sebeldeutsch 20121119 1627709109 Titel:
Interpret:
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VÖ:

Titel:

"Wie deutsch kann man sein"
Sebel
BMG
24. August 2012

1. Engel
2. Wie deutsch kann man sein
3. Scheiss auf die Disco
4. Tag am Meer
5. Heimat
6. Rock n Roll Leben
7. Wer soll das alles ficken
8. Es war Liebe
9. Unverschämt untätowiert
10. B-Prominenz
11. Sebel will dich
12. Coka, Kebab und Kippen

Als ich im November 2011 für Deutsche Mugge im Vorprogramm des Berlin-Konzertes von Luxuslärm jenen schrägen, seltsam gekleideten, bärtigen Typen namens SEBEL VAN DER NIJHOFF erlebte, hatte ich so eine Vorahnung, dass man von ihm noch hören würde. Zu auffällig waren schon damals seine provokanten, proletenhaften Texte, die er mit seiner leicht rauchigen Stimme zum Besten gab.

Das Warten hat sich gelohnt, denn seit 14 Tagen gibt es das erste Album des Ruhrpott-Originals. Inzwischen nennt er sich nur noch SEBEL, wahrscheinlich weil es eingängiger klingt, und für die Journalisten auch leichter zu schreiben ist. Herausgekommen ist ein Werk, welches bereits überall für gehöriges Aufsehen sorgt, vermutlich weil der 31-jährige aus Wanne-Eickel es hier scheinbar mühelos schafft, den schwierigen Balanceakt zwischen Ruhrpott-Proll und Ruhrpott-Poet zu meistern. Liest man sich zunächst nur mal die Trackliste durch, zuckt manch zart besaiteter Zeitgenosse schon mal zusammen und schaut ein zweites und drittes Mal nach, ob er jetzt wirklich das Wort "ficken" gelesen hat. Ja, er hat! Aber keine Bange, hier liegt keine neue Micki Krause-Platte im Player, auch von simpler Ballermann-Mugge ist die Scheibe weit entfernt. Ganz im Gegenteil, gibt man den Songs die Chance gehört zu werden, merkt man sehr schnell, dass da doch eine Menge mehr Substanz drin steckt als man im ersten Moment vermuten würde. Die Musik klingt roh, rotzig, dreckig und nach ganz viel gutem altem Rock'n'Roll. Die Gitarre sägt hervorragend, das Schlagzeug powert mächtig, und selbst ein Relikt aus vergessen geglaubten Tagen, nämlich eine wunderbare Hammond-Orgel, ist endlich mal wieder zu hören. Immer sind es Melodien, die Spaß machen, in die Beine gehen und in einigen Fällen regelrechte Ohrwurmgarantie bieten. Dazu passen diese unwahrscheinlich direkten und rotzfrechen Texte wie die Faust auf's Auge. SEBEL beobachtet seine Umwelt mit einem unglaublichen Blick für Details und setzt dieses in Lyrics um, wie Deutschland sie schon lange nicht mehr gehört hat.

Schon der erste Titel namens "Engel" gibt die Richtung vor. Die Gitarre röhrt, die Drums donnern los, und SEBEL singt uns mit kratziger Reibeisenstimme und sehr innigen, wenig christlichen Worten von seiner Beziehung zu einer Dame, die ihn von vorn bis hinten nur bescheisst. Im nächsten Track, dem Titelsong der CD, fragt SEBEL "Wie Deutsch kann man sein?" Für mich ein Highlight des Albums. SEBEL legt hier gnadenlos den Finger in die Wunde, in dem er auf sehr humorvolle Art unsere deutsche Spießigkeit, unsere Vorlieben für gewisse Dinge beschreibt und manche Klischees, die man uns Deutschen nachsagt, wahr werden lässt. Vor allem das Telefonat mit seiner Vermieterin Frau Kowalski im Mittelteil des Titels lässt mich immer wieder von einem Ohr zum anderen lachen. Das ist einfach genial, das ist große Klasse. Die flotte Gute-Laune-Melodie, ausnahmsweise eher Pop als Rock, geht sofort in die Beine und animiert zum Mittanzen. Am Ende der Nummer stimmt man SEBEL zu, dass man diese lieb gewordenen deutschen Tugenden dann doch irgendwie und irgendwann vermisst, wenn man sie eine Weile nicht hat. Schaut Euch dazu am besten das Video an (siehe am Ende der Seite).

