000 20190916 1796514244
Ein Beitrag von Christian Reder (16.09.2019)



Ich würde ja gerne etwas Nettes schreiben. Etwas Nettes über die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Grenzöffnung, offiziell als "Mauerfall" etikettiert. Ich würde gerne schreiben, dass es am 3. Oktober in der Berliner Mercedes Benz-Arena eine Feier zum Thema geben wird, die durch ein ausgewogenes und vor allen Dingen zum Anlass passendes Musik-Programm besticht und über das es sich vor, während und nach der Veranstaltung zu berichten lohnt. Dieses 30-jährige Jubiläum und dieses geschichtliche Ereignis könnte auf der Show-Bühne ganz wunderbar abgebildet werden. Vor allem, wenn es um Musik geht. Da hat sich doch in den 30 Jahren nach der Grenzöffnung kulturell so vieles getan, u.a. musizieren Musiker aus dem Osten und welche aus dem Westen gemeinsam - einzelne Instrumentalisten oder Sänger stiegen in Bands ein, in denen sie vor 1989 aufgrund der Teilung des Landes gar nicht hätten spielen können. Dazu könnte man die Gruppe HAUSBOOT mit Tino Eisbrenner als Vertreter der Himmelsrichtung "Ost" und Heiner Lürig als den der Himmelsrichtung "West" einladen. Das wäre ein tolles Beispiel für die gelebte Einheit und musikalisch wäre die Kapelle eine echte Bereicherung für jede (!) Veranstaltung. Oder auch die Gruppe SILLY, die zur gleichen Zeit im Herbst mit ihrer "10 Alben - 10 Städte"-Tour zusammen mit Julia Neigel unterwegs sein wird. Sie haben massig Songs im Gepäck, die passend wären und von Julia als Vertretung für Tamara Danz vorgetragen werden könnten. Man könnte Veronika Fischer einladen, die auf beiden Seiten des damals geteilten Landes als Künstlerin aktiv war und inzwischen gesamtdeutsch arbeitet. Sie könnte nicht nur singen, sondern auch von dem erzählen, was sie erlebt hat. Oder man lädt die Gruppe CITY ein, die gerade mit "Mein Land" eine neue Single veröffentlicht hat, und die ebenso in die gesamtdeutsche Kulturlandschaft gewachsen ist, wie viele andere Künstler aus der ehemaligen DDR, die heute immer noch tolle Musik machen und Platten veröffentlichen. So ganz "nebenbei" würden CITY und SILLY als Unterzeichner der Resolution von Rockmusikern und Liedermachern der DDR im Jahre 1989 sogar noch zeitgeschichtlich etwas mitbringen, über das sie erzählen könnten. Ja, man könnte so vieles machen und es wäre toll, wenn man vorab und im Anschluss an so eine Veranstaltung ausführlich berichten könnte. Aber leider kann ich sowas Nettes nicht schreiben, weil die hier erwähnte Veranstaltung nichts von alledem für das Publikum anbieten wird. Ganz im Gegenteil.

Gestern entdeckte ich im Netz die Ankündigung und das Plakat für die "Mauerfall-Party" am 3. Oktober 2019 in Berlin. Einmal völlig davon abgesehen, dass am 3. Oktober 1989 keine Mauer gefallen ist, grinsen einen die Fotos und Namen von dort teilnehmenden Protagonisten an, die mit der Wende gar nix zu tun haben. Vielmehr sind es die üblichen Verdächtigen, die man all samstäglich in irgendwelchen Schunkel-Shows der Öffentlich-Rechtlichen oder auf einer der unzähligen Ballermann-Partys im Land ständig sehen kann. Neben Jürgen Drews, Roberto Blanco, Olaf Berger, Klaus & Klaus, Kerstin Ott, DJ Ötzi und Truck Stop kommt man auch in den Genuss einer Darbietung von Dieter Bohlen und Boney M. Klingt wie die Besetzungsliste der Feiersendungen um 2:00 Uhr in der Silvesternacht beim ZDF, oder? Und wie schon erwähnt, ist in diesem Line-Up der Einfallslosigkeit und Belanglosigkeit nur Olaf Berger als Vertreter "Ost" dabei. Welchen Beitrag ein Dieter Bohlen oder eine Kerstin Ott an der "friedlichen Revolution" oder gar dem Fall der Mauer geleistet haben, will sich mir auch bei größter Anstrengung des Denkapparates nicht erschließen. Kurz: Das Datum und das Bühnenprogramm passen nicht zur Überschrift auf dem Plakat. Die Musik, die von den dort angekündigten Programmpunkten zu erwarten ist, passt außerdem nicht zum Anlass. Da stellt sich einem doch die Frage, wer dafür verantwortlich ist. Wer denkt sich sowas aus, wer kommt auf die Idee, die oben genannten Geräuschquellen zu so einem Anlass auftreten zu lassen und wer hat so wenig Hintergrundwissen über den Anlass und kein Geschick dafür, wer eigentlich an so einem Tag auf der Bühne stehen sollte? Diese Anschubshilfen für nicht richtig ins Laufen kommende Polonaisen, die man für diesen Abend verpflichtet hat, sind es jedenfalls nicht. Viele von denen erwartet man eher auf der Bühne bei der Eröffnung eines Einrichtungshauses, aber zu Feierlichkeiten zum Jahrestag eines einschneidenden geschichtlichen Ereignisses in der Bundeshauptstadt? Nicht wirklich, oder?

