem Geburtstag 1984, bekam ich von drei Schulfreunden die Doppel-LP geschenkt. Diese habe und höre ich noch immer. Ob meinen Eltern, denen ich damals praktisch eine Dauerberieselung mit FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD in sachgerechter Lautstärke zukommen ließ, "mein" Jahr mit der Britischen Band auch so gut gefiel, kann ich an dieser Stelle nicht vollumfänglich beantworten ... ich glaube aber eher nicht ;-)






   
   
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