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"Negl mit Kepf"
ZiehGäuner
Wildwechsel/Universal
16. September 2011

1. ZiehGäuner aus'm Bayerischen Woid
2. Negl mit Kepf
3. Herta, gibs ma härter
4. Tür 4
5. Ganz oda goa ned
6. Hey Baby
7. Vogerl
8. Sandra
9. Mamabua
10. Italia

EINE WELT VOLLER MUSIK AUS BAYERN
Da kommen sie also musikalisch leichtfüßig daher. So scheint es zumindest, wenn es nicht diesen alten Spruch gäbe, dass alles, was leicht zu sein scheint schwer zu machen ist. Und so ist es wohl bei den ZIEHGÄUNERN, einer wunderbaren weltmusikalischen Kapelle aus Niederbayern. So etwas wird ja allerspätestens sei LaBrassBanda immer wieder gern genommen. Party mit Weltmusik - ja das ist wohl in Bayern chic. Da darf auch gar nix fehlen, was das Klischee erfüllt, wenn man in diese Richtung musikalisch denken möchte. Und es fehlt wohl auch nix, obschon auf der Scheibe der ZIEHGÄUNER, "Negl mit Kepf", bedauerlicherweise nur 10 Titel zu finden sind. Aber die haben es - jedenfalls was den Spaßfaktor betrifft und das vielleicht nicht nur gedachte Tanzvergnügen - absolut in sich. Sie kommen aus mit allem, was unsere Vorstellung beim ersten Gedanken an solch eine Art von Musik abverlangt: Mit Reggae, etwas altbackenem Rock & Roll, mit klezmerartigen und Balkanbeatklängen, mit Funk, mit Ska, mit Trallala und selbst die böhmische Blasmusik scheint da hindurchzublinzeln.

Das mag vielleicht dann auch gar nicht verwundern, wenn man mit Hilfe eines Pressetextes zum vorliegenden Produkt erfährt, dass die Musikanten dieser Formation gemeinsam durch Süd-, Südost- und Osteuropa tingelten durch zahlreiche Ländern und das auch noch als Straßenmusikanten. Insofern lässt sich wohl auch leicht erklären, wie die Band zu ihrem Namen kam.
Wenn sie sich mit Ska beschäftigen, dann ist es auch ein spritziger ("Negl mit Kepf"), dazu ein wie wild gewordener treibender Bass und eine rockige Gitarre. Und die Bläser, die für diese Art neuer Weltmusik aus Bayern und sonst woher unerlässlich sind. In diesem Fall - um konkret zu sein - aus Niederbayern. Und schon ist die Art von Party perfekt, wie man sie sich für das Rudolstädter Tanz- und Folkfest wünscht und dort auch vielfach geboten bekommt.

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Die Texte sind wohl sehr witzig ("Herta gibs ma härter"), soweit man dies als Nichtbayer überhaupt verstehen kann. Die Fröhlichkeit wird aber auch ohne Kenntnis des Niederbayrischen sehr galant durch die Musik übertragen. Auch der relaxte Reggae-Sound darf da natürlich nicht fehlen ("Tür 4", "Hey Babe"). Doch so einfach ist das auch wieder nicht. Die Jungs mixen gerne die Stilistiken innerhalb der Titel und das alleine schon, wie sie das machen und wie sie den Bogen schlagen und ihn auch noch glücklichst immer wieder ist sehr interessant anzuhören.

"Ganz oda goa ned" präsentiert sich oberflächlich als Hip-Hop-Schlager, wobei ich nicht glaube, dass es so ein Genre überhaupt offiziell gibt. Aber anhand der Erwähnung dieser eigentlich unmöglich scheinenden Mixtur lässt sich ermessen, dass wir hier eine Welt voller Musik - und immer innerhalb eines Titels - aus Bayern präsentiert bekommen. Und das macht einen Heidenspaß, auch wenn man leider höchstens ahnen kann, wovon uns die ZIEHGÄUNER da erzählen, auch wie sie es erzählen. Man ahnt den Witz auf jeden Fall.

