BAP - diverse Rockpalast DVDs 2009

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Die EMI Music Germany hat zwischen April und Juni 2009 insgesamt vier DVDs aus der Reihe "Rockpalast" veröffentlicht. Der Fan bekommt hier jeweils ein komplettes Konzert aus den Jahren 1981, 1999, 2001 und 2006. Unser Kollege Holger Stürenburg hat sich alle neuen Silberlinge angeschaut und für Euch rezensiert....

 

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"Rockpalast - 28.11.1981 - Markthalle" (1 DVD)
Nicht mehr und nicht weniger als ganze sieben (!) Mal waren die Kölschrocker von "BAP" im legendären ARD-"Rockpalast" zu Gast, was damit gleichbedeutend ist, daß Wolfgang Niedecken und seine Mitstreiter als meistgebuchte Band der gesamten Ära des einst von Peter Rüchel konzipierten, mehrfach pro Jahr stattfindenden Megaevents bezeichnet werden müssen.
Drei der ellenlangen "BAP"-Auftritte aus den Jahren 1982, 1986 und 1996 erschienen bereits im vergangenen Herbst erstmals auf DVD, waren schlicht hervorragend ausgefallen und erwiesen sich zudem auch in kommerzieller Hinsicht als einträgliche Quelle. Bevor nun am 08. Mai 2009 die Doppel-DVD "KölnArena 2006" veröffentlicht wird, legten die Katalog-Kollegen der Kölner EMI kürzlich drei weitere, phantastische Livemitschnitte vun dä Kölsche Rockinstitution vor, die ich als alter "BAP"-Fan un passionierter "Hobby-Kölsche" in den nächsten acht, zehn Tagen an dieser Stelle peu a peu einwenig ausführlicher vorstellen möchte!
Als die damals aus acht Musikern bestehende Formation am 28. November 1981 im Hamburger Veranstaltungszentrum "Markthalle", nahe des hiesigen Hauptbahnhofs, ihr Stelldichein für die seinerzeitige "Rockpalast"-Woche gaben, waren "BAP", jenseits des Kölner Raums, noch kaum bekannt. Zwar war ihr (späteres) Nummer-Eins-Album "Für Usszeschnigge", auf dem sich bekanntlich gleichsam der allererste reale "BAP"-Hit überhaupt, "Verdamp lang her", befindet, bereits auf dem Markt - Die Band galt jenseits NRW jedoch weiterhin nur als Geheimtipp, wobei die damals aufkeimende Neue Deutsche Welle (NDW) nach und nach die Ohren der Musikfreunde für deutschgesungene Pop- und Rockmusik, jenseits des klassischen teutonischen Schlagers, öffnete und somit sicherlich dazu beitrug, daß auch bundesweit das Interesse an "BAP" kontinuierlich stieg.
Wolfgang und die Seinen boten am 28.11.09 ein ca. 145minütiges, geradezu traumhaftes Konzert. Sie zeigten sich damals als die sprichwörtlichen "Angry Young Men"; wild, ungestüm, kritisch, weitaus politischer, durchaus "agitativer", als heutzutage.
26 Titel finden sich auf "BAP - Rockpalast - 28.11.1981 - Markthalle", die, von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, sämtlich den ersten drei Studioalben "BAP rockt andere Kölsche Leeder" (1979), "Affjetaut" (1980) und eben "Für Usszeschnigge" entstammten, im Livekontext sich aber nicht selten konsequent von den Versionen genannter LPs unterschieden - was einen großen Teil zu dem spritzigen Charme dieses frühen "BAP"-Auftritts beitrug.
Nicht nur das politische Engagement von "BAP" stand im Vordergrund; kabarettistische Elemente spielten ebenso eine nicht zu unterschätzende Rolle in jenem auf vorliegender DVD festgehaltenen "Markthallen"-Konzert. "BAP" waren zu Beginn der 80er Jahre noch auf der Suche, in welche musikalische Richtung sie sich künftig entwickeln wollten. Das 1979er-LP-Debüt klang noch sehr folkloristisch, akustisch, Kleinkunst-/Kabarett/Liedermacher-orientiert, auf "Affjetaut" - inzwischen war Klaus "Major" Heuser ein mehr als nur versierter, wenn gleichsam manchmal fraglos etwas selbstverliebt wirkender Rock-Gitarrist hinzu gestoßen - konnte man schon weitaus mehr "heftigere", "lautere" Klänge vernehmen; als erste real existierende Rock(!)scheibe von "BAP" würde ich - rein subjektiv - erwähnte 1981er-Produktion bezeichnen.
Nach einer ironischen, kabarettistischen "Ankündigung" unter dem Titel "Morgenmagazin" (Textzitat: "BBBillig AAAttraktiv und PPPreiswert - B A P!!!"), folgte die hymnische, treibende Spießbürger-Vergackeierung "Ne schöne Jrooß" ("een Leed för all die, die Unfählbar sinn", Zitat W.N.); sickdem een äächte Live-Klassiker und Fan-Favorit, dä op nahezo jeddem "BAP"-Kunzäät bess hück rejelmäßig zom Eensatz kütt.
Aus der Abteilung Politsatire, ertönte nun die überwiegend von Wolfgangs Akustikgitarre getragene Parodie auf von 1956 bis 1983 gültige Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer, "Stell Dir vüür", erweitert um einen bissigen Seitenhieb auf den damaligen US-Außenminister Alexander Haig, worauf die stilistisch spürbar New-Wave-angehauchte, an die Genrehelden "The Police" angelehnte Abrechnung mit der von der Band als fragwürdig empfundenen Sanierungspolitik in der Kölner Südstadt, der Heimat der meisten "BAP"-Mitglieder, "Südstadt verzäll nix", sowie die Hausbesetzer-Unterstützung "Stollweck-Leed" (eine Art Kölsche Antwort auf den Berliner "Rauchhaus-Song" von "Ton Steiner Scherben") zur Aufführung kamen, woraufhin das Konzertrepertoire, von nur wenigen Ausnahmen abgesehen, sich von nun an als weniger politisch, mehr emotional, ironisch, beschreibend von Alltagssituationen erwies.
Frontmann Wolfgang, der für seine ellenlangen Ansagen der einzelnen "BAP"-Titel berühmt und berüchtigt ist (böse Zungen sagen sogar, daß aff un zo die Anmoderierung eines Liedes seinerseits länger dauert, als dasselbe selbst ;))), fiel es hörbar nicht leicht, beim Hamburger Konzert mit den anwesenden Fans auf Hochdeutsch zu kommunizieren. Zwar bestand das Auditorium in der Hansestadt mehrheitlich aus vum Rhing angereisten Domstädtern - da der "Rockpalast" aber europaweit ausgestrahlt wurde, mußte sich der Urkölner W.N. bemühen, bei den Zwischentexten so dialektfrei, wie möglich, zu sprechen, was ihm sichtlich schwer fiel und nicht selten dazu führte, daß er sich nach dem einen oder anderen Satz sozusagen selbst übersetzen mußte, wozu hä ävver keen Loss jehabt hann, weshalb er im weiteren Verlauf des Konzerts zunehmend reinrassig op Kölsch bliev.
Et jing wigger met dem leicht aggressiven Mid-Tempo-Rocker "Wat ess", einem der atmosphärischsten Liedeslieder, das Wolfgang jemohls jeschrivve hätt, "Jraaduss", dem lyrisch sehr trefflichen Statement gegen Ausländerfeindlichkeit "Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg". und der gesungenen *Hilfe zur Selbsthilfe", "Helfe kann Dir keiner" - bei dessen Darbietung bezeichnender Weise "Major" Heuser eine Gitarrensaite riß...
Zu den persönlichen "BAP"-Favoriten des Rezensenten, zählt der Springsteen-beeinflußte "Roadsong" "Frau, ich freu mich", der ebenfalls bis heute - wenn ooch sick 2006 in einem divergierenden Arrangement - bei fast allen Auftritten der "Rolling Stones vom Rhein" (TV-Zeitschrift "GONG", 1984) Pflichtprogramm ist. Obwohl selbst im Alternativen Milieu verhaftet, gönnten es sich "BAP", ihre eigene Fan-Klientel mittels des bitterbösen Reggaes "Müsli Män" auf die Schippe zu nehmen (wobei Wolfgang hier artgerecht mit Palästinensertuch, un "met su 'nem Feuerschwert un Heiljenschein" (Textzitat) bekleidet war). Doch auch die erzkonservative, großbürgerliche ‚Besserverdienende' "Ruut-Wiess-Blau Querjestriefte Frau", die die Alternative Szene der ausgehenden 70er eigentlich nur als ‚Show' bzw Amüsement betrachtet, bekommt in gleichnamigem, Ragtime-ähnlichen Couplet ihr Fett weg.
