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  Texte: Fred Heiduk (Brief, 10.03.2013), Christian Reder (Vorwort) | Fotos: Privat (Familie Rösch)



Heute, am 10. April 2013, wäre Michael Rösch 50 Jahre alt geworden. Der Schöpfer von "Halle rockt" und dem "Ostrockforum", aus dem inzwischen "Deutsche Mugge" geworden ist, verließ uns alle viel zu früh mit gerade einmal 43 Jahren. Er wurde das wandelnde Ostrocklexikon genannt und ihm war wirklich kein Musiker aus der ehemaligen DDR unbekannt. Mit einigen verband ihn sogar eine dicke Freundschaft. Es ist immer ein guter Moment, sich an ihn und sein Schaffen zu erinnern. So wie in den folgenden Zeilen...
 



a 20130410 1411864604Lieber Michael,
Du hättest wohl eine richtige Party gefeiert. So mit allem Drum und Dran. Man wird ja nur einmal 50. Vielleicht wären es auch mehrere Parties geworden, denn Du liebtest das Leben und wusstest es so zu genießen, wie es Dir gefiel. Musik spielte dabei eine zentrale Rolle. Dabei konntest Du nicht singen und Deine Instrumente waren lediglich Aufnahme- und Abspielgeräte aller Art. Ich sehe Dich noch mit einem riesigen Tonbandgerät und einem Mikro in einer Reisetasche zu Konzerten spazieren. Nur gut, dass die Dinger dann zunehmend kleiner und besser wurden. Aber von einer echten "Musikmeise" besessen, hat es mal so angefangen. Da warst Du 20 und riefst bei vielen Kopfschütteln hervor. Über alles Mögliche...

Da war Deine lockere Ansage: "Mathe macht man doch mit links...", nachdem gerade im Ergebnis der ersten Mathematik-Klausur die ersten 30 Kommilitonen gegangen waren. Du warst einer der wenigen, die Dr. Fuchs, das mathematische Fallbeil, mochte, weil Du mehr konntest, als bis 10 zählen. Mit dir unterhielt sich unser Mathematik-Professor, wenn es um theoretische Fragen ging. Mathematik und Zahlen - das konntest du wie keiner in unserem Studienjahr. Das brachte Dir Deinen Spitznamen "Profi" ein.

Ganz im Gegensatz zum Singen und Musizieren. Das konntest Du nicht so gut. Aber Du hattest die Gabe, gute Musik zu erkennen, wenn Du sie hörtest. Auch da warst Du ein echter "Profi". Womit Du ein weiteres Mal Kopfschütteln erntetest. Denn damals wie heute war gute Musik nicht unbedingt Mainstream. Während sich alle um Nenas roten Minirock Gedanken machten, erzähltest Du uns etwas von Paule Panke und fuhrst zu Konzerten von Amor und den Kids, die Dir viel besser gefielen, als das Meiste was die Hitparaden der West-Radiosender zu bieten hatten. Nicht, dass Du nicht auch englische Sachen gut gefunden hättest, aber Deine Leidenschaft galt dem Ostrock. Den Musikern konnte man nahe kommen, und Du konntest da sehr hartnäckig sein. Viel hartnäckiger als in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens, das Dich immer mal wieder zu erschlagen schien. Wenn es ganz schlimm wurde, zogst Du Dir ein Pankow-Shirt an und gingst zu einem Konzert, wo Du die reale Welt ein paar Stunden hinter dir lassen konntest. Manchmal nanntest Du Namen von Bands und man fragte sich, "Kommen da noch andere außer dir hin, Profi?" Nicht selten gehörtest Du zu den ersten Fans von Musikern, die später wirklich Karriere machten. Mir fällt da BOBO IN WHITE WOODEN HOUSES ein, die Du uns empfohlen hast, als sie noch nicht über Halle und Umgebung hinaus gekommen war. Oder SUBWAY TO SALLY und FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE. Aber das war alles schon später...

b 20130410 1449277227Mit 20 überredetest Du mich zu einem Konzert der AMIGA BLUES BAND mitzukommen. Nur gut, dass ich auf Dich gehört habe... Nach dem Konzert warst Du weg. Es gab ja noch ein paar Fragen mit den Musikern zu klären.... Irgendwann in dieser Zeit begann auch Deine Freundschaft zu Cäsar, die Du Zeit Deines Lebens mal mehr, mal weniger eng pflegtest. Andere Musiker schätzten Dich ob Deines enormen Wissens um Musik und als unermüdlichen Fan. Manch einer rief bei Dir an, wenn es um einen Kontakt oder Termin in und um Halle ging. Du hattest Ideen und konntest immer mal wieder helfen, etwas mitzugestalten. Besonders als der Ostrock mal wieder gar nicht chic war und in völlige Vergessenheit zu geraten drohte. Nach der großen Zeitenwende machtest Du Dich mit Akribie daran, alles zum Ostrock zusammenzutragen, dessen Du habhaft werden konntest. Vieles davon hattest Du im Kopf und träumtest davon, das alles mal aufzuarbeiten, Zeugnisse davon zusammenzutragen etc. Dabei stießt Du immer wieder an technische wie auch finanzielle Grenzen und kämpftest nicht selten mit Deinem Zwiespalt: "Kauf ich mir diese LP, CD oder etwas über Musik, oder doch lieber eine Scheibe Wurst aufs trockene Brot?"

