hollerlied 20121220 1581263146 Titel:
Label:
VÖ:

Titel:

"Lied"
Plattenbau / HHCR
21. Oktober 2010

1. Willkommen
2. Gegangen
3. Lied
4. Sommernachts Motown
5. Sterntaler
6. Schwester Lou
7. Für C.
8. Derya
9. Winterwind
10. Taumelndes Glück

Im Herbst 2009 verstarb der umschwärmte Hamburger Deutschrocker/Moritaten-/Balladensänger PETER HOLLER nach kurzer, schwerer Krankheit. Von geschmackssicheren Spezialisten und stilistisch ähnlich ausgerichteten Musikerkollegen höchst verehrt, dem RTL-2-hörigen Mainstream-Publikum dagegen weitgehend unbekannt, verband Holler erdigen Rock'n'Roll, zarten Folk und originären Blues mit kongenialen deutschen Texten, die stets Tiefgang besitzen, faszinierende Geschichten, oft aus fernen Ländern, erzählen, gänzlich ohne Pathos, und ehrlich, liebevoll, authentisch und perfekt ausformuliert große Gefühle ausdrücken und beschreiben.

Am 21. Oktober 2010 erschien Hollers musikalisches Vermächtnis bei dem von ihm gegründeten Label HHCR: Die CD "LIED" umfasst zehn neue Rock- und Folkperlen mit phänomenaler Lyrik, von denen neun bislang unveröffentlicht waren.
Rein subjektiv gefallen dem Verfasser dieser Zeilen auf "LIED" am besten die Balladen und die eher stilleren, nachdenklichen Beiträge des rast- und ruhelosen, zugleich überaus sensiblen, zerbrechlichen Künstlers, den er seit 1992 persönlich kannte und zu dem im Laufe der Jahre, aus ursprünglich rein journalistischem Interesse, eine tief greifende Freundschaft und Seelenverwandtschaft erwuchs.

Nervös, hysterisch, drall, laut, so dröhnt im wahrsten Sinne des Wortes der programmatische Eröffner von "LIED", "WILLKOMMEN", aus den Boxen. Nahezu akustisch hingegen, nur zu Konzertgitarre, Mundharmonikasolo und Bass, erklingt gleich danach das nicht von ungefähr an Dylans stromlose Frühwerke gemahnende traurige, melancholische Abschiedslied "GEGANGEN". Einfache, aber mit Bedacht gewählte Worte schildern die nachdenklichen Gedanken eines Mannes, der seine Liebste verlässt, weil er einfach nicht dauerhaft an einem Ort, mit nur einer Frau, leben kann, sondern weiter durch die weite Welt ziehen will - obgleich er dieses Traummädchen weiterhin über alles liebt und niemals vergessen wird.

Auch der Titelsong "LIED" ist ruhig ausgefallen, nicht ohne eine gewisse konstruktive Aggressivität auszustrahlen. Zwei verliebte "Königskinder" haben für ein paar Tage fluchtartig die chaotische, pulsierende Großstadt (vermutlich Hamburg) verlassen und sind, zu einer für Strandurlaube ungewöhnlichen Jahreszeit, nämlich in der Phase der wilden Frühjahrsstürme, an die Nordsee gereist. Sie singen, spielen und sinnieren dort, und der Protagonist erklärt seiner großen Liebe "Wie das Lied den Sänger fand / Nachts im Wind / am grauen Nordseestrand".

Zu den rockigen Liedern auf vorliegender CD zählt der voranstrebende, drastische Gitarrenhymnus "SOMMERNACHTS MOTOWN". "Formentera Blues" und latente Folkelemente umschmeicheln die traurige, herzbewegende Märchengeschichte "STERNTALER", das verhaltene, gleichzeitig explosive und über alles sehnsüchtige Liebesgeständnis eines armen, treuen Mannes, dessen Liebste ein Schiff über das große Meer entführt.
Surreal, offenherzig und heiß verliebt, erzählt der schnelle Rock'n'Roll "SCHWESTER LOU" von einem jungen Bassisten, der ebenjener Dame nicht nur als Instrumentalist für ihre Band diente, sondern ihr zugleich emotional vollkommen verfiel. "Ihr habt Euch verliebt / Ihr habt Euch verloren / Ihr habt Euch getötet / und wieder geboren". Doch das Mädchen Lou landet, trotz allen Erfolges ihrer Combo, schlussendlich im Rotlichtmilieu, und der Bassist besteigt den Bandbus, muss akzeptieren, sie nie wieder zu sehen, und doch will er wieder und wieder "Immer zu / Schwester Lou". In ebenjener Stilistik ist, auf der Basis einer wimmernden, quietschenden Slide-Gitarre aufgebaut, gleichsam die nicht weniger kryptische, philosophische Bluesode "FÜR C." zu Hause.

Bereits 2004 als Maxi-CD erschien ein wundeschöner Lobgesang auf ein wunderschönes Mädchen. "DERYA" ist real existent, wohnt, wie einst der verstorbene Sänger, in Hamburg, hat traumhafte Augen und war für Holler Muse und Inspirationsquelle - der kurdische "wilde Feger" traf ihn "wie ein Meeresblitz", ein Faktum, das ich durchaus nachvollziehen kann... Musikalisch zwischen Folk, Dylan, Rock und Ethnoklängen inszeniert.
Im Folk-Melodram "WINTERWIND" fragt ein tief gefallener Mann, auf der Flucht vor der Polizei, den Knast vor Augen, das Mädchen, für das er alles, was zu seinem Absturz führte, aus voller Überzeugung tat: "Wer hält Deine Unglückshand / Wer hält Deine Schicksalshand / und wer wird Dein Mann?" Wiederum: Knisternder Folk trifft auf Dylan und König Rio I.