Nachdenklich wird's hingegen in der höchstsensiblen Ballade "Jupp", in der es inhaltlich um einen Stalingrad-Veteranen geht, der tief gestürzt ist, in einem Männerwohnheim lebt und aufgrund des Traumas hinsichtlich seines Einsatzes im II. Weltkrieg schizophren geworden ist, lauter Phantagorismen erzählt, aber niemals mehr nur ein einziges Wort über seine Erfahrungen bei der Schlacht an der Wolga 1942/43 verliert.
Bei "Pardong", einem Titel der mich nie so recht angesprochen hat, dauerte Wolfgangs Ansage beinahe doppelt so lang, wie das Lied selbst ;))) Dem eher schlagerhaften Poprocker "Anna", einer Liebeserklärung an seine erste große Liebe, die im echten Leben eigentlich Hildegard-Anna hieß und "Hille" genannt wurde, folgt derjenige, zutiefst intime, hochemotionale Meilenstein der einheimischen Rockszene, das ein Jahr darauf, im Spätsommer 1982, bis auf Rang 13 der offiziellen "Media Control"-Listen steigen konnte und dadurch für den endgültigen, nun auch kommerziellen Durchbruch von "BAP" sorgen sollte: "Verdamp lang her", in dessen perfekt, so radikal ehrlich, wie nachdenklich und persönlich gehaltenen Text es um das zwiespältige Verhältnis zwischen Wolfgang und seinem 1980 verstorbenen Vater geht - eine wunder-/eindrucksvolle Hommage an Wolfgangs "Bap", die (die eifrigen Leserinnen und Leser meiner Rezensionen der letzten Wochen wissen es längst) gerade 2009 eine enorme Bedeutung für mich ganz persönlich in sich trägt… ("Hück kütt mer vöör / als wenn et jestern wöör..." - Textzitat).
Danach brandete erst mal die fundamentale Rock'n'Roll-Party auf. Für "Für Usszeschnigge" hatte "BAPs" "Mädchen für alles", Christian "Kalau" Keul, fetzig-freche, kölsche Woode zu Eddie Cochran's 50er-Evergreen "Summertime Blues" ersonnen. Wolfgang und die Seinen arrangierten den unvergleichlichen Gassenhauer unter dem Motto "Wo mer endlich Sommer hann", aber NICHT etwa, wie zu Zeiten des Entstehungsdatums des Originals, 1958, sondern in einem dröhnenden, nahezu punkigen, gleichsam brillanten Hardrock-Stil, wie ihn "The Who" zunächst auf ihrer genialischen 1970er-Scheibe "Live at Leeds" und 1982 für ihr (vorläufiges) Abschiedswerk "Who's Last" eingesetzt hatten.
Die Stimmung in der "Markthalle" befand sich am Siedepunkt, als nun der unwohrscheinlich schnelle "Waschsalon" auf der Setlist stand… "Wisch Wasch / Wisch Wasch" (Textzitat) beendete den "offiziellen" Part des Gigs - doch, wer "BAP" kennt, weiß ganz genau, daß bei ihren Auftritten öfter mal bis zu zehn Zugaben reine Ehrensache sind.
Bald erschien die Band ergo wiederum auf der Bühne, und Wolfgang interpretierte sein surreal-"geographisches" "Liebesleed" (1979). Als ‚Talking Blues', mit wesentlich mehr Strophen, als im englischen Original von der US-amerikanischen Band "The McCoys", ausstaffiert, dienten nun die kölsche Version ebenjenes 1965er-Ohrwurms "Hang on Sloopy", sowie eine rheinländische, ziemlich drastische Neuauslegung des Welthits "Wild Thing" von der britischen Rockband "The Troggs" aus dem Jahre 1966, namens "Wahnsinn", wofür sich Wolfgang und einige seiner Mitmusiker in überzeichnete, schrille Punk-meets-Discofreak-Pseudo-John-Travolta-Klamotten geworfen hatten, als weitere Zugaben.
"Et letzte Leed" (auf LP erstmals nachzuhören auf "BAPs" 1983er-Konzertdokument "Bess demnäxh") sollte dieses jedoch noch längst nicht sein. Wolfgang zeugte nun seinem großen Idol und Vorbild Bob Dylan Tribut. "Like a Rolling Stone" erklang als "Wie `ne Stein" (1982 veröffentlicht auf der LP "Vun drinne noh drusse") - ja, und dann kütt et: Am 28.11.81 war der Rezensent zehneinhalb Jahre alt, kannte "BAP" noch gar nicht - und erfuhr von einer kölschen Bearbeitung von "His Bobness" trotzigem Hymnus "It ain't me, Babe" erst 1995, da sich eine solche erst auf Wolfgangs zweiter Soloplatte "Leopardefellhoot" befand… ja, und nun nach Erhalt der Rezensions-DVDs, staunte ich nicht schlecht, daß "Dat bin ich nit" (1995: "Dat benn ich nit") zu seiner Erstveröffentlichung als Studioaufnahme schon etliche Jahre auf dem Buckel hatte. Die dralle, rasante Umsetzung dieses Titels, stellte bereits 1981 in der "Markthalle", eingeleitet von einem skurrilen Medley aus "Tränen lügen nicht" (Michael Holm) und - vom "Major" gesungen - "Hot Legs" (Rod Stewart), dat "vüürletzte Leed" dar.
"Dat allerletzte Leed" woor das ‚gesungene Drehbuch' zu einem imaginären Film, "Das große Schu-Bi-Du", eine Art "Talking Blues", in dessen Reimen nicht wenige zeitgeistbestimmende ‚Koryphäen" der 60er, 70er Jahre vorkommen; von der Zeichentrickfigur "Heidi" (deren Name auch für den Refrain herhalten mußte), über den 1991 verstorbenen Schauspieler Klaus Kinski, "Was bin ich?"-Moderator Robert Lembke, Chansonlady Hildegard Knef, Hans Rosenthals ZDF-Show "Dalli, Dalli", Tierarzt und Verhaltensforscher Prof. Bernhard Grzimek, bis hin zum damaligen CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht, Michael Endes liebenswertes Kinderbuch "Lokführer Lukas und Jim Knopf" etc. u.v.a.; alles was in jenen Tagen Rang und Namen aufwies (oder zumindest aufweisen wollte), baute Wolfgang in seinen so augenzwinkernden, wie bitterst bösen Text ein. Doch, nach dem "Großen Schu-Bi-Du", das in den Anfangstagen von "BAP" stets als letzte Zugabe zum Zuge kam, war endgültig Schluß.
"Rockpalast - 28.11.1981 - Markthalle" ist Zeitgeschichte pur. Nicht nur, daß "BAP" darauf losrocken, wie junge Götter, nein, viele der ausgewählten Titel spiegeln das Denken und Fühlen zur Dekadenwende 70er/80er intensiv, ungekünstelt und authentisch wider: Ein klingendes Geschichtsbuch, das nicht nur allen Freunden erdiger, kölsch gesungener Rocksounds ans Herz gelegt sein soll, sondern auch Zeitzeugen, wie gleichsam Nachgeborenen, die sich, jenseits trockener, historischer Literatur, über die Stimmung jener politisch/gesellschaftlich aufgeheizten Tage informieren wollen. Bald mehr von mir zu "BAP" - bess demnäxh un ne schöne Jrooß!
Gesamtnote: Bestwertung!

 

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"Rockpalast - 22.11.1999 - Musical Dome" (2 DVD)
Am 03. März 1999 durchzog ein Schock die Rockrepublik Deutschland: Mehrere Boulevardblätter, u.a. der "Kölner Express" und gar die "BILD"-Zeitung, schlagzeilten dem Sinne nach: "Aus für BAP!". Tatsächlich schien es zu jenem Zeitpunkt so, als wären die legendären "Rolling Stones vom Rhein" (TV-Zeitschrift "GONG", 1984) ab sofort Geschichte...
Sänger und Texter Wolfgang Niedecken und sein langjähriger Kreativpartner, der Gitarrist Klaus "Major" Heuser, hatten sich letztlich auseinander gelebt; es waren in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zunehmend Kommunikationsprobleme zwischen den beiden hochtalentierten Egomanen entstanden.
Der "Major" wollte musikalisch immer eindeutiger in Richtung amerikanisch geprägten, radiotauglichen Poprocks gehen, während Wolfgang stilistisch nahe an seinen langjährigen Vorbildern "Rolling Stones", "Kinks", Dylan oder Springsteen zu verbleiben gedachte. Diese unterschiedlichen Auffassungen, wie es mit "BAP" weitergehen sollte, sind auf der letzten Produktion mit dem "Major", "Comics & Pin-Ups" (Februar 1999), unüberhörbar. Im Grunde genommen war es nach Erscheinen der CD klar, daß es bald krachen würde...
