amiga60 20121204 1912685791 Label:
Best.-Nr.:  

Inhalt:

Amiga Records 2007
88697064892

CD Box mit drei "Best Of"-Alben
Katrin Lindner & Band
Anett Kölpin & DATZU
Brigitte Stefan & Meridian

Das heute zur SONY/BMG Gruppe gehörende Label AMIGA gibt zum seinem 60. Geburtstag eine Serie von 3-er CD Boxen mit insgesamt 60 Alben heraus. Die veröffentlichten Titel erscheinen in dieser Form alle erstmalig auf CD.
Die Reihe wird mit "Frauenpower" durch "Rockladies" und ihre Bands eröffnet, die in verschiedenen Stilrichtungen zum Besten gehörten, was die DDR Musikszene hervorbrachte. Die CD's enthaltenen nicht nur die bekannten LP's sondern versuchen einen Überblick über das Gesamtwerk der Bands und deren musikalische Entwicklung zu geben.
Die erste Box ist ein überaus gelungener Start für die zu erwartende Serie. Im Einzelnen sind folgende CD's enthalten:

CD 1: Katrin Lindner & Band - "Die größten Hits"
Von der halleschen Schubert Band erschien nur eine LP, obgleich die Band bereits 1973 gegründet wurde. Diese LP, die zu den herausragenden Rockproduktionen der DDR gehört, bildet das Gerüst der vorliegenden CD. Die 11 Titel werden wesentlich durch die markante Stimme Katrin Lindners getragen, die 1976 von WIR zur Schubert Band wechselte. Zu den Texten Ingeburg Branoners, die Katrin Lindner aus der Seele erwachsen zu scheinen, komponiert und arrangiert Sieghard Schubert perfekte Songs.
Die Breite reicht von popigen Songs wie "Haltet ein", "Und wie weiter" und "Mond über der Stadt" über besten Rock'n Roll ("Heiße Tage") und E-Rock mit "Himmel und Erde", "Geisterstunde" und "Gewitter" bis zu großen Rockballaden. Die Arrangements sind durchgängig sehr anspruchsvoll. Sieghard Schuberts Keyboard ist songtragend, jedoch nie aufdringlich eingesetzt. Vielmehr setzt er oft überraschende Effekte ein, die von anderen Instrumenten ergänzt werden. So auf ungewöhnliche Weise von den Becken bei "Halte ein", einem Geigenpart Hans Wintochs bei "Halt mich fest" und immer wieder dem markanten Baß Peter "Bimbo" Rasyms ("Geisterstunde", "Gewitter"). Dann ist da noch die Geschichte vom Clown, einfach eine sehr schon erzählte Geschichte mit tiefem Sinn, in dem die Musik fast hinter der Botschaft zurücktritt. Die Höhepunkte der LP wie auch der CD bilden die phantastischen Balladen "Ich liebe noch" und "Abendträume" die beide durch die vibrierende, in den Höhen fast brechende Stimme Katrin Lindners unverwechselbar gestaltet werden. "Abendstunde" mit dezenten Streichern im Hintergrund, insgesamt sparsamer Instrumentierung und stimmigen Background, steigert sich in 4 Minuten zu choraler Größe. Es steht gewissermaßen in einer Linie mit solchen Werken wie "Tritt ein in den Dom", "Am Abend mancher Tage", "Wasser und Wein" oder Vronis Schneeflocke. Eine der besten Rockballaden überhaupt. Gänsehaut!
Die Titel der bekannten LP werden durch 7 weitere Titel ergänzt. Aus der Zeit vor der LP, als vor allem Jazzrock gespielt wurde und zur Schubert Formation ein Bläsersatz gehörte, sind 2 Titel auf der CD zu hören: "Sommer ade" wird von Holger Biege gesungen, der bis 1976 zur Schubert Band gehörte. Ihn löste Christian Schmidt ab, der "Bye, bye Traurigkeit" mit Katrin Lindner singt. Der Stilwechsel der Schubert Band ist an beiden Titeln deutlich zu hören. Die verbleibenden 5 Titel sind wieder deutlich als Lieder von Katrin Linder und Band erkennbar. Jeder davon erreicht das Niveau der LP. Besondere Erwähnung haben dabei vielleicht "Nachkriegskinder" und "Sommer ade" verdient. Bei "Nachkriegskinder" ist es der Text, der es besonders erwähnenswert macht. "Sommer ade" hingegen zeigt noch einmal eine neue Facette Katrin Lindners. Hier brilliert sie mit einem Stück, das an einen Bartzsch/Fischer Song erinnert.
Die vorliegende CD ist erstklassig remastered. Um die Qualität vergleichen zu können sei Interessierten empfohlen, sich Platte und CD nacheinander anzuhören. Dabei sollte man auf spezielle Soundeffekte wie die "Sirene" bei "Haltet ein", das Pfeifen bei "Himmel und Erde", den Spuk in der Geisterstunde und dann das Gewitter im gleichnamigen Lied damals und heute achten.

