erdmoebelretro 20121216 1799641143 Titel:
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Titel:

"Retrospektive"
Erdmöbel
Content Re (Edel)
23. September 2011

1. der blaue himmel
2. wurzelseliger
3. wette unter models
4. russisch brot
5. anfangs schwester heißt ende
6. fremdes
7. lied über gar nichts
8. busfahrt
9. vergnügungslokal mit weinzwang (live)
10. wort ist das falsche wort
11. wieder allein, natürlich
12. in den schuhen von audrey hepburn
13. au-pair-girl
14. das leben ist schön
15. für die nicht wissen wie
16. dreierbahn
17. lang schon tot
18. die devise der sterne
19. die krähen

Ich persönlich bin alles andere als ein Rezipient von gesammeltsurienten Platten. "Wo ist das gut für?", würden DIE WOHNRAUMHELDEN fragen, und ich würde die wiederum mal fragen wollen, ob deren Heldenhaftigkeit auf das Vorhandensein von Erdmöbeln zurückzuführen sein mag. Aber verstehen kann ich zumindest die Herstellung solcher Best-Of-Geschichten, zumal es vielleicht doch für die gut für ist, die sich mit der jeweiligen Band noch nicht von Anfang an vertraut gemacht haben. Die wahren Fans haben ohnehin alles, was wo gibt und die haben auch etwas, wovon weder Band noch Management irgendeine Ahnung haben, dass es in rezipierbarer Form existiert. Und wenn sie es wüssten, würden sie es ihnen wohl verzeihen, denn sie sind ja Fans. Ich bin kein Fan von ERDMÖBEL, ich find sie aber nicht schlecht. Nach dem Erfolg der jüngsten Neu-Produktion "Krokus" (2010 - siehe HIER) sind viele auf diese Band aufmerksam geworden, weshalb man diese wohl nun auch mit einer solchen "Retrospektive" genannten Produktion überraschen darf. Und sicherlich entdeckt der Eine oder die Andere ein Schmäckerchen für sich. Ich, wie schon geschrieben, bin kein Fan der ERDMÖBEL und will auch keiner werden. Und mir hat man mit der jüngsten Allround-Blick-Veröffentlichung den Gefallen getan, mich zumindest wissen zu lassen, warum ich kein Fan der Erdmöbel werden will. Da ist es gut für.