Den Verfasser dieser Zeilen hatten o.g. Schlagzeilen seinerzeit wahrlich traurig gemacht. "BAP" hatten mich seit meinem 11. Lebensjahr auf sehr intime Weise begleitet; in vielen Texten von Wolfgang fand und finde ich mich Eins zu Eins wieder; an diversen Songs hängen persönliche Geschichten. Ohne "BAP" wäre meine Jugend vermutlich gänzlich anders verlaufen… - doch der "BAP"-Frontmann zögerte nicht lange, entließ "Major" Heuser aus der Band und umgab sich (überwiegend) mit gänzlich neuen Instrumentalisten. Aus dem Umfeld Wolf Maahns, stieß Gitarrist Helmut Krumminga zu Wolfgangs Truppe; einst in diversen "DDR"-Bands spielten Michael Nass (Tasteninstrumente) und Jens Streifling (git, sax, voc); an den Percussions betätige sich von nun an die ursprünglich aus der Karibik stammende, farbige Soulröhre Sheryl Hackett; weiterhin zur "neuen" "BAP"-Formation zählten die ehemaligen "Deserteure" Jürgen Zöller (dr) und Werner Kopal (b). Am 04. März 1999 folgte die Photosession mit den neuen "BAP"-Mitgliedern - ein Aufatmen zog durch die Rockrepublik!
"BAP" bestanden also, wenn auch in anderer Zusammensetzung, fort und erlebten ab Herbst 1999 ihren zweiten Frühling. Es erschien das Album "Tonfilm", das im September genannten Jahres bis auf Rang 2 der offiziellen "Media Control"-Charts steigen konnte, obwohl es hinsichtlich musikalischer Umsetzung völlig anders ausgefallen war, als sämtliche seiner Vorgänger.
Mit dem Programm von "Tonfilm" begaben sich die aktualisierten "BAP" 1999/2000 auf ausgedehnte Deutschland-Tournee. So gastierte die Band am 22. November 1999 im Kölner "Musical Dome" und gab dort ein fundamentales Konzert, das für den "ARD-Rockpalast" mitgeschnitten wurde und nun von den Katalog-Kollegen der EMI erstmals auf (Doppel-)DVD aufgelegt wurde. 28 Titel beinhaltet "BAP - Rockpalast - 22.11.1999 - Musical Dome" (EMI) - ein so faszinierendes, wie ungewohntes Repertoire, welches aber ohne jegliche Zweifel bewies, daß "BAP" auch ohne ihren bisherigen "musikalischen Direktor" Klaus "Major" Heuser genauso mitreißend, interessant und überzeugend waren, wie zuvor.
Das Album "Tonfilm" enthielt eine Mixtur aus zuvor unveröffentlichten Kompositionen und vollständig neu arrangierten Titeln aus den Jahren mit dem "Major". Aus einer Mixtur aus den meisten der Beiträge von "Tonfilm" und so manchen Geheimtipps, die in den großen Stadien nicht unbedingt einsetzbar waren, bestand auch die Setlist der "Tonfilm"-Tour. Diese fand übrigens ausschließlich in kleineren, bestuhlten (!) Hallen statt, was dazu führte, daß damals nicht in erster Linie laut und heftig losgerockt wurde, sondern das Publikum vielmehr aufgefordert war, zuzuhören, statt ab zu hotten.
Der rund dreistündige, mehrheitlich akustisch bzw. im "Unplugged"-Modus gehaltene Auftritt von Wolfgang und seinen neuen Mitstreitern begann diesmal auch nicht mit einer drallen Mitsing-Hymne, wie bei den bisherigen Tourneen, sondern mit dem Akkordeon-betonten Walzer "Vum donnernden Lääve" aus der Feder des "DDR"-Dissidenten Wolf Biermann. Dieses treffliche Chanson hatte der genialische, schlitzohrige Liedermacher 1976, als er noch nicht wusste, daß er kurz darauf aus dem "Arbeiter und Bauernparadies" ausgebürgert würde, bei seinem geschichtsträchtigen, sagenumwobenen Konzert enn Kölle vorgetragen - und, erst 1999/2000 erfuhren wir "BAP"-Fans, daß ebenjenes Lied sozusagen die "Blaupause" für den "BAP"-Dauerbrenner "Ne schöne Jrooß" darstellte, der auf der "Tonfilm"-Tour ungewohnt akustisch/"kammermusikalisch" ertönte, bis heute aber als einer DER Liveklassiker der Kölschrocker gilt.
Auf die Mid-Tempo-Gitarrenballade "Niemohls verstonn" (1996), folgte eine romantische Reminiszenz an die Jugend von Wolfgang und seinen Freunden: "Diss Naach ess alles drinn", ein klassischer "Roadsong", der im Original - in rockiger Ausprägung - auf meinem persönlichen "BAP"-Lieblingsalbum "Zwesche Salzjebäck un Bier" zu finden ist und 1999 weniger "Springsteen-esk" umgesetzt wurde, als wie in der Urfassung, sondern im Tempo gedrosselt, wehend, so melancholisch, wie intensiv dargeboten wurde.
Für die "Solo Plaat" seines Kölschrock-Kollegen Jürgen Zeltinger hatte der "BAP"-Chef 1992 den "The Byrds"-Oldie "Rock'n'Roll Star" mit einem Kölschen Text versehen. Für "Tonfilm" nahmen "BAP" diese phantastische Coverversion selbst auf, weshalb sie gleichsam auf vorliegendem Konzertmitschnitt berücksichtigt wurde. Die Parodie auf den dogmatischen Öko-Freak, den "Müsli Man", im 1981er-Original ein plietscher Reggae mit Punk-Outro, wurde für "Tonfilm" und anschließende Tournee in ein schleichendes, prickelndes New-Jazz-Arrangement mit schwülem Saxophon, leisen Finger-Schnipps und einer nächtlich-urbanen Atmosphäre verpackt. Die augenzwinkernde Hymne für den unbelehrbaren Radikal-Ökologen (warum denke ich beim Hören dieses Titels stets und ständig an unseren einstigen, ungewaschenen, grünalternativen Physiklehrer "Arnoldo", der uns im Schuljahr 1984/85 mit üblem Körpergeruch und extrem langweiligem Physikunterricht malträtierte? - Klar, "Arnoldo" war die fleischgewordene Reinkarnation des "Müsli Män"…) hatte Wolfgang für "Tonfilm" nicht nur anders arrangiert, sondern zugleich mit einigen neuen Textpassagen aktualisiert - fraglos ein ironisch untermauerter Höhepunkt der dazugehörigen Tournee.
Die Ballade "Für ´ne Moment" erschien erstmalig auf "Comics & Pin-Ups" und erzählt die Geschichte des Beginns des Projekts "BAP". Junge, wilde, ungestüme Leute saßen 1976 zusammen und beschlossen, Rockmusik künftig op Kölsch zu betreiben - un bess hück dobei zo blievve, ob es die (sich eindeutig ins Negative, Oberflächliche) veränderte Medienlandschaft der heutigen Zeit mag oder nicht. Wolfgang sinniert övver sing dohmolige Dräum - Kommerzzwang hin, Kommerzzwang her -, op Kölsch aff zo rocke. Eine intime Hommage an Kölle am Rhing un de Sprooch, die dort jesprooche wed.
Daran anschließend folgt das überaus eingängige, country- und folk-inspirierte Rockchanson "Rita, mir zwei" - eines der schönsten und "echtesten" Liebeslieder, welches die ansonsten hinsichtlich intelligenter, einfühlsamer Emotionstexte so erbarmungslos armen 90er Jahre hervorgebracht haben. Aus Sicht des Rezensenten DER Spitzensong aus "Tonfilm", lyrisch, wie musikalisch.
Aus dem Album "X für e U" (1990) stammt der "geheime Titelsong" ebenjener Produktion, "Wat, usser Rock'n'Roll"; ein abgeklärter, ultraehrlicher, spezifischer Fan-Favorit, bei dessen Umsetzung 1999 mal wieder heftigere E-Gitarren zur Geltung kamen. Nach der balladesken Reisebeschreibung "Allerletzte Chance", hören wir DEN "BAP"-Roadsong schlechthin: "Nemm mich met" - jene Nummer, die Wolfgang verfasst hatte, als seine Band, nach dem unerwarteten Erfolg von "Verdamp lang her", plötzlich Szenethema No. 1 waren, sich die Presse um die idealistischen Musikanten riß, sogar so unselige "Jugendverblödungszeitschriften" (Zitat: W.N., 1983) a la "BRAVO" ungefragt über "BAP" bzw. die "Lieblingssockenfarbe vum "Major"" (Zitat: W.N. 1999) berichteten. Dohmols wollte Wolfgang, trotz allen Star-Ruhmes, einfach nur weg. Für die "Vun drinne noh drusse"-Tour 1982/83 übte die damalige Besetzung von "BAP" rockig, in einer "Adrenalin-Fassung" (Zitat: W.N., 1999) ebenjenen Hymnus ein - er wurde erstmalig auf der im Herbst 1983 erschienenen Live-Doppel-LP "Bess demnäxh" dokumentiert. 1999/2000 schalteten "BAP" ein paar Gänge zurück und interpretierten "Nemm mich met" in einer fraglos treibenden, aber wiederum Country-lastigen, eher zurückhaltenden Fassung, die dem hardrockigen Original qualitativ in nichts nachsteht.
