bapdvd 20130107 1725329714BAP "Rockpalast 28.08.1982 - Loreley"
BAP "Rockpalast 15.03.1986 - Grugahalle"
BAP "Rockpalast 18.11.1996 - Koblenz"

Konzertäre Aufwartungen der legendären Kölschrocker von "BAP" sind stets etwas ganz Signifikantes: Bis zu Dreieinhalb, Vier Stunden, bieten "BAP"-Frontmann Wolfgang Niedecken und seine jeweilige Formation alles, was es nur zu bieten gibt. Davon wurden wir erst vor knapp einem Monat Zeuge, als "BAP" ihre hanseatischen Anhänger in der Hamburger "Großen Freiheit 36" stundenlang in ihren Bann zu ziehen vermochten. Die EMI hat nun keine Kosten und Mühen gescheut, und vor wenigen Tagen drei gefeierte Auftritte der "Rolling Stones vom Rhein" (TV-Zeitschrift "GONG", 1984) "digital remastered", als hochwertige DVDs erstmals der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Den Anfang macht der Auftritt von Wolfgang & Co. am 28. August 1982 im Amphitheater nahe des sagenumwobenen Loreley-Felsens in Rheinland-Pfalz. Dem ebenso sagenumwobenen TV-Redakteur Peter Rüchel, letztlich der "Erfinder" des "Rockpalast", war es gelungen - neben internationaler Prominenz a la Eric Burdon, Rory Gallagher oder Frankie Miller - an ebenjenem freundlich-sonnigen Spätsommertag erstmals eine deutsche Truppe in die von ihm protegierte Sendung einzuladen.
Und dies waren niemand geringeres, als "BAP", die mit ihren phantastischen Alben "Für Usszeschnigge" (1981) und "Vun drinne noh drusse" (1982) seinerzeit Fans, Feuilletons und Hitparaden gleichermaßen in Begeisterung versetzten.
16 Titel aus ihren ersten vier LPs kamen am 28.08.82 auf der Loreley zum Zuge. Texter und Sänger Wolfgang Niedecken und sein kongenialer Komponist/Gitarrist Klaus "Major" Heuser", begleitet von "Schmal" Boecker (perc.), Schlagzeuger Wolfgang Boecker, Bassist Steve Borg, Alexander "Effendi" Büchel (key) und - nicht zu vergessen - Hans "Fonz" Wollrath am Mischpult, gaben damals in vollster Pracht die sprichwörtlichen "Angry Young Men", die sich - zeitgemäß - durchaus von einer punkig/wavigen Attitüde leiten ließen. "BAP" parodierten voller Intensität und Spielfreude den extrem ökologisch/heuchlerischen "Müsli Män" zu eingängigen Reggae-Klängen, Wolfgang zeterte (im positivsten Sinne des Wortes) gegen unnötig teure Sanierungsmaßnahmen in der Kölner Südstadt ("Südstadt verzäll nix"), haderte überaus glaubwürdig und mitreißend mit seiner Jugend in einem katholischen Jesuiteninternat ("Wenn et Bedde sich lohne däät"), führte aber gleichsam auch Klasse Liebeselegien ("Do kanns zaubere", "Anna", "Frau, ich freu mich") prall gefüllt mit fulminanter Ehrlichkeit und Authentizität auf.
Die brodelnde Anti-Nazi-Hymne "Kristallnaach" genießt, gerade in Anbetracht des feigen Mordanschlags auf einen Passauer Polizeibeamten, der seinen Beruf nicht nur als "Job", sondern als "Berufung" betrachtet, weshalb er eben die Straßen seiner Heimatstadt von kriminellem, glatzköpfigen Pöbel freihalten möchte (und dies beinahe mit seinem Leben bezahlen mußte), grausige Aktualität. "Nit für Kooche" - Nein, nicht einmal, wenn man ihm leckeren Kuchen anböte, würde Wolfgang Niedecken die pharisäerhafte Spießigkeit des Kölner Karnevals über sich ergehen lassen, weshalb er Jahr für Jahr in jenen Tagen fluchtartig die Stadt verlässt.