Nun haben wir ja alle mitbekommen, dass die Bundesregierung einen netten Geldbetrag zur Verfügung gestellt hat, damit derlei Feierlichkeiten auf die Beine gestellt werden können. Und bevor hier wieder Leute Schnappatmung bekommen und den schwarzen Peter gleich Herrn Seehofer oder anderen Volksvertretern zuschieben möchten, sei schnell erwähnt, dass sie damit nichts zu tun haben und auch keine Steuergelder verschwendet wurden. Vielmehr steckt die Firma PromEvent & Media KG mit Sitz in Oldenburg dahinter. Oldenburg, das Epizentrum des Wendebebens im Jahr 1989! Nach telefonischer Rückfrage am heutigen Morgen bekam ich Auskunft von Herrn Kuhn, einem Mitarbeiter des Veranstalters. Herr Kuhn erzählte, dass die Show eine Idee und ein Konzept der Firma PromEvent & Media sei und nichts mit der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Feierlichkeiten zu tun habe. Auf meine Frage, wer dort denn für die Zusammenstellung der auftretenden "Stars" verantwortlich sei, verwies mich Herr Kuhn auf die Geschäftsführung, die in dieser Woche aber leider nicht für Auskünfte erreichbar sei.003 20190916 1413643376 Also keine Antworten auf die Fragen, die sich hier sicher nicht nur mir stellen. Ein Blick auf die Homepage der Firma hilft etwas weiter, wenn auch hier keine Antwort auf die Frage, "Warum???", zu finden ist. Dort findet man aber weitere vom Unternehmen organisierte Veranstaltungen wie z.B. Konzerte mit den Kastelruther Spatzen und den Amigos. Auf Gute-Laune-Events mit seichter Unterhaltung scheint man hier wohl spezialisiert zu sein.

Ich weiß gar nicht, über was ich mehr erschreckt sein soll ... Darüber, dass man seitens des Veranstalters für Tickets zu diesem am Thema dermaßen vorbei gehenden Musik-Programms mindestens 61,00 EUR (siehe Homepage der Mercedes Benz Arena in Berlin) haben möchte oder darüber, dass die breite Masse eben dieses fragwürdige Angebot wieder kritiklos hinnehmen und einfach mitfeiern wird. Der Anlass ist ja egal: Hauptsache Schlager, nicht wahr? Dass die Anforderungen an ein solches Programm seitens des Publikums recht gering sind, zeigen ja auch andere in diesem Jahr und mit dieser Überschrift durchs Land tingelnde Events. Da wird nicht hinterfragt, es wird nicht auf Qualität geachtet - es wird hingerannt. Aber vielleicht haben diese und andere Feierlichkeiten dieser Art ja auch einen anderen Hintergrund. Vielleicht tue ich den Veranstaltern ja Unrecht, und möglicherweise will man 30 Jahre nach dem Mauerfall den Leuten nur vor Augen führen, dass parallel zum Niveau in der ersten Reihe der deutschen Unterhaltung in den vergangenen drei Dekaden auch der Anspruch seiner Konsumenten dermaßen gesunken ist, dass nur sowas dabei herauskommen kann. Wenn das das Konzept und die Idee dahinter ist, dann ist der Plan aufgegangen. Ich habe aber eher den Verdacht, dass man mit den Namen auf dem Plakat - so bedauerlixch das auch ist - mehr Leute anlocken kann als mit denen, deren Szene nach 1989 gesamtdeutsch ja erfolgreich ignoriert wurde, wo es nur ging. Die Entwicklung, dass sinnvolle Beiträge und Inhalte, die einen auch mal ein bisschen fordern, inzwischen nur noch auf kleinen Bühnen vor kleinem Publikum oder in Ausstellungen und Vorträgen stattfinden, während gecovertes Liedgut und flache Unterhaltung vor großem Publikum und in subventionierten TV- und Radio-Sendern feste Größen sind, ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Es geht auch hier schließlich nur noch ums Geld. Das wird mit jedem weiteren Angebot, wie diesem hier, immer deutlicher ... Dabei hätte ich so gerne mal was Nettes geschrieben.




   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.