Ja, kurz vor der Konzertpause erklang eine deutlich entschlackte, nahezu "klassische" Version desjenigen Songs, der "BAP" - obwohl zunächst niemals als Single angedacht - zu dem machte, was sie noch heute sind. Ein Titel, der ein "missratener Sohn" för singen "Bap" jeschrivve hann… "Verdamp lang her" - ein "Lebenslied" meines Lebens, das mich bekanntlich gerade 2009 immens persönlich berührt - funktioniert auch OHNE "Major", im semi-akustischen Gewand, basierend auf Konzertgitarren und Mandoline, verbunden mit einem gewissen Blues-Ambiente. Wolfgangs "Bap" verstarb 1980 - vier Joohr später woor ming "Bap" an de Reih… letztlich verstorben an den Folgen der Traumatisierung, die er Dank der stalinistischen Folter 1956 in Ungarn, durchleiden mußte. Ming "Bap" war ein sehr konservativer, stark religiös geprägter Mensch; ein klassischer "Kalter Krieger", ein "Löwenthal-Konservativer"… ich selbst bin deutlich liberaler eingestellt, kunn ävver im Nachhinein seine oft drastische Meinung irjendwie verstonn. Vielleicht hätte ich in den Jahren vöör singem Duud auch mehr mit ihm sprechen sollen… "Hück kütt mer vüür / als wenn et jestern wöör" (Textzitat).
Da es sich bei hier analysiertem Konzert, wie Wolfgang augenzwinkernd anmerkte, um eine "hochkulturelle" Veranstaltung, immerhin in einem bestuhlten (!) Saal, handelte, war nun erst mal eine Pause angesagt.
Part-2 der "Tonfilm"-Revue begann mit der irisch angehauchten Folkballade "Jede Draum jedräump", gefolgt von der auf den ersten Blick romantisch-abgeklärten, bei näherem Hinhören historisch höchst brisanten Erzählung über einen zwar nicht im II. Weltkrieg, aber nach Ende desselben menschlich gefallenen Stalingrad-Veteranen namens "Jupp" (Songtitel), der, schwerst traumatisiert, im Männerwohnheim gestrandet ist, über diverse wahre, wie unwahre Erlebnisse berichtet, aber nach 1945 kein einziges Wort über Stalingrad jemals mehr verloren hatte.
Am 9. November 1992 bewiesen Hunderttausende Kölnerinnen und Kölner Courage und bekamen ihr Hinterteil hoch und ihre Zähne auseinander. Es war diejenige Ära, in der, überwiegend in Ostdeutschland, hirn- und haarlose Chaoten sich für besonders "deutsch" hielten und meinten, ihren Frust mittels Anzünden von Asylbewerberheimen abbauen zu müssen. Die Politik schaute mehr oder minder hilf- und ratlos zu; die Polizei im Osten war überfordert (und mancher in den BRD-Beamtenstatus übernommene Ex-Vopo konnte (und wollte) zudem seine klammheimliche Freude über die Ereignisse nicht verhehlen). Anstatt, daß der damalige Bundesinnenminister hart durchgegriffen und dem braunen Pöbel eindeutig Grenzen gesetzt hätte, geschah letztlich rein gar nix. (Wäre ich seinerzeit Rio-Reiser-gemäß "Innenminister, gerne auch "König" von Deutschland, gewesen, hätte ich die Typen auf einem Feld zusammengetrieben, einen hohen Zaun darum gebaut - und dann hätten sie sich gegenseitig ihre (Glatz-)Köpfe einschlagen können!) Da die Politik versagte, mußten die "Normalbürger" also selbst Zeichen setzen - Wolfgang schrieb damals den krossen, hymnischen Rocker "Arsch huh - Zäng ussenander", der an ebenjenem 9.11.92, im Rahmen besagter Großdemonstration, uraufgeführt wurde und seitdem immer wieder bei "BAP"-Konzerten zum Zuge kommt.
Der bluesrockige Hymnus "Mayday" setzt sich inhaltlich mit der Verflachung und Primitivisierung des Mediengeschehens auseinander - wenn der Verfasser dieser Zeilen gefragt wird, warum er seit 2002 ein konsequenter TV-Boykotteur ist, so bräuchte er eigentlich nur auf jenen trefflichen "BAP"-Song verweisen, der heutzutage immer noch so aktuell (wenn nicht sogar noch aktueller!) ist, als wie zu seinem Entstehungsdatum 1999.
Im Herbst 1983 wollten "BAP" eine erste Tournee durch die "DDR" starten. Dafür hatten sie einst einen speziellen Song namens "Deshalv spill mer he" geschrieben, in dem sie - oh, wie furchtbar - Sympathien für die verbotene ostdeutsche "Friedensbewegung" bezeugten und östliche, wie westliche Nachrüstung in einem Atemzug verdammten. Dies war dem kommunistischen "DDR"-Regime zu viel des Guten, so daß die geplante Konzertreise der Kölschrocker sang- und klanglos untersagt wurde. Unter dem Eindruck dieser Geschehnisse, schrieb Wolfgang in jenen Tagen den Titel "Leechterkette locke" - ein überaus atmosphärisches Lied, das über einen "DDR"-Jugendlichen, der auf einer Autobahnbrücke bei Magdeburg an der Transitstrecke nach West-Berlin steht, vom Rock'n'Roll schwärmt und NUR EIN EINZIGES Mal in den Westen fahren möchte, während sein Vater, pflichtgemäß Parteimitglied, wenn er betrunken ist, hofft, Franz Josef Strauß möge das Ost/West-Problem auf seine Art und Weise lösen. Wolfgang nahm "Leechterkette" 1987 für sein erstes Soloalbum "Schlagzeiten" auf - nach vielen, vielen Jahren fand der Titel Eingang in das Repertoire der "Tonfilm"-Tour.
Das dem verstorbenen Kölner Maler und Lebenskünstler Michael Budde gewidmete, stille, chansonhafte Klangdrama "Novembermorje" un "nuh e Roadsong" (Zitat: W.N.), "Ahn ´ner Leitplank" (1982), leiten über zu der lyrisch an "Most Exclusive Residence for Sale" von den "Kinks" angelehnten, bitterbösen Parodie auf "Miss Samantha's Exklusiv-Discount-Jeschenkboutik". Die turbokapitalistische, rund 20 Jahre ältere "Schwester" von "Miss Samantha", ist Wolfgang zwar nicht namentlich bekannt, ävver, wat sie domohls trug, dat weeß hä noh jenau. Et woor die "Ruut-Wiess-Blau querjestriefte Frau", der ursprünglich auf der zweiten "BAP"-LP "Affjetaut" (1980) im Ragtime-Gewand gehuldigt wurde; 1999 reanimierte man das bissige Lied als fetzigen, pianobetonten Country-Rocker. Auf Hamburger Verhältnisse übertragen, handelt es sich bei der "Ruut-Weiß-Blauen" Lady um eine Schickimicki-Dame aus Blankenese, stinkreich und hochnäsig, die aff un zo in die Schanze fährt, um dort die linksalternative Szene zu begaffen und sich an dem - fraglos oft für Bürgerliche nicht ganz nachvollziehbaren - Gebaren der bunten Bewohnerschaft jenes Stadtteils zu ergötzen.
Der "offizielle" Teil des 1999er-Konzerts von "BAP" endet mit einem weiteren Rückblick auf die Bandanfänge ("Ewije Affhängerei") und der locker-flockigen, ersten Single-Auskoppelung aus "Schlagzeiten", "Maat et joot" - ein Reggae, der über eine Türkei-Reise Wolfgangs berichtet, die er nach der - bekanntlich nicht unumstrittenen - "Ahl Männer, aalglatt"-Tour 1986 unternommen hatte.
Bei uns zu Hause, als ich noch zur Schule ging, avancierte der Titel zum "geflügelten" Wort: Immer dann, wenn ich mich Anfang der 90er, morgens, gegen 7.00 Uhr, auf den Weg zur Schule begab, meinte meine Frau Mama zwecks Verabschiedung zu mir nahezu jeden Tag: "Maach et joot"!
Die Zugaben wurden auf einer zweiten DVD festgehalten. "Et ess vill passiert sickher"… programmatisch und effektiv erklingt nun die Coverversion von Bob Dylans drastischem, eindringlichen Rocker "My Back Pages", der 1999 durch eine soulige Gesangseinlage (auf Englisch) seitens Sheryl Hackett besonders an Charme gewann. Ende der 90er hatte Wolfgang die große Ehre, gemeinsam mit dem "Boss", Bruce Springsteen, persönlich ein Video zu drehen. Für die "Tonfilm"-Tour fand de Kölsche "Boss" recht einfältige, aber dennoch zutiefst passende muttersprachliche Woode zo Bruce' 1980er-Hit "Hungry Heart".
