000 20121205 1136853110Ein Beitrag von Christian Reder (05.12.2012). Fotos: Benjamin Weinkauf

Es war September im Jahre 2003 und nach dem Erfolg von "Good Bye Lenin!" und einer großen (N)Ostalgiewelle, die zu dem Zeitpunkt über das Land schwappte, war es nur eine Frage der Zeit, wann auch der Fernsehsender RTL mit auf diesen Zug aufspringen würde. Oliver Geißen und Katarina Witt saßen auf der Fernsehcouch, die man auch aus dem beliebten Format "Die Chartshow" kennt, und präsentierten das Leben und die Kultur der DDR wie einen Besuch im Zoo. Lustig (sollte es zumindest sein), übertrieben dargestellt und mundgerecht für die damals schon kritiklose und auf seichte Kost getrimmte Schar von RTL-Zuschauern (wie anders sind sonst solch hohe Einschaltquoten bei dem minderwertigen Programm dieses Senders zu erklären?). Warum ausgerechnet eine Katarina Witt bei sowas mitgemacht hat, ist bis heute nicht geklärt. Wider besseren Wissens machte die ehemalige Weltklasse-Sportlerin dieses teils hochnotpeinliche Spiel mit, saß wie Grinsebert über die volle Distanz dieses Sendeformats auf eben erwähnter Couch und gackerte fröhlich vor sich hin, wenn in einem der zahlreichen Einspieler aus der DDR eine Sitcom gemacht wurde. Ein Schlag in die Schnauze all jener, die in der DDR geboren wurden oder dort gelebt haben. Einziger Lichtblick in dieser Zusammenstellung von Klischees und dümmlichen Zwischenspielen waren die Musik-Beiträge. Woanders gab es die zu dem Zeitpunkt leider schon nicht mehr und als Fan dieser Musik ist man ja bekanntlich dankbar für jede Sendeminute, wo man endlich mal wieder bedient wird. Ich weiß heute nicht mehr genau, in welchem der Teile es war, aber ich weiß, dass es der letzte Auftritt von Herbert Dreilich als Sänger der Gruppe KARAT war. Ausgerechnet dort...

Herbert Dreilich war vor Jahrzehnten schon das, was man heute einen Kosmopoliten nennen würde. Ein Kosmopolit aus der DDR? Geht denn sowas? Na gut, es ist etwas übertrieben, aber der Sänger wurde am 5. Dezember 1942 im österreichischen Mauterndorf geboren. Er wuchs in Großbritannien und der Bundesrepublik auf, bis er im Jahre 1959 schließlich mit den Eltern in die DDR zog. Ein bis dahin in Europa schon weit gereister junger Mann. Im Jahre 1961 kannte ihn noch niemand, als er eine Ausbildung zum Gebrauchswerber begann. Den Beruf kann man auch als Fachmann für die anfallende Dekoration eines Geschäftes oder, kurz, Schaufensterdekorateur nennen. Ab 1967 besuchte Herbert Dreilich die Musikschule Berlin-Friedrichshain, die er 1971 abschloss. Seine ersten Sporen als Musiker erwarb er sich aber schon viel früher. Ab 1960 spielte Dreilich zwar schon in verschiedenen Amateurbands, war von Schallplattenveröffentlichungen aber noch Welten entfernt. Eine seiner ersten Stationen waren Anfang der 60er die JAZZ YOUNGSTERS in seinem Wohnort Halle. Zwischen 1962 und 1964 spielte er bei Reinhard Lakomy und später (zwischen 1967 und 1968) wechselte er zu den MUSIC STROMERS. Danach folgten zwischen 1968 und 1969 "Gastspiele" beim HENRY KOTOWSKI QUINTETT und bei den PUHDYS. In den Jahren 1969 bis 1971 gehörte er zur Gruppe DIE ALEXANDERS, bei der er erste Rundfunkaufnahmen im Studio machen konnte. Im Jahre 1971 war Dreilich zusammen mit Henning Protzmann und Ed Swillms Mitbegründer der Gruppe PANTA RHEI, bei der er bis 1974 u. a. auch als Sänger in Erscheinung trat und sich die Gesangsparts mit Veronika Fischer teilte. Mit dieser Band feierte er auch sein Schallplattendebüt (Single "Hier wie nebenan", AMIGA 1972). Als sich PANTA RHEI nach nur einer Langspielplatte, diversen Singles und vielen erfolgreich verlaufenen Konzerten 1974 auflöste, wurde er 1975 von seinem Freund Ed Swillms zur damals neu gegründeten Band KARAT geholt. Dies sollte seine längste und beruflich erfolgreichste Station werden...

