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 Texte: Christian Reder (23.03.2013), Hartmut Helms (24.03.2013)  |  Fotos: Archiv Lakomy, Hartmut Helms

 



Nachruf von Christian Reder
Millionen Kinderherzen weinen - große und kleine - denn ihr Geschichtenerzähler ist gestorben. Heute kam die traurige Nachricht, dass Reinhard Lakomy den schwersten Kampf seines Lebens verloren hat, nämlich den gegen den Krebs. Vor gerade einmal zwei Wochen haben wir mit einem dicken Kloß im Hals die Nachricht weitergeben müssen, dass der Musiker an Krebs erkrankt sei. "Jeder muss mal sterben, und jetzt bin halt ich dran", hatte der Erfinder des Traumzauberbaums noch in einem Interview kurz zuvor gesagt. Ebenso war zu erfahren, dass Lakomy sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen, darunter auch die Chemotherapie, abgelehnt habe. Er wusste schon immer, was er wollte und konsequent war er ebenfalls. So auch auf den letzten Metern seines nur 67 Jahre dauernden Lebens. Es war ein Leben, das nahezu ganz der Musik gehörte. "Im Prinzip fängt auch alles, was ich je gemacht habe, erst einmal beim Jazz an. Und das zieht sich praktisch durch mein ganzes Leben.", hatte uns Lacky - wie ihn seine Freunde und Fans liebevoll nannten - in einem Interview im Jahre 2010 erzählt. Ganze Generationen sind mit seinen Liedern unterschiedlicher Couleur, ob Jazz, Lied, Elektronik oder Kinderlied, aufgewachsen. Er gehörte zum täglichen Leben vieler dazu, wie die Tageszeitung oder das Frühstücksei am Morgen.

Schon mit vier Jahren bekam er Klavierunterricht. Alles, was man für ein Leben als Profimusiker braucht, erlernte er an der Georg-Philipp-Telemann-Musikschule in Magdeburg. Die Fächer Klavier und Komposition hatte er dort belegt und wechselte später an die Musikschule nach Dresden. Erste aktive Schritte als Musiker machte Reinhard Lakomy im Jahre 1966 beim Lenz-Sextett, aus dem später das Fischer Quartett wurde. Weitere Stationen waren die Berolinas und Alexanders. Nach seinem Wehrdienst bei der NVA begann Lakomy damit, seine Karriere als Solist voran zu treiben. Nachdem er vorher schon für andere Künstler Songs geschrieben hatte, entstanden nun erste eigene Lieder, die Lacky selbst singen wollte, so z. B. die Stücke "Es war doch nicht das erste Mal" und "Heute bin ich allein". Im Jahre 1972 feierte er bei AMIGA dann sein Schallplatten-Debüt, denn die beiden eben genannten Songs landeten auf einer Amiga-Single und wurden zu seinen ersten Hits und seinem Durchbruch als Solist. Irgendwann kamen die Lieder für Kinder - eher zufällig, wie er uns selbst erzählte, denn es bedurfte dazu erst zweier wichtiger Begegnungen, bis es damit was wurde: "Mich hat ein Regisseur gefragt, der eine Sendung für das 'Sandmännchen' gestaltet hat. Die hieß 'Der besondere Tag'. Darin hat in jedem Film ein Kind ein Elternteil vorgestellt bzw. dessen Beruf. Ein Tankwart war zum Beispiel dabei oder ein Straßenbahnfahrer. Dazu gab es jeweils immer auch ein Lied. Und bei dieser Arbeit habe ich gemerkt, dass das etwas ist, was mir liegt. Und dadurch habe ich in mir den Wunsch verspürt, vielleicht sogar mal eine ganze LP mit solchen Liedern zu machen." Doch bis dahin sollte noch einige Zeit vergehen, denn bis die erste Kinderplatte entstehen sollte, musste er erst seine spätere Frau Monika Ehrhardt kennen lernen. Sie war Tänzerin von Beruf und nutzte die langen Reisen zu den Veranstaltungsorten dazu, Texte zu schreiben. Diese zeigte sie irgendwann Lacky und so entstand eines der großartigsten Kinderlieder-Autorenteams unseres Landes. Für manche sogar DAS (!) Team überhaupt (was ich sofort unterschreiben würde)... Er komponierte die Musik zu ihren Texten. Das tat er mit soviel Einfühlungsvermögen, dass die Lieder nicht nur für die Kleinen, sondern auch für die Großen interessant wurden. Wie oft müssen Eltern den größten Müll über sich ergehen lassen, weil sie ihren Kindern schon früh ein Konzerterlebnis schenken möchten. Langeweile kam bei den "Geschichtenliedern" mit dem Regentropfen Paule Platsch, dem Lindenbaum Teresa Rundlich oder dem "Traumzauberbaum" mit dem Küsschenlied, dem Pfannekuchenschreck oder der Kleinen Wolke nicht auf. Im Gegenteil. Gerade der "Traumzauberbaum" mit seinen Fortsetzungen erfreut sich seit den 80ern größter Beliebtheit und das deutschlandweit! Die Kinderherzen flogen Lacky nur so zu und wer einmal eine Live-Aufführung seines "Traumzauberbaums" erlebt hat, der hat von der ersten Minute an gespürt, mit wieviel Liebe zum Detail da gearbeitet wurde. In der Musik und den Texten ebenso, wie in der Umsetzung auf der Bühne.