Handwerklich sind die ZIEHGÄUNER in allen Stilistiken solide. Als überragend würde ich sie nicht bezeichnen wollen. Sie haben auf jeden Fall richtig gute Ideen und davon reichlich. Über das Konventionelle musizieren sie nicht wirklich hinaus, obschon ich mir nicht nur vorstellen kann, sondern auch fühlen kann, dass sie ihrem Publikum eine Mordsgaudi bereiten. Und ich bin mir sehr sicher, dass ist der Hauptzweck - wenn nicht sogar der einzige - ihres musikalischen Anliegens. Das ist ungeheuerlich viel wert und wenn man es so betreibt wie die ZIEHGÄUNER hat es sogar noch einen Mehrwert und Nährwert in punkto Vergnügen.
Den soliden Rock & Roll - ja den wie aus den 60ern - mixen sie in "Hey Baby" wie bereits erwähnt mit sonnigem Reggae. Man könnte bei fast allen Titeln bedenken- und gedankenlos tanzen und gar nicht mehr damit aufhören.
Im Titel "Vogerl" eher vielleicht weniger. Zwar spielen da die Bläser erst einmal kräftig auf, doch dann entwickelt sich daraus ein fast melancholisches bluesartiges Lied. Wir wollen vielleicht besinnlich werden, doch dann machen uns die Bläser in der musikalischen Hook wieder sinnlich und fröhlich. Wenn ich das bisschen, was ich vom Text verstanden zu haben glaube, ist es ein Lied über das Saufen und dessen Folgen. Ja, was sonst. Mit Schlagzeugsolo aber. Und wie das Ganze klingt, können die Musiker zumindest bei der Aufnahme des Titels nicht betrunken gewesen sein.

Doch dann wird es wieder melancholisch. Dann kommt der Kater. Das liegt an "Sandra", die wohl - immer eingedenk ich habe es textlich richtig verstanden - die Schönste im ganzen Land sein mag. Was sie - wie die fast der traditionellen mexikanischen Melancholie geweihte Musik verrät - wohl auch nicht glücklicher macht. Aber genau sagen kann ich es nicht, weil ich ja des Bayrischen leider nicht mächtig bin.
Lustig erzählt und aufgespielt kommt der "Mamabua" daher. Das kann man ja sogar etwas für sich übersetzen und viele Passagen glaube ich auch verstanden zu haben. Diesem folkcharaktistischen Titel kann man ebenfalls mit Sicherheit gut vertanzen, am besten natürlich mit einer zünftigen Polka, einer ganz schnellen, was es ja auch ist. Da rennt das besungene Muttersöhnchen bestimmt gleich vor Schreck in die Arme seiner Mama und wir aber dürfen weiterhin mit den "ZiehGäunern" fröhlich sein.
Mit dem letzten Titel haben sie mich dann aber doch noch mal so richtig überrascht. Anfangs dachte ich beim Anhören an etwas, was ich Blasmusik nenne. Nachher ist es ein Reggae und dann wird auch noch Italienisch gesungen. Der Titel heißt ja auch "Italia". Ob das nun richtiges Italienisch oder eine Art Pseudo-Italienisch, das vermag ich nicht zu beurteilen, denn ich bin ja des Italienischen nicht mächtig.

Ich habe gewartet nach dem Abspielen der CD und gewartet und gewartet. Manchmal gibt es ja so versteckte Titel, die nach einer Weile Geduld plötzlich zu hören, die sogenannten Hidden Tracks (nicht zu verwechseln mit Hidden See, aber das ist ein anderes Thema). Also bei mir jedenfalls kam nix. Und dann dachte ich etwas ganz Entsetzliches. Was denn? Schon zu Ende? Und dieser Gedanke spricht doch mächtig gewaltig dafür, diese CD weiter zu empfehlen. Nur die Enttäuschung über die meiner Ansicht nach etwas zu wenig Titel, die müsste man dann mit dem Kauf dieser CD auch in Kauf nehmen.
(Andreas Hähle)