Es geht Schlag auf Schlag weiter. "Scheiss auf die Disco" glänzt mit einem Refrain, der einem noch Stunden später durch die Birne geistert:

"Wenn die Leute meine Lieder nicht mehr hör'n,
und die Computerbeats das letzte Hirn zerstör'n,
ich werd noch verrückt, Scheiss auf die Disco!"

"Tag am Meer" ist eine absolut tanzbare, radiotaugliche Midtemponummer, in der uns SEBEL aus dem Alltag reisst und zum Träumen animiert. Ein Song, der durch SEBELs intensive Knarz-Stimme und die kernigen Gitarren so richtig schön rockt. Live ist das Teil sicher ein Knaller.

Ich will nicht jeden einzelnen Titel beschreiben, denn ein bisschen Überraschung muss dem Hörer ja auch noch gelassen werden. Aber glaubt mir, es folgen noch einige großartige Nummern, allen voran die erste Singleauskopplung namens "Heimat". Lange habe ich nicht mehr eine so gelungene Ballade gehört, die einfach nur wunderschön ist, ohne dabei auch nur im Entferntesten schmalzig zu klingen:

"Heimat ist, wenn Du trotzdem glücklich bist,
Heimat ist, wenn Du verlassen bist.
Heimat ist, wenn Du angekommen bist,
ganz allein oder zu zweien."

"Rock'n'Roll Leben" wiederum hält, was der Titel verspricht: purer, derber Rock mit schonungslos deutlicher Schilderung genau dieses Rock'n'Roll-Lebens, welches trotz aller Fallstricke halt immer noch "das Beste ist, was es gibt!"

SEBEL treibt es auch gern mal auf die Spitze, wenn er lauthals grölt "Wer soll das alles ficken?!" Auf den ersten Blick scheint spätestens hier das Niveau wirklich unter den dreckigsten Ruhrpott-Kneipentisch abzurutschen, aber wenn wir ehrlich sind, beschreibt er auch hier wieder nur das, was wohl jeder Mann unter uns schon mal erlebt hat. Du gehst in einen Club oder eine Disco, siehst dort die schärfsten Bräute, und fragst Dich irgendwann ganz von selbst - genau, siehe oben... Trotz der Titelzeile, die wahrscheinlich nicht nur die eine oder andere Ordensschwester vor Scham erröten lässt, sollte man sich nicht täuschen lassen. So schlimm ist es nämlich nicht, wenn man sich den Song im Ganzen gönnt. Eher prollig. Beendet wird das Album mit einer ruhigen Nummer namens "Coca, Kebap und Kippen". Witzig, originell und ein schöner Abschluss. Hier singt übrigens SEBELs Freund STOPPOK eine Strophe, und er spielt auch das Banjo.

Ja, SEBEL, der mit bürgerlichem Namen Sebastian Niehoff heißt, nimmt zu keiner Sekunde ein Blatt vor den Mund, wirkt absolut authentisch und platzt mit seiner Ruhrpott-Mentalität gnadenlos und ohne Vorwarnung rein in unsere heile Welt. Aber niemals nimmt man ihm das übel, denn alles wird mit ganz viel Humor und Augenzwinkern rübergebracht. Er macht uns hier und da sogar nachdenklich, beschreibt Alltagssituationen mit Worten, die wir alle auch gerne mal benutzen, wenn kein Fremder oder die eigene Mutter zuhört. Hier wird eben nicht rumgeheult, sondern kräftig und mit Anlauf in den Allerwertesten getreten. Und genau das ist ein wunderbarer Kontrast zu all den Philipp Poisels und Tim Bendzkos, die schon seit geraumer Zeit mit ihren butterweichen Softie-Klängen durch unsere Musiklandschaft geistern und unsere Hirne aufweichen. Dazu gibt es einen sympathischen Cocktail aus kräftigem, aber jederzeit melodiebetontem Rock'n'Roll. Das ist SEBELs Leben, das nimmt man ihm ab, wenn man ihn sieht. Produziert wurde die Scheibe übrigens von Claus Grabke, der hier tolle Arbeit geleistet hat. Ich finde, eine solche CD war länge fällig. SEBEL wird damit zwar keine Musikgeschichte schreiben, und in Intellektuellenkreisen wird man ihn für diese Art Texte nicht gleich zum Ehrendoktor berufen. Aber "Wie Deutsch kann man sein" macht ungeheuren Spaß, nicht mehr, nicht weniger. Deshalb mein dringender Rat: KAUFEN!!! Und am 27.09.2012 nach Cottbus fahren und SEBEL live sehen!
(Torsten Meyer)


Videoclips:
Offizielle Videos von Sebel
 






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