Ganz nebenbei hat Lakomy aber auch Musik für Erwachsene gemacht. Seine Lieder in den 70ern, u. a. mit Angelika Mann und seine Ausflüge in die elektronische Musik seien hier nur als Beispiele genannt. Auch hier wurde größte Sorgfalt auf Qualität und Tiefgang gelegt. Lakomy hatte den Menschen etwas zu erzählen und sie hörten ihm zu. Bis kurz nach der Wende. Mit dem Album "Die 6 Uhr 13 Bahn" beendete er seine Arbeit für die Großen. "Ich bin ausschließlich nur noch für die Kinder da. Weil ich der Meinung bin, dass die Erwachsenen sowieso genug haben. Die werden von allen Seiten beballert", erzählte er uns in dem eben schon erwähnten Interview aus dem Jahre 2010. Die Medienlandschaft hatte sich mit der Wende spürbar verändert (übrigens auf beiden Seiten des ehemals geteilten Deutschlands). Das spürte Lacky und wollte keine Platten mehr für's Regal machen. Sein Herz hatte er den Kindern geöffnet und daraus sprudelten die Ideen für neue Lieder nur so hervor. Auch wenn er mit dem Kapitel "Erwachsenenmusik" scheinbar abgeschlossen hatte, so ließ er sich den einen oder anderen Auftritt, z. B. mit der Jonathan Blues Band - und dabei wieder mit Angelika Mann - nicht nehmen. Da blühte dann immer wieder diese unbändige Lust auf, seiner Musik, dem Blues, der ja direkt mit dem Jazz verwandt ist, auf seine Weise Leben einzuhauchen. Und das Publikum nahm es dankbar an, was er ihnen zu bieten hatte. Es musste gar nicht mehr neues Material her. Lakomy hatte genug Lieder geschrieben, die heute noch immer so aktuell sind, wie damals, als sie erschienen.

Ein Leben für die Musik und für die Kinder. Sicher lag das Talent dafür in seiner eigenen Kindheit. Irgendwann bleibt das Kind in einem beim Erwachsenwerden auf der Strecke. Es ist in einem vergraben oder ganz weg und nicht wieder zu finden. Das war bei Lakomy nicht so. Er wusste, wie Kinder denken und fühlen. Er wusste, wie man Kindern eine schöne Zeit verschafft und ihnen dabei trotzdem wichtige und elementare Dinge des Lebens mit auf den Weg gibt. Aber besonders wichtig war, dass er wusste, wie man Kinder abholt, wie man sie ansprechen muss und wie man ihre ungeteilte Aufmerksamkeit verdienen kann. Das war ihm wichtig, es war ein wichtiger Teil seines Lebens. Es war ihm sogar so wichtig, dass er nach seiner Diagnose Krebs und der kurzen noch zu erwartenden Lebensdauer sein Bühnenprogramm umgeschrieben hat, so dass es auch ohne ihn weitergehen kann. Es lag ihm sehr viel daran, dass es weitergeht und dass die Kinder nicht plötzlich ohne ihre geliebten Lieder zurückbleiben.

