karatweitergehn 20121219 1946220249 Titel:
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"Weitergeh'n"
A&F / Edel
9. April 2010

1. Steh wieder auf
2. So wie du
3. Für dich
4. Vorbei
5. Willkommen im Club
6. Verloren
7. Weitergeh'n
8. Die Reise
9. Nie zu weit
10. Für mich
11. Berlin
12. Sommerzeit
13. Kleine Nachtmusik
14. Melancholie*
15. Der letzte Countdown*

* Bonustracks


Es hinterlässt schon einen bedeutungsschwangeren Nachhall, wenn ein ehemaliger musikalischer Export-Schlager der einst so eisernen Mauerrepublik, seine aktuelle Werkschau mit "Weitergeh'n" tituliert.

Der Weg bis dahin war für viele dieser Kollegen nicht immer eben, sondern im Musikbetrieb nach Planwirtschaft auch mit granitenen Hügeln bepflastert. Einmal davon abgesehen, dass einige clevere Kandidaten ihre Drohungen »Wir spielen bis zur Rockerrente« immer noch aufrechterhalten, wurden Andere dagegen damals als etablierte Staatsrocker geschmäht, welche mit ihren friedensbewegenden Liedgut wie "Der Blaue Planet" dennoch schon den 'Goldenen Westen' beglückten.
Karats schmissige Melodien und überaus pompöse Arrangements, insbesondere ein "Über sieben Brücken musst Du gehn", haben sich zeitlebens in reichlich gebürtigen Mauerköpfen eingebrannt, und dank eines musizierenden Zeitgenossen aus Siebenbürgen, auch noch den Aufsprung auf den an Fahrt gewonnenen Ostalgie-Zug bewältigt.

Wird neuerdings der Erfolg einstiger, durch staatliche Organe überwachter Combos, von einer etablierten Tageszeitung auch als »schlimmer Nachwende-Ostrock« deklariert, täuscht es nicht darüber hinweg, dass sich diese Musiker über eine lange Zeit ihre handwerkliche Solidität bewahren konnten. Die in die Jahre gekommenen Edelrocker, die in 35 Jahren wohl ein gewichtiges Kapitel Deutsch-deutscher Musikgeschichte absolvierten, und dieses gerade konzertant abfeierten, erproben nun nach einer längeren Studioabstinenz, sich jenseits von einer Eigenkopie zu emanzipieren.
Die dreizehn neuen Studioergüsse bemühen sich jedoch krampfhaft, vom erdrückenden Ostalgie-Zirkus abzugrenzen, und nun mit Martin Beckers sowie Dreilichs Sohnemanns Kompositionen frischen Wind in die erschlaffte Kreativ-Takelage zu pusten, und den Erwartungsdurst einer durchaus kritischen Hörergeneration zu stillen Die einstig sorgsam sozialistisch gewählten Lyrik-Umschreibungen scheinen jetzt passé, es vermischt sich häufig Banales und ungelenk Melancholisches miteinander, lassen mit ihren simplen Diktat und angesichts der Radio-konformen Spielzeit der einzelnen Songs zu wenig Freigang für instrumentale Ausflüge. Musikalisch klingt das Ganze wohl komponiert, im Grunde aber beliebig. Getragen Balladeskes wie "Für mich" und "Berlin" wechselt sich ab mit brusthaarigen Stampfern, wie beim Titelsong oder "Steh wieder auf". Am Ende bleibt es irgendwo im verkitschten Interieur deutscher Popmusik stecken.

Einerseits lebt der sonst erhöhte Weichspüler-Faktor von Bernd Römers und Gisbert Piatkowskis delikat gezupften Gitarrenthemen, nebst beflügelnder Bluesseeligkeit wie in "Willkommen im Club", sowie Claudius' ebenbürtiges Ausfüllen des Vaters bzw. verstorbenen Frontmannes übergroßer Fußtapfen, andererseits untergraben diese von den Quoten-Gier-Getriebenen mit einem stumpf-metallischen Schlagwerk und verbissenen Synthie-Pop-Kinkerlitzchen wie in "Die Reise" Karats verdienstvolles Manifest.
Im derzeitigen Reigen rotziger und verhalten talentierter Grand Prix-Anwärter machen die zum ostalgischem Kulturgut erhobenen Protagonisten dennoch eine wohlerhaltene Figur, landen aber mit ihren kurzatmigen Liedchen auf keinem grasgrünen Halm, unterwerfen sich stattdessen dem Zeitgeist angepassten Befindlichkeiten.
Die Zeiten der subversiven Pathetik und schön aufgeblähten Pomp-Hymnen, welche dank der kreativen Schübe ihres früheren Soundtüftlers Ed Swillms den eigentlichen Kern der Kultrocker formten, sind jetzt zu Ungunsten eines verjüngten Kompositions-Sortimentes aus den Reim-Setzkasten gewichen.
Überdosierte Aufrüttelungs-Parolen und Liebesbekundungen täuschen leider nicht darüber hinweg, dass sich die produktionstechnisch aseptische Politur nach wie vor jenseits von gesamtdeutscher Folklore bewegt. Letztendlich muss der wohlgeneigte Konsument unter den neuen Songs plus der zwei uninspirierten Zugaben die Gassenhauer-Partikel und emotionalisierenden Verzierungen mit der Lupe aufspüren, um wenigstens einen schnell verflüchtigenden Hauch ihrer Tugenden zu attestieren.

Resümierend scheint Karats Wunsch, eine Koalition zwischen den Generationen anzustreben, hörbar zum Scheitern verurteilt, zuviel gehaltlose Pop-Eitelkeiten trüben das Gesamtbild, sodass ich fürchte, die treuen Anhänger der ersten Stunde könnten sich verschaukelt fühlen. Die Jungs vermögen den musikalischen Spagat in ein neues Zeitalter nicht bewältigen, werden sie doch allenthalben an ihren Meilensteinen gemessen, und diese können erfahrungsgemäß auch schnell zu Mühlsteinen mutieren.
(Ingolf Schmock, Redaktion RockTimes)

 


   
   
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