pannachsonne 20121216 1163077737 Titel:
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VÖ:

Titel:

"Sonne wie ein Clown"
Pannach & Kunert
Marktkram / BuschFunk
18. November 2011

CD:
1. Sonne wie ein Clown
2. Gefängnislied
3. Andonis
4. Der rote Karl
5. Mann aus Fuhlsbüttel
6. Wir sind nicht mehr wir selber
7. Morgen in Moabit
8. Es war okay
9. Kommst du heut' nach Berlin
10. Wie könnt' ich
11. Dann vrefluch nicht den Wind
12. Louise
13. Der rote Karl (Langfassung)
14. Mann aus Fuhlsbüttel

DVD:
1. "Im Westen was Neues?" (Reportage)
2. "Kölner Treff" (Talkshowauftritt)

So richtig angekommen sind sie nie im Westen, in den man sie im August 1977 abgeschoben hatte. "Ihr seid zu schnell aus'm Knast gekommen", kommentierte denn auch die unter Vermittlung von Mentor Wolf Biermann engagierte CBS den eher mäßigen Verkaufserfolg des ersten Studioalbums. Nach Meinung von Gerulf Pannach lag dies zunächst schlicht daran, dass der übermächtige Plattenkonzern nichts für sie tat. Die CBS indes forderte mehr Aktivitäten der Künstler, auch vor einem breiteren Publikumskreis - mithin also das, was hier unter "Erfolg" läuft. Aber das war nicht unbedingt das, was sich Pannach und Kunert vorgestellt hatten. Sie wollten sich weder verbiegen noch Kompromisse in Musik und Vortrag aufschwatzen lassen, nicht als bloße Dissidenten durch die Medien gejubelt werden. "Wir wollen nicht von unserem Weg abkommen, Sänger der gesellschaftlichen Basis zu sein", so Pannach. Denn das Deutsch von "Drüben" wird schließlich auch hier, also im Westen, verstanden.
Mit "Sonne wie ein Clown" wurde nunmehr das erste Studioalbum der beiden, das seinerzeit (1979) noch schlicht "Pannach und Kunert" betitelt war, neu aufgelegt. Glaubt man Produzent Bodo Strecke, befand sich das Ausgangsmaterial in geradezu erbärmlichen Zustand. Und da dürfen dann auch schon die ersten Pluspunkte vergeben werden, denn der Silberling klingt tatsächlich wie frisch eingespielt.

