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Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Jim Rakete



Ich bin mir nicht sicher, ob es 1982 oder schon 1983 war, aber in der TV-Sendung "Spielbude" tauchte plötzlich ein Berliner Trio auf, das mit "Teenager Liebe" eine fröhlich-poppige Gute-Laune-Nummer präsentierte.001 20220408 1405557341 Der Sänger hatte eine strohblonde Mähne auf der Fontanelle, ein knallbuntes Hawaii-Hemd an und sang in eine Banane statt in ein Mikro. Er stand vor einem Flügel, auf dem ein Typ in Frauenklamotten und Perücke Verrenkungen machte und am Flügel saß ein dunkelhaariger Bursche, der ihn spielte, obwohl in dem Lied gar kein Klavier zu hören war. Eine schräge Inszenierung, die sehr viel Humor bei den Protagonisten vermuten ließ, und die ich damals richtig toll fand. Leider verpasste - oder vergaß - ich, mir den Namen dieser Formation zu merken und weil es damals sowas wie Internet nicht gab, fiel die Suche nach der gerade entdeckten Band auch nicht besonders leicht. Einige Zeit später, im Frühjahr 1983, bekam ich eine BRAVO in die Finger, in der ein Beitrag war, der mit den Worten, "Neue Chaos-Band: Die Ärzte aus Berlin", überschrieben war. Sofort erkannte ich den semmelblonden Sänger aus der "Spielbude" wieder. Es war das singende Hawaii-Hemd aus dem Fernsehen, Farin Urlaub, zusammen mit dem Bassisten Sahnie, der beim Erstkontakt noch als Frau verkleidet war, sowie dem Schlagzeuger Bela B, der im TV als Pianist zu sehen war. Meine Fresse, was für ein kuhles Ensemble, die Jungs und ihre Geschichte machten mich echt neugierig. Ich war also schon mal angefixt, aber bis sich die "Teenager Liebe" und andere aus Tönen bestehende Genussmittel des Westberliner Trios auf meinem Plattenspieler drehen konnten, dauerte es aber noch eine Weile. So war das damals mit dem Entdecken neuer Bands in den guten alten 80ern …



Als ÄRZTE-Fan der ersten Stunde hatte man es in den 80ern nicht leicht. Gleich das Debüt, die EP "Zu schön, um wahr zu sein", konnte deutschlandweit nicht so mir-nichts-dir-nichts im Plattenladen bezogen werden. Das Ding kam beim kleinen Berliner Label Schnick-Schnack-Tonträger raus, war auf 500 Stück limitiert und als man von dessen Existenz erfuhr, waren alle 500 Einheiten schon ausverkauft. Da hatte man als Nicht-Berliner mal gepflegt die A-Karte gezogen. Einfacher war es da schon mit der zweiten Platte der ÄRZTE, "Uns geht's prima", die 1984 in den Handel kam. Auch hier musste man schnell sein, um eins der wenigen Erstauflagen mit dem roten Kreuz auf dem Cover zu ergattern, denn schon kurz nach Erscheinen dieser EP befürchtete das Unternehmen "Rotes Kreuz", dessen Firmenlogo so ähnlich aussieht wie das Cover dieser Platte, man könne sie verdächtigen, über lustige Astronauten, Sommer, Palmen und Sonnenschein zu singen, woraufhin sie intervenierten und mit Klage wegen Verwechslungsgefahr drohten. Das veranlasste Band und Plattenfirma dazu, keine roten sondern nur noch weiße, schwarze, braune, grüne, gelbe, goldene oder (am häufigsten) blaue Kreuze auf die Cover-Front zu drucken. DIE ÄRZTE waren gerade mal zwei Jahre am Start, hatten erst zwei Platten draußen und beide waren schon gesuchte Sammlerstücke. Krass! Es sollten nicht die einzigen beiden bleiben. So waren sie eben, die frühen und wilden 80er …



Während also noch die Lieder der EP "Uns geht's prima" in der richtigen Lautstärke gehört daheim für dezenten Unmut bei meinen Eltern sorgten, lieferte die Kapelle mit "Debil" bereits neuen Stoff. Wieder hätte man schnell sein müssen, denn mit den Liedern "Schlaflied" und "Claudia hat ´nen Schäferhund" weckten Farin, Bela und Sahnie bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (kurz BPjS) andere Hunde als die, die von Claudia bevorzugt wurden. Noch bevor ich das Taschengeld für "Debil" zusammen gespart hatte, war die Platte schon verboten. Kacke! Gott sei Dank war die Tochter eines mit meinen Eltern befreundeten Ehepaares schneller und war stolze Besitzerin einer solchen Scheibe. Sie bekam von mir eine Leerkassette mit der Bitte überreicht, doch die "Debil" zu überspielen, was sie freundlicher Weise auch tat. Und zack: Man war in Hör- und Reichweite der bösen und guten ÄRZTE-Lieder, die die Band für beide Geschlechter (damals gab es nur zwei) auf je einer Mädchen- und einer Jungenseite auf ihrer Schallplatte verewigt hatten. Schon komisch: Da konnte der Scheitelträger Roland Kaiser zur besten Sendezeit in der ZDF Hitparade ganz unbehelligt darüber singen, wie er die Jugend von einem offenbar noch schulpflichtigen Mädchen "in Händen" hielt (Song "Santa Maria") - und wir alle wissen GENAU, was er damit meinte - und eine ganz offensichtlich übertrieben und als Jux erzählte Geschichte über eine Hundenärrin (grins) wurde verboten. Ja, so waren sie … die prüden 80er.

