Die Blues-Szene in

der DDR - Erinnerungen

Bericht: Jürgen Naue (www.heiligenmuehle.de)
Fotos: Michael Roetsch (www.dolly-bastards.de)

 

 

001 20121227 1090510030
Zum Blues bin ich mehr oder weniger durch Zufall gekommen. Ein Klassenkamerad hatte mich 1978 zum Geburtstag nach Großfahnern eingeladen. Auf dem Dorfsaal spielte die Travelling Blues Band. Ein in meinem Alter beeindruckendes Erlebnis!

Es war mit der normalen Musik (ich hörte schon Deep Purple, Pink Floyd usw.) nicht unbedingt vergleichbar, was Bandchef Dieter Gasde da aus Waschbrett, Kamm und anderen exotischen Instrumenten für Klänge zauberte. Auch toll war das erste mal "Mama Wilson" von Engerling auf "Stimme der DDR" zu hören, einem Sender der ab und an auch mal internationale Rockmusik (Deep Purple, Jethro Tull, Uriah Heep etc.) spielte und deshalb eingeschaltet wurde. Auf jeden Fall machte mich die Blues-Szene neugierig, nicht zuletzt auch wegen des allgemeinen Habitus, der ja dem Ausehen der echten Rockstars gar nicht so unähnlich war.
 

Erwähnen muss ich in diesem Zusammenhang die Erfurter Diskothek "Treffpunkt Johannesplatz", wo Peter Meister regelmäßig Blues spielte und einmal im Monat sogar Live-Musik mit Bands wie Engeling, Jürgen Kerth oder Monokel geboten wurde. Nicht zu vergessen mein Vater "Karli" Naue, in Erfurt ein anerkannter Musiker, der sogar in der berüchtigten Einstufungskommission mitmischen durfte. Während der Lehre sah mein typischer Wochenablauf wie folgt aus:

 

Montag: Disko im Treff
Mittwoch: Disko im Treff
Donnerstag: Szene-Kneipe "Penne"
Freitag/Samstag: unterwegs auf den Dörfern
Sonntag: Disko Im Treff

 

002 20121227 2095481409

Trotzdem hatte man es irgendwie aber fast immer geschafft, zur Arbeit zu erscheinen.
Besonders abenteuerlich waren natürlich die Wochenenden, die einen manchmal in die abgelegensten Dörfer Thüringens führten. Man traf sich meistens in der "Mitropa" und dann wurde beschlossen, wohin und zu welcher Band es denn gehen sollte. Einige dieser Orte waren Großfahnern, Schloßvippach, Wandersleben, Mühlhausen, Kleinmölsen, Gräfenroda, Pössneck/Schlettwein oder auch Greußen.

Es war das Ereignis im Dorf, wenn sich vom Bahnhof eine Schlange mit Kutten oder Jeans bekleideter Langhaariger zog, und auf den jeweiligen Dorfsaal zu bewegte. Das Hinkommen gelang noch ganz gut, aber zurück gab es meistens erst am nächsten Morgen wieder eine Verbindung. So wurden die unmöglichsten Schlafplätze okkupiert. Günstig waren Heuschober, wo es aber auch immer wieder "Kunden" gab, die da noch Rauchen mußten. Eigentlich ganz schön lebensmüde!


Manchmal hat man aber auch im Bahnhof oder auf Bänken übernachtet, der Schlafsack war ja immer dabei. Natürlich gab es auch Unannehmlichkeiten, obligatorische Ausweiskontrollen durch die Polizei oder Zusammenstöße mit nicht so begeisterten Einheimischen. Aber an die negativen Sachen erinnert man sich ja später meistes nicht mehr so.


Sicherlich war diese Art "Freizeitgestaltung" so nur zu dieser Zeit und in diesem Land möglich. Man hatte seinen eigenen Lebensstil gefunden, ohne sich dem System DDR zu sehr anzupassen. Erfahrungen, die ich auf keinen Fall missen möchte. Nicht immer mußte man so weit fahren, so gab es in Erfurt-Kerspleben einen angesagten Dorfsaal, wo alle zwei Wochen Blues stattfand. Ein anderes Kleinod war das Open Air in Hochheim. Es fand immer vier Wochenenden lang jeweils von 18:00 bis 22:00 Uhr statt. Auf so einer Party lernte ich 1983 sogar meine Frau kennen.

