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Ein Beitrag von Christian Reder mit Fotos von Herbert Schulze



001 20220308 1811288176Es war irgendwann im Jahr 1979 und die Gruppe KARAT spielte ein Open Air-Konzert in Paris. Die Musiker nutzten die freie Zeit abseits ihres Auftritts und schauten sich Frankreichs Hauptstadt an. Sowohl das Konzert als auch der Stadtrundgang hinterließen bei den Musikern bleibende Eindrücke. Besonders bei Ulrich "Ed" Swillms, der kreativen Seele dieser damals so einzigartigen Band. Auf dem Champs-Elysées entdeckte er ein Restaurant namens "Le Doyen". In Verbindung mit den vielen Eindrücken, die er in der Stadt der Liebe gesammelt hatte, klang der Name wohl wie Musik für ihn. Wieder zu Hause in Berlin angekommen, ließ Ed das Konzert und den letzten Abend in Paris noch einmal Revue passieren, erinnerte sich wieder an das schöne Restaurant und komponierte die Melodie zur auf der nächsten Platte veröffentlichten Nummer "Le Doyen". Der Schöpfer dieser und anderer wunderbaren KARAT-Nummern, Ulrich "Ed" Swillms, ist in dieser Woche 75 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch!

So wie das eben erwähnte Musikstück müssen auch andere Lieder entstanden sein, die "Ed" in den wenigen Jahren, die er Lieder schrieb, erschaffen hat. Besondere Momente oder Erlebnisse waren Auslöser für grandiose Werke, die sich auf diversen Alben der Gruppe KARAT wiederfinden. In dieser Phase seines Lebens küsste ihn die Muse wie wild und eine Vielzahl großartiger Lieder verließen seinen Geist und landeten auf dem Notenblatt. Zwar fing er schon Ende der 60er damit an, Lieder zu komponieren, aber bis zu seiner Zeit als Mastermind von KARAT ist das Ergebnis seiner Arbeit nur als ein "Warmlaufen" zu bezeichnen. Eigentlich kannte man "Ed" vom Blues bevor er so richtig Fahrt aufnahm und in anderen Bereichen der populären Musik Zeichen für die Ewigkeit setzte. Auch nach seinem Ausstieg bei KARAT ist er wieder beim Blues angelangt. Auf die Frage, wie er später von dieser Stilistik den Weg zum Art- und Prog-Rock gefunden habe, sagte er mir in einem unserer zahlreichen Gespräche mal, "In meiner Brust schlagen 100 verschiedene musikalische Seelen." Und das kann man an seinen Kompositionen durchweg ablesen. Im gleichen Gespräch erzählte er auch, dass der Blues zwar im Bereich der modernen Musik sein zu Hause sei, er aber ursprünglich ganz woanders seine Wurzeln schlug: "Ich komme aus der klassischen Ecke und habe Cello studiert. Die unterschiedlichen Richtungen liefen immer alle gleichzeitig und parallel. Vorbilder habe ich direkt keine gehabt." Das vielleicht nicht, aber Inspirationen hatte er sich - zumindest in der Anfangszeit - geholt. Zuletzt haben wir hier den ALEXANDERS-Titel "Kloster Chorin" aus den Archiven gehoben, der Ende der 60er entstand und aus seiner Feder stammt (siehe Clip am Ende dieser Seite). Hier ist noch unüberhörbar die Gruppe PROCOL HARUM als Quelle der Inspiration heraus zu hören. Nicht viel anders verhält es sich mit weiteren ALEXANDERS-Songs, deren DNA bei international erfolgreichen Kollegen zu suchen und auch zu finden ist. Aber schon seine Werke, die er Anfang der 1970er Jahre bei PANTA RHEI eingebracht hat, zeigen eine deutliche und unverkennbar eigene Handschrift. Nehmen wir nur mal das Stück "Alles fließt", um dessen Idee ihn noch heute zig Jazz(rock)-Musiker beneiden.

