Ein Murmel, eine Eva und

die Gruppe KREIS - live 1977

Ein Beitrag mit Fotos von Hartmut Helms

 

In der größten DDR aller Zeiten gab es Schlager und Volksmusik, Klassik sowieso, dann gab's Anfang der 60er die Singebewegten und auch Beat-Kapellen, nicht zu vergessen, eine kleine aber feine Jazz-Szene und in den 70ern wurde aus Beat endlich Rockmusik - richtige Pop- und Discomusik, die sich erfolgreich etablieren konnte, gab es nicht wirklich.

single 20130111 1975796174Das änderte sich, als Anfang der 70er Jahre international die Disco- und Funky-Zeit begann, die sich oftmals überwichtig gebende Rockmusik einfach zu ignorieren und auf Spaß und Tanzbarkeit zu setzen. Plötzlich waren "Botschaften" und "bombastische Shows" nebensächlich geworden, dafür wackelten jetzt weltweit die Ärsche, es wurde geschubst und ge"bumpt" wie bei der Silver Convention oder gezuckt wie im Philly- und Disco-Sound aus den USA. Die Filmindustrie tat mit "Saturday Night Fever" ihr übriges dazu.

Das war die Zeit, als der Musikstudent Arnold Fritzsch sein Studium der Kompositions- und Arrangier-Lehre gerade abgeschlossen, und seine erste Frau an seiner Seite hatte. Mit der schönen und blonden Eva gründete er gemeinsam 1973 die Gruppe KREIS, die von Beginn an auf tanzbare Popmusik und Disco-kompatible Tanzrhythmen setzte.

Die Musik-Oberen der DDR schalteten (relativ) schnell und 1975 erschien bei AMIGA eine erste Single mit "Doch ich wollte es wissen" als B-Seite. Der Song war eine der wenigen DDR-Produktionen, die man während einer Disco-Veranstaltung problemlos nach Boney M. oder der George Baker Selection spielen konnte, ohne sofort eine leere Tanzfläche befürchten zu müssen. Die Single und der Song schlugen ein wie eine Bombe und die Band spielte vor ausverkauften Hallen sowie im Fernsehen und im Ausland; KREIS waren Stars!

Genau in diese Situation hinein kam ich mit meiner Idee, in Elsterwerda regelmäßig Rock-Konzerte zu veranstalten. Das tat ich auch und erfüllte mir im März und April 1977 mit BROT & SALZ bzw. PRINZIP auch selbst gleich zwei Wünsche. Der dritte Termin im Mai '77 war dazu da, das ganze auch finanziell abzusichern. Mit der Gruppe KREIS konnte ich dabei keinen Fehler machen. Die Karten für alle drei Konzerte, vorsorglich als Anrecht organisiert und ROCK-MIX 1 getauft, gingen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln, und der kleine Saal im Gesellschaftshaus platzte an diesem Abend aus allen Fugen.

KREIS agierten von Beginn an sehr souverän auf der Bühne, dahinter allerdings auch. Man merkte den Musikern an, daß sie viele Konzerte zu spielen, und Shows zu bewältigen hatten. Das alles lief für damalige Verhältnisse sehr professionell und gut durchdacht ab, von einigen Nörgeleien über den Zustand von Bühne und Garderobe mal abgesehen. Natürlich war alles auf den Sänger und Frontmann Arnold "Murmel" Fritzsch ausgerichtet, auch wenn neben ihm brav und wohlgestylt die schöne Eva als Blickfang, Sängerin und Flötistin agierte. "Murmel", wie ihn seine Freunde nannten, war ein Vollblutmusiker, ein Entertainer und einer, dem man die Freude am Musizieren anmerkte, egal ob er lässig hinter dem e-Piano saß und sang oder mit der Gitarre um den Hals vor dem Mikro stand und ebenfalls sang. Kein Wunder, waren doch alle Melodien in seinem Kopf entstanden, die das Publikum mit Begeisterung in sich aufsog.

Es war egal, ob er "Ich will dich" oder "Du machst mich müd'" sang, er konnte sicher sein, daß zumindest der weibliche Teil im Saal ihn anhimmelte. Gemeinsam mit Eva sang er das wirklich sehr schöne Duett "Und wir gingen auf uns zu" oder er träumte allein am Piano "Ich war der 5. Beatle" - "Murmel" Fritzsch war bekennender Beatles-Fan.

In seiner Band steckte eine ziemliche Portion Show-Talent und Humor, das nur allein mit der Nummer wie "Alle Mann an Deck", gesungen vom Schlagzeuger Uwe Peschke, leider viel zu kurz kam. Gemeinsam mit dem Bassisten Helmut Sickel lieferte er eine umwerfende musikalische Parodie ab, ohne zu verleugnen, daß dabei sicherlich das "Yellow Submarine" der Beatles Pate gestanden hatte. Aber auch das wollte gekonnt sein.
Natürlich warteten die weiblichen Fans auf den Überhit "Doch ich wollte es wissen" und mit ihm gelang es "Murmel" & KREIS den alten Tanzschuppen in ein Tollhaus zu verwandeln.sig 20130111 1293851484 Dazu sollte man wissen, daß damals Stuhlreihen Pflicht waren und die Konzertbesucher in aller Regel dort auch sitzen blieben - bis heute kann ich nicht verstehen, wie das tatsächlich funktioniert hat. Allerdings bei diesem Höhepunkt des Konzertes der Gruppe KREIS hielt es dann doch einige nicht auf ihren Sitzen und sie taten das, was man, sprich Frau, in solchen Situationen natürlicher Weise tut - Frau tanzte und war glücklich.

Das Konzert war ein voller Erfolg, auch wenn ich schon damals das Gefühl hatte, einige Musiker der Band und der Crew sahen sich in einer besonderen Position und mit besonderen Rechten versehen. Bei aller musikalischer Perfektion konnte ich damals eine gewisse emotionale Distanz nicht ignorieren, die von der Band ausstrahlte, vielleicht, weil die sich zum Geldverdienen ausgerechnet in die Provinz begeben mußte. Es war meine erste Erfahrung dieser Art, bei weitem aber nicht die letzte und selbst heute, da ich diese Zeilen über 30 Jahre später schreibe, ist mir dieses Gefühl aus dem Heute im aktuellen Bezug durchaus gegenwärtig, leider.

KREIS löste sich schon 1982 wieder auf. Der Konzertalltag hatte sicher seinen Teil dazu beigetragen, aber vielleicht auch der Wunsch von Arnold Fritzsch, nicht auf Dauer auf diesem Niveau festgenagelt zu bleiben. Bei AMIGA erschienen 2 LP's der Gruppe KREIS und diverse Singles. Ein allein herrschender AMIGA-Chef sorgte dafür, daß eine dritte LP nur im Westen erscheinen durfte.

"Murmel" Fritzsch arbeitete erfolgreich solistisch weiter, veröffentlichte sogar eine Solo-LP, und ist heute vorwiegend als das tätig, was er am besten kann - er komponiert Musik. Die "Schublade", die die Gruppe KREIS für die DDR geöffnet hatte, wurde zu Beginn der 80er Jahre weiter von JESSICA, JUCKREIZ, IC und anderen bestens bedient. Tino Eisbrenner und der "Schaltkreis" schafften sogar den Sprung über die Zeitenwende und in einen offenen Musikmarkt. Das aber sind schon wieder andere und vor allem neuere Geschichten.
 

 
Foto Impressionen:
 

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