 

004 20121227 1188343201

Vielleicht noch erwähnenswert das alljährliche Bluesfestival in Bad Berka, wo es offiziell allerdings keinen Alkohol gab. Diese Veranstaltung gibt es sogar heute wieder. Ebenfalls großer Beliebtheit erfreut sich auch der alljährlich wiederbelebte Bluesfasching in Apolda. Wie auch schon in "Bye Bye Lübben City" erwähnt gab es ja einige Blues Bands in Thüringen, zu denen wir neben den großen Helden, meist aus Berlin kommend, immer gefahren sind. Allen voran sicher Jürgen Kerth, der damals in der Besetzung mit Lothar "Lotix" Wilke an Bass und Hammond Orgel und Eberhard "Amsel" Meierdirks am Schlagzeug spielte, und mich manchmal sogar etwas an Deep Purple erinnerte. Heute tritt er mit seinem Sohn Stephan und wechselnden Schlagzeugern auf. Lothar Wilke war später bei den von "Willie" Woik gegründeten "Pasch", wo zeitweise der verstorbene André Greiner Pol und Andreas Kirchner (Kirsche & Co) sangen.

Wo wir gleich bei der nächsten Kapelle wären. Anfang der 80er Jahre sang eben dieser "Kirsche" in der Band Karacho, die damals die sensationelle Mischung von Roger Chapman und Ton Steine Scherben-Songs spielten. Nach einem Verbot nannte man sich Extra und ab 1987 Kirsche & Co mit vorwiegend eigenen Songs. Heute gibt es noch das Nebenprojekt Junimond mit Scherben und Rio Reiser Covern.


Nächste Band im Reigen: Pro Art. Früher eine reine Blues Gruppe, hat man den Stil heute mehr in Funk Soul und Latin gewandelt. Von der Urbesetzung ist nur noch Keyboarder Andy Geyer dabei. Auch Klappstuhl ist eine Thüringer Blues Band um Dieter Georgie, die sowohl in Original Besetzung als auch mit wechselnden Musikern noch auftritt. Sie spielen Blues Rock im Sinne von ZZ Top, Jonny Winter oder Stevie Ray Vaughn.


Ergo hatte sich dem Blues und Soul verschrieben, bekannteste Mitglieder waren Waldi Weiz und Angelika Weiz. Beide sind heute in Berlin Solo Künstler. Die Gruppe Ergo wurde vor Kurzem von Ur-Mitglied Bernd Frenzel (Sax) wieder ins Leben gerufen.

Frachthof bestand aus dem Duo Postel und Pötsch, welches immer noch aktiv ist, Dieter Georgie und andern, und gibt es so nicht mehr. Auch die Bands Onkel Tom, Opus 5, Knuff, Brenda, die Travelling Blues Band oder Mr. Adapoe existieren nicht mehr. Deren Sängerin Constanze Freund singt ja jetzt beim relativ bekannten Jazz und Soul Duo "Friend`n Fellow". 


Relativ spät gegründet wurden die Stachelbaer Blues Band, Feedback und Kurz & Lang. Es hat also in Thüringen ein relative Blues-lastiges Kapitel der DDR Rockmusik gegeben.

Blütezeit des Ostrocks waren sicherlich die 70er, mit Bands wie Stern-Combo Meißen, Electra oder auch Renft. In den 80er Jahren versuchte man dann, sich internationalen Trends stärker anzupassen, was nicht mehr so ganz den Geschmack der Fans traf. Aber wer mit dieser Musik aufgewachsen ist, kann sie bis heute nicht vergessen.

Auf Schallplatte hatte es bei "Amiga", dem einzigen Platten Label des Ostens, aus Thüringens Blues Szene nur der (bekennende) Erfurter Jürgen Kerth geschafft. Da ich heute in der glücklichen Lage bin, selbst Konzerte als Hobby zu organisieren, ist es schön, dass es viele dieser Bands noch gibt und auch noch ein Puplikum dafür da ist. Wenn sie in der "Heiligen Mühle" auftreten, ist es für Momente fast wie in den alten Blues Zeiten.

 

 

 


   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.