Stern-Combo Meißen: "Die
Original-Studio-Alben" (Box)

lp27 20230524 1471373144VÖ: 05.05.2023; Label: sechzehnzehn; Katalognummer: BF 08912; Musiker: alle, die zwischen 1977 und 2022 an den Produktionen aktiv beteiligt waren (siehe Besetzungen HIER); Bemerkung: Wiederauflage der Box "Die Original AMIGA-Alben" aus dem Jahre 2011. In dieser Box befinden sich alle sieben bei AMIGA bis 1987 produzierten Studio-Alben als Vinyl-Repliken + einer achten CD mit ausgewählten Songs der beiden letzten Alben "Lebensuhr" (2011) und "Freiheit ist …" (2020). Die Titel des Albums "Lebensuhr" wurden komplett neu arrangiert, gemixt und vom aktuellen Sänger Manuel Schmid gesungen. Insgesamt 8 CDs in Pappcovern, verpackt in einer Hardbox, zusammen mit einem Booket inkl. Liner Notes von Walter Cikan;

Titel:
CD 1 bis 7: Die Songs der ersten sieben Alben bis 1987
CD 8: " TNTK (Part I/II)", "Es geht die Zeit", "Das kurze Leben des Raimund S.", "Lebensuhr", "Die Zeder von Jerusalem", "Kein einziges Wort", "Lebensblues", "Reiter der Nacht", "Waldesstille", "Freiheit ist", "Nimm die Welt in die Hand", "In den Kosmos 2020", "Von fremden Ländern und Menschen", "Hoffnung", "Samt in neuen Farben"


Rezension:


Ein langer Atem
Kennst Du THE BLIND BOYS OF ALABAMA? Das macht nichts, die haben sich mit ihrem Album "There Will Be a Light" im Jahre 2004 mal auf Platz 73 der deutschen Album-Charts verirrt, aber hierzulande kennt sie kaum jemand. Sie dienen hier nur als Bespiel dafür, dass man, wenn von den ältesten noch aktiven Musikgruppen gesprochen wird, nicht bei den ROLLING STONES und den BEACH BOYS aufhören sollte. THE BLIND BOYS OF ALABAMA ist die dienstälteste Formation der Welt und ist im Richtung Gospel tätig. Gegründet 1939 (!!!) ist mit Jimmy Carter tatsächlich auch noch ein verbleibendes Originalmitglied bei der Formation dabei. Rein theoretisch könnte die STERN-COMBO MEISSEN, die inzwischen ja wieder auf das Wort "Combo" in ihrem Namen verzichtet, diese magische Zahl von 84 Jahren auch erreichen, hat sie mit ihrem Sänger und kreativen Chef Manuel Schmid ja einen "jugendlichen" Hüpfer in ihren Reihen, der noch ein paar Jahre bis zur Rente vor sich hat. Aber erst mal wollen wir im kommenden Jahr die 60 Dienstjahre der Gruppe feiern, und das ist nicht weniger beachtlich, sucht man Vergleichbares in Deutschland vergeblich.

Ein Vorgriff auf das Jahr 2024 und dieses besondere Jubiläum nimmt jetzt das Label sechzehnzehn mit der gerade frisch erschienenen bzw. wiederaufgelegten Box "Die Original-Studio-Alben" vor, die erstmals 2011 angeboten wurde und nunmehr in ergänzter Form wieder erhältlich ist. Damals hieß die Box noch "Die Original AMIGA-Alben", beinhaltete nur sieben CDs und endete mit dem Studioalbum "Nächte" aus dem Jahre 1987. Schon damals war das gesamte Schaffen der "Combo" damit nicht abgebildet, denn mit der "Lebensuhr" war 2011 nach über 20 Jahren Schaffenspause bereits ein weiteres und damit neues Studioalbum erschienen. Allerdings nicht bei AMIGA, weshalb es dann in der Box auch fehlte. Jörg Stempel von sechzehnzehn schließt nun sämtliche Lücken, strich das Wort "Amiga" aus dem Titel und fügte mit der CD "Es geht die Zeit …" ein weiteres Album hinzu.

