Peter Gabriel
 
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Ein Beitrag von Christian Reder



Als die Kids in meinem Alter anfingen, sich für Musik zu interessieren, kannten vielleicht einer oder zwei aus meinem Umfeld den Musiker Peter Gabriel. Dies aber weniger über die von uns Blagen damals angezapften Kanäle, sondern höchstens über den Plattenschrank der Eltern. Er war eben der Unterhalter einer anderen Generation. Das aus dem Jahre 1977 stammende "Solsbury Hill" erfüllte zwar sämtliche Kriterien, um auch den Geschmack eines vorpubertären Schülers zu treffen, auch wenn er nicht peilt, wovon der Brite da eigentlich singt (es ist eine Abrechnung mit seiner Zeit bei GENESIS), aber mit sperrigen Stücken wie "Moribund The Burgermeister", "White Shadow", "No Self Control" oder gar dem Artrock-Gekloppe von GENESIS, die er nicht nur mitbegründet sondern auch einige Jahre als Frontmann "vorgesessen" hat, kannst Du so 'n rotzigen Burschen nicht erreichen - und die Mädels in dem Alter erst recht nicht. Und JA, ich gebe es zu: Der Mann, der heute zu meinen absoluten Lieblingskünstlern zählt, dessen kompletten Output ich in verschiedenen Versionen im Schrank habe und der bei mir regelmäßig aus den Boxen seine exquisite Musik auf mich wirken lassen darf, gehörte am Anfang meiner "musikalischen Karriere" eher nicht zu den von mir bevorzugten Künstlern. Das dauerte ein paar Jahre und bedurfte eines genaueren "Hinsehens", bis sich das änderte. Heute wird der "Vorschlaghammer" 70 Jahre alt und liefert mir damit wieder mal einen Grund (als wenn ich dafür einen bräuchte), seine Platten aufzulegen und meine Nachbarn durch eine sachgerechte Lautstärke an meiner großen Freude teilhaben zu lassen.

Den Weg auf den Plattenteller wird vor allem natürlich Gabriels "Überwerk" und der bis heute wohl kommerziellste Erfolg des Künstlers, das Album "So" aus dem Jahre 1986, finden. Das waren damals mein Brustlöser und der Anfang meiner Sucht. Mein Cousin, ein paar Jährchen älter als ich, schob bei einem Familientreffen dieses Album in den CD-Player und erst leise und zurückhaltend, dann aber immer druckvoller und mitreißender, brach sich der Song "Red Rain" seine Bahn in mein zerebrales Musikzentrum. Nach ´ner halben Minute stieg Gabriel gesanglich ein und sang von rotem Regen, der niederprasselt. Zack! Gleich mit dieser Nummer und nur wenigen davon gespielten Tönen hatte er mich mit seiner Musik im Sack. Es waren weniger sein "Sledgehammer", das mich erst einige Zeit später über das auch heute noch beeindruckende Video auf MTV faszinierte, oder die andere als Single ausgekoppelte Nummer "Big Time", die mich besonders ansprachen. Es waren eher Lieder wie "Don't Give Up", das er mit der von mir ebenfalls heiß verehrten Kate Bush im Duett sang, oder das ruhige und so entspannt wirkende "In Your Eyes" mit seinem afrikanischen Grundton. Die CD ist für mich eine zeitlos schöne, tief gehende und mich auch nach fast 35 Jahren noch immer packende Göttergabe - vielleicht sogar tatsächlich mein absolutes Lieblingsalbum, wenn ich mich denn tatsächlich festlegten sollte.

Die folgenden sechs Jahre, bis Gabriel dann endlich ein neues Album fertig hatte, konnte ich prima damit überbrücken, mir die bis dahin erschienenen Scheiben endlich mal in Ruhe anzuhören und die anfänglichen Berührungsängste vor den teils doch frickeligen und verschachtelten Stücken abzubauen und dabei schnell zu merken, dass da großartige Songs auf den Platten schlummerten. Immer wieder stolperte ich über die außergewöhnlichen und ausgefallenen Texte und die für die Zeit ihres Entstehens doch schon so weit fortgeschrittenen Sounds. Eine Entdeckungsreise, die ich danach mit so einer Faszination nie wieder unternehmen konnte, weil ich bis jetzt keinen Künstler auf diese Art kennenlernte durfte und kaum ein anderer so eine vielschichtige und stets innovative Musik macht, wie er. Sogar in meiner Muttersprache durfte ich seine Musik entdecken (Anfang der 80er erschienen seine beiden "deutschen Alben"). Die Jahre 1992 bis 1994 waren für mich persönlich dann die intensivsten. Das eben schon angesprochene neue Album "Us" kam 1992 heraus. Ich muss damit meine Umwelt wohl mächtig genervt haben, denn überall, wo ich war und Musik gespielt werden konnte, hatte ich diese Scheibe bei mir und wie Lucky Luke seinen Colt immer im Anschlag. Ich zog sie quasi schneller als mein Schatten mitkommen konnte. Egal ob in meinem Nebenjob in der Videothek, auf Partys oder in den eigenen vier Wänden: Immer wenn mir danach war, brauchte ich meine Dosis "Diggin' In The Dirt", "Steam", "Kiss That Frog" oder "Blood Of Eden". Und mir war sehr oft danach, der Musik auf "Us" zu lauschen!

