generat 20121216 1302692020 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:

"Generat"
Generat
Eigenvertrieb
April 2011

1. Genesis
2. Asche zu Asche
3. Mauerblümchen
4. Grauer alter Mann
5. Leise rieselt der Schnee
6. Pokerspieler
7. Umgekehrt
8. Kreise zieh´n
9. Straßenbahn des Todes
10. An einem Freitag
11. Der Wind erzählt ein altes Lied
12. Bye Bye Berlin
13. Phoenix
Bonustrack:
14. Bye Bye Berlin (unplugged)

DIE ALTE GESCHICHTE IN EINEM VÖLLIG NEUEN KLEID
Selbst der Bandname GENERAT ist Konzeption. Es geht ums Generieren. Da generieren sich zwei Menschen, wie alle Menschen natürlich Suchende, da generiert sich aus Tönen Musik, da generiert sich eine Geschichte die wie alle guten Geschichten auch unsere Geschichte sein könnte, vom Urschleim an, dem Erwachen der Erkenntnis über sich selbst und vor allem den anderen - oder die andere...
Früher nannte man diese Art von Musik Hörmusik. Ich weiß nicht, wie man es heute nennt, da doch so ziemlich alles aus unerfindlichen Gründen anders heißt als früher. Man kann nicht Staubsaugen beim Hören der Debüt-CD von GENERAT, man kann kein Essen kochen, nicht nebenher ein Buch lesen, es ist kaum möglich, geduldig am Fenster zu stehen, rauchend und dem Nichtgeschehen in einer der stillsten Straßen Berlins zuzuschauen. Obschon dies eine der besten Methoden zu sein scheint, sich in diese CD einzufühlen. Im Liegen geht es auch nicht. Das habe ich versucht, ich wurde doch zu sehr gefangen genommen von den sprachlichen Bildern der Texte auf dieser CD.

Die Gestalterin der Texte, der Musiken, des erzählten Lebens auf dieser CD ist eine junge Frau namens Kathy Kreuzberg. Kennen gelernt habe ich sie, als mir der Rockradio-Moderator Thomas Jonscher anriet, diese Band in meiner Rockradio-Sendung "Wahl-Lokal" neu vorzustellen. Mit einem Titel ("Kind"), welcher erst nach der Produktion der CD entstand, sozusagen als kreative Nachwehe und schon mehr verspricht als die CD selbst, die ausreichend hält, was sie nicht verspricht.
Sie kommt bescheiden gestaltet daher, als möge der Inhalt der Form weichen und hat doch bereits mit Cover und kleinem Booklet eine eigene innere Ästhetik, die umgarnt, umschmeichelt, interessiert. Die Gestaltung gibt sich textlastiger als die CD selbst ist. Es ist keine Art der Gestaltung, die große Botschaft verkündet und dabei zu hart an der Musik spart, obschon die Musik mitunter recht sparsam, aber doch auch wie ganz für sich allein leben könnend über dem Ganzen liegt wie ein Wind, der die Worte trägt. Und nicht nur diese.

Chanson Nouvelle Noir nennen GENERAT ihre Stilistik. Doch es ist wesentlich mehr als "nur" Chanson, es geht weit - manchmal sehr weit - darüber hinaus. Es ist etwas Eigenes und es spricht zu uns in einer eigenen Sprache, die wir wohl wie durch ein Wunder gerade durch die musikalische Gestaltung erst richtig verstehen können, und zwar mit den Sinnen, mit sehr vielen Sinnen. So etwas nennt man wohl dann sinnliche Musik.
In gewisser Weise ist diese CD ziemlich viel. Sie ist eine Sammlung von Titeln, wenn man so will. Sie ist aber auch sowohl ein Musical als auch ein Hörspiel als auch ein Gesamtkunstwerk. Die 13 Titel (+1 Bonus-Track) erzählen von Hoffnungen, Träumen, Scheitern und aber auch vom Wiederauferstehen. Es ist eine CD voller Sehnsucht, auch da, wo sie gar nicht sehnsüchtig sein will. Sie kommt aus dem tiefsten Inneren der Seele. Wenn zum Beispiel das Gänseblümchen im Titel "Mauerblümchen" uns verrät: "Ich möchte so groß sein wie ein Baum", dann hat es uns schon sehr viel mehr, ja fast alles über sich selbst verraten. So ist die oft filigrane Lyrik von Kathy Kreuzberg. So sind deren Lieder. Musikalisch vordergründig bestimmt von elektronischen Klängen und einer bis fast in die Penetranz hinein schön modulierenden Gitarre. Hier sind Baß und Schlagzeug solides Handwerk, die sich mit der Kunst mischen, vereinen und nicht nur aus jedem Titel etwas Besonderes machen, sondern auch aus dem auf diese Weise - macht man sich mit diesem Projekt vertraut - GENERAT selbst zu etwas jederzeit Wiedererkennbarem. Dazu die mitunter all dies überlagernde interessante eigenwillige und manchmal fast bis an die Schmerzgrenze gehende schöne Stimme von Kathy Kreuzberg, mal eindringlich und mal einfach, zart und schön.

