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Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Ariola, Miau Musikverlag, Jim Rakete



Irgendwann im Frühjahr 1983 muss es gewesen sein, da fand in meiner Schule ein Fest mit Flohmarkt statt. Wir Schüler, die Eltern und die Lehrer hatten allerlei nicht mehr in Verwendung befindliche Sachen aus den Schränken und Ecken gekramt, und diese für den Verkauf auf diesem Flohmarkt hergegeben. Der Erlös war für eine gute Sache bestimmt - ich meine mich zu erinnern, dass es für eine Partnerschule in Afrika war.001 20190220 1841373778 An einem der Stände gab es auch Schallplatten und solche Stände hatten auf mich schon immer eine besondere Anziehungskraft. Neben allerlei Hörspiel- und Easy Listening-Zeugs (James Last darf ja bis heute in keinem Verkaufsstapel mit Platten fehlen) weckte ein Plattencover besondere Aufmerksamkeit bei mir. Auf dem Cover spielte ein Typ am Billard-Tisch Carambolage, im Hintergrund stand eine Frau. "Sanfter Rebell" hieß die Scheibe und war von Stefan Waggerhausen. Ich kannte ihn bis dahin überhaupt nicht, aber für 'ne Mark konnte man da wohl kaum was falsch machen. Also ging die Platte, die vorher meiner Klassenlehrerin gehörte, in meinen Besitz über.

Zu diesem Zeitpunkt war ich schon vom Deutschrock-Virus infiziert und schwerstens befallen. SPLIFF, Udo Lindenberg, Interzone und KARAT mussten stets laut und häufig gehört werden, alles in allem mehr, als es meinen Eltern lieb war. Mit der Platte unterm Arm kehrte ich nach Hause zurück und legte das gute Stück erstmal auf. Die Musik war anders als alles, was ich vorher so zu Ohren bekommen hatte. Mit dem Schlager-Material, das meine Eltern beim Heck in der ZDF-Hitparade konsumierten, hatte das nix zu tun, und von den eben erwähnten Bands und Solisten war das auch ziemlich weit entfernt. Trotzdem war das cool und auch wenn man mit manch einem Thema im Alter von 13 oder 14 nicht unbedingt was anfangen konnte, drehte sich die Platte doch sehr häufig bei mir. "Bäng Bäng Baby" erzählt z.B. die Geschichte eines Typen, dessen Frau ihn mächtig gegen die Wand hat fahren lassen. Sie habe ihn "durch apokalyptische Träume gejagt" und ihn vor "seinen Freunden zum Clown gemacht". Erfahrungen, die man als Teenager damals noch nicht gemacht hatte, aber man hörte aufmerksam zu. Irgendwann war das Maß voll und der Typ in dem Song stand mit dem Revolver vor ihr. Ein echter Krimi ... eine Liebesgeschichte, die keine war, und die so überhaupt nix mit denen von Roland Kaiser, Roger Whittaker und anderen Vertretern der "heilen Welt" zu tun hatte. Ein paar Songs weiter nahm Waggershausen seine Zuhörer mit auf eine nächtliche Autofahrt. Der Text zum Song "Cote d´Azur" ist so plastisch, dass man meint, selbst in dem Auto zu sitzen, dass da morgens um kurz vor vier die südfranzösische Küstenstraße entlang fährt, und dass man den Mond vor dem inneren Auge sehen kann, den der Künstler in seinem Text da über das Meer gestellt hat. Die Musik dazu passt wie die Faust auf's Auge zu einer nächtlichen Autofahrt. Wieder ein paar Songs weiter erzählt uns Waggershausen die Geschichte von Senor Benatti, der einen Auftrag für einen Mord bekommt, und in einem Hotel in Rom selbst zum Opfer eines solchen wird. Noch ein Krimi, und wieder beeindruckt der Text durch seine Zeichenhaftigkeit ("leere Cola-Dosen auf dem Asphalt").002 20190220 1947149562 Am Schluss der Platte wird der Hörer Ohrenzeuge, wie im Song "Café Royal" versucht wird, eine junge Frau nach Hause abzuschleppen, die allerdings so viel Pfeffer im Hintern hat, dass sie mit dem damals noch "jungen Wolf" die Nacht von Berlin zum Tag macht, ihn bis zum Morgen durch Diskos, Kinos und durch den Wannsee schleift, ihn so auf Trab hält und am Ende deshalb nix läuft, weil die Müdigkeit den Jäger umwirft.