002 20220308 1347063643Den gleichen Ideen-Reichtum und die gleiche Kreativität brachte "Ed" Swillms auch stets bei der Umsetzung seiner Lieder im Studio ein. Den Song "König der Welt" erweckte sein Schöpfer mit einem Fender Elektro-Piano zum Leben, dem er ein Zusatz Effekt-Gerät hinzu fügte, mit dem man einen Tremolo-Effekt (wie Vibrato) erzeugen konnte. Zusätzlich baute er synthetische Strings und eine mit dem ARP Synthesizer erzeugte Basslinie ein, um sein Arrangement zu vervollständigen und so einen inzwischen zum Klassiker gereiften Hit entstehen zu lassen. Eine feine Spielerei war auch die Anfangssequenz des Songs "Gefährten des Sturmwinds", bei dem Herberts gesungene Textzeile "Geh nicht allein, sondern reih' dich ein" rückwärts abgespielt hinein gemischt wurde. Viele besondere Kleinigkeiten und große Ideen finden sich in seinen Arrangements wieder. Auf meine Frage, ob er die teils unter abenteuerlichen Bedingungen im Ü-Wagen des DDR-Rundfunks produzierten Songs heute nochmal anders machen würde, antwortete er, "Das ist eine schwere Frage. Ich würde manche der Songs gerne nochmal auf Englisch aufnehmen. Ansonsten eher nicht, man bekommt die Atmosphäre so nicht wieder hin." Und damit hat er Recht, wenn man sich die vielen bis heute eingespielten Remakes von "Über sieben Brücken" anhört. Keine kommt auch nur in Ansätzen an das Original heran. Auch nicht die Version von Peter Maffay, die mit anderer Band und im professionellen West-Studio produziert wurde.

Als Mensch ist "Ed Swillms" mit einer freundlichen und angenehmen Natur gesegnet. Bei ihm müssen aber die Rahmenbedingungen passen, damit er sich wohlfühlt und sowohl Ideen als auch Gedanken fließen können. Ist das irgendwie nicht der Fall, taucht er auch gerne mal ab. "Ed" kann in entspannten Momenten tolle Geschichten aus 20 intensiv gelebten Jahren als Musikant erzählen, tut dies auf spannende Art und Weise und verliert dabei nie ein böses Wort über Menschen oder Situationen, die für ihn mal nicht so zuträglich waren.004 20220308 1678162114 Es werden stets schöne Augenblicke nochmal zum Leben erweckt, dunkle Wolken am Himmel dagegen ignoriert und nicht mit ins Gesamtbild aufgenommen. Ein lautes Wort oder gar Zorn in der Stimme? Unvorstellbar! Ich habe ihm immer wieder gern beim Erzählen zugehört und eigentlich gehört schon längst ein Buch über ihn und seine Erlebnisse geschrieben. Aber ich vermute, dass er so viel Aufhebens um seine Person gar nicht möchte. Es wäre wieder mit steigender Aufmerksamkeit um seine Person und Stress verbunden, den er 1986 hinter sich gelassen hat. Man könnte ihn als harmoniebedürftig beschreiben und als jemanden, der den Frieden um sich herum braucht, um richtig zufrieden sein zu können. Wie muss seine sensible Seele wohl gerade jetzt leiden, wo die Kriegsgeräusche aus dem Osten schon bis hierher hörbar sind? Ganze 75 Jahre musste er nur einen "kalten Krieg" aber nie einen "heißen" erleben. Schlimm, es ausgerechnet jetzt auch noch vor der Haustür haben zu müssen.

