mm-hfa 20130102 1533387704 Titel:
Label:
VÖ:

Titel:

"Hoffnung für alle"
Reptiphon
08.10.2009

Disk 1:
1. Manchmal (Dein Kreis)
2. Links Und Rechts Am Ufer
3. Hoffnung Fuer Alle
4. Off-Roader
5. Bad Bank
6. Stein Im Schuh
7. Sonntag
8. Ewiger Kreislauf
9. Neutales Terrain
10. Es Wirkt Alles Auf Alles

Disk 2:
1. Agit-Prop 08
2. Komm, Wir Helfen Dem Klima
3. Neo-Paedagogig
4. Ich Geh Zurueck ('Indian Queens')
5. Die Schwarze Katze
6. Offene Grenze (29.12.89)
7. Bald
8. Viel zu früh erschoepft


Vor zwei Jahren veröffentlichte der Berliner Liedermacher / Chansonnier / Kabarettist / Kleinkünstler / Dreh- und -Buchautor Dr. MANFRED MAURENBRECHER sein monumentales Meisterwerk "Glück". Das profunde Album beinhaltete bitterböse Kultsongs der Sorte "Dumm f**** gut", quergedachte, nachdenkliche Milieustudien ("Edeka"), traumhafte, präzise, luftige Liebeslieder ("Augen", "Nah & wichtig", "Tauendes Eis"), Tom-Waits-ähnliche Skurrilitäten ("Erst brennen - dann löschen"), zynische Politparodien ("Arbeit"), stille Pianoballaden ("Alles hat seine Zeit", "Glück zur Reise"), bissige, leicht surreale, episch lange Quasi-Hörspiele ("Hemd auf, Brust raus", "Auberginenmann"), intelligenten Deutschpop mit Radiotauglichkeit ("Nahrung"), sarkastische Klangdramen ("Schlag mich") oder das einfach nur superliebe Leonard-Cohen-Cover ("Herz ohne Gefährten"/ "Heart without Companion")
Da fragt man sich - insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß nahezu jede (!) bisherige Produktion des promovierten Philologen, der seine Musikerkarriere Ende der 70er begann, einfach nur mit dem Wörtchen "perfekt" zu umschreiben ist - Kann sich ein Manfred Maurenbrecher qualitativ überhaupt noch übertreffen??
Die Antwort lautet selbstverständlich: Selbstverständlich!!! "Mauris" aktuelle Doppel-CD "Hoffnung für alle" (Reptiphon/Broken Silence) ist einfach nur als genial bezeichnen. Sie setzt einerseits dort an, wo der Familienvater, der auf der Bühne zwar stets "die Sau rausläßt", im persönlichen Gespräch aber meist schüchtern und zurückhaltend wirkt, 2007 bei "Glück" aufgehört hatte, legt allerdings zusätzlich zig neue Facetten eines Künstlers an den Tag, der sich niemals in irgendeine Schublade hat zwingen lassen, auch und gerade politische Themen regelmäßig undogmatisch, ohne Scheuklappen, jeglicher "Tabus" der "Politischen Korrektheit" abhold, aufgreift und keinerlei Berührungsängste kennt. Ob mit ausgewiesenen Linken, wie dem Liedermacherkollegen Konstantin Wecker oder dem LINKE-Politiker Dr. Diether Dehm, über den Tellerrand hinaus blickenden Nationalkonservativen a la Friedrich Baunack oder eben dem bürgerlich-liberalen/libertären Verfasser dieser Zeilen - "Mauri" sucht das Gespräch, die Diskussion, die Auseinandersetzung, und läßt die vielfältigen Erfahrungen daraus immer wieder in seine Lieder einfließen.
"Hoffnung für alle" ist ein sehr politisches, zeitkritisches Album geworden. Mein ganz persönlicher Ersteindruck war: Manfred "kotzt" einfach nur so gegen den Zeitgeist des Krisenjahres 2009; jedes Wort "sticht", trifft, amüsiert, regt aber zugleich zum Nachdenken/Weiterdenken an. Auf vorliegender Doppel-CD befinden sich 18 Titel, von denen diesmal nicht wenige sehr blues-lastig ausgefallen sind. Klar, man hört die Einflüsse von Randy Newman und Tom Waits auch diesmal wiederum unverkennbar heraus, aber - rein subjektiv - scheinen bei der Produktion von "Hoffnung für alle", mehr denn je zuvor, Raymond Douglas Davis jr. und seine 60er-Beatlegende "The Kinks" Pate gestanden zu haben.
Ich möchte an dieser Stelle die einzelnen Titel aus "Hoffnung für alle" Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gerne einwenig ausführlicher vorstellen!