 

In den ersten Jahren teilte er sich die Aufgabe als Sänger noch mit Neumi. Als dieser aber die Band verließ, war Dreilich fortan der alleinige Frontmann. Die Songs, die fast ausschließlich Ed Swillms schrieb, wurden ihm auf den Leib geschneidert. Große Werke wie z. B. "Märchenzeit", "König der Welt", "Und ich liebe Dich" (einer der Songs, die Herbert selbst schrieb und betextete) oder der Überhit "Sieben Brücken" lebten und funktionierten erst durch seine Stimme. Später haben sich auch andere Sänger an diesen Stücken probiert, aber sie haben sich allesamt verhoben (einmal von Martin Jones und seiner sehr schönen Version von "Märchenzeit" abgesehen).

Herbert Dreilich war es, der den Stücken eine Seele gab und wenn man sich die Songs heute anhört, leben sie immer noch und sind zeitlos schön. Eben erwähntes Stück "Über sieben Brücken" wurde dann zum Druchbruch der Band. KARAT nahm im Jahre 1978 mit dem Stück erfolgreich beim Internationalen Schlagerfestival teil. Sie gewannen den Grand Prix bei dieser Veranstaltung und wenn irgendwann mal jemand die Nase ob der Bezeichnung ("Schlager") rümpfte, hatte Herbert die passende Antwort parat: "Wir haben das gerne angenommen, denn wir waren und sind heute noch der Meinung, man sollte nicht in Schubladen denken. Schlager, Pop und Rock, da sind die Grenzen doch fließend." Womit er absolut recht hatte, denn z. B. in Amerika, einem Land, dem hierzulande immer so fleißig nachgeeifert wird, gibt es den Begriff "Schlager" gar nicht. Und die Musik, die man hier Schlager nennt, ist dort Folklore. Da sollte der eine oder andere mal drüber nachdenken... Wie auch immer. Den Ritterschlag bekam die Gruppe und ihr Lied kurze Zeit später, als Peter Maffay die "Brücken" für sich entdeckte und in der BRD in einer eigenen Version veröffentlichte. Der Erfolg von Maffay war gleichzeitig auch der Erfolg von KARAT und so wurde auch die "Version Ost" auf beiden Seiten der Mauer bekannt. Viele empfanden gerade das Original als die bessere Version und so verdiente sich die Band ihre ersten Fans im Westen. Der Beginn einer steilen Karriere, die KARAT ihrem genialen Komponisten Ed Swillms und der großen Stimme von Herbert Dreilich zu verdanken hatte.

Nachdem zuerst Henning Protzmann und kurze Zeit später auch Ed Swillms die Band Mitte der 80er verließen, schulterte Herbert Dreilich die Geschicke der Gruppe KARAT (fast) ganz allein. Anfangs hatte er noch in Thomas Kurzhals einen genialen Mann und Ideengeber an seiner Seite, doch als auch dieser Anfang der 90er die Band verließ, war Herbert allein für die Kreativabteilung zuständig. Auch als nach der Wende die Musik "Made in Germany", insbesondere die "Made in GDR", kaum noch Beachtung fand, hielt Dreilich tapfer an seiner Idee fest und wurde schließlich 1994 dafür auch belohnt. Das Interesse der Menschen an der Musik von KARAT kehrte zurück. Viele entdeckten sie auch erstmals für sich. So konnte die Band zu ihrem 20. Bandgeburtstag bei dem Jubiläumskonzert auf der Trabrennbahn in Berlin-Karlshorst erstmals wieder vor Zuschauern in fünfstelliger Höhe spielen. Ein voller Erfolg, wie auch das im gleichen Jahr veröffentlichte Album "Die geschenkte Stunde". Herbert Dreilich hatte Kämpfermut und Ausdauer bewiesen und SEINE Gruppe KARAT wieder ins richtige Fahrwasser gelenkt.

