000 20181129 1082311387
 

000b 20181129 1373376871
Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Deutsche Mugge Archiv



Der coolste Job innerhalb einer Band ist der des Gitarristen. So denken jedenfalls viele Jungs und Mädels, wenn sie sich für ein Instrument entscheiden und sich die bevorzugte Position innerhalb einer Kapelle auswählen. Da kann man was reißen, auf der Bühne 'ne mächtig geile Show abliefern und die Mädels (oder Jungs) ordentlich heiß machen. Stimmt nur halb, denn das kannste als Bassist auch. Manche von ihnen klauen dem Kollegen mit der Gitarre nebenan sogar die Show. Hans-Jürgen Reznicek, den alle nur "Jäcki" nennen, sah das auch so, denn die Gitarre war nie seine erste Wahl. Er wollte schon immer den Knüppel mit den vier dicken Saiten spielen. Mit 14 Jahren interessierte er sich schon für Musik und einer seiner Vorbilder war der Bassist seiner Lieblingsband THE BEATLES: Paul McCartney. In einem Interview, das ich 2006 mit ihm führte, sagte er in Bezug auf den Pilzkopf, "Ich wollte so gut Bass spielen können, wollte so wunderbar singen können, wollte so klasse Songs schreiben, wollte so aussehen wie er, wollte so viel Geld verdienen, wollte so viele Mädchen haben ..." Einiges davon ist ihm ja auch gelungen.

004 20181129 1089310928Der junge Reznicek nahm als Teenager Musikunterricht und irgendwann empfahl ihm sein Lehrer, er solle doch ein Musikstudium aufnehmen. Das machte Jäcki dann auch und landete an der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" in Dresden. Dresden ist auch seine Geburtsstadt - hier erblickte er am 29. November 1953 das Licht der Welt. Mit der Nestwärme im Hintergrund studierte er fleißig und während seiner absolvierten Semester wandte er das Erlernte auch gleich in verschiedenen Jazz- und Schlagerbands an. Alles noch als Amateur. Die erste Profistation kam für Jäcki im Jahre 1976, als er mit 23 Lenzen bei Lenz einstieg. Und die KLAUS LENZ BIG BAND war der Anfang einer bis heute tollen Karriere mit vielen Stationen und Aufgaben, die seinen Lebenslauf vom Umfang her telefonbuchdick haben werden lassen.

Von Lenz ging es zu Veronika Fischer, wo er mit "Aufstehn" (1978) und "Goldene Brücken" (1980) zwei Alben mit einspielte. Dort lernte er auch einige seiner späteren PANKOW-Mitstreiter kennen, denn nachdem die Vroni in die BRD übergesiedelt war, gründete er zusammen mit den verbliebenen Musikanten aus ihrer Band, Jürgen Ehle, Frank Hille und Rainer Kirchmann, die Gruppe PANKOW, zu der kurz darauf auch André Herzberg stieß. Insgesamt drei Studioalben und ein vom DDR-Plattenlabel AMIGA im Giftschrank verstecktes und deshalb bis 1989 auch nicht veröffentlichtes Live-Album ließ er als Teil dieser Band entstehen und spielte mit ihr landauf und landab unzählige Konzerte. Sogar im Westen konnten PANKOW nicht nur mit ihren Schallplatten auf sich aufmerksam machen, sondern auch mit diversen überzeugenden Muggen Fans für sich gewinnen.