Ab diesem Moment war ich Fan von Stefan Waggershausen, verfolgte seinen Weg und spätestens mit seinem Duett mit der italienischen Liedermacherin Alice ("Zu nah am Feuer") kam man sowieso nicht mehr an ihm vorbei. Im Jahre 1990 gehörte sein Album "Tief im Süden meines Herzens" zum Soundtrack meiner letzten Reise in die damals noch existierende DDR. Das Album hatte ich auf Tape und es lief im Autoradio rauf und runter. Darum habe ich zu dieser Platte ein besonderes Verhältnis. Es folgten in den Jahren danach die Alben "Wenn Dich die Mondfrau küsst", "Louisiana" und natürlich "Die Rechnung kommt immer", mit denen Waggershausen mir die musikalisch sonst eher gruselig anmutenden 90er lebenswert machte. Einige meiner Helden von früher hatten sich mit verändertem Sound und dadurch teils schlimmen Ergebnissen in ihrer Musik längst aus meinen Playlists verabschiedet (schöne Grüße an die Herren Lindenberg und Grönemeyer), aber Waggershausens Lieder blieben. Egal, was er da auf den Markt brachte, er enttäuschte mich als Hörer nie. Das kann ich wirklich nicht von vielen Musikern behaupten, aber in seinem Fall ist es keine Übertreibung. Waggershausen hatte immer dieses besondere aber nicht greifbare Werkzeug im Gepäck, mit dem er mir als Hörer diese einzigartigen Gefühle und Stimmungen in Kopf und Seele importieren konnte. Und das kann er bis heute! Dazu diese charmante Coolness, um die ihn wohl jeder Kerl beneidet, und die ihn auch bereits in die Jahre gekommen - und sich selbst als "alter Wolf" bezeichnend - noch immer eine gute Figur machen lässt.

Mitte der "Nullerjahre" hatte ich die Gelegenheit, ein Interview mit meinem musikalischen Helden Stefan Waggershausen zu führen. Er war zu dem Zeitpunkt schon lange weg von der Bildfläche. Sein letztes Album lag acht Jahre zurück und sein nächstes sollte noch drei Jahre bis zur "Erscheinungsreife" brauchen. Unter der Überschrift "Was macht eigentlich" klopfte ich bei ihm an und das dabei entstandene Interview beantwortete selbst mir, der sich selbst als einer der größten Fans seiner Musik bezeichnete, noch offene Fragen. Dazu kam, dass Stefan damals im Vorstand der GEMA war und mir abseits des Interviews hilfreiche Tipps zu bestimmten Dingen gab, die sich für mich später als sehr wertvoll erwiesen. Nachdem Deutsche Mugge an den Start ging, ergaben sich weitere Gelegenheiten für Interviews und Features mit und über Stefan. Er war bis heute drei Mal Interview-Gast für das Magazin und zwei Mal mein Gast in der Radioshow.003 20190220 1338809751 Eigentlich fehlt mir nur noch eins, um das Bild abzurunden: Ein Konzert. Leider ist Waggershausen seit über 30 Jahren nicht mehr auf Tour gegangen und die Hoffnung, dass sich das nochmal ändert, ist bei mir noch nicht gestorben. Sie erhielt nach dem letzten Interview sogar die Geister weckende Nahrung, dass sich diese Lücke zeitnah schließen wird.

Seit 35 Jahren begleitet mich Stefan Waggershausen, dieser weltoffene Beobachter und Notenzusammenschrauber, der zwischen Bodensee, Berlin, Louisiana und "Cote d'Azur" abenteuerhungrig Geschichten erlebt, erfindet, einfängt und zu Liedern macht. Dabei kann ich persönlich diese Lieder in allen Gefühlslagen hören. Egal, ob ich gut drauf bin oder den Blues habe ... Seine Songs sind da eine gute Unterstützung oder auch Medizin. Und mit dem Blues kennt sich Waggershausen ja besonders gut aus, wie er auf seinem aktuellen und gerade frisch erschienenen Album wunderbar zugibt. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag - irgendwo und irgendwie. Wahrscheinlich ruhig und im engen Kreis, denn Alter ist nur eine Zahl und die sieben vor der Null ändert auch nichts am Frischezustand des Rock'n'Roll, der durch seine Adern schießt. Die Platte, mit der damals alles bei mir begann, habe ich immer noch im Schrank und die gebe ich auch nicht wieder her. Mit dazu haben sich inzwischen viele weitere gesellt und ich hoffe, dass da noch ein paar mehr dazu kommen werden. Völlig uneigennützig wünsche ich mir deshalb, dass der Mann vom Bodensee noch möglichst lange seine Geschichten erzählt und sie immer wieder so delikat in Musik verpackt. Darum alles Gute zum Geburtstag, lieber Stefan. Bleib gesund, munter und so voller Ideen wie bisher.



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Stefan Waggershausen: www.waggershausen.de



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