Kämpfermut und Ausdauer brauchte er dann aber auch abseits des Bandlebens. Ein Schlaganfall, erlitten während eines Konzerts in Magdeburg, warf den Frontmann aus der Bahn. Die Nachricht schlug ein, wie eine Bombe. Aber Herbert Dreilich wäre nicht Herbert Dreilich, wenn er diesem gesundheitlichen Rückschlag nicht Kraft und Siegeswillen entgegen gesetzt hätte. Bereits ein Jahr später stand er wieder auf der Bühne. Zuerst als Gast bei Peter Maffays "Begegnungen-Tour", bei der er zusammen mit Maffay die "Brücken" sang (als Mitschnitt auch auf der damals veröffentlichten Live-CD zu finden), dann auch mit der Comeback-Single "Der Ozean" wieder mit KARAT. Zwar war ihm der Schlag noch anzusehen, denn er zog sein Bein nach und konnte einen Arm nicht mehr voll bewegen, aber er hatte sich zurückgekämpft. Kein Wunder, denn die Bühne war sein Leben!

Es folgte der 25. Bandgeburtstag, der mit einem großen Konzert in Berlin gefeiert wurde, und von dem ein Mitschnitt sowohl auf CD, als auch auf Video veröffentlicht wurde. Knapp drei Jahre später gab's mit "Licht und Schatten" im Frühjahr 2003 auch ein weiteres Studioalbum, das er zusammen mit Beathoven (Rockhaus) fast im Alleingang eingespielt hatte. Ab April war die Band wieder auf Tour und spielte Konzerte quer durch Deutschland. Im September 2003 folgte dann der eingangs erwähnte Fernsehauftritt vor einem Millionenpublikum. Diesen Auftritt ließ sich Herbert nicht nehmen, schon wissend, dass er krank war und eigentlich schon längst im Krankenhaus hätte sein sollen. Der Auftritt bei RTL erfolgte auf seinen Wunsch, den Gang ins Krankenhaus verschob er auf den Tag danach. Die Band... SEINE Band ging vor! Anschließend gab's die Pressemeldung, dass aufgrund einer Erkrankung des Sängers die Teilnahme der Gruppe KARAT an der lange geplanten und bereits für den Herbst 2003 terminierten "Ostival-Tour" unmöglich geworden ist. Für KARAT rückte damals Ute Freudenberg beim Vorgänger von "Ostrock in Klassik" nach. Große Besorgnis bei den Fans war die Folge. Damals wusste noch niemand, dass der eben noch erlebte TV-Auftritt von Herbert der letzte öffentliche Auftritt von ihm sein würde. Es folgten Monate der Ungewissheit bei den Fans und der des Kampfes auf Seiten Herbert Dreilichs. Man versuchte lange, die Wahrheit vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Man wollte Herbert die Ruhe geben, die er für seinen Kampf gegen seine Erkrankung dringend benötigte. Aber die Wahrheit kam doch ans Tageslicht, die Zeitungen berichteten über Herberts Schicksal. Den Kampf gegen einen für ihn diesmal zu starken Gegner hat Herbert letztlich in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 2004 verloren. Die Stimme von KARAT wurde nur 62 Jahre alt, als er seinem Krebsleiden erlag. All seine Hoffnungen auf eine Rückkehr auf die Bühne und ein Feiern des 30. Bandgeburtstages gingen mit ihm. Eine der schönsten Stimmen unseres Landes lebte nicht mehr

Heute, am 5. Dezember 2012, wäre Herbert Dreilich 70 Jahre alt geworden. Es ist unserer Phantasie überlassen, was an diesem Mittwoch alles hätte passieren können, wäre Herbert noch unter uns. Hätte es ein großes Konzert mit vielen Gästen in der Berliner O² World gegeben? Hätte Herbert neue Songs produziert, dieses Mal - was immer sein Wunsch war - mit den Musikern der Peter Maffay-Band und diese der Öffentlichkeit mit einer neuen CD präsentiert? Was auch immer es gewesen wäre, es wäre eine große Veranstaltung gewesen. Ebenso groß, wie Herbert als Künstler gewesen ist. So groß, dass sie ihm gerecht geworden wäre. Was auch immer passiert wäre, Herbert hätte dazu sicher ein Glas Rotwein getrunken. Das tat er gern und auch bei unserer letzten Begegnung gab's einen guten Tropfen. Ich habe mir ein besonderes Tröpfchen für einen geeigneten Anlass aufgehoben. Es ist auch Rotwein und diese Flasche werde ich heute Abend öffnen und ein Glas auf Herbert trinken. Du bist nicht vergessen und wirst es auch nie sein!


 
Extra:
Fotos aus Herberts Leben als Diashow mit Musik