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Es war schön, zu hören, dass Freunde wie Angelika Mann und Klaus Lenz, sein erster "Arbeitgeber", ihn auf dem letzten, kurzen Abschnitt seines Weges begleitet und ihn nicht haben allein sein lassen. Es waren seine Freunde, die ihn nicht einfach so gehen lassen wollten. Nun müssen aber auch sie, ebenso wie seine Frau Monika und seine Kinder, loslassen. Ich teile mit Reinhard Lakomy seine Abneigung gegen die Veramerikanisierung der deutschen Medienlandschaft und gegen die Oberflächlichkeit in eben dieser. Sie waren es, die ihm die Lust auf bestimmte Formen der Musik vermiest und uns möglicherweise um viele neue Lieder aus seiner Feder beraubt haben. Viele andere Menschen teilen seine Ansichten ebenfalls und wirken mit daran, dass sich vielleicht irgendwann noch mal etwas ändert. Es mögen vielleicht nur wenige Idealisten sein, die so denken, aber es wird sie immer geben - vielleicht irgendwann auch mal in einer so großen Anzahl, dass sich etwas ändern lässt. Doch das wird Reinhard Lakomy leider nicht mehr erleben. Mit ihm haben wir einen der einfühlsamsten und kreativsten Menschen in der deutschen Musikszene verloren. Einen manchmal vielleicht etwas dickköpfigen, etwas grummeligen und auf gar keinen Fall angepassten Menschen, dessen Herz weit auf stand für die Kinder und diejenigen, die sich ihre Kindheit bewahrt und offenen Auges durchs Leben gehen. Reinhard Lakomy mag heute vielleicht gestorben und von seinen schlimmen Leiden der letzten Wochen befreit worden sein, aber sein Traumzauberbaum wird seine Blätter deshalb nicht verlieren, um im ewigen Winter zu verbleiben. Er wird seine Blätter behalten und auch wenn keine mehr dazu wachsen, die neue Geschichten für die Kleinen und Großen beinhalten werden, hat dieser Baum noch sehr viel zu geben. Vielen Kindern, auch denen der noch kommenden Generationen. Wir werden jedenfalls mithelfen, dass weder Lacky noch seine Werke in Vergessenheit geraten. Vielen Dank, lieber Reinhard, für viele schöne Momente, Lieder und Erinnerungen.


 

Nachruf von Hartmut Helms
Auf der Bühne sitzt einer mit Nickelbrille und einem Pony in der Stirn. Das ist 1972 in der DDR nicht alltäglich, im DDR-Fernsehen gleich gar nicht. Dann beginnt eine Stimme, die nach "normalen" und vorgegebenen Maßstäben keine ist, zu singen und auf einmal spürt man die Faszination dessen, was dieser REINHARD LAKOMY dort von sich gibt: "Es war doch nicht das erste Mal." Nanu, denke ich, was singt der denn und vor allem, wie anders ist denn dieser Text und der Song? Der Außenseiter, der schon mit Günther Fischer und Klaus Lenz den Lüsten des Jazz auf der Bühne gefrönt hatte, landet seinen ersten großen Hit in der DDR und das auch noch als "Schlager". Schon bei diesem ersten TV-Auftritt 1972 stand völlig außer Frage, dass da etwas völlig anderes um die Ecke kam, als das, was der beim Wegpennen vor der Röhre "geneigte" Hörer vorgesetzt bekam. Diejenigen, die gerade nicht liegend in die Glotze schauten, waren plötzlich hellwach. Irgendwie so muss es gewesen sein, jedenfalls in meiner Erinnerung.


Man kann ja ein und dieselbe Geschichte völlig unterschiedlich wahrnehmen. Für mich war es stets so, als würden sich die Platten von Manfred Krug und Günther Fischer mit denen von REINHARD LAKOMY so eine Art "Wettbewerb" um die niveauvollste Schlichtheit deutschen modernen Liedgutes liefern. Ein Wettbewerb, den keiner gewinnen konnte, außer das Publikum und die Plattenkäufer. Beide Künstler, sowohl Krug als auch Lakomy, waren sich darin einig, habe ich mir immer gedacht, dem ganzen Rest der DDR-Schlagerwelt unauffällig seine engen Grenzen aufzuzeigen und ganz nebenbei eine Menge Spaß damit zu haben. Ich dachte mir immer, dieser REINHARD LAKOMY tut gemeinsam mit FRED GERTZ etwas, genau wie Krug und Fischer, das die Amiga-Möchtemächtigen nicht auf dem Schirm hatten. Sie lieferten Qualität abseits der Vorgaben und sangen einfach so, wie das Volk draußen die Sachverhalte artikulierte. Frech, humor- und gehaltvoll. LAKOMY tat dies zwischen 1973 bis 1977 mit insgesamt fünf Langspielplatten bei Amiga. Dann hatte er den Gleichlauf satt, wollte er nicht der Hamster im Laufrad werden. Konsequent zog er die Reißleine.Sonst sitze ich auch immer allein vor dem Rechner, wenn ich meine Texte schreibe, aber "heute bin ich allein", wirklich allein und kann meine Gedanken auch nicht wirklich sortieren, denn REINHARD LAKOMY ist tot. Eigentlich, so geht es mir durch den Kopf, sollte man inzwischen damit umgehen können, dass jetzt immer öfter einer gehen muss. Wir haben es ja "proben" müssen in den letzten Jahren und sollten es langsam auch können. Doch jedes Mal trifft es mich wie der Blitz aus heiterem Himmel. Selbst dann, wenn man - wie bei Lacky - die Vorwarnung schon vernommen hatte. Jedes Mal haut es einen um und dann denke ich, nur gut! Nur gut, denn so abgebrüht, das einfach wegstecken zu können, möchte ich nie im Leben sein. Ich möchte auch heulen können dürfen, wenn mein Körper sagt: "Jetzt!" Und jetzt ist jetzt.

