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Ein Beitrag von Christian Reder (Fotos: Gert Leiser, Jürgen Kerth privat)



Die Freunde und Kollegen von Eberhard Meyerdirks nannten ihn "Amsel". Das war sein Spitzname. Nicht etwa, weil Eberhard hinter seinem Schlagzeug so gut sang, sondern weil er vor seiner Zeit als Musikant den Beruf des Bäckers erlernte und sein Meister regelmäßig Spezialitäten aus dem Backofen zog, die er "Amseln" nannte.

Unter diesem Namen lernte auch Jürgen Kerth den Eberhard, genannt "Amsel", kennen, als er ihn in den 70ern mit der Gruppe SILANOS in Erfurt live spielen sah. Diese Formation spielte häufig in Bars und dort Lieder im Latin-Sound (z.B. "Besame Mucho"). Dabei fiel die Band durch ihre anspruchsvolle Unterhaltung und einen erstklassigen Satzgesang auf. "Amsel" war schon ein paar Jahre älter als Jürgen, und während Jürgen und seine Kumpel noch Amateure waren, war "Amsel" schon lange Profi mit "Pappe". Zu dieser Zeit - und auch davor schon - war er in Orchestern tätig, spielte Tanzmusik und Jazz und war selbst ein glühender Verehrer dieser Musik. Speziell der von Quincy Jones, als dieser noch im Big Band-Sound unterwegs war. Jürgen Kerth erinnert sich noch heute an Treffen zu Kaffee und Kuchen, bei denen "Amsel" seinen Kumpels Nachhilfe in Sachen Jazz gab. Das war sein Thema und da konnte er richtig viel erzählen, denn da kannte er sich aus und hatte unzählige Schallplatten mit Jazz-Musik daheim. Er selbst wurde von einem Bulgaren, mit dem er mal in einer Kapelle zusammen spielt, mit dem Jazz-Virus angesteckt. Den wurde er auch nie wieder los.

Damit "Amsel" Mitglied in Jürgen Kerths Band wurde, hatte Kerth innig um ihn geworben. Jürgen hatte 1971 einfach seinen Job an den Nagel gehängt, um Musiker zu werden. Das war so ohne Weiteres in der DDR ja nicht möglich, denn ohne "Pappe", also den Berufsausweis, konnte man nicht so mir nichts, dir nichts auf eine Bühne steigen und Musik machen. So geschah es auch, dass man Jürgen und seine Kapelle in einer Sondershausener Bar erwischte und zum Rat der Stadt Erfurt, Abteilung Kultur, einbestellte. Man legte den Jungs nahe, doch wieder in die alten Jobs zurückzukehren, da ohne die "Pappe" eine Ausübung des Musiker-Berufs nicht möglich sei. Die Alternative war, eine Musikschule zu besuchen und dort eine Ausbildung zu machen. Mit dieser Auflage wurde der jungen Band dann doch erlaubt, weiter an dem Ziel zu arbeiten, als Musiker den Lebensunterhalt zu verdienen. Die bisher bei Kerth trommelnden Kollegen Jürgen Klotz (Nautics) und Bernd Hupe wollten diesen Weg jedoch nicht mitgehen, so dass plötzlich der Posten des Schlagzeugers vakant war. Für Jürgen Kerth kam damals nur ein Musiker in Frage, der diese Lücke schließen konnte, und das war Eberhard Meyerdirks - die "Amsel". Er hatte Berufserfahrung und die begehrte Spielerlaubnis und war für die Band quasi die ideale Lösung, um im Profi-Bereich musizieren zu können. Also bemühte sich Kerth darum, den Mann, den er vorher schon so oft live hat spielen sehen, in seine Kapelle zu holen. Und so kam es, dass Meyerdirks ab 1974 bei Kerth spielte.