Eine schwere Geburt
Die sieben AMIGA-Alben muss man gar nicht mehr groß vorstellen. Man kennt sie, manch eines wurde hier auch schon ausführlich besprochen und die Box an sich ist ja auch schon ein paar Tage älter. Richten wir hier viel mehr den Blick auf den bereits angesprochenen achten Silberling. Auf ihm befindet sich ein Zusammenschnitt der beiden Alben "Lebensuhr" (2011) und "Freiheit ist…" (2020). Während man die Lieder des aktuellen Albums 1:1 auf der CD "Freiheit ist …" finden kann, hat man die Auswahl der Lieder von der "Lebensuhr" für diese Box neu eingespielt. Sie haben außerdem auch eine besondere Geschichte. Ich hatte zwischen 2007 und 2011 das große Glück, dank meines Kumpels Thomas Kurzhals dicht am Entstehen des Albums dran sein zu dürfen. So bekam ich das Werden des Instrumentals "TNTK" vom ersten Demo bis zur fertigen Nummer mit. Thomas schrieb das Lied nämlich eigentlich nicht für die "Combo", bei der er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wieder dabei war, sondern für den anderen Thomas, genauer gesagt für Thomas Natschinski, und zu dessen 60. Geburtstag im Jahre 2007. Ebenso wurde ich aus der Ferne Zeuge, wie die Kontaktaufnahme vom "Kurzen" zu Norbert Kaiser zustande kam. Kaiser, der in den 80ern mit Ed Swillms bei KARAT die großen Hits schrieb, ließ sich nach längerem Flirt auf das Abenteuer "Stern-Combo Meißen" ein und lieferte feinste Text-Kunst für das neue Album ab. Aber ich bekam auch mit, wie schwer sich das Ensemble am Ende mit der Musik tat. Vielmehr damit, wie man bei dem Thema an einem Strang ziehen konnte. Mit Thomas Kurzhals und Marek Arnold hatte die Band zwei Häuptlinge, die vor Kreativität überschäumten, die sich aber - so schien es - irgendwie nie einig werden wollten. Der Eine hatte seine Vorstellungen, wie der Sound der ersten Lieder nach über 20 Jahren klingen sollte, der Andere zum Thema seine eigene Meinung. Und als wäre das nicht schon genug, mischte da auch noch Herr Kaiser mit, der ebenfalls gewisse Vorstellungen zur Umsetzung hatte. Am Ende tönten mehrere Herzschläge aus einer Brust, was dem Album zwar Abwechslung einbrachte, aber einen wirklichen "roten Faden" vermissen ließ. Als das Produkt aus dem Presswerk kam, war dann auch niemand wirklich zufrieden, was da letztlich in Kunststoff gepresst wurde. Es klang wie eine "doppelte Haushaltsführung mit zusätzlichen Untermietern". Zu den beiden Handschriften Kurzhals' und Arnolds gesellten sich dann mit dem Fißler-Titel "Mal seh'n wohin die Reise geht" noch eine dritte und mit dem eher volkstümlich angehauchten "Die gelbe Elbe" noch eine vierte Geschmacksrichtung dazu, die das Gesamtbild endgültig verwässerten. Die Präsentation der CD auf einem Planwagen beim Weinfest in Meißen rundete das Gesamtbild der irgendwie uneinig wirkenden Arbeitsgemeinschaft am Ende noch ab.

Samt in neuen Farben
Heute, 12 Jahre später, klingt STERN MEISSEN anderes. Das liegt nicht allein daran, dass seit 2012 der hier schon namentlich erwähnte Manuel Schmid das Gesangsmikrofon in der Hand hält, sondern dass sich auch der Sound weiterentwickelt hat. Wo 2011 noch mehrere Köche am Herd standen und großzügig ins Gewürzregal griffen, hat Manuel nun allein die Kochmütze auf und als Küchenchef kreative Freunde an seiner Seite, die ihn beim schmackhaft machen des Menüs hilfreich unterstützen, u. a. einer der alten "Köche", ein gewisser Marek Arnold. Lange Rede, kurzer Sinn … Manuel Schmid hat an ein paar der "Lebensuhr"-Songs nochmals Hand angelegt, sie mit frischen Arrangements "begradigt" und neu eingesungen. Das passierte schon kurz nach seinem Einstieg bei der Kapelle. Dass sie nun genauso knackig und frisch wie die Songs der "Freiheit ist …"-CD klingen liegt daran, dass die Neuaufnahmen aus den Jahren 2013 und 2014 erst vor Kurzem neu abgemischt wurden. Dafür holte sich Manuel mit Rainer Oleak einen weiteren großen Könner mit ins Boot, der am Mischpult sitzend schon so manch feinen Ton erzeugt hat.