Das geht ja schon mal gut los auf der Scheibe. Mit der schönen Chill-Out-Ballade "der blaue himmel". Beim ersten Anhören dachte ich, ich befände mich mitten im "Elektromagnetischen Feld" von KEIMZEIT. Da fiel mir auf, dass die Namen KEIMZEIT und ERDMÖBEL vielleicht auf eine gewisse Seelenverwandtschaft hindeuten könnten. Aber so augenfällig musikalisch sollte es doch nicht unbedingt sein, oder? Was es schon gibt, das gibt es schon. Und zumal ich die benannte Platte der anderen, also der Ostband, als die mißlungenste jener empfinde, kann man schon ahnen, wie ich nun das für mich gefühlte und sicherlich von den ERDMÖBELN nicht so gedachte Duplikat empfunden haben mag. Beim Weiterhören enttarnte sich die Tüte Erdnusschips von KEIMZEIT für die ERDMÖBEL als "russisch brot & küsse". Na jeder, wie er's mag. Ich bin berauscht - eine ganze Platte von diesen und ähnlichen Wiedererkennungseffekten.
Doch es sollte ja eine Übersicht über die Schaffensbreite der ERDMÖBEL sein, vermute ich zumindest. Breit ist das Schaffen wohl nicht gerade, weder musikalisch noch textlich, da freut man sich über jede Art von Überraschung. Und jede gehörte Kleinigkeit, die man in der textlich verintellektualisierten Sinnlosigkeit entdeckt oder in der minimalistisch angehauchten musikalischen Bouillon lässt das Herz höher schlagen. Ob die ERDMÖBEL eine Kabarettband sind? Ich befürchte nicht, obschon das Cover á la "Guckt mal, wie Scheiße wir alle vier aussehen können" darauf querverweisen könnte.
Erfreut war ich noch beim zweiten Titel, als mir mit "wurzelseliger" ein gerader Gitarren-Rock entgegenbrauste mit schrägen Geschwindigkeitsreimen. Das Geschichtenerzählen in - wenn auch nicht immer handwerklich ausgefeilten - Reimen scheint auch die Stärke des Fontmanns Markus Berges in diesem Kölner Quartett zu sein. Und auch die Stärke dieser Formation. Die zumindest versucht, dem Ganzen den Sinn zu geben, der mitunter dem Reim geopfert wurde. So in "wette unter models" musikalisch der Schönheit huldigend und sie gleichzeitig als auf- und abschwellende Endlosschleife enttarnend.
Die ERDMÖBEL-Art der Melodik ist eine Besonderheit, so als würde man lapidar entweder die banalsten oder ebenso die katastrophalsten Begebenheiten berichten. Manchmal verwirren sie auch. Da wo die seelisch russisch anmutende Melancholie sich ins Gemüt schleicht ("anfangs schwester heißt ende"), könnte es aber auch möglich sein, dass sie leicht scherzen wollen mit einer verdeckten aber nicht unüberhörbaren Reminiszenz an ELEMENT OF CRIME. Merkwürdig wird es deshalb, weil sie sich zumindest oberflächlich behört sowohl musikalisch als auch textlich völlig humorlos geben. So sehen sie ja auch auf dem Platten-Cover aus, aber wenn man wiederum glaubt, dass kein Mensch solche Fotos von sich ernst gemeint haben will, sollte man sich darüber Gedanken, welche Art von Humor in Köln als karnevalistische Gegenströmung wohl gang und gäbe sein mag. Aber ganz ehrlich, ich will´s gar nicht wissen. Man weiß es nicht. Musikalisch wird der textlichen Huldigung an ELEMENT OF CRIME ein Titel später gefolgt, bei "fremdes". Hier erscheint auch die Musik fast ungewöhnlich übergroovig.
Richtig komisch werden sie, wenn sie uns bei "ein lied über gar nichts" mit einem Rentner-Tanz-Tee-Sound belästigen. Hier wird uns auch gesprochenen Wortes wirklich offensichtlich Scheiße erzählt und - das hoffe ich, aber ich weiß es eben nicht - scheinbar ganz mit Absicht. Ein Lied mit einem kaputten Satelliten zu vergleichen und das zum Ende hin in bestem Satzgesang ist in meinen Ohren gewagter, aber herrlicher Humor.
Oder die Geschichte von der "busfahrt". Die Geschichte über die fast alltäglichen wunderbaren Begegnungen, die zu nichts führen, weil eigentlich gar nichts geschieht außer in einem selbst. Wobei die Beschreibung der entsprechenden Dame, welcher das Alter Ego des Sängers begegnete, so oft wiederholt wird, dass man zu hoffen beginnt, der sie Besingende möge sie bloß schnell wieder vergessen.
Sehr sympathisch der Live-Einblick beim "vergnügungslokal mit weinzwang". Eine Nummer, die klingt, als wäre sie speziell für Dirk Zöllner kreiert worden.
"wort ist das falsche wort" mit vordergründigem Piano verkleistert wieder unsere Ohren mit teilweise sprachlosen Sprachspielen und man spürt hierin recht heftig, wie musikalisch allein schon die Texte sind. Weswegen wohl ein Inhalt öfter mal verzichtbar ist. Selbiges im an 60er-Jahre-Kitsch-Nummern erinnernden "wieder allein, natürlich". Wobei diese musikalische Adaption den handwerklich schlechtesten Text der vorliegenden Compilation übertünchen muß, wenn er auch so locker daherkommt wie all die anderen. Wie auch "in den schuhen von audrey hepburn", eine nicht ganz erfolglos gewesene sich balladesk maskierende Spielerei mit Tempi und Sounds und deren Variationen. Eine gelungene Tüftelei. Da achte man doch bitte mal auf alle Klänge und Töne und erfreue sich an dieser erfreulichen Ausgeklügeltheit. Bis uns ein Licht an- oder aufgeht. Weltmusikalisch und doch minimalistisch angehaucht kommt uns die Geschichte vom "au-pair-girl" daher, wobei es ja eigentlich die leidensvolle Geschichte eines Jemand ist, der sich so fühlt wie eins. Auch noch wie ein vor Wochen entlassenes. Was nicht verwunderlich ist, scheint doch das Alter Ego in dieser Geschichte zumindest auch in der Dienstleistungsbranche tätig zu sein. Da seufzt der Baß natürlich sehr schwer. Damit wir nicht in falsche Sentimentalitäten geraten, perlt uns ein softiges "das leben ist schön" den Körper herab, als wäre fast alles vorher Gesungene nicht gewesen sein sollen. Als wollten die ERDMÖBEL uns damit verhöhnen dafür, dass wir ihnen die ganze Zeit aufmerksam und mitfühlend zugehört haben. "ich kann eure tränen nicht verstehen". Na, prima! Damit wir nicht gleich noch einmal einen Stimmungsumschwung erleiden müssen, schrammelt uns die Klampfe ein Lied "für die, die nicht wissen wie" spätpubertierend entgegen. Wobei sich hier nicht einmal die Band schlüssig zu sein scheint, für wen dieses Lied wirklich sein soll. Und hätte diesen Titel jemand anderes gemacht, wäre es lediglich ein Schlager. Wenn es aber ein Schlager gewesen wäre, dann wären die Techno-Anleihen beim Titel "dreierbahn" aber eine ganz große Überraschung gewesen. Aber mit diesem Drive kriegt man schon das richtige und zum Verständnis des Textes notwendige Rummelgefühl. Techno ist aber wohl entgegen allen zum Teil mitlerweile leider tödlich endenden Wiederbelebungsversuchen lange schon tot. Und so folgt folgerichtig der Titel "lang schon tot". Fröhlicher hat man wohl kaum eine Leiche ihren Zustand beschreiben hören. Und plötzlich begann das Hören der Scheibe mir richtig Spaß zu machen. Zum Ende hin hat es schon fast etwas Kinderliedhaftes an sich.
In urigem Country-Style und mit spacigem Sound, als hätten sie diesen komischen Sommer-Trash-Film mit Harrison Ford über Cowboys und Aliens vorausgesehen und einen Soundtrack dafür geschaffen, beschreiben sie "die devise der sterne". Damit endet die Scheibe aber nicht wirklich. Als Bonus wird es noch einen Titel mit dem Titel "die krähen" geben. Der war aber auf der Promo-CD für uns Presseheinis nicht drauf. Vielleicht darf man dazu wohl noch nichts sagen. Wir wollen ja gute Erinnerung haben...

Die ERDMÖBEL sind. Und bleiben. Verrückt.
(Andreas Hähle)

 


   
   
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