Am 10. Juni 1982 ging im Bonner Hofgarten die vermutlich größte, aufwendigste Demonstration der damaligen "Friedensbewegung" gegen den zeitgleich stattfindenden NATO-Gipfel, den Besuch von US-Präsident Ronald Reagan und allgemein gegen die bevorstehende Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden über die Bühne. Vor 300.000 Demonstranten, absolvierten "BAP" dort ihren allerersten "Massenauftritt" - sie schrieben aus Anlaß dessen die pazifistische Hymne "10. Juni", die selbstverständlich auch am 28. August jenen historisch so äußerst bedeutsamen Jahres auf der Loreley zum Einsatz kam. Der für eine Singleauskoppelung außerordentlich ungewöhnliche Titel "Verdamp lang her" führte "BAP" dem zum Trotz bis auf Rang 13 der offiziellen "Media Control"-Charts - Wolfgangs zutiefst intime, teils surreal angehauchte Diskussion mit seinem verstorbenen Vater, zählt bis heute zu DEN "BAP"-Klassikern überhaupt - und er betont ein ums andere Mal, wenn er gerade diese schnelle, drastische, wenngleich extrem gefühlvolle Rockhymne intoniert, seinen erzkonservativen Herrn Papa nahezu leibhaftig vor der Bühne stehen zu sehen.
Die genialische Bob-Dylan-Coverversion "Wie ´ne Stein" ("Like a Rolling Stone") und die positivistische Überlebens-Ode "Jraaduss" beschließen ein grandioses "BAP"-Konzert, das musikalisch schlichtweg Top und zeitgeschichtlich von betörender Bedeutsamkeit ist, so daß wir alle der EMI enorm dankbar sein sollten, daß ebenjene Kölner Firma dieses wundervolle Großereignis - mit "Liner Notes" von "Rockpalast"-Macher Peter Rüchel und einem Original-Interview mit "BAP", kurz nach dem Konzert, versehen - erstmals im DVD-Format aufgelegt hat!

Die 1986er-Tournee von "BAP" stand unter keinem guten Stern. Zwar war die dazugehörige Produktion "Ahl Männer, aalglatt" (Heinrich Böll gewidmet, von Willy Brandt im "Spiegel" sehr wohlwollend rezensiert) umgehend nach Erscheinen, am letzten Januarwochenende 1986, sogleich auf Rang Eins der LP-Charts eingestiegen - trotzdem zeigten sich unverkennbar erste Streitigkeiten zwischen Texter Wolfgang und Komponist/Arrangeur "Major". Die neun Nummern des Albums wirkten auf den Alt-Fan der Kölschrocker nicht selten überambitioniert, überarrangiert - was dazu führte, daß auf der entsprechenden Konzertreise mit Christian Schneider erstmals ein zweiter Keyboarder mit von der Partie sein mußte, um die komplexen Klangkaskaden auch ‚live' umsetzen zu können.
Am 15. März 1986 fand die Feuertaufe der "Ahl Männer, aalglatt"-Tour im Rahmen der (vorerst) allerletzten "Rockpalast"-Nacht statt. In der Essener "Grugahalle" zelebrierten u.a. Jackson Browne (damals mit seiner phänomenalen LP "Lives in the Balance" gut im Rennen) oder die Schottenrocker von "Big Country" den "Last Waltz" des doch so erfolgreichen Formats "Rockpalast", das aber (zunächst), trotz Fanprotesten und einer Eingabe der Grünen Bundestagsfraktion, dümmlichen Video-Clip-Shows und Mainstream-TV weichen mußte.
"BAP" hatten an jenem Tag die große Ehre, bundesdeutsches, vielmehr originär Kölsches Kulturgut quer in Europa zu verbreiten.
Wolfgang - vom Alkohol sehr gezeichnet - und die Seinen präsentierten 27 Titel, perfektest garniert aus Beiträgen von "Ahl Männer…" (betreffs dessen der "BAP"-Frontmann dem Verfasser dieser Zeilen bereits 2000 entwaffnend ehrlich mitteilte, dies sei "unser schlechtestes Album gewesen"…) und den klassischen "Greatest Hits", die bis heute auf keinem "BAP"-Konzert fehlen dürfen.
