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Ein Nachruf von János Köbányai  - von Attila Ducsay aus dem Ungarischen
ins Deutsche übersetzt - mit Fotos von János Köbányai und Bodo Kubatzki



Nach János Kóbors Tod wissen wir, wer uns verlassen hat. Der Sänger einer der wirkmächtigsten ungarischen Beat (Rock)-Bands, das Gesicht von Omega. Die Frage, was uns verlassen hat, ist schon schwerer zu umreißen, in uns zu ordnen.
 
Wir könnten sagen, die Jugend sei gegangen. Das wäre die nostalgisch-gemeinplatzende Antwort. Nicht dass universelle Gemeinplätze nicht meistens auch wahr seien. Aber auf welche und auf wessen Jugend fiel nun der Sargdeckel - hier im kaum mehr als tausendjährigen Ungarn? Das ist die Frage, dieser große "kollektive" oder generationelle Verlust - oder genauer der traumatische Moment des Verlierens, der gleichzeitig auch Prozess ist. Schließlich ist das erschreckende Wellenschlagen der in den letzten Jahren eingetretenen Tode zu einem wirklich vernichtenden Strudel geworden - unter anderen verschlang er auch zwei weitere Omega-Gründer.
 
005 20211208 1422516262v.l.n.r. Károly Frenreisz, János Bródy, Levente Szörényi und János Kóbor



Der Moment des Untergangs des Beatzeitalters ist der Tod. Also der Tod aller, die dieses Zeitalter geschaffen und durchlebt haben. Einige der prägendsten Protagonisten waren Omega, deren fast komplette Mannschaft aus der heiligen Dreifaltigkeit Metró - Omega - Illés nun herabstieg und auf dem dereinst aufbrechenden Atlantis anheuerte. Das ungarische Beatzeitalter kann man, oberflächlich betrachtet, mit der milderen Etappe des Kádár-Zeitalters in Verbindung bringen, die beinahe bis zur Wende des Systemwechsels anhielt. Jedoch bringt es diese Übereinstimmung nicht ganz auf den Punkt, war doch dieses Zeitalter durch zahlreiche andere Kapillargefäße nicht nur mit der Weltgegenwart - der Gegenkultur - verbunden, sondern gleichzeitig und gleichermaßen konform. Kulturelle Bewegung, Gegenwart und Orientierung waren in Ungarn nie so sehr im gleichen Rhythmus wie während des Beatzeitalters.

Und in dieser "alltägliches Leben" so vielschichtig bestimmenden Bewegung, in der unterhaltenden kultivierenden Lebensform (in der Revolution der Lebensform) kam die ungarische Gesellschaft nie über den "Wir wollen Mohács!"-Fluch hinaus, über ihre Gespaltenheit, wie im Beatzeitalter auf dem Wege der Beatgeneration. Das Vermächtnis dieser Generation verkörpert nun János Kóbor und mit ihm Omegas Grablegung, (unabhängig von dem Beatzeitalter folgender, ihm meiner Meinung nach nicht adäquater Produktion). Das ist die Tragödie - sofern nach dem Untergang eines Zeitalters nachfolgenden ein Zeitalter als solches zählt. Schließlich pflanzen sich Werte eines Zeitalters aufgestauten Zeiten auch ein.

Ich selbst, abstammungstechnisch MTK- und Omega-Fan, pubertierte mich durch die Illés-dominierten Sechziger. Von meinen multiplen lokalpatriotischen Verbindungen gar nicht zu reden, schließlich war ich "Josefianer", besuchte das Attila-József-Gymnasium, wie er. Mehr als einmal spielten sie zu Schulbällen. Soviel zur Herkunft, wie sehr das "Josefianertum" Ansehen schuf. Ebenfalls in der Gegend hatten sie ihren ersten permanenten Klub, den E-Klub, heute mit einer Erinnerungstafel gekennzeichnet. Der einzige Klub zu dem ich jemals einen Mitgliedsausweis hatte. Durch wieviel Kram ich mich wühlen musste, um ihn wiederzufinden, er sah aus wie eine alte Straßenbahn-Zeitkarte. Und in Balatonföldvár.
 
006 20211208 1175035448v.l.n.r. Levente Szörényi, János Köbányai und János Kóbor



Im Sommer 1965 hing ich dort auf fast jedem Omega-Schiff mit ihnen rum, tagsüber am Strand grüßten wir uns auch. András Kovacsis spielte noch Gitarre - ich mochte gar nicht, wie sie ihn rauswarfen, so wie ich Pressers und Lauxens späteren Ausstieg als "Verrat" begriff. Als ich zum ersten Mal mit der Band sprach, was in einer Sommernacht geschah, 1971 in München, als ich zum ersten Mal in meinem Leben einen blauen Pass ergattert hatte, nach meinem ersten Jahr an der Uni brach ich wie mein Vorbild Lajos Kassák zu Fuß nach Paris auf, allerdings schon per Autostopp. Ich ging zu Fuß quer durch die Stadt, um die Karlsruher Landstraße zu finden, denn meiner Karte zufolge müsste ich mich da entlang nach Paris durchschlagen. An einer Kreuzung stand ein Kleinbus herum, ich sah nicht, wer darinnen saß. Beugte mich nur für eine Wegweisung durchs Fenster. Was für eine Überraschung war es doch, meine Idole, Omega, in solch prosaischer Situation vorzufinden, sie labten sich an Sandwiches - auf dem Heimweg. Auf "halbem Weg" nach Ungarn. Sie versicherten mich ihres Bedauerns, gerade in die falsche Richtung zu streben, ermutigten mich, meine Pariser Erlebnisse später in ihrem Klub zu erzählen und von ihrem nächtlichen Imbiss bekam ich auch was ab. Zu Beginn des Herbstsemesters und der Klubsaison berichtete ich stolz und sie erinnerten sich an mich.

Nach dem Studium, als ich nach erfolglosen Versuchen in der Juristerei zum Rockjournalisten avanciert war - die Ungerechtigkeit spürte ich damals schon irgendwie durch - bedachte ich Omega mit herabwürdigenden Kritiken und hob immer die Vorgruppen positiv hervor. Ich erinnere mich, mal eines ihrer Kisstadion-Megakonzerte verrissen zu haben, wegen der Schneekonfettikanonen im Song "Léna". Als wir uns in der Rockszene schon nicht mehr als Tramper die Hände reichten, haben sie mich immer höflich und gentleman-like behandelt. Oder ertragen. Erst recht, als ich meine MTK-fanhaften Vorurteile überwand und Illés, vielmehr das Autorenpaar Szörényi-Brody zur fundamentalen Band und meiner Meinung nach ewige Werte schaffenden Autoren des ungarischen Beat erhob.

Beatzeitalter. "War es nur Schein oder war es doch da?" Gleich welche Option unsere Wahrheit/Wirklichkeit ist: Für uns, die Überlebenden, ist es erste Aufgabe, soviel und so buntes wie möglich aufzuzeigen und uns in diese große Erzählung einzufügen.




   
   
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