"Hück ess sing Band en der Stadt" verzällt övver Wolfgangs ersten Besuch eines "Rolling Stones"-Konzerts; "Et letzte Leed" ist das vorletzte Leed, bevor der "BAP"-Gig am 22.11.1999 mit "Helfe kann Dir keiner" endgültig endet.
"BAP - Rockpalast - 22.11.1999 - Musical Dome" belegt eindeutig, daß "BAP" auch nach dem Ausstieg/Rauswurf des "Major" "up to Date" sind und bleiben. Ich denke sogar, rein subjektiv, daß das Ausscheiden von "Major Heuser" der Band mehr genutzt, denn geschadet hat. Der "Major" ist und bleibt ein phantastischer Gitarrist, keine Frage - aber, seitdem er nicht mehr bei "BAP" ist, hat die Band immens an Kreativität und Jugendlichkeit zugelegt. Die Trennung war m.E. notwendig. Wer anderes denkt, der soll sich intensiv mit hier analysierter DVD auseinandersetzen - und alle anderen Freude erdiger, deutscher bzw. kölscher (!) Rockmusik sind ebenfalls herzlich dazu eingeladen, sich diese wundervolle Doppel-DVD zu Gemüte zu führen!
Gesamtnote: Bestwertung

 

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"BAP - Rockpalast - 15.06.2001 - Tote Brücke" (1 DVD)
Anfang Juni 2001 veröffentlichten die legendären Kölschrocker "BAP" ihr 12. Studioalbum "Aff un zo": 14 Titel, bei denen - im Gegensatz zur Vorgänger-Produktion "Tonfilm" - wiederum so richtig gerockt wurde. Die seit 1999 bestehende, neue Formation - Frontmann Wolfgang Niedecken war der einzige, der von der Urbesetzung übrig geblieben war - hatte sich inzwischen perfekt aufeinander eingespielt; alte Hasen der deutschen Rockszene (Werner Kopal, b, Jürgen Zöller, dr) verstanden sich hervorragend mit den ‚Jungspunden' Helmut Krumminga, Jens Streifling (git) und Michael Nass (key) - und die powervolle Stimme der viel zu früh verstorbenen Soulröhre Sheryl Hackett setzte dem ganzen ein spezielles Sahnehäubchen auf.
Der Titelsong des Nummer-Eins-Albums hatte sich vorab zu einem kleinen "Sommerhit" entwickelt - und doch hat mich - rein subjektiv betrachtet - "Aff un zo" niemals so recht vom Hocker gerissen. Dies hat letztlich rein profane Gründe: Im Sommer 2001, zu Zeiten des Erscheinens der CD, befand ich mich mitten im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf, hatte daher also kaum Zeit für Musik, wohnte zudem in einem Studentenheim ohne CD-Spieler, weshalb "Aff un zo" schlicht und einfach spurlos an mir vorüber schritt.
Als nun kürzlich die DVD "BAP - Rockpalast - 15.06.2001 - Tote Brücke" (EMI) auf den Markt kam, mußte ich mich erstmal so richtig in das - immerhin fast auf den Tag genau schon acht Jahre alte - Repertoire von "Aff un zo" reinhören… Ich erkannte fraglos einige echte Highlights, aber zugleich nicht wenige Nummern, die auf der Qualitätsskala von "BAP" eher im unteren Mittelfeld anzusiedeln sind, deren Texte gezwungen wirken und die musikalisch oft lieblos und ohne Schwung und Elan umgesetzt wurden.
Das dazugehörige "Rockpalast"-Konzert am 15.06.01, wenige Tage nach VÖ von "Aff und zo", welches nun auf rund 184minütiger DVD vorliegt, war auch weniger ein "BAP"-Auftritt der üblichen Art - Halbe/Halbe neue/alte Titel -, sondern vielmehr eine reine Albumpräsentation für die breite Öffentlichkeit.
An der sog. "Toten Brücke" in Euskirchen, nahe Köln, präsentierten Wolfgang und die Seinen folglich nur wenig Bekanntes, sondern eben überwiegend (damals) neue Songs, von denen nur ein geringer Anteil bis heute in Ohr und Herz des Rezensenten ‚hängen geblieben' sind.
Los ging's mit Wolfgangs kölscher Bearbeitung des "The Byrds"-Klassikers "So you want to be a Rock'n'Roll Star", dessen Text (hier "Rock'n'Roll Star") der "BAP"-Chef 1992 für die ewig unterschätzte "Solo Plaat" seines wohlbeleibten Kölschrock-Kollegen Jürgen Zeltinger in den rheinischen Dialekt transferiert hatte.
"Wat e Johr", ein unterkühlter Gitarrenrocker, zugleich der "Prolog" (Zitat: W.N.) von "Aff un zo", beschreibt die turbulenten Ereignisse des Jahres 1999: Am 03. März 1999 schlagzeilte die "BILD"-Zeitung "Aus für BAP!" - einen Tag später jedoch stellte Wolfgang auf einer Pressekonferenz die neue Formation vor; im September genannten Jahres erschien die erste CD der aufgefrischten "BAP" - und bereits wenige Monate später, startete die dazugehörige Tournee, die das Septett vum Rhing ausschließlich durch kleinere, durchwegs bestuhlte Hallen führte und ein mehr kammermusikalisches, denn rockiges Programm aufbot, welches der Düsseldorfer Starregisseur Wim Wenders für seinen Film "BAP - Vill passiert" penibel mitschnitt. All dies ließ Wolfgang in ebenjenem Titel intim, ehrlich und ungeschminkt Revue passieren - zweifellos einer der besten, weil intensivsten und geschichtsträchtigsten Beiträge des 2001er-Albums.
"Aff und zo" - der titelgebende Reggae-Verschnitt mag kommerziell ein Riesenerfolg gewesen sein, Teenager in angesagten Discos zum Mithopsen angeregt haben… Rein persönlich, habe ich mich bis heute noch nicht mit diesem "BAP"-untypischen Mega-Mainstream anfreunden können (und auch wollen!).
Kraftvoll, gitarrenbetont losgerockt wurde dagegen in einer Hommage an die Rundfunksendungen in den 60er Jahren, als die damalige Jugend Woche für Woche gespannt vor dem Radio saß und sich von kompetenten Moderatoren die jeweils besten Neuerscheinungen vorstellen ließ, um am darauf folgenden "Verkaufsoffenen Samstag" (das waren noch Zeiten…) in die Innenstadt zu rasen und sich ebendiese auf Vinyl (!) zuzulegen. "Eddies Radio Show" erzählt von jenen Tagen in äußerst einfühlsamer Weise, schwärmt melancholisch von einer Zeit OHNE Formatradios, OHNE computerbestimmte Sendelisten - von einer Zeit, als der zuständige Redakteur noch selbst entschied, welche Platten er in seiner Sendung auflegte und welche nicht.
Um ein sagenumwobenes Hotel im kalifornischen San Jose dreht es sich - lyrisch hervorragend austariert, musikalisch bestenfalls 3minus… - im verhaltenen, leicht jazzigen Mid-Tempo-Rocker "How about Shoeshine"; die klanglich äußerst ungemütliche Hymnisierung des kindlichen Kartenspiels "Mau Mau" ist einfach nur als lau und langweilig anzusehen bzw. anzuhören. Doch darauf folgte nun der erste reale Höhepunkt hier analysierter Konzert-DVD: Für seine schier geniale 1995er-Soloscheibe "Leopardefell", hatte Wolfgang ausnahmslos Klassiker seines großen Vorbildes Bob Dylan "eingekölscht". Einer der prickelndsten Titel aus dieser CD war ohne Frage die Kölsche Auslegung von des Meisters 1964er-Elegie "My Back Pages" - vom "BAP"-Frontmann phänomenal umgearbeitet zu "Vill passiert sickher", druckvoll, positiv aggressiv, trotzig umgesetzt, in etwa so, als hätten der "Boss" und seine E. Street Band auf einmal Dylan gecovert. 2001 duettieren sich Wolfgang (Kölsch) und Sheryl (engl. Originaltext) bei einer ellenlangen, durch Jens Streiflings famoses Saxophonspiel verfeinerten Fassung dieses gänsehauterzeugenden Hymnus. Klasse!
Betont rockig, rasant, drastisch, erzählt Wolfgang kurz danach eine alte Kölner Sage, die jedes Jahr im Rahmen der Weiberfassnacht opjefööhrt wed. Die "Moritat vun Jan un Griet" handelt über den Knecht "Jan", der sich in die Magd "Griet" verliebt, ihr aber nicht fein genug ist - letztlich eine Art "Romeo und Julia" aus der Domstadt und gleichsam ein weiterer, nicht zu verachtender Titel uss "Aff un zo", der überleitet zur sanften Liebesballade "Kilometerweit entfernt", musikalisch leider nur durchschnittlich, maffayesk, beinahe schlagerhaft, lyrisch hingegen mal wieder Eins A.