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Der Eröffner "Manchmal (Dein Kreis)" ist eine überaus phänomenal austarierte Mixtur aus einem philosophischen, zugleich hoffnungsvollen, aufmunternden Text, der mit hervorragenden Wortspielen ausgestattet ist, und einer lieblichen, romantischen, frühlingsfrischen Melodie. Eine eingängige Ballade, die eigentlich alle Chancen haben müßte, zu einem Dauerbrenner im Radio zu avancieren - sofern sich plietsche Redakteure finden lassen, die bereit sind, auch mal etwas ANDERES aufzulegen, als ständig nur die "Flippers" oder Andrea Berg... Das wunderschöne (Anti-?)Liebeslied "Links und rechts am Ufer" fällt ebenso in dieses Raster - liebevoll formuliert, mit Widerhaken, keine Frage, streicherverziert, sanft arrangiert. Ein ewigkeitstauglicher Titel, der es mit "Mauris" besten Emotionsbetrachtungen aus den 80ern - Stichworte: "Hafencafe'", "Reisende", "Viel zu schön" etc. - jederzeit aufnehmen kann!
Der Titelsong "Hoffnung für alle" bilanziert eine bizarre Liebesaffäre zwischen einem skrupel-, hoffnungs- und zukunftslosen Werbetexter und seiner Nachbarin, einer privat mehr als nur enttäuschten, beruflich aber höchst erfolgreichen Mitarbeiterin einer Internet-Fernuniversität. Die beiden gleichsam ungleichen, wie so extrem sich ähnelnden Partner wollen sich am Silvesterabend gemeinsam vom Balkon stürzen - doch Billig-TV-Sender sind bereits aufmarschiert, wollen den Doppelselbstmord filmen und bundesweit verbreiten - weshalb sich die beiden denken… Sorry, jetzt erst Recht NICHT… und die proklamierte "Hoffnung für alle" zumindest den sensationsgeilen Medienmenschen eben NICHT zuteil wird! Auf so eine Textidee muß man erst einmal kommen. Für Otto Normalverbraucher vielleicht lebenslang unvorstellbar, für einen hochbegabten Wortspieler und Kreativling, wie Manfred Maurenbrecher, reiner Alltag, letztlich eine intellektuelle Kleinigkeit!
Einen schier traumhaften, knochentrockenen Südstaaten-Blues, garniert mit feisten Bläsern, stellt "Off-Roader" dar, das Klagelied eines ursprünglichen Linken, eines Rebellen und Gesellschaftsveränderers, der sich aber längst etabliert und mit dem einst so verhassten System arrangiert hat - weshalb er nur noch mit seinem teuren Wagen im Straßenverkehr den Klassenkampf wagt.
Auch radikal im Blues verwurzelt, ist die zeitgeistkritische, trefflich stechende, prickelnde Stellungnahme zu einem der optionalen ‚Unwörter des Jahres', "Bad Bank". Die Bläser blasen kraftvoll, die E-Gitarren dröhnen, das Schlagzeug peitscht zu so anarchischen Textzeilen, wie "sei besser Skrupellos / werd' Deine Skrupel los" oder "Früher hätt'st Du Dich vor Scham erhängt / doch heutzutage gibt's für Dich und Deine Lage diese BAD BANK"!!
"Stein im Schuh" ist dagegen ein ganz, ganz lieblicher, sympathisch vor sich hin swingender Schlager - allerdings auch nur auf den ersten Blick. Manfred beschreibt darin die Alltäglichkeit von Schmerzen im Schuh, basierend auf eben einem kleinen, gemeinen Steinchen, das sich beim Lied-Ich unter dem großen Zeh eingenistet hat - und ihm die Freuden am Weitergehen zu nehmen gedenkt. Doch: "auch mit dem Stein im Schuh / müssen wir weiter gehen / auch mit dem Stein im Schuh / denn es muß weiter gehen" (Textzitat). Erinnert mich inhaltlich irgendwie an Heinz Rudolf Kunzes fundamental ehrlichen und eindringlichen 1988er-Evergreen "Meine eigenen Wege"… "eigene Wege sind schwer zu beschreiben / sie entstehen ja erst beim Gehen!" (Textzitat, HRK).
Im Herbst 1986 erschien, seinerzeit bei CBS, Manfreds Spitzenalbum "Schneller Leben". Bis heute eine meiner absoluten, deutschsprachigen Lieblings-LPs der 80er Jahre überhaupt. Darauf befand sich ein Titel, der letztlich nichts anderes zugespitzt darstellt, als die krude Gedankenwelt des Rezensenten in Reinkultur.