Als "Ed" Mitte der 80er bei KARAT ausstieg, war er ausgepowert. Ganze 10 Jahre lang schrieb er zusammen mit dem nicht weniger genialen Textdichter Norbert Kaiser speziell für Sänger Herbert Dreilich maßgeschneiderte Lieder, teils auch über die Liebe und den Frieden. Sogar als Sänger hatten ihn die Kollegen einmal vor das Mikro gestellt und den Song "Der Spieler" von ihm einsingen lassen. Das viele Herumreisen für Konzerte im In- und Ausland, das Leben in Hotelzimmern und weg von zu Hause und seiner geliebten Frau sein, dazu das Abliefern müssen von neuen und gleichbleibend guten Kompositionen für die nächsten Plattenproduktionen und vielleicht auch der zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Band aufgeflammte Unfrieden bzw. Streit einzelner Musiker (womit wir wieder beim Thema Harmonie wären) setzten seiner Lust, weiter ein Teil dieser Band sein zu wollen und Spaß am Beruf zu haben, ein Ende. "Ed" ging leise - Kein Abschiedskonzert, keine großen Reden, keine für Medien ausschlachtbaren Fisimatenten. Er zog sich ins Privatleben zurück und kehrte von dort nur noch für Stippvisiten wie beim Konzert zum 25. Bandgeburtstag im Jahre 2000 zurück. Immer wieder kamen in den Jahren nach seinem Ausstieg die Fragen, ob und wenn ja wann er nochmal was für KARAT schreiben würde, aber die Antwort war stets die gleiche: "Wenn ich nochmal was beisteuern sollte, dann wird es auf Englisch sein." Damit war er als Komponist für KARAT raus, denn die Kollegen wollten und konnten - besonders nach 2004 und Herberts Tod - auch gar nicht mit englischen Texten arbeiten. Vom Erschaffen neuer Lieder in seiner Muttersprache ist er inzwischen weg. Scheinbar sehr weit sogar. Ebenso weit weg sind der Mann und die Stimme die ihn zu all den tollen Liedern inspiriert haben. Auf die Frage, ob er nach 1986 denn überhaupt nichts mehr geschrieben habe, sagte er, "Doch habe ich! Sogar eine ganze Menge. Das ist aber alles in der Schublade verschwunden, weil ich nicht weiß, wer es singen soll." Es ist eigentlich mehr als wahrscheinlich, dass darunter bestimmt ein potentieller Hit dabei ist, der das Licht der Welt aber nicht erblicken kann. Sein Komponist zögert nämlich mit der "Herausgabe": "… ich gebe die Sachen nicht so schnell raus. Der oder diejenige, die das singen soll, muss schon eine geile Stimme haben, um mich davon zu überzeugen", fügte er hinzu. Recht so, denn wie schnell ist der eigene Mythos, den man sich erschaffen hat, zerstört. Auch die Schweden von ABBA hätten es "Ed" gleich tun sollen, denn eine Enttäuschung ist bei den Fans schneller erzeugt, als eine über alle Grenzen schießende Begeisterung, von der in Verbindung mit Swillms und neu erscheinenden Liedern ja pauschal ausgegangen wird. Am Festhalten dieser Überzeugung änderte sich auch nichts, als man ihn bei einer Grillparty im Jahre 2005 überredete, wieder auf die Bühne zu kommen und bei KARAT erneut mitzuwirken.003 20220308 1697804067 Natürlich stand es der Gruppe gut zu Gesicht, "Eds" Kopf wieder mit auf den Bandfotos zu haben und seinen Namen in die Besetzung mit aufnehmen zu können, aber das allein brachte den Glanz von einst nach Herberts Tod und den Weggängen von Protzmann und Kurzhals (in dieser Besetzung befand sich die Band auf dem Zenit ihrer Kreativität) auch nicht zurück. Es ist zudem zweifelhaft, ob er sich damit wohl gefühlt hätte, stünde sein Name bei einer der Produktionen aus den letzten 17 Jahren mit in den Credits. Zwischen dem, was er einst schrieb und dem, was die heutige Besetzung auf drei Studioalben abgeliefert hat, liegen nicht nur Klassen … es handelt sich gar um verschiedene Sportarten! Auftritte beim Megaspektakel "Ostrock in Klassik" hier, ausgewählte Termine beim Fernsehen dort, und dazwischen blieb er dem ganzen Zirkus weiterhin fern. Wenn man mich fragt: Alles richtig gemacht. "Ed"!

Nun steht die 75 hinter seinem Namen und zeigt an, dass bei "Ed" der Rest seiner Jugend angebrochen ist. Aus den Köpfen der Menschen und vergessen ist der Name Ulrich "Ed" Swillms auch 37 Jahre nach seiner selbst eingeläuteten "Pensionierung" nicht. Im Gegenteil! Durch all das eben Beschriebene hat sich der große Komponist und Tastenvirtuose seine eigene Legende gestrickt, die durch nichts kaputt gemacht werden kann und die er - wie beschrieben - auch selbst durch nichts zerstören will. Auch klärt er die Welt nicht über jedes noch bestehende Geheimnis seiner Person und seiner Werke auf. So verrät er schon seit 40 Jahren nicht, was es eigentlich mit der Zahl "45-01" auf sich hat, die dem Instrumentalstück auf dem Album "Der blaue Planet" seinen Namen gab. Manche Geheimnisse muss man eben auch mal für sich behalten können. Man denkt voller Ehrfurcht an ihn und erinnert sich ganz besonders an Tagen wie diesem Geburtstag an all seine großen Lieder und den freundlichen und sensiblen Mann, der stets durch ein modisch sehr extravagantes Auftreten aber menschlich immer mit einem sehr zurückhaltenden Wesen auffiel. Ich habe gestern mein Glas auf das Wohl dieses Ulrich "Ed" Swillms erhoben und empfinde es als großes Glück, ihn kennengelernt und mit ihm so manches Gespräch geführt haben zu dürfen. Alles Gute, lieber "Ed"!






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