Der Schlagzeuger hinterließ umgehend einen guten Eindruck, passte er sich doch perfekt in die Besetzung ein und sog die Kerth'sche Philosophie wie ein Schwamm auf. Im Studio trommelte "Amsel" dann auch Stücke wie "…und sie ist glücklich dazu" und ein paar andere ein und war auch auf der Live-Bühne ein Hingucker. Aber Bands mit guten Instrumentalisten wecken Begehrlichkeiten, und so war es auch nicht verwunderlich, dass an "Amsel" von außen schnell rum gebaggert wurde. Quasi über Nacht, so erinnert sich Jürgen Kerth heute, wechselte der Drummer 1976 zur Gruppe PRAXIS II (vormals Gerhard Stein Combo). "Das hat mich sehr enttäuscht und echt verletzt", erzählt Kerth, als er sich an die Nacht-und-Nebel-Aktion mit dem Abwerben seines Schlagzeugers erinnert. Ein Gefühl, das längere Zeit anhielt. Für "Amsel" nahm bei Kerth erstmal Artur Geidel auf dem Schlagzeug-Schemel Platz, doch schon kurze Zeit später kehrte der alte Trommler zurück. Das war 1978, als bei PRAXIS II wohl die Lichter aus gingen. Aber Kerths Band war mit Geidel am Schlagzeug gerade richtig gut eingespielt und hatte eigentlich keinen Bedarf für eine personelle Veränderung. Trotzdem nahm Jürgen den alten Kollegen wieder auf, auch wenn die Enttäuschung nach dessen Wechsel zu PRAXIS II noch immer in ihm arbeitete. Kerths Band trat in der Folge dann live mit zwei Schlagzeugern, nämlich Geidel und Meyerdirks, auf. So kannte man das auch von den Doobie Brothers, und daran hatte Jürgen Kerth richtig viel Spaß. Beim Publikum kam das mit den zwei Trommlern natürlich sehr gut an, weil diese Konstellation auf der Bühne für einen fetten Bumms sorgte. Es krachte musikalisch ordentlich, aber auch intern "krachte" es hin und wieder, denn mit Meyerdirks und Kerth trafen zwei Alphatiere aufeinander. Diese Reibung erzeugte dann doch positive Wärme, denn die Band wuchs - angefeuert durch diese oft hitzige Stimmung - immer mehr über sich hinaus. Mit Meyerdirks am Schlagzeug entstanden schließlich auch die beiden Alben "Komm herein" (1980) und "Gloriosa" (1982), die "Amsel" im Studio bei AMIGA eintrommelte.

Anfang der 80er spielte "Amsel" parallel auch in der Lothar Stuckart Big Band, die für Konzerte in den Westen reisen durfte. Dort begleitete die Big Band u.a. Joy Fleming bei ihren Auftritten. Kurz darauf stieg er bei Kerth ganz aus. Jürgen erinnert sich noch an diese Zeit und die Idee, dass der Bluesmusiker Stefan Diestelmann bei ihm in die Band einsteigen sollte. Dazu kam es aber nicht, da sowohl Kerth als auch Diestelmann starke Persönlichkeiten sind/waren, und das in einer gemeinsamen Band nie hätte gut gehen können. Diestelmann formierte also wieder eine eigene Band, in die dann auch "Amsel" wechselte. Dort spielte er einige Zeit mit, bis Diestelmann in den Westen ausreiste. Danach zog es "Amsel" wieder zurück in eine Big Band, mit der er als Begleitung für Gesangssolisten, u.a. für Regina Thoss, tätig war. Auch wenn man sich nicht immer grün war, so erinnert sich Jürgen Kerth heute noch gern an die gemeinsame Zeit mit Eberhard Meyerdirks zurück.

003 20210119 1761126956Ebenso wie ein anderer Kollege, dessen Wege sich in den letzten Jahren immer wieder mit denen von "Amsel" kreuzte, nämlich Gert Leiser. Oft traf man den sich im Ruhestand befindlichen Musikanten nämlich vor der Bühne bei ENGERLING, wo er als Gast die Konzerte der Kollegen genoss. ENGERLING-Manager Gert Leiser erinnert sich gut, an die letzten drei Jahre: "Immer wenn wir in Erfurt spielten, war auch Eberhard unter den Konzertbesuchern". Für Gert war "Amsel" nicht nur ein sehr angenehmer und freundlicher Mensch, den er gerne traf und mit dem er gerne ein paar Worte wechselte, sondern auch einer der besten Schlagzeuger im Osten. Bei ihrer nächten Mugge in Erfurt wird "Amsel'" leider nicht mehr unter den Konzertbesuchern sein, denn am vergangenen Mittwoch (13. Januar) hat er in seiner Heimatstadt Erfurt im Alter von 79 Jahren für immer seine Augen geschlossen. In den letzten Jahren hatte "Amsel" mit den Folgen einer Alzheimer-Erkrankung zu kämpfen, die sein Leben immer mehr und mehr veränderten und ihn stark einschränkten. Die Kämpfe mit seiner Krankheit hat er nun alle ausgefochten und dort, wo er jetzt ist, macht sie ihm nicht mehr zu schaffen. Bleiben werden die Geschichten über "Amsel", die Freunde und Kollegen wie Gert Leiser oder Jürgen Kerth über ihn erzählen können. Wenn Ihr sie mal trefft, fragt sie ruhig mal nach dem Mann, den alle nur "Amsel" nannten und die gemeinsamen Erlebnisse. Seine Künste am Schlagzeug kann man auf den bereits genannten Platten von Jürgen Kerth hören, und dort wird man sie auch für alle Zeiten wiederfinden.

Unsere Gedanken sind bei seiner Frau, der Familie und seinen Freunden, die diesen besonderen Menschen schrecklich vermissen werden.






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