In "Blasmusik" ging es um den sprichwörtlichen "Modernisierungsverlierer", einen Menschen, der mit dem schrillen Hier und Heute einfach nix anfangen kann, der sich nach der trügerischen Ruhe und Geborgenheit vergangener Zeiten sehnt, die aktuelle, sich immer schneller drehende und wendende politische und gesellschaftliche Entwicklung mental nicht mehr nachvollziehen kann, für den die ganzen technischen Neuerungen ‚böhmische Dörfer' darstellen - und der sich nur eines wünscht, nämlich, daß wenigstens eines auf immer bestehen bleiben möge: "Das ist die Blasmusik / am Sonntagvormittag".
Gerade dieser Titel hat mich seitdem stets begleitet, mich immens beeinflusst und beeindruckt, weshalb ich ihn auch 2008 im Rahmen der von mir und vielen kompetenten Freunden kompilierten Fünf-CD-Box "Zeitgeist 1985-1989" (Ariola Express/SONY) auf der "Jahrgangs-CD 1986" mit viel Freude verkoppelte und somit erstmals überhaupt auf Silberscheibe zum Einsatz brachte.
Vor ca. zwei Jahren erzählte mir Manfred, er habe inzwischen eine Art (inhaltlicher, nicht musikalischer) "Fortsetzung" von "Blasmusik" geschrieben. Diese nennt sich "Sonntag", ist balladesk, sacht country-infiziert gehalten, und befindet sich nun auf CD-01 von "Hoffnung für alle".
Das Lied-Ich benötigt an einem "verkaufsoffenen Sonntag" dringend neue Akkus und einen neuen Kühlschrank, besucht daher ein grelles, überfülltes Einkaufszentrum, landet schließlich bei einem ältlichen DSL-Anwerber… der gute Mensch begann daraufhin, sich beim "Lied-Ich" auszuheulen… er sei zwar durchaus modern eingestellt, höre gerne schräge Musik, verstünde viel von Technik… aber, insgeheim vermisse er eben doch die "Blasmusik am Sonntagvormittag", die Idylle früherer Zeiten, als die Kirchenglocken läuteten, was die Agnostiker im Ort in Rage versetzte, als die Busse in der Kleinstadt am Wochenende nicht fuhren, jedoch der Braten auf dem Tisch lecker dampfte, ein verliebtes Pärchen ängstlich, hinter dem Sportplatz, seinen verdienten Freuden nachging...
Warum ist dies heute - anno Domini 2009 - nicht mehr möglich? Also wird die Idee ersonnen, eben einen Erlebnispark anzudenken, in dem GENAU DAS auch noch 2009 genossen, empfunden, nacherlebt werden kann! (Für ein solches Projekt stünde ich jederzeit zur Verfügung. Der Verf. ;))
Das liebenswerte, überaus gekonnt umgesetzte Bob-Dylan-Cover "Ewiger Kreislauf" ("Eternal Circle"), das ironische, mehr gesprochene, als gesungene, unterschwellig bedrohliche Sozialdrama "Neutrales Terrain" und Manfreds erklärtes Lieblingsstück auf seinem neuen Opus, das dröge, abgeklärte Blueschanson "Es wirkt auf alles" beenden Part-01 von "Hoffnung für alle"
Mit einer diabolischen, respektlosen Parodie auf die betroffenen Politrocknummern der 70er und 80er, startet CD Numero Zwei. "Agit Prop 08" nennt sich jener, ‚live' mitgeschnittene Piano-Sprechgesang, bestehend aus anarchisch-sarkastischen Spitzen in Sachen Wirtschaftskrise. Nicht weniger bissig und punktgenau, ertönt daraufhin die Weltverbesserer-Vergackeierung "Komm, wir helfen dem Klima" - ein Pianochanson, das Randy Newman ad Personam nicht besser, treffender, "beißender" hinbekommen hätte.
Hobby-Bildungspolitiker Holger S. interessiert sich natürlich ganz besonders für jedwede Stellungnahmen, Analysen, Diskussionsbeiträge hinsichtlich dieser von ihm ehrenamtlich beackerten Thematik. In "Neo-Pädagogik" karikiert Manfred drastisch und garstig überzogenes Elitedenken und den entsprechenden Druck, den nicht wenige Eltern auf ihre Sprösslinge ausüben, damit Töchterchen oder Söhnchen unbedingt zur geistigen Elite gezählt werden können - und eben diejenige Leistung erbringen, zu denen ihre Erzeuger, aus welchen Gründen auch immer, in ihrer Kindheit nicht befähigt waren. Knapp sechs Minuten lang in bester Manier Gift und Galle gegen den fragwürdigen Zeitgeist!