Stilistisch scheut die Bands auch Klischees nicht ("Grauer alter Mann", "Leise rieselt der Schnee", "Pokerspieler"). Gebrochen werden diese von den mehr als bemerkenswerten Texten, der sich die Musik manchmal auf eine wohltuend ironische Weise andient. So als würde an dieser Stelle die Musik selbst zur Literatur werden. Die Texte sind - auch da, wo sie so zart daherkommen - ein starkes Stück Lyrik.
GENERAT hat seinen Eigensinn. Selbst da, wo es traurig und melancholisch wird, bleiben sie musikalisch schön. Als hätte die Band in alle Titel einen hoffnungsfrohen Regenbogen hineingewoben. Auch kurios kann es sein. So in der Bearbeitung des alten Weihnachtsliedes "Leise rieselt der Schnee", der uns nostalgieweckend zu einer Spieluhrweise dargeboten wird mit einer kleinen Textänderung, um sich dann in einen skurrilen Marsch zu wandeln. Auch wohl als Übergang zu dem dann folgenden Titel "Pokerspieler". Ja, das ist kein Chanson mehr, das ist Schauspiel auch und mehr und mehr und mehr … Das ist Musik, die eine und viele Geschichten in dieser lebt und ein Gesang, der sich zu einer eigenen besonderen Kunstform der Schauspielerin und Sängerin Kathy Kreuzberg erhebt. So erhält die gerne auch mal musikalisch minimalistisch eingespielte CD ihre ureigene innere Größe. Wenn Kathy Kreuzberg im Titel "Pokerspieler" singt "Und alles wird gut", dann glaubt man ihr nicht, weil sie es so singt, dass man ihr gar nicht glauben kann. So schauspielert die Sängerin, so singt die Schauspielerin. Und dann wieder kommt sie uns mit einer überraschenden und treffenden Klarheit ("Kreise zieh´n"). Die Musiker - und darauf verlässt sich die Frontfrau wohl zu Recht - bauen dies zu einem musikalischen Gespinst, so dass immerzu durch alle Nebel eben jener Regenbogen schimmert. In allem steckt eine tiefe Sehnsucht, aus meiner Sicht das inhaltliche Hauptmotiv der meisten Lieder, wenn auch mitunter sehr verklausuliert und aus ganz anderen Blickwinkeln erzählt. Eine Sehnsucht, die viel weiter führt als über das hinaus, was wir Alltag nennen. Eine Sehnsucht, die wir alle aus unserem tiefen Selbst kennen, die wir fast täglich fühlen und doch nicht zu benennen vermögen. Kathy Kreuzberg hat es mit Geschichten versucht und es ist ihr durchaus gelungen.

Die Titel haben eine eigenwillige Form, die sich wie eine Brücke von einem Titel zum nächsten spannt und doch eigene Titel sind. Man erkennt sie immer wieder, auch wenn es jedes Mal eine andere ist, die woanders hinführt als die vorherigen Brücken und man ist wie in einem Labyrinth ganz aufgeregt, weil man nicht recht weiß, wohin sie führt und ob sie überhaupt irgendwohin führt. Allerdings verlässt man sich nach einer Weile beim Hören dieser CD schon von alleine darauf, dass es immer einen neuen Weg gibt, der weiterführt ans unbestimmte Ziel. Auch geht die Geschichte, die über all den erzählten Geschichten steht, hoffnungsvoll und auf eine GENERAT-typische Weise schön aus. Wenn man davon absieht, dass die immer wache Sehnsucht sich im Bonus-Titel wieder sacht zu Wort meldet als leise Variante des auf der CD ausarrangiert vorhandenen "Bye Bye Berlin".
Herzlich Willkommen aus Trier in Berlin und in unserem Musik-Rezipienten-Leben - Kathy Kreuzberg & GENERAT!
(Andreas Hähle)

 


   
   
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