Du warst verrückt genug, das wissen wir heute, mit Deiner angeschlagenen Gesundheit recht fahrlässig umzugehen. Ich weiß nicht, ob Du das Thema nicht ernst genug genommen hast, oder ob es Dir einfach zum Halse raushing. Denn Du warst ja von Kindesbeinen an richtig krank. Zucker so schwer, dass es fast an ein Wunder grenzte, dass Du so rumspringen konntest, wie Du es halt tatest. Du warst eines der Versuchskaninchen der DDR Medizin, wenn es um das Thema Diabetes ging. Keine Versuchsreihe oder kein neues Medikament, das Du nicht probiert hättest, glaube ich manchmal. Da könnte ich gut verstehen, wenn man das Thema möglichst oft und weit von sich fern hält, auch wenn die Insulinspritze ja regelmäßig daran erinnert hat. Die hat Dich aber nicht gehindert zu leben. So richtig, meine ich. So wie wir, die nicht erkrankt waren. Gelegentlich vermisse ich Deine tollen Partys und die Partys mit Dir. Du konntest wirklich gute Laune verbreiten, auch wenn Du mitunter ein alter Griesgram warst, der die Welt verfluchte und den es in der Laune schwer war zu ertragen. Noch viel mehr vermisse ich die Gespräche mit Dir, auch wenn die fast unweigerlich irgendwo im Ostrock landeten. Wie oft hast Du mich bekniet, "Mach mal was auf meiner Seite. Du hast doch auch was erlebt, warst dabei..." Wir haben es regelmäßig verschoben. Solange, bis wir das nicht mehr zusammen machen konnten...

Danach habe ich mich gekümmert. Du würdest staunen, wie viele sich heute noch für das Thema Ostrock interessieren und mittlerweile dazu auf der Seiten einbringen, für die auch Dein Ostrockforum wegweisend war. Was sich daraus entwickelt hat, hätte Dich - so glaube ich - sehr gefreut. Vermutlich wären Dir ein paar Themen wichtiger gewesen als andere. Bei einigen Entwicklungen hättest Du sicher die Augen verdreht und Dich weit rausgehalten... diese Felder anderen überlassen. Aber die Breite dessen, was da behandelt wird und die Art und Weise, wie das geschieht, das hätte Dir gefallen. Genau wie der Fakt, dass es mittlerweile ein gutes Team gibt, das sich Deines Themas angenommen hat.

Natürlich ist es gut möglich, dass Du schon längst eine andere Baustelle aufgemacht und bearbeitet hättest. Vermutlich eine in der Zahlen, Daten etc. eine Rolle gespielt hätten. Vermutlich hättest Du, selbst auf die Gefahr hin, Dich völlig zu verrennen, eine Deiner ganz ausgefallenen Ideen verfolgt. Einer Deiner Träume war es, eine Datenbank zu basteln, aus der hervorgegangen wäre, wer wann wo mit wem Musik gemacht hat und wer an welchem Titel beteiligt war... Eine Statistik der Ostmusik sozusagen.
c 20130410 1737597389Womöglich hättest Du aber auch etwas ganz anderes gemacht. Hätte, wäre, wenn - das ist alles reine Spekulation. Ich bin mir aber sicher, Du hättest Dir gerade zu einem so symbolträchtigen Tag wie dem 50. Geburtstag gewünscht, dass Deine Ideen und ihre mediale Umsetzung so eine Bekanntheit und Akzeptanz erreicht hätte, wie sie die Deutsche-Mugge, die Weiterentwicklung Deiner Idee, heute hat. Ein Stück weit hast Du das ja auch mitgestaltet, wenngleich vor allem als Instanz im Hintergrund, der man sich bei der Deutschen-Mugge auch heute, über 6 Jahre nach Deinem Tod, verpflichtet fühlt.

Du siehst, Du bist nicht ganz vergessen. Hin und wieder erinnern wir uns an Dich und Deine so oft belächelten Ideen. So wie am 10. April, an dem wir ganz gewiss Deinen 50. Geburtstag gefeiert hätten. Da Du im Hier und Heute nicht dabei sein kannst, werde ich mich wohl nach Dessau aufmachen. Und dann erzähle ich Dir zum Beispiel z.B. von Cäthe. Die macht Musik, die Dir gefallen hätte. In kleiner Runde werden wir gewiss auf Deinen Geburtstag anstoßen und vielleicht mal versuchen, ob Deine uralten Tonbandaufnahmen noch abspielbar sind. Es gibt da noch so vieles, woran ich mich gerade erinnere. An die Oma, an Deine kleine Schwester, die Du vergöttert hast, an Deine Hochzeit und an das Streifenhörnchen. Aber auch an Pfefferminztee, an das erste Schnitzel und eine Badewanne voll Flaschenbier, Brause, Wein und sonst was, die ein halbes Jahr als Vorrat reichten. Das ließe sich noch lange fortsetzen. Wir haben das ein oder andere erlebt und es waren gewiss nicht die schlechtesten Zeiten. Obwohl Du nicht mehr unter uns weilst, bist Du für viele Leute (insbesondere für mich) noch immer da. Weil wir Dich nicht vergessen haben.
Dein Freund Fred



   
   
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