Auf eines seiner Konzerte zur Tour habe ich es damals leider nie geschafft. Zu der Zeit befand ich mich in der Ausbildung und war für längere Zeit in der Justiz-Akademie auf dem platten Land in Ostwestfalen, wo man nicht mal eben frei nehmen und für Konzerte durch die Gegend reisen konnte. Im Hinblick darauf, dass ich dem Verein nur wenige Jahre später den Rücken kehren würde, ist dies aus heutiger Sicht doppelt ärgerlich. Weltliche Zwänge hielten mich also vom Besuch einer dieser heiligen Messen ab. Aber es kamen 1994 die Doppel CD und die VHS-Kassette mit dem Mitschnitt des Konzerts im "Palasport Nuovo", Modena, Italien raus. "Secret World", so wie die Tour, heißt das Werk, und ließ mich zumindest als Konserve an dem Spektakel teilhaben, das Peter Gabriel mit seiner Band da feierte. Eine unglaublich geniale Bühnen-Show mit den für seinen Geschmack besten Instrumentalisten, die man für so ein Unternehmen engagieren konnte, hinterließ bleibenden Eindruck bei mir. Einen solch großen Eindruck, dass "Secret World" für mich die beste Live-DVD ist, die ich in meiner Sammlung habe, und wenn man mir wirklich alle anderen wegnehmen wollen würde, würde ich um den Verbleib dieser hart und mit allen Waffen kämpfen. Das dieser Live-Publikation seinen Namen gebende und auf beiden Tonträgern in einer knapp 10-minütigen Fassung enthaltende Titelstück (siehe Videoclip unten) ist dabei mein absoluter Favorit. Schon wenn Jean-Claude Naimro gleich zu Beginn diesen herrlichen Keyboard-Teppich webt, das Stage-Piano von Peter Gabriel und David Rhodes Gitarre einsetzen, ändert sich für mich die Raumtemperatur merklich und Hitze steigt auf. Das Ensemble auf der Bühne rockt sich im Verlauf des Stücks in einen wahren Rausch, von dem Du als Beobachter und Zuhörer einfach mitgespült wirst. Du kannst machen was Du willst, Dich festhalten, klammern oder versuchen, die Füße auf dem Boden zu behalten ... es wird Dir nix nützen, denn die Musik und die darin steckende Magie sind stärker. Und auch die anderen live dargebotenen Songs sind so genial gespielt und gesungen, dass es einfach nicht langweilig werden will, sich das anzuhören und anzuschauen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft die DVD schon den Weg in den Player gefunden hat. Wie viele Umdrehungen die Doppel-CD schon hinter sich hat, lässt sich nicht mal mehr schätzen. Aber dass sie heute ebenfalls wieder einen Einsatz haben wird, kann ich auf jeden Fall sagen!

Peter Gabriel ist für mich ein Visionär, ein Hellseher der Rockmusik. Seine Sounds, seine Songideen und seine Arrangements waren in jedem Moment, an dem er der Öffentlichkeit etwas Neues präsentierte, der Zeit weit voraus. Ebenso die Art, wie er seine Musik bisher immer präsentierte. Egal ob es ein Videoclip, wie der schon erwähnte zum Song "Sledgehammer", oder eine einem Album beigelegte CD-Rom waren, es war immer anders und neu. Andere Musikerkollegen kamen mit sowas erst viel später um die Ecke. Live-Konzerte waren bei ihm außerdem nie einfach nur Konzerte. Die von mir vorhin gewählte Bezeichnung "Heilige Messe" trifft es schon ziemlich genau. Die Bühne der "Secret World"-Tour war ebenso innovativ, besonders und anders, wie die zur "Growing Up"-Tour ein paar Jahre später, wo alles mitten im Saal auf einer runden Bühne stattfand und ihn sogar dazu brachte, sie mit dem Fahrrad während der Show zu umfahren (zu sehen auf der DVD zur Tour). Es gäbe noch so viele andere Dinge, die ihn als Künstler so besonders machen, die man ansprechen müsste und zu einem so besonderen Tag wie diesem in den Mittelpunkt stellen sollte. All sein Zutun, was die Gruppe GENESIS in der Zeit von Ende der 60er bis zu seinem Ausstieg 1975 betrifft, seine Millennium-Show "Ovo", seine Tour mit Orchester oder die Wiederaufführung seines "So"-Programms von 1986, das er im Jahre 2012 mit den Original-Musikern von damals mal eben 1:1 in die heutige Zeit übertragen hat. Gabriel kommt handwerklich und musikalisch nah an die Perfektion heran, was mich ebenfalls begeistert. Und neben all den großen Würfen, der Erfindungen im Studio und auf der Bühne, den großen Shows und diesem unbeschreiblich feinen Fingerspitzengefühl für neue Töne, nützliche Einflüsse und für seine hohen Ansprüche in Bezug auf bestens geeignetes Personal, hat der ehemalige Internatsschüler ganz nebenbei großartige Lieder geschrieben, die die Zeiten überstehen werden.

Gut möglich, dass man in 200 Jahren über Peter Gabriel ebenso in den höchsten Tönen reden wird, wie man es heute über Mozart und Beethoven tut. Allein diese Laudatio hätte den Umfang eines Buches erreichen können, wenn ich mich nicht so zusammengerissen und das Thema auf meine persönlichen Berührungspunkte mit ihm beschränkt hätte. Darum erlaube ich mir an dieser Stelle auch, meine herzlichsten Wünsche zum heutigen 70. Geburtstag auf diesem Wege und auf diese Art an ihn zu übermitteln und mich bei der Gelegenheit auch für die vielen Lieder, die mir eine Menge bedeuten und die in den verschiedensten Momenten meines Lebens Begleiter und Unterstützer waren/sind, Danke zu sagen. Alles Gute für den wahren King of Pop und den Hellseher des Rock. Herzlichen Glückwunsch, Peter Gabriel!






Videoclips:

















   
   
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