Romantisch, gemütlich, im mittleren Tempo gehalten, erklingt nun die sehnsüchtige, abgeklärte Gitarrennummer "Souvenirs" - ein traumhafter Text, verbunden mit einer eingängigen, lieblichen Melodie; wiederum ein tolles Lied aus "Aff un zo", das durchaus Ewigkeitswert aufweist.
Die 1984er-LP "Zwesche Salzjebäck un Bier" ess bess hück ming absolute Favorit vun "BAP". Auf dem Cover derer war ein so genannter "Chippendale Desch" abgebildet. An diesem saß Klein-Wolfgang in seiner Kindheit und Jugend ein ums andere Mal, überzeugte seine Frau Mama, ihm doch eine eigene Gitarre zu kaufen, nachdem er ihr stundenlang "The House of the Rising Sun" ("The Animals") vorgesungen hatte. Manch Ehrekrise des Elternpaares Niedecken wurde an ebenjenem Möbelstück bereinigt.
Im Frühsommer 2000 verstarb Wolfgangs Mutter nach langer, schwerer Krankheit. So widmete er ihr auf "Aff und zo" den munter drauflos rockenden, musikalischen Nachruf "Chippendale Desch" - denn, so ihr Herr Sohn, "ein Trauerlied hätte sie nicht gewollt" - ebenso intim und authentisch, wie "Verdamp lang her", Wolfgangs phänomenale Hommage ahn singen Bap. Gleichfalls an Wolfgangs Jugend in der Kölner Südstadt gemahnt der liebevoll ausformulierte 1996er-Reißer "Nix wie bessher" - längst ein allseits beliebter Standard und Fanfavorit der "Rolling Stones vom Rhein" (TV-Zeitschrift "GONG", 1984), der bis heute auf keinem Konzert ausgelassen werden darf.
Das seinerzeitige Lieblingslied von Wolfgangs Töchtern, "Noh Zahle mohle", überzeugt nicht unbedingt; ein sehr philosophischer Text trifft auf eine - sorry - langweilige, lustlos vor sich hin scheppernde Komposition; ein radikaler Tiefpunkt uss "Aff un zo", versehen mit völlig unpassenden, "schiefen" Chorpassagen - Daumen nach unten! Über das schleichende Ende der Dynastie der Rheinschiffer handelt die einschläfernde Rockballade "Suwiesu". Der straighte Rocker "Hück ess sing Band en der Stadt" befindet sich im Original auf der 1999er-CD "Pin-Ups & Comics", der letzten Kooperation mit dem langjährigen Gitarristen/Komponisten Klaus "Major" Heuser; von deftigem Blues, einem treibendem Groove und lauten Gitarren lebt der "Stones"-ähnliche Rocker "Irjenden Rock'n'Roll Band".
Der brodelnde, aufpeitschende Hardrocker "Dir allein", letztes Stück auf "Aff und zo", sowie die ebenso daraus entnommene, surrealistische Ballade "gegen Deformation" (W.N.), "Istanbul" (eine Art Neuauslegung des 1984er-Klangdramas "Bahnhofskino) beschließen den Part "Albumvorstellung" und geben somit den Startschuß für die Abteilung "Greatest Hits". Diese beginnt mit "Diss Naach es alles drinn", einer weiteren Reminiszenz an Wolfgangs wilde Jugendtage in den noch wilderen 60ern. Ein Titel, obwohl bereits 1984 erstveröffentlicht, der aber sickdem ävver ooch rein joor nix an Charme und Faszination eingebüßt hat. Ja, und dann stand vermutlich mal wieder Herr Niedecken sen. direkt vor der Bühne an der "Toten Brücke" - Sein "missratener Sohn" (W.N., 2008), intonierte, diesmal krachend rockig, seine persönliche, so kritische, wie liebevolle Auseinandersetzung mit seinem Herrn Papa - wie Ihr wisst, für mich ad personam, gerade 2009, ein gaaaanz wichtiges Lebenselixier. Ein Titel, über den Wolfgang kürzlich in einem Interview mit der "Welt - Hamburg" sagte, auf die Aufführung dessen könne und wolle er niemals im Zuge eines "BAP"-Konzerts verzichten.
Als erste Zugabe am 15. Juni 01 in Euskirchen fungierte die 1992 aus aktuellem Anlaß entstandene, rifflastige, eingängige Anti-Nazi-Hymne "Arsch huh, Zäng ussenander", gefolgt von Wolfgangs Liebeserklärung ahn de Kölsche Verzäll, "Für ´ne Moment" (1999), und dem sommerlich-sonnigen Reggae "Maat et joot" (aus Wolfgangs erster Solo-LP "Schlagzeiten", 1987).
Der so dröge, wie aufheizende Bob-Dylan-Blues "Leopard Skin Pill-Box Hat" "op Kölsch" (hier "Leopardefellhoot") , der "unwohrscheinlich schnelle" "Waschsalon" (1981), das fetzige (kölsch/englische) Neil-Young-Cover "Hey, Hey, My, My" (1979) lässt die Fans in Euskirchen regelrecht erbeben und zu lautstarken "Jetzt geht's los"-Rufen anstimmen… Doch, mit "Wat schriev me en su enem Fall", basierend auf Leonard Cohens "Famous Blue Raincout", akustisch, schleichend ausgekleidet, geht eine programmatisch vollkommen unerwartete Aufwartung von "BAP" zu Ende. Die großen Erfolge spielten hierbei kaum eine Rolle; die Tracks des seinerzeit aktuellen Albums "Aff und zo" dominierten die Setlist.
Ein riskantes Unterfangen, das Licht und Schatten beinhaltete, aber trotzdem fraglos in die Sammlung eines jeden Beinhart-Anhängers von Wolfgang und Co. gehört. "BAP"-Einsteiger und/oder "Nebenbei-Hörer" sollten dagegen auf jeden Fall auf eine der weiteren, von mir vorgestellten Live-DVDs zurückgreifen!
Gesamtnote: 2-3

 

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"Rockpalast - KölnArena - 14-15.01.2006" (2 DVD)
"Dreimohl zehn Johre" woor et 2006 her, daß sich 30 Jahre zuvor, ergo 1976, fünf junge, begabte Musiker aus der Kölner Studentenschaft - Wolli Boecker, Schmal Boecker, Bernd Odenthal, Hans Heres un ävve Wolfgang Niedecken ad personam - in einem Übungsraum, umrahmt von Bierkästen und Zigaretten, neben der Kölner-Bonner Autobahn getroffen hatten und "den ganzen Wahnsinn angefangen haben" (Zitat: W.N., 2006). Inzwischen ist zwar von der Ur-Formation nur noch Sänger und Texter WOLFGANG NIEDECKEN übrig geblieben - und doch dienen "BAP" noch heute weiterhin als der lebende Beweis dafür, daß gute, treibende. handgemachte Rockmusik auch und gerade auf Kölsch ohne jegliche Schwierigkeiten funktioniert.
Am 14. und 15. Juli 2006 gaben "BAP" vor einer ausverkauften "KölnArena" zwei umjubelte Konzerte, die für den "ARD"-Rockpalast aufgezeichnet wurden und nun eine fulminante, insgesamt siebenteilige Serie an Live-DVDs mit allen "Rockpalast"-Auftritten, die "BAP" bis heute absolviert haben, abschließt. Mit sehr viel Liebe und Akribie, gestalteten die Katalog-Kollegen von der Kölner EMI eine zusammengerechnet über dreieinhalbstündige Doppel-DVD, auf der sage und schreibe 33 (!) Titel aus "Dreimohl zehn Johre" "BAP" enthalten sind.
Ja, "Dreimohl zehn Johre" nannte sich auch die 2006 (in verschiedenen Editionen) erschienene Doppel-CD, auf der Wolfgang Niedecken, Helmut Krumminga (git), Michael Nass (key), Werner Kopal (b) und Jürgen Zöller (dr) - die beiden letztgenannten dürften Alt-Fans von Wolf Maahn noch ein überaus positiver Begriff sein, da Werner und Jürgen zwischen 1982 und 1987 zu Wolfs damaliger Begeleitband "Deserteure" gehörten -, gemeinsam mit vielen Gästen, zig der besten und erfolgreichsten "BAP"-Klassiker, oft in radikal abgeänderten (zumeist, aber, ehrlich eingestanden, nicht durchgehend gelungenen) Arrangements, neu eingespielt hatten, und somit die letzten dreißig Jahre einerseits Revue passieren, andererseits in neuem klanglichen Licht erscheinen ließen.