Ja, und dann geht's zurück nach Dithmarschen! Für sein eher bedächtig, introvertiert und nachdenklich ausgefallenes 2001er-Album "The Convincer", hatte die urbritische Pubrock-Legende Nick Lowe die rührselige Heimkehrerballade "Indian Queens" geschrieben und aufgenommen. Manfred Maurenbrecher ist es trefflichst gelungen, das ohnehin schon phantastische Original auf phänomenale Art und Weise in teutonische Gefilde zu transferieren, und hier eben genau in jenen faszinierenden Landstrich an der Nordsee, in dem es - der Rezensent kann es bezeugen - viele ungewöhnliche, aber überaus nette und umgängliche Menschen, ein paar Klasse Nachwuchsbands und in einem kleinen Dorff sogar ein bildhübsches Mädel mit strahlenden, heilenden Augen gibt.
Es geht in "Ich geh zurück" (Songtitel) um einen jugendlichen Aussteiger, eben aus Dithmarschen, der einst mit seinem Handballteam nach Hamburg-Altona anreiste, und von dort aus die große, weite Welt entdeckte. Er war auf Gibraltar, in Libyen, Italien - aber eines schönen Tages zog es ihn doch wiederum zurück in seine beschauliche Heimat, wo es eigentlich viel, viel gemütlicher und bodenständiger zugeht, als überall sonst auf diesem Planeten. Eine Einstellung, die der Rezensent jederzeit nachvollziehen kann, alleine schon wegen erwähnter schöner Augen des süßesten Mädels aus ganz Dithmarschen ; )))
Ein Maluspunkt geht jedoch an Nick Lowes deutschen Musikverlag "Melodie der Welt". Manfred wollte seine Bearbeitung von "Indian Queens" zunächst eigentlich "Ich geh zurück NACH DITHMARSCHEN" nennen; die Rechte-Verwerter wünschten dies aber, aus unbegründeten Gründen, nicht, so daß der Titel nun "nur" "Ich geh zurück" heißt - was seiner immensen Qualität und Intensität allerdings keinerlei Abbruch tut!
Es geht weiter mit der prägnanten Mischung aus Liebeslied und Politanklage, "Die Schwarze Katze", ein knisterndes Duett mit der gebürtig aus Frankreich stammenden, derzeit in Berlin lebenden Neo-Chansonette Corinne Douarre, und einer textlich leicht aktualisierten Neufassung von Manfreds so zustimmenden, freudigen, wie zynischen, aufgewühlten und hinterfragenden Gedanken und Gefühle im Zuge des Mauerfalls vor 20 Jahren "Offene Grenze (29.12.89)", das er kurz nach der Wiedervereinigung, zusammen mit der Saxophonistenlegende Richard Wester, aufgenommen hatte und seitdem mehrfach veröffentlicht wurde, ist ein Titel, der gerade in diesem Gedenkjahr enorme Brisanz aufweist, zumal der Verfasser dieser Momentaufnahme hier offenkundig geradezu hellseherische Fähigkeiten in sich trug.
Das philosophische Synthesizer-Drama "Bald" - mehr musikalisch untermale Rezitation, als klassische Liedform" - und die so gefühlvolle, wie zickige Pianoballade "Viel zu früh erschöpft", wiederum eindeutig Randy-Newman-infiziert, lassen den zweiten Teil von "Hoffnung für alle" einerseits nachdenklich, andererseits versöhnlich ausklingen.
Die 18 Lieder auf hier analysierter Doppel-CD eignen sich niemals zum "Nebenbeihören". Man muß mit voller Wucht eintauchen in die vielschichtigen, häufig um die Ecke gedachten Gedankenwelten des unverbrüchlichen Genies Dr. Manfred Maurenbrecher. "Hoffnung für alle" wird mit einiger Garantie knallhart polarisieren und manche wilde Diskussion auslösen - aber gerade dies, macht das Doppel-Album ja auch so spannend und unverwechselbar! Um es kurz zu machen: Eine einigermaßen zutreffende Komparation hinsichtlich dieses unverwechselbaren Ausnahmekünstlers aus Berlin kann nur lauten: Gut - Besser - Maurenbrecher!
Gesamtnote: Bestwertung mit Stern (und einem lieben Blick nach Dithmarschen...)

Bitte beachtet auch:
www.maurenbrecher.com
www.reptiphon.de

 


   
   
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