Im Jahre 1986 erschien mit "Keine Stars" nicht nur das dritte Album seiner Gruppe PANKOW, sondern er war auch Teil der legendären GITARREROS-Besetzung. Diese Allstar-Band mit den von Publikum und Journalisten gleichermaßen gewählten besten Instrumentalisten und Sängern der damaligen DDR gab erfolgreiche Konzerte im ganzen Land und erspielte sich innerhalb von noch nicht einmal einem Jahr einen Legendenstatus. Wer es vielleicht gerade aus den Zeilen nicht herausgelesen hat: Jäcki galt damals als der beste Bassist seines Heimatlandes. Das kann man durchaus auch auf dem eigenen Briefkopf vermerken ... Während dieser Tour kamen sich die teilnehmenden Musiker, die alle in verschiedenen DDR-Rockbands aktiv waren (u.a. Rockhaus, CITY, Karat, Silly), näher und es gab auch Verabredungen ... Nach dem Motto, "Du spielst mal bei mir mit und ich dann bei Dir", entstanden anschließend interessante Produktionen. SILLY-Frontfrau Tamara Danz war z.B. neben Mike Kilian von Rockhaus und Toni Krahl von CITY an der Produktion der nächsten KARAT-Platte beteiligt, Uwe Hassbecker von STERN MEISSEN wechselte sogar ganz zu SILLY und Jäcki Reznicek folgte dem Stern-Saitenhexer nur ein Jahr später in die Danz-Kapelle. Er hatte bereits als Gastmusiker bei der Produktion des SILLY-Songs "Bataillon d'Amour" mitgewirkt, denn als Studiomusiker steuerte er die schöne Fretlessbass-Melodie bei. Das muss einen solchen Eindruck bei den SILLYs hinterlassen haben, dass Tamara ihn eines Tages fragte, ob er nicht zu SILLY kommen wolle. Und er wollte! Seit 1987 gehört er dieser Band nun an und ist dort neben Uwe Hassbecker und Ritchie Barton eine von drei festen Größen.

Der Job als Studio- bzw. Gastmusiker bei SILLY war übrigens kein Einzelfall. Schon zu DDR-Zeiten war Jäcki ein gut gebuchter und heiß begehrter Studiomusiker. Nicht, weil er so 'ne dufte Frisur und 'nen tollen Spitznamen hatte, sondern weil er sich in jede Form von Musik hinein fuchsen kann. Die Auszeichnung "Bester Bassist" landete schließlich nicht ohne Grund bei dem Mann mit den schwarzen Locken. Jäcki ist ein Musiker, der genreübergreifend arbeiten kann, weil er es einfach kann. So hinterließ er in den 70ern und 80ern Spuren auf Produktionen von Frank Schöbel, Holger Biege, Jürgen Hart, Jürgen Walter, Wolfgang Ziegler, Helga Hahnemann, Wolfgang Lippert, Gaby Rückert, Dieter "Quaster" Hertrampf, Wenzel, Reinhard Lakomy und vielen anderen Künstlern mehr. Dies änderte sich auch nicht, als die Mauer fiel und mit ihr auch viele seiner Kollegen, nämlich dank Desinteresses des Publikums in die Bedeutungslosigkeit. Anfang der 90er spielte er zusammen mit Farin Urlaub in dessen Nach-Die Ärzte-Projekt KING KONG. Außerdem arbeitete er im Studio zusammen mit der Gruppe ALPHAVILLE (Album "Prostitute", 1994), mit Gundermann (Album "Einsame Spitze", 1992) und der Gruppe CITY (Album "Rauchzeichen", 1997). Alles - wohlgemerkt - neben seinem "Hauptberuf" als SILLY-Basser. Hatten viele seiner Kollegen ob der eben schon erwähnten Probleme durch die veränderten Verhältnisse in der Nachwende-Szene mehr Freizeit als ihnen lieb war, blieb Jäcki gut im Geschäft.