Klar, daß das Motto der "Greatest-Hits"-Tournee seinem Namen alle Ehre machte. Das Repertoire, was wir auf vorliegender "Rockpalast"-DVD zu hören und zu sehen bekommen, beinhaltete überwiegend allseits geläufige "BAP"-Standards, die jeder Freund der Kölschrocker seit langem lauthals mitsingen kann - was im Januar 2006 in der "KölnArena" auch regelmäßig der Fall war.
Der Marathonauftritt von "BAP" startete mit einer hardrockigen, durchaus leicht funky angehauchten Auslegung des Welthits "Wild Thing" der britischen Beatband "The Troggs", dä op de alleätzte "BAP"-LP "BAP rockt andere kölsche Leeder" (1979) im Südstadt-Dialekt als "Wahnsinn" erklang - kaum war das Publikum in der "KölnArena" von ebenjenem befallen worden, erklang - durch ein präzises Chuck-Berry-Intro eingeleitet - Wolfgangs augenzwinkernde Hymnisierung des "Waschsalon(s)", wobei diese im Tempo gedrosselt wurde, und daher bei weitem nicht mehr so ungestüm, fast "punkig", wirkte, wie in der Originalversion auf dem 1981er-Album "Für Usszeschnigge".
"Ahl Männer, aalglatt", der Titelsong von "BAPs" 1986er-LP, betreffs derer Wolfgang dem Verfasser dieser Zeilen 2000 betörend ehrlich eingestand, daß diese "unser schlechteste Album" (Originalzitat) gewesen sei, wurde deutlich entschlackt, so daß er heutzutage wesentlich stimmiger herüber kommt, als zu seinem Entstehungsdatum. Der bekennende Heinrich-Böll-Fan W.N. hatte den überaus hinhörenswerten Text unter dem Eindruck des "Händchenhaltens" des damaligen Französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand mit CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof von Verdun am 22. September 1984 geschrieben - ein Lied gegen Kriegstreiber und Schreibtischtäter, heute noch so aktuell, wie 1986!
Zwar niemals eine Single, geschweige denn ein Hit, war der Springsteen-ähnliche "Roadsong" "Diss Naach ess alles drinn" - aber stets ein Fanfavorit und Liveklassiker, der einen melancholisch/liebenswerten, textlich, wie musikalisch, immens faszinierenden Rückblick auf Wolfgangs frühe Studentenzeit Anfang der 70er Jahre wirft und im Original auf des Rezensenten allerliebsten "BAP"-LP "Zwesche Salzjebäck un Bier" (1984) zu finden ist.
Hätte Wolfgang 1976 die so grazile, wie hymnische Mutmach-Ballade "Helfe kann Dir keiner", NICHT geschrieben, wären "BAP" als solche vielleicht niemals entstanden. Der allererste "BAP"-Gitarrist Hans Heres erwischte W.N. seinerzeit sozusagen dabei, als dieser versuchte, einen Titel von Neil Young nachzuspielen, trunken von Liebeskummer und Blues… Da Wolfgang aber die dazugehörige LP von Neil nicht besaß, wurde aus dem Vorhaben, jenes Lied aus dem Gedächtnis zu reanimieren, nichts - aber es entstand ebenjene erste "BAP"-Nummer überhaupt. Hans kam ins Zimmer und sagte: "Dat ess joot Jong, muße mieh vun maache!" - und damit waren "BAP" geboren!
Am 16. August 1977 befand sich Wolfgang per Auto gerade an einer Ampel im Kölner Stadtteil Arnoldshöhe, als er aus dem Autoradio erfuhr, soeben sei Elvis gestorben - dieses, für einen alten Rock'n'Roll-Freak sicherlich sehr skurrile Ereignis, bietet den Aufhänger für die sachte, zugleich durchaus rockige Erinnerung "Dreimohl zehn Johre", Wolfgangs Reminiszenz an ebenjene drei mal zehn Jahre, die er mit "BAP" seitdem unterwegs ist.
Daß Großmeister Bob Dylan eines DER Vorbilder von Wolfgang ist, dürfte jedem "BAP"-kundigen geläufig sein. Doch zwischen 1970 und 1976 hatte sich dat kölsche Multitalent ausschließlich auf sein Kunststudium konzentriert, und gar nicht mitbekommen, was domohls in der internationalen Musikszene so alles Spannendes vor sich ging. Im Zuge des daran anschließenden Zivildiensts erst, erfuhr er, was sich in der Zeitspanne seines Studiums in Sachen "His Bobness" so alles getan hatte. Am 5. Januar 1976 hatte dieser das bahnbrechende Album "Desire" auf den Markt gebracht; Wolfgang verliebte sich umgehend in die neun Songs dieses Meilensteins der Rockhistorie - ja, und begann daraufhin, ohne zu klauen, - wie er am 15.01.06 sagte - nicht wenige der Stücke "zu besetzen", so daß manche dieser fundamentalen Popperlen kurz darauf zu reinrassigen "BAP"-Werken avancierten. Um Gast-Violinistin Anne de Wolff verstärkt, erlebt der Zuhörer/Zuschauer auf hier analysierter Doppel-DVD, wie aus Dylans anklagender Moritat "Hurricane", Dank "BAP", plötzlich "Stell Dir vüür" wurde, jene bitterböse Kleinkunstnummer, in der sich Wolfgang auf "BAP"-LP Numero Eins über die sog. "Gewissensprüfung" hinsichtlich Wehrdienstverweigerung lustig machte.
Mit Annes wundervollem Geigenspiel versehen, kam nun eines der innigsten, ehrlichsten und einfach liebenswertesten Liedesgeständnisse der ansonsten musikalisch so langweiligen, aussagelosen 90er Jahre zum Einsatz: "Rita, mer zwei" - hochmelodisch, leicht country-angehaucht, ultraeingängig - zweifellos ein Höhepunkt deutscher Rockmusik der vergangenen Dekade.
"Ahnunfürsich" (im Original auf "Comics & Pin-Ups", 1999) - eine Art kölsche Auslegung von Udo Lindenbergs trotziger 1987er-Ballade "Ich lieb' Dich überhaupt nicht mehr" -, leitet über zu einem Titel, ohne dessen Live-Aufführung seit 1980 ein "BAP"-Konzert kein echtes "BAP"-Konzert wäre: "Ne schöne Jrooß"… an all diejenigen Möchtegerns, die sich für etwas ganz besonderes, "för unfählbar" halten, zwar nix zustande bringen, aber eben die schöne Fassade aufrecht erhalten wollen...
"Maria Lopez", eine 17jährige spanische Schönheit, schien Wolfgang zu Zeiten seiner Pubertät übermäßig beeindruckt zu haben. Sie war der Schwarm des ganzen Blocks, in dem er und seine Kumpels aufgewachsen sind - Er sah sie… "un vun do an woor NIX WIE BESSHER"! Ebenjene genialische Mitsing-Hymne auf des "BAP"-Frontmannes Jugend in der Kölner Südstadt in den 60er Jahren ist nun auf "BAP - Rockpalast 14/15.01.2006 - KölnArena" zu hören und zu sehen, dicht gefolgt von dem (etwas zu) poppigen Reggae ("Klatschmarsch", Zitat W.N.) "Aff un Zo", mit dem sich "BAP" im Sommer 2001 sogar mal wieder auf höheren Rängen der Single(!)-Charts wieder finden konnten, und dies, obwohl die Kölschrocker von jeher eigentlich eher eine "Albumband" waren.
Wolfgang und die Seinen sind seit zig Jahren große Bewunderer der Münsteraner Alternative-Rockband "H-Blockx". Bereits 1995 hatten "BAP" für ihr Best-of-Album "Wahnsinn" einige Songs mit den fetzigen Jungspunden eingespielt. 2006 begrüßte die kölsche Truppe den "H-Blockx"-Vokalisten Henning Wehland auf ihrem "Rockpalast"-Gig. Er interpretierte, im Duett mit Wolfgang, den brodelnden Hardrocker "Rövver noh Tanger", der lyrisch über eine Reise von Gibraltar nach Marokko - seit jeher Wolfgangs gefragtestes Reiseziel - berichtet.
Als 1992/93 die Asylbewerberheime brannten, gab sich die Politik diesem Wahnsinn gegenüber sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen, mehr als nur feige. Zu einem nötigen, harten Durchgreifen gegen die glatzköpfigen Chaoten, wollten sich weder Bundesregierung, noch Landesinnenminister, hinreißen lassen. Wolfgang saß domohls vor dem Fernseher, hörte die entsprechenden "Sonntagsreden" der Damen und Herren Politiker - un fand dat eenfach nur "Widderlich". So nannte sich auch die erste Singleauskoppelung aus dem 1993er-Album "Pik Sibbe", die Henning Wehland so eindringlich, wie ehrlich, 2006 interpretierte.