Noch zu Lebzeiten von Thomas Kurzhals hat Manuel mit ihm zusammen an den Arrangements zu dessen Kompositionen gefeilt. "TNTK" klingt auf dieser CD deshalb auch leicht verändert, aber um ein ganzes Stück runder. Ebenso die "Zeder von Jerusalem" ist in ihrer neuen Fassung klar wiederzuerkennen, bekommt durch den neu beigemischten Gesangspart von Manuel deutlich mehr Reife und Qualität. Ohne seinem Vorgänger zu nahe treten zu wollen, aber es liegen schon deutliche Unterschiede in den Stimmen von Manuel und Larry B. und man kommt beim Hören nicht umher festzustellen, dass die des jungen Altenburgers der "Combo" deutlich besser steht. Die größte Veränderung im Vergleich zum Original hat der "Reiter der Nacht" durchgemacht. Auf der "Lebensuhr" noch von Martin Schreier gesungen, der das Stück auch geschrieben hat, zwitschert nun Manuel die Zeilen aus Norbert Kaisers Feder. Elektronische Spielereien mit Synthie und Moog, ein fetter Groove und leichte Anleihen vom Jazz prägen das neue Klangbild dieses Liedes und lassen die ursprüngliche Fassung ziemlich alt aussehen. Nicht ganz so krass fällt der Unterschied bei "Das kurze Leben des Raimund S." aus, obwohl man sich zuerst fragt, wer denn der neue Sänger des Stücks ist. Auch hier ist es Manuel Schmid, auch wenn man ihn auf den ersten Blick vielleicht nicht erkennt. Damit stellt er ein weiteres Mal sehr eindrucksvoll unter Beweis, dass er viele Farben in der Stimme hat und damit immer wieder überraschen kann. Und dies tut der Sänger auch in den anderen Songs des 2011er Albums. Lieder wie "Es geht die Zeit", "Lebensuhr" oder auch "Waldesstille" werden nicht zuletzt auch durch seine Gesangsleistung zu wunderbaren neuen Liedern, die sich hauteng an die Songs des neun Jahre später erschienenen Nachfolgealbums anlegen und wie aus einem Guss klingen. Sie mischen sich auf der achten CD die Titel der letzten beiden Platten und stehen gleichberechtigt nebeneinander. Der einst vermisste "rote Faden" ist unüberseh- bzw. unüberhörbar!

Geschenk-Tipp + Fazit
Diese CD-Box zeichnet den Weg einer Rockband nach, die sich über viele Jahrzehnte immer wieder neu erfunden, gewandelt und verändert hat. Man bekommt den Sound der Anfänge, hört der Gruppe während ihrer Pop-Jahre der 80er zu, landet schließlich beim Klang der Neuzeit und bekommt damit jeden Ton und jede Veränderung im Klangbild der "Combo" auf acht CDs geliefert, die mit einem reich bebilderten und mit dem Vorwort von Walter Cikan versehenen Booklet gereicht werden. Damit setzt das Label sechzehnzehn und deren Chef Jörg Stempel der Stern-Combo einmal mehr ein Denkmal, dieses Mal ein vollständigeres als noch 2011. Und wie damals, gibt es die Neuauflage auch wieder zu einem nur als Freundschaftspreis zu bezeichnenden Betrag im Fachhandel zu kaufen. Wer sich jetzt aber ärgert, dass er sich die Box nur wegen dieser neuen, achten CD ein weiteres Mal zulegen muss, dem sei die Empfehlung gemacht, die 12 Jahre alte Box mit den 7 CDs an jemanden, der die "Combo" noch nicht kennt, zu verschenken, und ihn auf diesem Wege ganz missionarisch an wirklich gute Musik heranzuführen. Das sorgt bei Dir als Schenkendem für Glücksgefühle und beim Beschenkten ebenso.

Uns Hörern bleibt nach dem Genuss dieser Box nur zu wünschen, dass es nach dem 60. Bandgeburtstag im kommenden Jahr mit STERN MEISSEN noch weitergehen wird. Diese Band ist eine lebende Legende und Kulturgut, auf das Deutschland echt stolz sein kann. Und wenn man der Formation live zuschaut, ihre neuen Songs - gerade auf dieser achten CD der Box - lauscht, merkt man sofort, dass da noch eine Menge Potential schlummert, um über die 60 hinaus weiterzumachen. Vielleicht sogar die 84 Dienstjahre der THE BLIND BOYS OF ALABAMA zu erreichen. Wer weiß!?
(Christian Reder)





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