kunzeprotest 20130107 1525975481 Titel:
Label:
VÖ:

Titel:

"Protest"
Ariola
30.01.2009

1. Längere Tage
2. Einmal noch und immer wieder
3. Astronaut in Bagdad
4. Sie geht vorbei
5. Auf einem anderen Stern
6. Aber Menschen?
7. Dagegen
8. Frei zu sein
9. Ein besondrer Tag
10. Möglich
11. Selbst ist die Zerstörung
12. Warum?
13. Regen in meinem Gesicht
14. Du bist so süß
15. Elixier


Ein wahrhaft als "mangelhaft" einzustufendes Album hat das hochbegabte Multitalent HEINZ RUDOLF KUNZE innerhalb seiner inzwischen knapp 30 Jahre währenden Karriere niemals vorgelegt; nicht einmal ein mittelmäßiges oder eines von dem man sagen würde, "Na, es geht so, ganz gut...". Das musikalische - und v.a. lyrische - Schaffen des unschlagbaren Verbalanarchisten per Excellanze ist seit 1981 durchgehend auf mehr als nur hohem Niveau angesiedelt und hat unzählige Meilensteine deutscher Rockmusik hervorgebracht, zu vielen derer der Verfasser lebenslang ein intimes, enges Verhältnis pflegt und auch künftig pflegen wird.
Doch gänzlich, durchgehend PERFEKTE Produktionen kriegt selbst ein stets brodelnder Kreativling, wie HRK zweifellos einer ist, nicht alle Tage hin. Der Rezensent würde - ganz subjektiv - etwa "Ausnahmezustand" (1984), "Kunze: Macht Musik" (1994) oder "Richter-Skala" (1996) als solche bezeichnen. Und nun erschien dieser Tage Heinz' brandneues Opus "Protest" (Ariola/SONY) - wenn es eine reale Komparation des Wortes "perfekt" gibt, dann trifft der Superlativ dieses Begriffs jene aktuelle CD des unermüdlichen Dichters, Denkers und Provokateurs HRK, wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Jeder einzelne der 15 Titel von "Protest" beißt, sticht, reißt Wunden auf, um andere wiederum zu heilen. Einige davon möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben!
Da wäre zunächst der Eröffner der knapp 58minütigen Silberscheibe zu nennen, der zugleich als erste Radiosingle aus "Protest" fungiert (und, wie HRK bestätigte, von den zuständigen Redakteuren bereits sehr positiv aufgenommen wurde): "Längere Tage" ist ein traumhaft romantisches Liebeslied; eingängig, rundfunktauglich, sanft und dennoch (an)treibend arrangiert, ausstaffiert mit so herausragend gefühlvoll formulierten Textzeilen der Sorte "Du mußt gar nichts machen / Sei einfach nur da". Fraglos einer der energetischsten, intensivsten Singletitel aus knapp 30 Jahren HRK, der manch andere (zwischenzeitlich einwenig "abgedroschene") Singleevergreens, die da etwa über "Herzen" "Leib" oder "Seele" handeln, radikalst in den Schatten stellt.
Laut, drall, latent punkig wird es dagegen in "Astronaut in Bagdad", HRK's bitterböser Abrechnung mit der irrsinnigen Irak-/Nahost-Politik der nun endlich beendeten Präsidentschaft George W. Bushs, die allerdings nicht nur den US-Wahnsinn harsch kritisiert, sondern zugleich den menschenverachtenden, radikalen Islamismus; und darüber hinaus mit faszinierenden Textzeilen ausgestattet ist, wie z.B. "Joe sang ein Lied aus den 60er Jahren / als es ihn zerfetzte" oder "Sie kommen bei Nacht / Ein Gott, der ihr sterben belohnt" - einfach genial!
Einen klassischen Deutschrocker, eher rasant und gleichermaßen abgeklärt/traurig gehalten, stellt "Sie geht vorbei" dar: Heinz begibt sich hierin in die Rolle eines verlassenen Ex-Partners einer offenkundigen Traumfrau. Er hadert mit der Trennung, ist immens deprimiert, wenn sie - bildschön und aufreizend bekleidet - einfach an demjenigen Cafe' "vorbeigeht", in dem der Protagonist sie gerne noch ein allerletztes Mal getroffen hätte… zum Schluß dieses schier grandiosen Liedes nimmt dasselbe jedoch eine unerwartete Wendung… nicht nur die treulose Angebetete "geht vorbei"… sondern auch: "Die Liebe kann so grausam sein / hört niemand meinen Schrei? / Okay, laß es raus / aber, mach Dir nichts draus / SIE GEHT VORBEI" - ja, auch die Liebe kann einfach so vorbei gehen… - wow : )))
"Auf einen anderen Stern" wünscht sich das Lied-Ich in gleichnamigem Pianoschleicher - Dort "wäre er aus Gold" (Textzitat), zumal es auf unserem Planeten "schon immer" "in einem Zustand war, wie Gorbatschow am Ende der Sowjetunion" (Textzitate) - ein ehrlicher, mit höchstgradig genialischen Wortspielen versehener Hymnus auf einen ewigen Verlierer, der soooo gerne woanders wäre, als in seinem kleinen, kargen Leben auf der Erde - ein Titel, in dem sich der Verfasser dieser Zeilen (wie so häufig bei HRK) Eins zu Eins wieder findet.