Die bewegende Ballade über den schwer traumatisierten Stalingrad-Veteranen "Jupp" (Songtitel, im Original aus 1981) boten "BAP" im "Unplugged"-Verfahren dar; ebenso das leiseste Stück, was die Band, unter vokalistischer Hilfe von Anne de Wulf, 2006 aufführte: Das hoch emotionale Emotionsdrama "Paar Daach fröher" erklang in einem prickelnden, kammermusikalischen Kontext.
Eines der (musikalisch) schwächsten "BAP"-Titel aller Zeiten, war die reine Kommerznummer "Time is Cash, Time is Money", die aber (wohl ob ihrer Mainstreamlastigkeit) im Sommer 1986 bis auf Rang 24 der offiziellen "Media Control"-Listen steigen konnte. Ein Beitrag aus dem "Ahl Männer…"-Album… dies sagt alles...
Die Berliner Hip-Hopper "Culcha Candela", sowie die "Ex-Deserteusin" Renate Otta, gestalteten diesen ursprünglich eher "flachen" Reggae zu einer nicht unspannenden, aber - für den originären "BAP"-Freak m.E. ungenießbaren - Pop-meets-Hip-Hop-Melange um… dies hätte nicht sein gemusst… ein kreativer Tiefpunkt in der Karriere von "BAP" - und auch in der Neufassung nicht gerade umwerfend...
Martha Jandova singt allgemein in einer Band namens "Die Happy" und begleitet "BAP" nun bei der intimen Liebeselegie "Lena" (1999) - 1982/1983 avancierten "BAP" vom reinen "Insidertipp" zu einer der begehrtesten Rockbands der gesamten BR Deutschland. Dies bedeutete für die bescheidenen Musiker uss Kölle am Rhing eine Art regelrechten "Kulturschock": Nicht enden wollende Interviews, unzählige TV-Auftritte, dümmliche Berichte in "Jugendverblödungszeitschriften" (Zitat: W.N.) a la "BRAVO" und Co. Wolfgang und Co. waren mit dieser neuen, unerwarteten Situation schlicht überfordert… sie wollten einfach nur weg… So entstand während der "Vun drinne noh drusse"-Tour 82/83 der rasante Rocker "Nemm mich mit", der erstmals auf der 1983er-Doppel-LP "Bess demnäxh" festgehalten wurde und seitdem bei nahezu jedem "BAP"-Konzert auf der Setlist steht - so natürlich auch am 14. und 15. Januar 2006 bei "BAPs" Aufwartung in der "KölnArena".
"Unger Krahnebäume" behandelt eine Straße in der nördlichen Kölner Altstadt und entstammt dem 2004er-Album "Sonx"; "Kristallnaach" ist 2009 inhaltlich bzw. hinsichtlich Intention noch genauso aktuell, wie 2006, gleichsam, wie zu seiner Erstveröffentlichung 1982 auf "Von drinne noh drusse".
Als einer DER Konzertreißer von "BAP" überhaupt muß das traumhafte Klangdrama "Alexandra - Nit nur Do" bezeichnet werden; diejenige Beschreibung eines schummrigen Vorfrühlings-Februarnachmittags 1984, als Wolfgang seinen kleinen Sohn Severin durch den Kölner Römerpark fuhr und auf einmal ein junges Mädel dort sah, das ein Fahrrad vor sich her schob und lautstark nach einer "Alexandra" rief: "Alexandra - Wo bist Du?"...
Wolfgang ging bald darauf nach Hause, brachte sein Söhnchen zu Bett, öffnete eine Flasche Rotwein nach der anderen… holte sich Papier und Stift, und verfasste mit "Alexandra - Nit nur Do" ein Lied, das nicht nur konsequenten Einfluß auf das Leben des Rezensenten besaß bzw. besitzt, sondern gleichermaßen eines DER stimmungsvollsten und eindringlichsten Liebeslieder der 80er Jahre darstellt. Mit der romantischen Ode auf die "he em Stech jelooßne" ‚Alexandra' endete der "offizielle" Teil von "BAPs" 2006er-"Rockpalast"-Auftritt und ebenso die erste Scheibe hier vorgestellter Live-Doppel-DVD!
DVD Numero Zwei beinhaltet den gesamten Zugaben-Part des Kölner Konzerts. Dieser beginnt mit der Ballade "Für ´ne Moment", einer Liebeserklärung an den Kölschen Dialekt, den "BAP" - auch und insbesondere Dank der vielen "Rockpalast"-Auftritte - europaweit, sogar 1988 in China (!), bekannt jemooch hann! Ein Dylanesker Folkschleicher, den Wolfgang in zurückhaltendem Arrangement, äußerst liebevoll und mit viel Herz intoniert.
Von der 2006er-Neufassung von "Frau, ich freu mich" (1981) war Wolfgang offenkundig hochgradig begeistert. Ihm sei dargelegt worden, so erzählt er, daß der Text ja eigentlich von einer Autobahnfahrt zurück nach Hause handelt, die Originalinszenierung dagegen klänge aber, als berichtete sie inhaltlich vom Bremsen. Damals, zum Entstehungsdatum, habe er gemeint, das ganze im Sinne von Springsteens "Born to Run" oder "Thunder Road" "herausbrüllen" (Zitat) zu müssen. Also entschlackte die neue "BAP"-Formation diesen Titel hochgradig… fraglos keine schlechte Umsetzung von "Frau, ich freu mich"… das Herz des Rezensenten hängt jedoch weiterhin und immer wieder an der wesentlich lauteren, hastigeren, exzessiveren Urversion aus dem "Für Usszeschnigge"-Album.
Konnte sich bis 2006 auch nur irgend jemand vorstellen, daß die "Stones"-/"Kinks"-/Springsteen- und Dylan-Verehrer von "BAP" zugleich Riesenfans der ersten deutschen Hip-Hop-Truppe überhaupt, den "Phantastischen Vier", sind? Der Verfasser dieser Zeilen hatte zwar schon dohmols "per Buschfunk" ebensolches vernommen… aber, irgendwie, wirkte es auch auf mich zunächst eher unglaubwürdig...
Doch es stimmt tatsächlich! Folglich lud Wolfgang einer der "Phantas", genau gesagt, Herrn Thomas D., dazu ein, gemeinsam mit "BAP" den so rockigen, wie fragilen Überhit "Verdamp lang her" neu einzusingen. Diese Version - Wolfgang bliev wigger op Kölsch, Thomas sang einige Zeilen in reinstem Hochdeutsch - zelebrierten die beiden doch so grundverschiedenen, aber gleichermaßen in ihrem jeweiligen Genre höchst erfolgreichen Musiker in bester Manier auch am 14. und 15. Januar.2006 im "Rockpalast". Ich denke, auch Herr Niedecken sen. wird sich über diese experimentelle, aber jederzeit akzeptable Auffrischung SEINES spezifischen Titels auf seiner Wolke sehr gefreut haben!
Ungeheuer druckvoll kommt nun - bombastischer Hardrock meets sensible Akustikballade - die monumentale 1982er-Liebesbekundung "Do kanns zaubre" zum Zuge. "BAP" verließen daraufhin erneut die Bühne, um zur Aufführung eines weiteren, unter die Haut gehenden, eher ruhigen Titels aufzubrechen. "Jraaduss" entstammt im Original "Für Usszeschnigge" und galt, wovon ich seitens Wolfgang erst 2000 erfuhr, als eine DER musikalischen ‚Durchhalteparolen' der "DDR"-Opposition zu Zeiten von "Kaltem Krieg", Nachrüstungsdebatte und Kriegsangst - weshalb dieselbe, mit einiger Sicherheit, neben Udos "Sonderzug", ebenfalls immens dazu beitragen hatte, daß vor 20 Jahren die Mauer fiel und demokratische Verhältnisse in Ostdeutschland Einzug halten konnten.
Die ironische Beschreibung eines Opportunisten und Zeitgeisterfahrers, "Wellenreiter" (1982), sang das Publikum in der "KölnArena" fast gänzlich alleine; Wolfgang fungierte ausschließlich als Dirigent der anwesenden Massen. Der mitreißende Boogierocker "Nähxte Stadt" und Wolfgangs reggaeinfizierte 1987er-Solosingle "Maat et Joot" führten zum "Grande Finale": Eine rein akustische, im Tempo arg verlangsamte kölsch/englische Fassung von Springsteens 1980er-Schmankerl "Hungry Heart", dargeboten von "BAP" theirselves und sämtlichen Gästen, ließ einen schier hinreißenden Konzertabend ausklingen - un dann hieß et "Bess demnäxh" un "Maat et Joot!"
"BAP - Rockpalast -KölnArena" bietet alteingessenen Fans, wie auch jüngeren Neueinsteigern, eine perfekte Rückschau auf "Dreimohl zehn Johre" "BAP". Und es ist in aller Form zu hoffen, dat et noh vill weitere "zehn Johr" "BAP" jevve wed!
Gesamtnote: Bestwertung!

(Alle Rezensionen: Holger Stürenburg)

 


   
   
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