So hören und sehen wir etwa die zutiefst romantisch-liebevolle, Springsteen-beeinflußte Jugenderinnerung "Diss Naach ess alles drinn", den bitterbösen, bläserverstärkten Politikrocker "Drei Wünsch frei", das vertrackte Klangepos "Bahnhofskino", die "üblichen" "BAP"-Gassenhauer "Ne schöne Jrooß", "Zehnter Juni". "Frau, ich freu mich", "Kristallnaach" oder - wie kann es anders sein? - "Verdamp lang her". "Bunte Trümmer", die im Oktober 1985 erschienene, sehr keyboardlastige (aber keineswegs unsympathische) Vorab-Auskoppelung aus "Ahl Männer…", kommt genauso zum Zuge, wie der schnelle, harsche Synthi-/Gitarrenrocker "Endlich allein" oder die fragilen Schleicher "Lisa", "Halt mich fest", "Breef an Üch Zwei" oder "Von mir uss Kitsch". Als ultrarar und bei Beinhart-Fans heiß begehrt, gilt die Kölsche Auslegung des "Dire Straits"-Welthits "Money for Nothing", den Wolfgang kongenial zu "Massenhaft Kohle" ins Rheinische transferiert hatte.

Ende Februar 1984 fuhr der "BAP"-Frontmann seinen kleinen Sohn Severin im Kinderwagen durch den Kölner Südpark. Er setzte sich an jenem milden Vorfrühlingstag auf eine Bank und sinnierte so vor sich hin… Plötzlich erschien ein junges Mädchen, das ein Fahrrad vor sich her schob und gellend über den gesamten Südpark rief "Alexandra - wo bist Du?". Wolfgang ging bald darauf mit Severin nach Hause, brachte seinen Kleinen zu Bett… öffnete eine Rotweinflasche, danach noch die eine oder andere weitere - und schrieb während dessen das wahrscheinlich echteste, originärste Liebeslied der 80er Jahre: "Alexandra - Nit nor Do"; einen surrealen Text voller Emotionen, Enttäuschungen, wie unverbrüchlicher Liebe - erstmals erschienen 1984 auf dem Spitzenalbum "Zwesche Salzjebäck un Bier" und seitdem absoluter Fanfavorit, der nach dem "Orwell-Jahr" nahezu bei jedem "BAP"-Konzert zum Zuge kommt - so klarerweise auch am 15. März 1986 in der "Grugahalle", ausstaffiert mit einer ellenlangen Improvisation des damaligen "BAP"-Gitarristen "Major" Heuser.
Ein schrilles, grelles Rock'n'Roll-Medley, bestehend aus "Häng de Fahn eruss" (1980 - diesmal Christian Schneider am bluesigen Saxophon!) und dem "unwohrscheinlich schnellen" "Waschsalon" (1981), das unvergleichlich rastlose Tourneeopus "Nemm mich met" (1983), die bereits erwähnte Durchhalteparole "Jraaduss" und eine fetzige, rasante Auslegung der lyrisch schier herrlichen Weherdienstverweigerer-Persiflage "Stell Dir vüür", beendeten ein knapp dreieinhalbstündiges Konzert einer Band, die damals - 1986 - sicherlich auf ihrem kreativen Zenit stand, es aber - nach einer notwendigen, rund zweijährigen Pause - erneut geschafft hat, sich aufzurappeln und wiederum faszinierende Songs abzuliefern und ihre Fans damit in konsequentester Manier zu beglücken.
1996, nach den gefeierten Alben "Da Capo" (1988), "X für e U" (1990), "Pik Sibbe" (1993), sowie einer Best-of-Kollektion, einem knackigen Live-Album und Wolfgangs hervorragendem Soloausflug "Leopardefellhoot", fanden "BAP" wieder in (fast)-Urformation zusammen und präsentierten das sehr introvertierte, 50er-Jahre-orientierte Album "Amerika", in dessen Texten Wolfgang mal wieder - intensiver, als je zuvor - seiner Jugend im zerbombten Nachkriegs-Köln huldigte.
Inzwischen hatten die zuständigen Fernseh-Leute eingesehen, daß es ohne "Rockpalast" einfach nicht geht - weshalb Peter Rüchel am 18. November 1996 einmal wieder "BAP" in "seiner" Sendung begrüßen durfte. Zwischenzeitlich hatte Ex-"Deserteur" Werner Kopal Steve Borg am Baß abgelöst; der ebenfalls Wolf-Maahn-geschulte Jürgen Zöller saß an der sprichwörtlichen "Schießbude", "Jungspund" Jens Streifling ergänzte Gitarrero Klaus "Major" Heuser an den Saiteninstrumenten, kümmerte sich aber zugleich um Blasinstrumente (Mundharmonika, Saxophon etc.) und Gesang.

