Isa Jansen: "Bitter & süß" (Album)

isajansen2023 20230315 1015998888VÖ: 24.03.2023; Label: Sturm & Klang; Vertrieb: AL!VE; Katalognummer: 4042564226904; Musiker: Isa Jansen (Gesang, Gitarre, Klavier, Keyboard), Johannes Engelhardt (Bass, Kontrabass), Hiromu Seifert (Schlagzeug, Percussion, Klavier, Keyboard), Johannes Hamm (Schlagzeug), Paul Santner (Gitarre), Julian Maler-Hauff (Bläserarrangements), Anne Altenburg (Chor-Gesang), Thomas Krüger (Klavier bei "Trost"), Anika Bollmann (Gesang bei "Was bleibt"); Musik/Texte: Isa Jansen; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Ausschließlich auf CD veröffentlicht;

Titel:
" Schon einmal gesehen", "Bitter & süß", "In den Wolken", "Ohne Dich", "Die Bank", "Du hast mich kaputt gemacht", "Plattensprung", "Lass los", "Traumwelt", "Trost", "Was bleibt", "Lass Los (Bonustrack)"


Rezension:


Ich sollte mir unbedingt abgewöhnen, abends mit neuen CDs ins Bett zu gehen, um sie dort erstmals zu hören. Das kann böse ins Auge gehen. Manch ein Erzeugnis erleichtert es mir zwar, ruck zuck einzuschlafen, ist es von der Machart und/oder den Inhalten so aufregend wie die Ausstattung eines rumänischen Kleinwagens. Andere hingegen sind das komplette Gegenteil davon. Sie halten Dich wach … lange wach …. sehr lange sogar! Vor einem "sehr langen" Wachzustand zu nachtschlafender Zeit nach dem Konsum seines Inhalts muss auch in Bezug auf das Album "Bitter & süß" von Isa Jansen gewarnt werden, das mich gestern ins Schlafgemach begleitet hat. Mit einem zeitnahen zur Ruhe kommen hatte es sich nach dem Hören dessen nämlich erledigt.

Isa Jansen heißt die junge Frau, die ihre Wurzeln in Greifswald hat und dort, sowie in Weimar, ein Musikwissenschaftsstudium absolviert hat. Nach ihrem Studium verschlug es sie nach Brandenburg, wo sie Job mäßig die Öffentlichkeitsarbeit für die Havelländischen Musikfestspiele, einem Klassik-Festival, übernommen hatte. Neben ihrem Studium, der Arbeit für das Festival und auch schon während der Schulzeit (sie war dort in einer Schülerband aktiv) hat Isa Songs geschrieben, und die wollten irgendwann endlich mal raus in die Welt. Kurz bevor der ganze Corona-Wahnsinn los ging, wollte sie den Menschen sich und ihre Musik vorstellen, doch dann kam die vom Staat gespritzte kulturelle Narkose. Diese Zeit, in der nicht live aufgetreten werden durfte, nutzte die junge Frau dazu, Songs in einem Rostocker Studio aufzunehmen. Zuerst entstand dabei die EP "Federkleid" (leider nur digital erschienen und der Redaktion nicht vorliegend) und nun das 12 Stücke umfassende Album "Bitter & süß" (Sturm & Klang/AL!VE), das am 24. März das Licht der Welt erblicken wird.

Isa sagt gern, "Ich singe, weil ich ein Lied habe", und zitiert damit ihren Kollegen und Chef ihrer Plattenfirma, Konstantin Wecker. Diese Zeile machte sie zu ihrem Motto. Immer wenn sie zur Ruhe kommt, spazieren geht oder sonst wie einen Moment für sich und ihre Gedanken findet, fallen ihr Gedichte oder Texte ein, die sie dann zu Papier bringt. Erst dann kommen die Töne dazu, also ist bei ihr immer zuerst das Wort da, bevor die Musik dazu geboren wird. Das war schon immer so. Und so kommt es nun dazu, dass uns die Sängerin, Komponistin und Texterin mit in ihre Gedankenwelt nimmt, aus der einzelne Episoden zu kleinen bunten Filmen gemacht wurden.