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Nein, als ÄRZTE-Fan hattest Du es damals wirklich nicht leicht. Das 1985 folgende Album "Im Schatten der Ärzte" lieferte dann zur Abwechslung mal keinen Anlass zur Aufregung bei der BPjS, weshalb man sich mit dem Sparen auf diese Platte ruhig etwas Zeit lassen konnte. Auch deshalb, weil die vorhin hier schon vorgestellte Tochter der Bekannten einmal mehr schneller und wieder so freundlich war, eine Leerkassette mit ÄRZTE-Musik zu füllen. Aber schon das dritte, nach der Band benannte Werk "Die Ärzte" sorgte im Jahre 1986 bei der BPjS für die Anschaffung neuer roter Stifte zum Indexieren einer weiteren Platte des Fun-Punk-Orchesters. Grund dafür war hauptsächlich das Lied "Geschwisterliebe", in dem ziemlich derb die sexuelle Beziehung von Bruder und Schwester gezeichnet wurde. Damit nicht gleich die halbe Republik das nachmacht, was auf der Platte zu hören ist, wurde sie kurzerhand komplett vom Markt genommen. Schade um so tolle Perlen wie z.B. "Wie am ersten Tag", "Für immer", "Ist das alles?" oder "Zum letzten Mal", die durch die Indexierung gleich mit rasiert wurden. Dabei sorgten speziell im Schlager- und Pop-Bereich viele andere Protagonisten mit ihren ausgeschwitzten Klangerzeugnissen bei Heranwachsenden für viel schlimmere Schreckmomente und Neurosen fördernde Erlebnisse. Aber so waren sie … die auf Vorsicht getrimmten 80er.



All die Verbote und erhobenen Zeigefinger nötigten Band und Plattenfirma im Jahr 1987 schließlich zur Veröffentlichung der Mini-LP "Ab 18", die neben den vielen bösen Liedern vom Index auch welche enthält, die nicht vor den Kids versteckt werden mussten aber inhaltlich nicht weniger "anstößig" waren. Und hier war ich einmal schneller als die Prüfstelle, die natürlich wieder einschritt. Aber bevor der Amtsschimmel laut wieherte, war die schwarze Scheiblette längst in meinem Plattenschrank und fleißig im Einsatz. Ein Jahr später kam noch das Studioalbum "Das ist nicht die ganze Wahrheit" zu all dem bisher erschienenen Liedgut der ÄRZTE dazu Das Trio, das inzwischen mit Hagen Liebig statt mit Sahnie am Bass operierte, ging damit ein letztes Mal auf große Tour und löste sich anschließend zum Bedauern Ihrer Fans - auch zu meinem - auf. Wirklich schmerzhaft waren sie, die Trennungen und Verluste, damals in den 80ern …

003 20220408 1889106544Diese knapp 7 Jahre mit den ÄRZTEn brachten für mich viele Erkenntnisse. Zum Einen die, dass es kein Verdienst der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist, dass ich wegen der von ihnen veranlassten Indexierungen der Ärzte-Songs "Schlaflied" kein Monster wurde, das sich nachts in Kinderzimmern versteckt, um dort deren Bewohner zu fressen, oder wegen "Geschwisterliebe" nicht den Drang entwickelte, Verkehr mit der eigenen Schwester haben zu wollen. Letzteres hat sicher auch damit zu tun, dass ich ein Einzelkind bin. Vielmehr waren es aber der Marlboro-Mann und der Camel rauchende Abenteurer aus der Fernseh-Reklame, die mich zum heimlichen Qualmen hinter der Turnhalle verleitet haben und Rolf Zuckowski, der in mir den latenten Wunsch geweckt hat, Gitarre spielende Sozialpädagogen zu verkloppen und die Bremsleitungen an ihren Renault Kangoos zu durchtrennen. Mach ich natürlich nicht, möchte ich manchmal aber gern, wenn irgendwo die "Weihnachtsbäckerei" ertönt. Kurz: Manchmal wird man vor den falschen Gefahren beschützt. Zum Anderen bewiesen DIE ÄRZTE, dass man mit viel Augenzwinkern, sich selbst nie ernst nehmend und immer mit fluffigen Ideen richtig kuhl sein und tatsächlich "die beste Band der Welt" werden kann. Wenn man ihre Lieder richtig verstand, zwischen den Zeilen las und vor allem ihren Humor teilen konnte, hätte man in keinem ihrer Lieder irgendwas Gefährliches heraus hören können. Ein bisschen Hirnmasse vorrausgesetzt natürlich. Die Briten machen uns das schon seit Monty Python vor, die Ärzte haben es oft nur hierher übertragen. Legendär waren auch ihre für die Presse aufgenommenen 13 Antworten als Audiospuren (ich meine, sie wurden auf Kassette veröffentlicht), die an Presse, Funk und Fernsehen verteilt wurden und zu denen sich die Journalisten selbst Fragen ausdenken durften. Das war bis dahin und auch danach wohl so ziemlich einzigartig. Ich habe ihre Songs und Auftritte geliebt und ihre Platten - so ich sie denn ergattern konnte - wie einen Schatz gehütet. Ach ja … und alle Scheiben, die ich mir "raubkopiert" hatte, habe ich später, als es möglich war, im Original nachgekauft. Ja, so war das in den 80ern, Fan von DIE ÄRZTE zu sein.



 


   
   
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