CD 2: Anett Kölpin & DATZU - "Die größten Hits"
Wenn Frauenpower in der DDR-Musik Ende der 80er Jahre auf jemanden zutrifft, dann gewiß auf Anett Kölpin und DATZU. Das der CD im wesentlichen zugrundeliegende Album "Wenn es wärmer wird" könnte geradezu eine Ausnahmestellung in der DDR Musikgeschichte beanspruchen. Gelegentlich wird es als erstes Independentalbum der DDR bezeichnet. Das ist in soweit zutreffend, als hier mit verschiedenen Musikstilen experimentiert wird, und das Ergebnis recht weit vom Mainstream entfernt ist. Die gesamte LP ist trotzdem in sich schlüssig und unbedingt hörenswert. Mehr noch, wer dieses Album nicht gehört hat, hat eine der interessantesten und musikalisch besten Belege etwas anderer DDR Musik bisher verpaßt. Das gilt um so mehr für die vorgelegte CD von DATZU, als sich auf ihr weitere 5 Titel befinden, die vor der LP entstanden und von Ines Paulke beziehungsweise Anke Schenker gesungen werden. Sie tragen bereits deutlich die Handschrift des Komponisten und Bandchefs Rainer Oleak, unterscheiden sich jedoch deutlich von den Kölpin Titel der LP. Der Eindruck wird verstärkt durch die unterschiedlichen Stimmlagen der Sängerinnen. Der Alt Anett Kölpins, eine der ganz großen Stimmen des "Ostrock", die leider viel zu wenig Beachtung fand, und ihre Sangesweise können durchaus mit Ina Deter, Ulla Meinecke oder Anne Haigis verglichen werden. Die beiden anderen Sängerinnen überzeugen ebenfalls, haben jedoch deutlich höhere Stimmen und variieren ihre Titel weit weniger als es Anett Kölpin tut. Dennoch sind gerade "Mein Lied" und "Ich denk an Dich", beide von der nur ein halbes Jahr zu DATZU gehörenden Anke Schenker gesungen, sehr eingängige Stücke. "Sei mal 5 Minuten still", das wohl 1986 entstand, hat ganz deutliche NDW-Züge und ist stellenweise sehr nah an bekannten Vorbildern.
Anett Kölpin setzt jedoch einen anderen Maßstab. Sie singt nicht einfach zur Musik, sondern sie interpretiert sie. Sie ist Teil des Ganzen, nicht der Mittelpunkt der Stücke, wenn gleich ihre Interpretationen die einzelnen Stücke abrunden. Jedes Lied für sich ist ein abgeschlossenes, stimmiges Teil, das zu einem beeindruckenden Musikerlebnis wird. Das man in einzelnen Passagen an andere DDR Songs und -bands erinnert wird, mag daran liegen, daß Oleak, Politz und Schirrmacher vor DATZU bei Neumis Rockzirkus und "Bimbo" Rasym bei Stern Meißen und der Schubert Band Akzente setzten. So werden komplizierte Arrangements mit spielerischer Leichtigkeit und Bravour umgesetzt. Die vorliegende CD ist dem hohen Niveau der Musik entsprechend aufwendig abgemischt. Da in den Arrangements wenig Raum für die Präsentation einzelne Instrumente bleibt, hat jeder Musiker seinem Instrument ein spezielles Stück geschrieben und arrangiert. Diese kurzen Instrumentals von je etwa einer Minute teilen einzelne Blöcke und verbinden zugleich die gesamte LP.
Einzelne Lieder aus der LP hervorzuheben halte ich für unangemessen. Man kann sie kaum miteinander vergleichen. "Faces" und "Tigerin" sind rhythmisch geprägt, "Spiel mit mir" wirkt weit melodiöser und weicher. "Schmetterling" und "Leben auf Verdacht" sind beeindruckende Balladen in denen Anett Kölpin stimmlich brillieren kann. Ein wenig experimentel kommen "Im Namen der Liebe" und besonders "Fee der Nacht" daher. Und Kinderland ist der perfekte, grandiose Abschluß der LP, der im Ohr bleibt. So jemand diese LP nicht kennt, ist reinhören Pflicht! "Ohne" darf niemand behaupten "Ostrock"-Kenner zu sein.