Den Einstieg macht der noch aus gemeinsamen Renft-Tagen stammende Titelsong, ein Lied aus der Arbeitswelt. Das Duo wird hier - wie im übrigen auch bei allen weiteren Stücken - von einer professionellen Studioband begleitet. Wir finden den enttäuschten und zugleich zornigen Blick zurück ("Gefängnislied") und den skeptischen nach vorn ("Morgen in Moabit"). Mit "Wir sind nicht mehr wir selber" fand sich ein deutscher Text zum Stück des chilenischen Autors Patricio Manns, den Pannach in der Plattensammlung von Biermann für sich entdeckte. Ähnlich angelegt auch "Andonis" - eine alte Mikis Theodorakis-Nummer, die in der vorliegenden Fassung nichts von ihrem griechischen Ursprung verloren hat. Und wer Renfts "Irgendwann werd ich mal" in den Ohren hat, dem wird "Kommst du heut' nach Berlin" sofort vertraut sein - Kuno tauschte in seinem Song Demmlers Originaltext gegen den eigenen aus, tagesaktuell. Das triste Dasein in der neuen Wirklichkeit, das Kuno an anderer Stelle einmal wie folgt auf den Punkt brachte: "Wir haben ja nicht nur die Wohnung - wir haben die Gesellschaft gewechselt!"
Überhaupt stand stets die Frage im Raum, ob man sich - gerade einmal zwei Jahre im Westen - denn schon einmischen dürfe. Freund und Weggefährte Jürgen Fuchs beispielsweise und von gleichem Schicksal getroffen wie die beiden, hielt dies für problematisch. Biermann indes relativierte es in Bezug auf Pannach und Kunert dahingehend, als dass Kunstwerke nur schaffen könne, wer in einem "lebendigen Stoffwechsel" mit der Gesellschaft steht, hier lebt, sich einmischt und eine Rolle spielt. Dann sind auch Lieder möglich, die auf die Wirklichkeit zurückwirken und eine größere Breite des Publikums erreichen.
Pannach und Kunert ließen sich hiervon allenfalls bedingt beeindrucken und bewahrten ihre Eigenheit. Dennoch nehmen sie sich die Ratschläge der Freunde zu Herzen und machen aus der Not eine Tugend. Auf geradezu exzellente Weise gelingt ihnen dies mit "Es war okay". Zwei historische Erfahrungen - eine (eigene) Ost, eine (der Zuhörer) West - werden hier geschickt miteinander verknüpft: die Inhaftierung Rudolf Bahros durch die Stasi wegen seines Buches "Die Alternative" und die gewaltsam unterdrückten Studentenproteste des 2. Juni 1967 in Westberlin. "Ach, Prügel blüh'n dir hier, und Knast gibt's dort. Und Knast gibt's hier, und drüben prügeln sie dich für ein Wort". Vom Regen in die Traufe...
Auch die zurückgelassene Ost-Musikszene bleibt von Seitenhieben nicht verschont. In "Dann verfluch nicht den Wind" gab es den Kumpel, mit dem früher noch gemeinsam in Nahkampfdielen der sächsische Rock gebraut wurde. Pannach dazu: "Wenn Du Dir heute die DDR-Szene anguckst, dann gucken wir uns die Leute an, die früher sonst was alles wollten. Heute schütteln wir nur den Kopf, was aus und mit denen geworden ist. Die rennen heute rum wie Gary Glitter, singen aber wie die letzten Schnulzensänger und lassen sich in Kostüme stecken...". "Heute sah ich seine Show, in der Rock'n'Roll Band, da war ich froh, dass er mich nicht mehr kennt...". Wer auch immer damit gemeint war - Pannach und Kunert jedenfalls sind sich stets treu geblieben.

Die CD enthält im Booklet sämtliche Songtexte (vorbildlich!) und überdies umfangreiche und besonders lesenswerte Anmerkungen aus der Feder von Kuno. Und nicht nur das: dem Werk ist zudem eine DVD beigelegt, auf welcher sich zum einen der knapp 45-minütige Film "Im Westen was Neues" findet. Die Dokumentation gibt anhand von Interviews, Hintergrundgeschichten und nicht zuletzt Live-Auftritten auch visuell Aufschluss über die nicht immer ganz einfache Zeit der beiden Musiker in den ersten Jahren der Verbannung. Ganz nebenbei erfährt man dabei auch einiges zur turbulenten Geschichte der ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof. Zum anderen gibt es mit einem Ausschnitt aus der 1979er WDR-Talkshow "Kölner Treff" (Fernseh-) Zeitgeschichte pur zu entdecken, inklusive zweier Songs. Und eine animierte Diskografie nebst ausführlichen Biografien fand zur Freude des Konsumenten auch noch Platz auf dem Datenträger.
Mit der schon seit längerem erhältlichen (Live-) CD "Gib mir 'ne Handvoll Glück" bin ich bislang nie richtig warm geworden; wieder und wieder umschlich ich den Plattenladen und konnte mich nicht durchringen, dafür Geld auszugeben. Jetzt weiß ich, warum - es war schlicht der falsche Einstieg in den Kosmos von Pannach & Kunert. Mit "Sonne wie ein Clown" liegt dieser nun (endlich) vor. Und morgen hole ich mir die andere!
(Rüdiger Lübeck)

 


   
   
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