Ich gebe zu, im ersten Augenblick sauer gewesen zu sein, denn all die skurril-schönen Sachen mit der Böse-Buben-Bar, dem Fahrrad auf dem Flur und dem verrückten Autofahrern - ich selbst hatte keins und auch keine Fleppen - waren mein Leben. Wenn LAKOMY nicht mehr sang, war mein Leben ärmer, hatte ich beschlossen. Mit dem Eintauchen in das "Geheime Leben" und den "Traum von Asgard" hat er mich dann wieder versöhnlich gestimmt. Es gab kein Überangebot elektronischer Musik in meinem Konsum-Plattenladen. Da kamen mir diese beiden Platten und die "Zeiten" mit Reiner Oleak gerade recht und ich war wieder zufrieden.
So "nebenbei" hatte ich mir natürlich auch ab 1978 die "Geschichtenlieder", den "Traumzauberbaum", den "Mimmelitt" und all die anderen schönen Lieder einverleibt. Einfach so, denn es stand LAKOMY darauf und die anderen, die dort sangen, die kannte ich ebenfalls. Meine Kinder besuchten noch nicht einmal den Kindergarten, als sich diese Scheiben auf meinem Plattenteller drehten. Vorerst habe "nur" ich mich an ihnen erfreut, sie in meine Sammlung gestellt. Eine nach der anderen.

Dann war Wende. Das Volk hatte beschlossen, ab sofort nur noch Bananen, sowie Platten im und aus dem Westen zu kaufen. Mein Konsum-Laden verschleuderte die Restbestände, später konnte man dort Mieder kaufen. Mieder waren und sind nicht mein Ding, wollte ich nicht. REINHARD LAKOMY und all die anderen, wie Electra, Cäsar oder Bayon fand ich nirgends, und sauer war ich sowieso. Als ich viel später, dann schon grauhaarig und etwas "weise" - wie man mir nachsagt - begann, Vergessenes und Verpasstes langsam nachzuholen, hatte das große Verabschieden bereits begonnen: Danz, Gundermann, Renft, Niemen, Illes und nun auch REINHARD LAKOMY, weil "jeder muss mal sterben"...

...nun sitze ich, wie so oft morgens um diese Zeit, am Schreibtisch. Rechts neben mir eine Tasse Kaffee, links vor mir der Schirm, der meine Gedanken fressen muss, und geradeaus die Morgensonne. Später wird sie direkt in mein Fenster scheinen. Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten. Der Blick über die Garage nach hinten in den Garten sagt mir, es könnte doch noch etwas werden mit dem Frühling und dann bin ich traurig, denn...

...gestern starb REINHARD LAKOMY. Seine Familie und Freunde werden ihn vermissen, wenn sie an diesem Morgen aus dem Fenster schauen, so wie ich meine Freunde FRANK, HENNRY und ALBRECHT vermisse. So wie uns CÄSAR fehlt, TAMARA, HERBERT, der GUNDI, der FRANZ und all jene, mit deren Musik wir aufgewachsen sind. Sie alle werden den kommenden Frühling nicht genießen können und deshalb mischt sich in so einen sonnigen Blick manchmal etwas Traurigkeit. So wie heute an diesem Sonntag, einen Tag nach Lacky's Tod.

Wenn wir morgens beim Kaffee aus dem Fenster sehen, den aufgehenden Sonnenball beobachten und die Möglichkeit unseres irdischen Daseins genießen, sollten wir ab und an gedanklich bei jenen sein, die wir viel zu früh verloren haben. Auch und erst recht bei unseren nächsten Angehörigen. Ganz persönlich denke ich an meine ehemalige Klassenlehrerin Gisela, die seit Wochen tapfer gegen den Krebs kämpft und den Frühling gern noch einmal erleben möchte. Ihnen allen widme ich diese Gedanken an einem Sonntagmorgen - aber ganz besonders REINHARD LAKOMY - in der Hoffnung, später mögen andere ebenso an uns denken. Es ist so schön, hier zu sein und es schmerzt, sich jetzt auch von LACKY verabschieden zu müssen. Und nächste Woche ist schon wieder Sonntag...


 
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