Der knapp siebenminütige letzte Song - im Grunde genommen das spezifische "My Way" des Peter Holler - nennt sich "TAUMELNDES GLÜCK". Eine unaufgeregte, liebliche Gitarrennummer mittleren Tempos, ausgeglichen und locker dargeboten; das Lied für eine mutmaßliche Traumfrau aus Frankreich. Eine Liebe auf den ersten Blick, doch, wie so oft in Hollers Texten, sieht er sich geradezu gezwungen, ein Mädchen, welches er über alles liebt, aufgrund seiner Rast- und Ruhelosigkeit zurückzulassen, und weiter durch die Lande zu ziehen. "Sie nenn'n mich das taumelnde Glück".

Ich denke, er war tatsächlich Zeit seines Lebens das personifizierte taumelnde Glück - ein hochtalentierter, lebender Widerspruch. Seine Texte sind literarische Meisterwerke, auf einer Ebene mit Brecht, Reiser, Degenhardt, Biermann und ähnlichen; seine Kompositionen sind die einzig wahre Antwort auf alle Lena Meyer-Landsruths, "Amigos", "Superbohlens" dieser Welt - und diese "wahre Antwort nennt sich ROCK'N'ROLL" (So ein Titel seiner 2006 erstmals auf CD aufgelegten 1983er-LP "BALLADE FÜR FRENCHI"). Sein undogmatisches Denken und Leben zeigt sich aber auch darin, dass mir Holler 1997 beichtete, privat auch ganz gerne mal zu Tekkno abzutanzen...
"LIED" ist ein phänomenales Album, das den gerade mal vier vorangegangenen Deutschrock-Meilensteinen - "PETER HOLLER" (1979), "BALLADE FÜR FRENCHI" (1983), "RADIO MARSEILLE" (2004) und dem 2007 erstmals veröffentlichten Live-Mitschnitt "Solo Akustisch Live FABRIK Hamburg" von 1980 - puncto betörender Qualität und Intensität in rein gar nichts nachsteht.

Am 21. Oktober 2010 fand im Hamburger Konzertlokal "Knust" ein fundamentales Memorial-Benefiz-Konzert für den oft verkannten, großen deutschen Rockdichters Peter Holler statt, gleichzeitig die Plattentaufe von "LIED". Dabei waren viele bekannte Weggefährten des verstorbenen Liedpoeten: So z.B. Jan Plewka und Christian Neander ("Selig") R.P.S. Lanrue ("Ton, Steine, Scherben"), Blueslegende Abi Wallenstein, Niels Frevert ("Nationalgalerie"), Jane Comerford ("Texas Lightning"), Nils Koppruch, Owen Jones, Dominique Marquee, Marco Schmedtje, Wolfgang Helbsing, Goetz Steeger, Stephan Gade, Ella Josephine Ebsen, Helge Hasselberg, Michi Brenker, Benjamin Hüllenkremer, Heli Schneider, Stephan Zacharias, Christoph Buhse, Uli Kringler, William Veder, Jörn Heilbut, Tim Lorenz, Hagen Kuhr, Marc Schettler und so einige andere - gut zwei Dutzend Musiker an einem einzigen furiosen, atemlosen Abend... Vielleicht gibt es ja nächstes Jahr eine kleine Fortsetzung: Für Herbst 2011 ist ein postumes Buch mit der Lyrik von Peter Holler geplant.

Das "Taumelnde Glück" mag gegangen sein, aber "Dichter werden sein", selbst in einer Zeit, wo in Hamburg ein abgewirtschafteter, so genannter Kultur-Senator das Altonaer Museum und das Thalia-Theater, zwei hanseatische Inbegriffe kulturellen Lebens, schließen möchte, in einer Zeit, in der zunehmend eine Verdummung, Verflachung und - sprechen wir es ruhig aus - Dekadenz im menschlichen Zusammenleben, im Denken und im Benehmen zu bemerken ist. Da wird uns ein musikalischer Mahner wie Peter Holler wahrhaft fehlen, der niemals zeigefingerschwenkende Betroffenheit trällerte, sondern stets prägnant genau das sagte, was er auch meinte und sagen wollte.
Aber genau so wie sein Gegenbild und Bruder im Geiste Rio Reiser unsterblich ist, wird auch der liebenswerte Peter Holler in unseren Herzen, unserem Hirn und unseren Ohren erhalten bleiben. Wie sang er noch so schön, in seinem persönlichsten Lieblingslied, das er je geschrieben hat, "In Straßburg auf der Brücke" (1983): "ICH KOMME EINEN LANGEN WEG UND HAB NOCH WEIT ZU GEHN". Er wird es - dafür sorgen wir schon :-)

"LIED" ist ab sofort überall im Netz oder im Laden bestellbar oder aber unter www.holler.de im Shop
(Holger Stürenburg)

Bitte beachtet auch:
www.holler.de
www.hhcr.de

 


   
   
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