Um das Denken und Fühlen eines Misanthropen dreht es sich in der - den mal wieder bitterbösen lyrischen Inhalt phänomenal konterkarierend - lieblichen Gitarrenpop-Nummer "Aber Menschen?". Der sprichwörtliche "Menschenfeind" liebt zwar seinen Briefkasten, seinen Duschkopf, Flaschenkorken und Stoffeinkaufstasche - aber mit der Spezies "Mensch" kann sich der Protagonist dieses krassen Wahnsinnssongs zu keinem Zeitpunkt anfreunden: Menschen seien "peinlich… ein Witz auf eigene Kosten"...
Heinz mag immer wieder gebetsmühlenartig betonen, in seinen Liedern stiege er überwiegend in Rollen, die mit ihm als Person nichts zu tun haben… Wer sich, wie der Rezensent, jedoch schon länger (inzwischen seit 25 Jahren!) äußerst intensiv und gewissenhaft mit HRK und seinen Texten auseinandersetzt, mag dies - etwa bei "Aber, Menschen" - gar nicht so recht glauben...
Mit einem geradezu diabolischen Wortspiel wartet der schnelle Rocker "Dagegen" auf. Heinz spuckt hier Gift und Galle gegen die ‚Möchtegern-Elite' der selbsternannten ‚Superstars' und ‚VIPs'; er greift sie an - um im Refrain zu intonieren: "Wir sind dagegen / Wir sind dagegen (und jetzt kommt's!!! - der Verf.) / Wir dagegen SIND NICHT DIE WELT". Verbalanarchistische Experimente, die zumindest den Rezensenten schlicht umhauen!
"Ein besonderer Tag" ist ein locker, luftiger, aufbauender Mid-Tempo-Popper, mit kessen, properen Reggae-Anleihen verfeinert, der musikalisch mit einer absolut ohrwurmträchtigen Melodie und ausnahmslos herrlichen Textzeilen a la "Der Frühling hat die erste Hochrechnung präsentiert" oder "Meine Prise Sonne leuchtet nur für Dich" betört, während "Selbst ist die Zerstörung" drastisch, laut, extrem, wiederum Punk-lastig, aus den Boxen dringt, dröhnt, und kryptisch von Haß und Amoklauf-(Alp)-Träumen berichtet: Textzitat "Der Tod hat ein süßes Aroma". Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Kürzlich schrieb der Verfasser dieser Zeilen an dieser Stelle, Wolf Maahns 2004er-Gefühlselegie "Schlüssel" sei vermutlich eines der innigsten Liebeslieder des neuen Jahrtausends. "Schlüssel" hat nun - Dank HRK - ernsthafte Konkurrenz bekommen: Die zutiefst romantische, wenn auch gleichermaßen enorm traurige Ballade "Regen in meinem Gesicht" vermittelt die Geschichte des Endes einer Großen Liebe und besticht mit Reimen der Sorte: "Das hat nichts zu bedeuten / Sorg Dich weiter nicht / Das sind keine Tränen / Nur Regen in meinem Gesicht"… schlichtweg zauberhaft; anders möchte ich solche hypersensibel ausgewählten Worte nicht bezeichnen.
Schlußendlich - Track 14... der (m.E.) absolute Höhepunkt von "Protest": "Du bist so (FURCHTBAR) süß"! Kompositorisch eindeutig an die "Kinks" gemahnend, nimmt sich HRK ein total süßes, bildschönes, von zig Männern begehrtes junges Mädel zur Brust; einen Frauentypus, über den der Rezensent einst so schön geschrieben hatte, ihr IQ befände sich gerade mal auf der Höhe ihrer BH-Größe...
Ja, die schnieke, junge Dame weiß nicht, was ein Bundeskanzler ist, hat vom II. Welrkrieg nie zuvor etwas gehört, (folglich ist ihr auch unbekannt, daß ein II. (!) Weltkrieg auf einen I. solchen folgen mußte). Sie verwechselt H.I.V. mit HSV - hat dafür aber gänzlich andere (sog.) ‚Vorzüge': Sie kennt "die Hauptdarsteller aller Soaps / und alle Fünf-Minuten-Superstars" (Textzitat) - und vor allem weiß sie (was wir bürgerlich/braven "Spießer" niemals erlernen werden), wie ultraknapp das Höschen bei einer Frau sitzen muß, um sexy und erotisch zu wirken. Auch eine Art von ‚Bildung', keine Frage ;))))
Mit gerade diesem Titel hat Heinz sich wieder mal selbst übertroffen. Unserer "BRAVO"-hörigen, Photo-handy-geschädigten und "Bushido"-vermüllten "erbärmlichen Jugend von heute" (Titel von HRK aus 2002) müssen wir, "die ersten alten Leute / die im Recht sind / wenn sie sagen / wir waren besser / denn wir kommen aus besseren Tagen" (Zitat aus ebenjenem Titel), immer wieder - gerne auch mit drastischen Mitteln - darlegen, daß uns 70er/80er-Kinder ihre dümmliche Oberflächlichkeit - profan gesagt - einfach nur nervt!!!
"Protest" ist ein Feuerwerk an genialischen Verbalinjurien, trefflichster "Politischer Unkorrektheit", auf der Basis klassischen Deutschrocks und liebenswerter Balladen. Ob sich die "Massen" hierfür interessieren werden, mag dahingestellt bleiben - der Künstler selbst, und seine junge "Verstärkung" (diesmal übrigens ohne jegliche Mitwirkung von Heiner Lürig!!!), haben mit "Protest" ein Werk vorgelegt, das - und hier bin ich mir ganz, ganz, ganz sicher - garantiert teutonische Rockgeschichte schreiben wird! Gesamtnote: Bestwertung mit Stern!!!
(Holger Stürenburg)

 


   
   
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