30 Titel mit einer Laufzeit von über 180 Minuten, umfasst jene dritte DVD, welche die EMI vor wenigen Tagen ebenfalls mit viel Liebe und Elan erstmals in diesem Format auflegte. Darunter befinden sich unverbrüchliche Live-Klassiker der Sorte "Nemm mich met", "Ne schöne Jrooß", "Frau, ich freu mich", "Alexandra - Nit nur Do", "Anna" (diesmal übrigens als jazzige Reggae-Version inszeniert), "Wenn et Bedde sich lohne däät", "Kristallnaach", "Verdamp lang her", "Wahnsinn" (deutsche Fassung des "Troggs"-Hits "Wild Thing"), "Helfe kann Dir keiner", die traumhafte Liebeserklärung "Do kanns zaubere" oder der brachiale "Waschsalon", wie gleichsam höchst intelligent ausformulierte Schmankerl aus "Amerika", wie etwa der melancholisch-rückblickende Ohrwurm "Nix wie bessher", der dralle Bluesrocker, direkt aus "Bonn-Beuel" importiert, "Silver un Jold", der so bitterböse, wie funkig, vorantreibende Fetzer "Saach, wat ess bloss passiert?", die dem 1994 in Bonn-Bad Godesberg verstorbenen Kunstmaler, Bildhauer, Collageur und Schriftsteller Michael Buthe gewidmete Ballade "Novembermorje", der krosse Hardrocker "Völlig ejal", die intensive, selbst für Spätgeborene sogleich nachempfindbare Nachkriegsvision "Amerika" (Titelsong der 1996er-CD), oder das einfühlsame Verliererdrama "Amok".
Neuere Titel, wie der 1988er-Top-10-Hit "Fortsetzung folgt", der düstere, drastische 1993er-Blues "Wie die Sichel vum Mohnd", das stilistisch kaum anders ausgerichtete Klangdrama "Paar Daach fröher", Wolfgangs so intime, wie verbitterte Auseinandersetzung mit der Deutschen Wiedervereinigung, "Denn mer sinn widder wer" (1990), seine Abrechnung mit denjenigen Politkern, die 1992/93 nicht in der Lage waren (bzw. sich aus angeblicher "Staatsräson" nicht dazu in der Lage sahen), die brutalen Skinhead-Krawalle in Rostock und anderen ostdeutschen Orten unter rechtsstaatliche Kontrolle zu bekommen, "Widderlich", der knackige, relativ "Stones"-beeinflußte Riff-Rocker "Vis a Vis" oder das verhältnismäßig originalgetreu umgesetzte Bruce-Springsteen-Cover "Hungry Heart" (aus des "Boss" wegweisender 1980er-Doppel-LP "The River") vervollständigen einen wahrhaft tollen Auftritt der rockenden Helden aus der Domstadt, die - trotz zig Umbesetzungen - noch 2008/09 weiterhin für hinreißende Konzertdarbietungen gut sind, ohne jegliche "Alterserscheinungen" aufzuweisen.
Im nächsten Jahr werden "BAP" ihre eingangs erwähnte "Radio Pandora"-Tour im Open-Air-Bereich fortsetzen. Am 13. Juni 2009 gastieren Wolfgang und Co. im Hamburger Stadtpark - wir werden da sein und einen - dies sei schon mal vorab versprochen - tollen Konzertbericht an dieser Stelle veröffentlichen : ))

Der EMI sei nochmals ganz herzlich dafür gedankt, daß sie sich die Mühe gemacht hat, diese schier umhauenden drei DVDs mit viel Liebe und Geschick auf den Markt zu bringen. Die Kölner Kollegen haben damit wahrhaftig Musikgeschichte geschrieben und uns unzähligen "BAP"-Freaks eine immense Freude bereitet. Zum Schluß noch ein kleiner Tip an die Kollegen enn Kölle am Rhing: Im Sommer 1984 strahlte das ZDF ein 45minütiges Special aus, welches den Auftakt der 1984er-"Salzjebäck"-Tournee aus dem Xantener Amphitheater komprimiert darbot. Wäre es nicht eine gute Idee, auch diese TV-Sendung "demnäxh" mal auf DVD aufzulegen?
Gesamtwertung Musik: Bestwertung!
Gesamtwertung Historische Bedeutung: Bestwertung mit Stern!
(Holger Stürenburg)