Da ist z.B. der Film "Du hast mich kaputt gemacht". Hier erzählt jemand, dass er nun allein ist, dabei ganz unten bei "schummrigem" Licht angekommen ist, und von dort aus wieder erste Gehversuche unternimmt. Sie singt von der Erkenntnis, dass nichts wieder so sein wird wie es mal war, aber auch davon, dass die dunkelste Nacht auch irgendwann mal wieder vorbei geht. Vorgetragen mit einer Stimme, die Dir ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, tief unter die Haut geht und verpackt in eine angejazzte Pop-Musik mit Keyboard und Bläsern, die treibend ist und in Verbindung mit dem Inhalt aufwühlt. Man möchte anfangs umgehend zu ihr hin eilen, sie in den Arm nehmen, fest an sich drücken und fragen, wer ihr sowas nur angetan hat. Dann stellt man aber fest, dass das gar nicht nötig ist, denn die Erkenntnis, "Verstehst Du's nicht | Ich brauch Dich nicht", ist der Brustlöser, der Befreiungsschlag, der Turn-Around in dem Song und das aus Noten geformte wieder Aufstehen. Ein bewegender Song, der mit seiner eingängigen Spielart langanhaltend im Ohr bleibt und zur Hymne aller Verlassenen wachsen könnte. Eins von vielen Highlights auf dieser Platte!
Ein weiteres Highlight ist das luftig und unbeschwert arrangierte "In den Wolken", das so federleicht durch den Raum schwebt wie der betörende Duft eines guten Parfums. Klavier, Akustikgitarre, ein mit Jazzbesen gestreicheltes Schlagzeug und Isas Stimme. Mehr braucht es nicht, um eine nach Sommer und Leichtigkeit klingende Popnummer abzuliefern. Eine mit Dir mitfühlende Seele lädt Dich zum Fliegen ein, und man möchte sich ihr umgehend anschließen.
Von einem im Leben unbeweglich gewordenen Menschen, der aus seiner eingefahrenen Spur nicht raus kann oder will, und der den Hintern für eine Veränderung nicht hoch bekommt, weil sein "innerer Schweinehund ein riesenfettes Tier" ist, handelt "Schallplattensprung". Von diesen Zeitgenossen hat unsere Gesellschaft ja ein paar Exemplare mehr. Sie meckern darüber, dass alles so furchtbar ist, sind für Veränderungen aber zu bequem. Diesen Film untermalt Isa Jansen mit einer von Akustikgitarre getragenen und mit Orgelklängen unterstrichenen Folk-Nummer der leiseren Gangart. Äußerst bekömmlich in Szene gesetzt.
Im Gegensatz zur oft zu hörenden Leichtigkeit auf dieser CD stehen die wesentlich schwereren Klänge in "Traumwelt". Hierbei handelt es sich musikalisch um ein typisches Liedermacher-Stück, das von der Wirklichkeit und dem Schein handelt. Die Musik passt zu den von der Künstlerin im Song beschriebenen Charaktern, denen man von außen nicht ansieht, was in ihnen los ist, und die einem auch nicht die Gelegenheit geben, dies zu sehen. Dazu dürfen dann auch gern mal ein paar Moll-Töne gereicht werden.
Und dann ist da noch das Lied "Lass los", das uns hier gleich in zwei verschiedenen Versionen angeboten wird. Hier wird vom Loslassen gesungen, von dem Moment, in dem man sich vielleicht von liebgewonnenen Dingen, Riten oder anderen Bequemlichkeiten trennen muss. Was man gerade noch festzuhalten versucht, lässt man im nächsten Augenblick mit der Flut oder dem Wind gehen. Weil es einfach sein muss, oder weil man Platz in sich für Neues sucht. Kurz vor Schluss gibt es dazu eine akustische Version und ganz am Ende der CD noch eine weitere, die nach anfänglich natürlichem Klang in eine elektronische und tanzbare Richtung gleitet. Sowohl die eine als auch die andere Version haben einen Ohrwurm-Charakter, denn der Refrain gräbt sich tief ins Kurzzeitgedächtnis, um im Laufe des Tages immer wieder mal nach vorn zu kommen, um nochmal dahin gesummt zu werden. Der elektronische Klang und der Takt der etwas schneller arrangierten Bonus-Version fassen Dir zudem ganz charmant ans Tanzbein.
Aber es gibt noch einige andere Stücke mehr, die ich an dieser Stelle jetzt nicht zerlegen und deren Inhalte ich nicht verraten möchte. Der jetzt schon neugierig gemachte Leser wird beim Hören des Albums mit den hier nicht näher vorgestellten Stücken jedenfalls auch sehr viel Spaß haben. Mehr soll hier gar nicht verraten werden …

Und nach dem Hören in der Nacht liegste dann da in Deinem Bett … willst schlafen und kannst nicht. Du denkst darüber nach, was Du da gerade gehört hast, hast Melodien im Kopf, die Dich durch die Nacht begleiten wollen, hast diese sanfte Stimme im Ohr, die Dir die Geschichten so warm und vertraut klingend erzählt hat. Dann spinnst Du diesen oder jenen gerade erlebten Film weiter oder lässt ihn aus dem Gedächtnis heraus nochmal von vorn laufen und Du überlegst, wie Du Deinen Lesern diese tollen Lieder so beschreiben kannst, dass sie schon wegen Deiner Zeilen gar nicht daran vorbeikommen können, sich dieses Album auch zuzulegen oder auf eins der Konzerte der Isa Jansen zu gehen. Gerade letzteres ist schwer, weil es eben ein Liedermacher-Album ist. Weil einzelne Lieder daraus auf verschiedene Weisen gesehen und interpretiert werden können, und weil man diese zerbrechlich klingende und engelsgleiche Stimme eben nicht mit Worten beschreiben kann. Zumindest sind dafür noch keine Vokabeln erfunden worden. "Bitter & süß" ist definitiv kein Betthupferl. Nichts für die Nacht und auch nichts, was man sich mal so nebenher geben kann. Es sind 12 kleine Filme, die mit Herz und Hirn erkundet werden wollen und müssen. Musik für den, der denken kann und möchte, Songs für Erwachsene und jung gebliebene Menschen, die gern zuhören. Kurz: Eins der schönsten Singer-Songwriter-Alben der letzten Zeit.
(Christian Reder)





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