CD 3: Brigitte Steffan & Meridian - "Die größten Hits"
Die CD von Brigitte Steffan & Meridian dürfte eine echte Überraschung für Viele sein, die dieser Gruppe ausschließlich das Etikett Schlager Combo zumessen. Dieses Klischee wird auf der vorliegenden CD mit den Natschinski Titel "Oh war das ein Typ" (1979) und "Ich bin wie ich bin" (1980) sowie "Regenspaß" auch hinlänglich bestätigt. Doch halt! Die meisten der insgesamt nur 14 Titel widerlegen dieses Klischee nachdrücklich. Grundgerüst der CD ist die einzige erschienene Meridian LP. Diesse ist eine bunter stilistischer Mix bester 80er Jahre Musik "Made in GDR". Das reicht vom SynthiPop und New Wave ("Immer Unterwegs", "Linie 6", "Eitelkeit") über allerbesten NDW Sound bis zu zwei Balladen. Lediglich "Allein" läßt hier nochmals die Schlagerwurzeln erkennen. "Tastenmann", "Hin und Her" (bisher unveröffentlicht) und "Nicht vergessen" lehnen sich unüberhörbar an großen Vorbildern an und müssen sich hinter großen Namen der NDW nicht verstecken.
Musikalisch dominieren Frank Zückmantels Keyboards neben damals sehr beliebten Electronic Drums die meisten Stücke, die fast alle auch von ihm geschrieben wurden. Gitarre und Baß sind im 80er Jahre Stil gelegentlich zu Statisten degradiert.
Ein paar Besonderheiten dieser CD möchte ich noch hervorheben. Zunächst gilt es da auf die Texte zu verweisen. Damals schwer als platt und unbedeutend kritisiert, reichen sie von skurril, typisch NDW, bis sehr beachtlich. Vier Texte stammen von Demmler, der sich mit beiden Ansprüchen ja durchaus auskennt. Das gilt auch für Michael Heubach, der zu zwei der Demmler-Texte die Kompositionen schrieb. Der eine nicht auf der LP enthaltene Titel ("Männer"), führt beste Automobil-Traditionen der Beiden weiter und erinnert ein wenig an Nina Hagen. Der zweite, "Fensterglas im Winter", ist als Ballade klar als Demmler/Heubach erkennbar und würde aus den anderen Titeln herausragen, wäre da nicht der Titel "Teuflisch". Ein Meridian Eigenprodukt, das in Passagen da heranreicht, obwohl es doch ganz anders geartet ist.
Und dann kann man noch auf Suche gehen. Wer zuhört, wird ein Kinderlied finden. "Fuchs Du hast die Gans gestohlen" als Passage der NDW...
Fazit zur Brigitte Steffan & Meridian CD - sicher gab es Gruppen mit einem klareren Stil, mit besseren Texten, bessere Musiker, und, und, und.... In diese Dreierbox paßt die CD perfekt, weil sie eine besondere Facette des "Ostrock" widerspiegelt und damit im übertragenen Sinne gewissermaßen die Raritätenkiste weit geöffnet wurde. Wer sich auf diese CD einläßt, könnte eine kurzweilige Stunde mit einigen überraschenden Wendungen erleben.

Fazit: Was bleibt zum Abschluß? Die vorliegende Box ist eine überaus gelungene Präsentation von Musik 3-er Bands und ihrer Frontfrauen aus der zweiten Reihe der AMIGA Geschichte. Mit der vorgelegten Box werden sie völlig zu Recht aus ihrem Schattendasein geholt. Die Box ist uneingeschränkt zu empfehlen. Sie macht neugierig auf das, was da noch kommt, auch wenn es schwer sein dürfte, diese Klasse auf 20 Boxen aufrecht zu erhalten.
(Fred Heiduk)

 


   
   
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