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Ein Bericht mit Fotos von Christian Reder


Ostrock ... Woher kommt der Begriff eigentlich? Ist er wirklich eine Schöpfung der Plattenindustrie, um nach der Wende die Musik aus der DDR besser an den Mann und die Frau zu bekommen? In irgendein Fach mussten die CDs im Plattenladen ja schließlich sortiert werden. Wer auch immer ihn erfunden hat, hätte keinen passenderen Begriff auswählen können, um das zu beschreiben, um das es hier geht. Wie sonst sollte man eine Musik beschreiben, deren Entstehungsgebiet regional auf den Osten begrenzt ist, und deren größte Merkmale der Tiefgang in den Texten und die Qualität in der Musik sind? Wir reden hier über Erfindungs- und Ideenreichtum, wenn es um Instrumente, Equipment und Aufnahmetechniken geht und um Liebe zum Detail und das Senden von Botschaften, die einem als Hörer nicht sofort ins Gesicht springen. Hier trifft man auf Musiker, die von ihrer (einzigen im Land befindlichen) Plattenfirma nicht so mit Geld vollgestopft wurden, damit sie sich das Neuste vom Neusten für den Proberaum kaufen konnten, die improvisieren mussten und daraus das Maximalste in harter und langer Arbeit dabei entstehen ließen. Auch wird sofort klar, dass die Spider Murphy Gang oder Selig hier nicht zu finden sein werden. Schließlich kommen sie aus dem Süden und dem Norden Deutschlands. Der Ostrock ist ein Produkt einer eigenen Musikszene und er kommt aus einem Land, das vor 26 Jahren den "Dienst eingestellt" und seine Kinder in die weite Welt entlassen hat. Und der Ostrock lebt noch immer, auch 26 Jahre nach dem Fall der Mauer. Weder der Krautrock oder die Neue Deutsche Welle, geschweige denn eine andere "Szene", kann so viele noch aktive Bands und Solisten verzeichnen, wie der Ostrock. Grund genug, dass man sich dieser Musikszene nun annahm, um ein Museum zu eröffnen.

Dieses Museum ist seit vergangenem Freitag (3. Juli 2015) im Mecklenburg-Vorpommerschen Kröpelin zu finden. Das ist in der Nähe von Rostock, und gleich um die Ecke in Schmadebeck findet seit 20 Jahren der jährlich veranstaltete Dorfrock statt, bei dem (bis auf die Gruppe Torfrock) bisher nur Bands und Solisten aus dem Osten gespielt haben. RENFT, Stern-Combo Meißen, PUHDYS, KARAT, CITY, Ute Freudenberg mit Band, Veronika Fischer mit Band und und und ... Sie alle haben auf der Festwiese der 80 Seelen-Gemeinde Schmadebeck schon ihr Stelldichein gegeben und waren Teil dieses Dorfrock-Festivals. In diesem Jahr waren MONOKEL und CITY dort tätig, und am Vormittag des gleichen Tages öffnete das Ostrock-Museum auf der Hauptstraße 5 in Kröpelin seine Pforten.b Mit dabei viele Gäste aus Nah und Fern und die Gruppe MONOKEL als ganz spezieller Gast. Auch ein besonderer Gast war Gerlinde Bonin, die so gut wie alle Exponate der Gruppe KARAT als Leihgabe für das Ostrock-Museum beigesteuert hat. Angefangen beim Hemd, das Claudius Dreilich, der Sänger von KARAT, vor knapp 15 Jahren beim 25. Jubiläum der Gruppe getragen hat (seinem ersten Auftritt mit der Band), und diversen Schallplatten, über VIP-Ausweise, Tonbänder und Bücher, bis hin zu Autogrammkarten und allerlei anderer Memorabilien, die das Fanherz höher schlagen lassen, stellt die Abteilung mit den KARAT-Stücken eines der größten Abschnitte des Museums dar. Dafür hat Gerlinde aber auch tief in die eigene Tasche gegriffen, denn viele der Stücke hat sie ersteigert oder anderweitig gekauft. Nach Erhalt hat sie diese eingepackt und zum Signieren nach Berlin geschickt. Alles nur, damit ihre Lieblingsband dort gut vertreten ist. Sie ist eben ein Fan ... ein großer, ja sehr großer und herzlicher Fan!
Gleich neben den KARAT-Utensilien hängt eine Lederjacke, bei der nicht nur ich vorher getippt habe, dass sie mal einer Frau gehörte. Petra Zieger vielleicht?! Es ist ein ziemlich kleines Stück Leder, das kurz geschnitten gerade bis zur Taille geht, in den 80ern aber auch von Männern getragen wurde. Dieses Exemplar trug jedenfalls Jürgen Ehle von PANKOW, und sie hängt nun im Ostrock-Museum von Kröpelin. Bewegt man sich durch die Räume und Flure, begegnen einem u.a. auch ein alter Silberhut von Fritz Puppel (CITY), die kunterbunten Fellstiefel von KNORKATOR (vom legendären Auftritt beim Vorentscheid zum Grand Prix im Jahre 2000), ein Schlagzeugbecken von der Gruppe ROCKHAUS (komplett signiert), zahlreiche Instrumente und Technik aus früheren Jahren und unheimlich viele Konzertplakate. In einem Flur kann man an der Wand die Geschichte des Rock nachlesen. Chronologisch aufgeführt und nicht nur auf den Ostrock beschränkt. Das macht Sinn, wenn neben der Gründung der SPUTNIKS auch die der DOORS und neben der der Stern-Combo Meißen auch die von THE WHO mit aufgeführt sind, um das ganze zeitlich auch besser einordnen zu können. Die Jahreshitparaden des DDR Rundfunks sind dort ebenso zu finden, wie die Erklärung mancher für West-Ohren doch fremd klingender Begriffe wie z.B. "Komitee für Unterhaltungskunst" oder die Namen mancher Radio- und TV-Sendungen.