Der Tod seiner langjährigen Freundin und Bühnenkollegin Tamara Danz im Sommer 1996 riss bei ihm nicht nur ein großes Loch ins Herz, sondern auch in seinen Terminkalender. Erst im Jahre 1997, als der Schock ein Weitermachen wieder zuließ, nahm er die Arbeit wieder auf und stieg wieder bei PANKOW ein. Mit "Am Rande des Wahnsinns" erschien noch im gleichen Jahr ein neues Album und auch live trat die Band wieder auf. Seine SILLY-Kollegen Uwe Hassbecker und Ritchie Barton arbeiteten seit 2001 mit dem Musiker Joachim Witt zusammen. Ausgelöst wurde diese Zusammenarbeit durch Witts Neuinterpretation des SILLY-Klassikers "Bataillon d'amour". Ein Jahr später folgte auch Jäcki seinen Kumpels in die Begleitband von Witt und es entstanden einige Alben, mit denen man auch gemeinsam auf Tour ging. Diese Zusammenarbeit endete im Jahre 2007 und sein Mitwirken bei PANKOW ein Jahr später. Inzwischen hatte die Gruppe SILLY in Anna Loos eine Vertretung für Tamara Danz gefunden und legte somit den Grundstein für ein erfolgreiches Comeback, das nicht mehr viel Zeit für Projekte "nebenher" ließ.

Bereits im Jahre 2005 unternahmen Jäcki, Uwe und Ritchie unter dem Namen SILLY einen ersten Ausflug zurück auf die Bühne. Bei SILLY & Gäste übernahmen u.a. Joachim Witt, IC Falkenberg, Toni Krahl, Anja Krabbe und eben schon erwähnte Anna Loos die Position am Mikro und sangen - begleitet von der Band - die Lieder von Tamara.005 20181129 1938416590 Nach der Tour entschieden sich die SILLYs und Anna Loos, die nächste Stecke des Weges gemeinsam weiterzugehen. Bisher entstanden mit ihr als Frontfrau drei neue Studio-Alben, die allesamt in die Top 10 der deutschen Album-Charts einstiegen. Auch die Tourneen liefen erfolgreich. SILLY war wieder da und die Band ist aus kommerzieller Sicht heute so erfolgreich wie nie.

Trotzdem SILLY die volle Aufmerksamkeit seiner Mitglieder fordert, fanden sich zwischen den Alben und Touren immer wieder Momente, in denen Jäcki "woanders" seine Spuren hinterlassen konnte. Und das ist auch gut so. So spielt er seit 2014 auch wieder bei der EAST BLUES EXPERIENCE mit, der er bereits zwischen 1994 und 2002 angehörte, und er ist Teil des wunderbaren Projekts DRIFTWOOD HOLLY, dessen Musik genauso aufregend und spannend wie die Geschichte seines Frontmanns ist. Beleg dafür sind die inzwischen erschienenen zwei Studioalben, an denen Jäcki maßgeblichen Anteil hat.

Und wenn der Jäcki mal nicht auf der Bühne oder im Studio steht, gibt er sein Wissen an junge Musiker weiter. Seit 1991 ist er nämlich auch Dozent an der Hochschule für Musik in Dresden und hat zudem - weil all das eben erzählte ja noch nicht reicht - so ganz nebenbei auch noch mehrere Basslehrbücher veröffentlicht. Was sich hier in wenigen Absätzen aufgeführt so liest, als würde der Mann heute schon 100 Jahre alt werden, täuscht ein wenig über die Realität hinweg. Jäcki hat es nur geschafft, das Programm und die Arbeit von mehreren Leben in eines zu transferieren, zu kompensieren und sein Leben eben wie das eines Methusalem wirken zu lassen. Er wird heute am 29. November nicht 100, sondern erst 65 Jahre alt. Auf diesem Wege die herzlichsten Glückwünsche nach Berlin-Rahnsdorf und die besten Wünsche für Erfolg im Job und Gesundheit am Körper. Mögest Du uns noch lange auf der Bühne erhalten bleiben. Von kaum einem anderen Tieftöner lasse ich mir so gern die Eingeweide durch die herrlichsten Brummtöne kitzeln wie von Dir ...



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Jäcki Reznicek: www.jackireznicek.com



Jäcki in Aktion ...

Jäcki und sein Warwick Signature Bass


Jäcki mit East Blues Experience live