cEin weiteres Highlight ist der nachgebaute Plattenladen, original mit Schallplattenspielern und Hörern, die aussehen wie die eines Telefons, über die man damals im Laden aber in die Platten hinein hören konnte. Hinter dem Tresen eine Vielzahl von AMIGA LPs, an der Wand Plattencover und der Hinweis, dass die Platte von Joe Cocker bereits ausverkauft sei. Nicht aber, ohne eine davon als Bückware unter dem Tresen "versteckt" zu halten (man findet sie nur, wenn man auch hinter den Verkaufstisch geht). Allein das zeigt, wie detailgetreu und mit wie viel Hintergrundwissen hier zu Werke gegangen wurde, um das Museum einzurichten.
Nach dem Ausflug in den DDR-Plattenladen geht man nur zwei Schritte nach rechts, um den Teil der Ausstellung anzuschauen, in dem es um die Technik geht. Ein Stern Kassetten-Radiorekorder mit einer Außenhülle aus Holz steht dort ebenso, wie ein Tesla Tonbandgerät, diverse Plattenspieler und weitere Kassetten-Rekorder, bei deren Anschaffungspreisen, die dort teilweise mit angebracht sind, man fast aus den Latschen kippt.
Auf dem Weg zurück entdeckt man in einer Nische ein kleines Büro. Ein Schreibtisch, ein Schreibtischstuhl, eine Schreibmaschine, diverse Akten und ein Telefon mit Telefonliste. Das rote Telefon funktioniert sogar, und wenn man eine der auf der Telefonliste notierten Nummern wählt, hört man entweder das Verbot der Gruppe RENFT oder aber den Genossen Ulbricht, wie er seine "Yeah! Yeah! Yeah!"-Rede hält.
 
dWas nicht in die Schaufenster, Vitrinen oder Tische passte, hat man kurzerhand in Schubladen verstaut. Viele dieser Staufächer lassen sich öffnen und in ihnen lagern Tonbänder, Gitarrensaitensets oder erklärende Texte und Diagramme zum besseren Verständnis diverser Abläufe in der DDR-Musikszene. Auch das Dorfrock Festival von Schmadebeck ist dort zu finden. Flyer, Ankündigungen, Konzertkarten und Autogrammkarten geben einen Einblick, wer schon alles dort war und wann. Ehe man sich versieht, ist man auch schon durch, denn das Museum ist noch sehr klein. Es befindet sich in der obersten Etage der örtlichen Bibliothek, direkt über dem Heimatmuseum, das man in der ersten Etage findet. Sollten in Zukunft noch mehr Instrumente, Platten, Bilder, Bühnenoutfits u.a. gespendet werden, müssen die Damen und Herren dort wohl anbauen. Im Moment reicht es aber noch, und auch wenn man nur wenige Räume begehen kann, muss man Zeit mitbringen. Es gibt viel zu sehen und viel zu entdecken.

Wer nun aber denkt, der Besucher wird an der Tür von einem alten Mann mit Bart empfangen, der dort all sein Wissen und seine Kraft in das Museum gesteckt hat, der täuscht sich gewaltig. Es ist wirklich kaum zu glauben, aber diese gut recherchierten Chroniken, die Exponate und Filme, die man über bereit gestellte Monitore anschauen kann, wurden vom Verein „Sechzig – Vierzig e.V.“ zusammengetragen und von einer Gruppe Studenten in ein Museum verwandelt.e Die Älteste der Studenten ist Baujahr 1990 und hat den Fall der Mauer nur dumpf durch die Bauchdecke der Mutter hören können, dürfte ansonsten aber nicht sehr viel davon und von der Musik in den Jahren davor mitbekommen haben. Es sind Studenten der Wismarer Hochschule, die die Fächer Innendesign, Kommunikation oder Medien studieren. Vor dieser Leistung kann man einfach nur den Hut ziehen. Damit erteilen sie so manchem Profi eine Lehrstunde in Sachen Sorgfalt, guter Recherche und liebevoller Fließarbeit, denn Kohle gab es für ihren Einsatz keine. Die Jungs und Mädels haben etwas geschaffen, das der Region etwas gibt ... einen neuen Anlaufpunkt für Musikfreunde aus Ost und West, aus Nord und Süd. Die Himmelsrichtung ist eigentlich egal - die Liebe zur Musik und der Respekt vor dem Können der Musiker und Texter verbindet uns alle und lässt uns Fan sein. Und jeder von uns sollte das Museum zumindest einmal gesehen haben. Wie schaut's aus? Der nächste Urlaub findet an der Ostsee statt, oder?

An dieser Stelle noch ein Dankeschön an meinen Kollegen Rüdiger, der mir für diesen Beitrag noch zahlreiche Hintergrundinfos über den Dorfrock flüsterte!






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