Herwig Mitteregger: "Im Moment" (Album)

lp11 20211215 1749515518VÖ: 01.12.2021; Label: Manoscrito Music; Katalognummer: ohne; Musiker: Herwig Mitteregger (alle Instrumente); Bemerkung: Hierbei handelt es sich um ein Album mit 14 Instrumentalstücken und 2 Remakes. Es ist ausschließlich als Stream oder Download und NICHT physisch auf einem Tonträger erschienen;

Titel:
Steiermark forever • Saul Good • Draußen die Kinder • Nachtfahrt • So wie damals • Sie singt • Abschied • Triumph der Schmetterlinge • Zusammen • 88 Tasten • Es könnte sein • Überredet • Yeah • Sehnsucht • Archie Epiano • Schlaf gut


Rezension:
Die Tage, an denen ein neues Mitteregger-Album erschien, waren für den Rezensenten immer Feiertage. Die Zeit zwischen der Ankündigung und seinem Erscheinen wurde zum Countdown der Spannung, und die letzten Stunden vor der Öffnung des Plattenladens bildeten den Höhepunkt dieses "Weihnachten und Geburtstag fallen auf einen Tag"-Gefühls. Dann hielt man sie in Händen, teilte seiner Umwelt mit, in der nächsten Zeit nicht via Telefon oder gar Besuchen am Lebensmittelpunkt gestört werden zu wollen und ließ die Scheibe ein erstes Mal drehen. Man wurde weder vom Inhalt noch von den für die Texte ausgewählten Klangkleidern enttäuscht. Es gab immer Überraschungen und man ließ sich (in jungen Jahren) auch gern mal von Mittereggers Kunst überfordern und dabei an die geistigen Außenlinien führen, um die Welt dahinter zu erkunden und einzunehmen. Das Album selbst wurde gehütet wie ein Schatz, der für einen selbst von Jahr zu Jahr wertvoller wurde und einen mental sowohl durch sonnige als auch verregnet-stürmische Tage gleichermaßen unbeschadet brachte. Der 1. Dezember dieses Jahres hätte wieder so ein Tag werden können, an dem man ein neues Album sachgerecht hätte feiern und es mit einer entsprechend feierlichen Zeremonie in die Sammlung aufnehmen können …. Ja, hätte … Doch bei Mittereggers nunmehr zehnten Studio-Album ist erstmals (fast) alles anders …

Es fängt damit an, dass "Im Moment." irgendwie heimlich, still und völlig geräuschlos an einem Mittwoch das Licht der Welt erblickte. Keine vorab gestreuten Ankündigungen wie sonst, keine Pressemeldungen oder Anzeigen und auch keine Infos im Rundfunk oder gar in der Fachpresse (auch bei uns nicht). Über die Fan-Seite in einem sozialen Netzwerk machte ein Anhänger von Herwigs Musik die nüchterne und kommentarlose Mitteilung über das Erscheinen in Form eines Links zu Herwigs Homepage, auf der das Album angekündigt wurde. Überraschung und Freude über neuen Stoff einerseits, Verwunderung über die bis dahin nicht bekannte Existenz einer neuen "Platte" andererseits, war man in den Jahren davor doch immer bestens informiert. Auffällig auch, mit wie wenig Zusatzinfos hier auf ein neues Werk hingewiesen wird. Keine Verlinkung in einen Shop oder Angabe der Song-Namen, nur eine Ankündigung, dass es ein neues Album gibt - bis heute hat sich das übrigens auf Herwigs Seite nicht geändert.

Ebenfalls anders ist, dass Herwig auf seiner neuen Produktion wohl komplett auf Texte verzichtet. Echt jetzt? Der Mann, der mit Worten die aufregendsten uns spannendsten Bilder malen kann und der bei mir auf einer Stufe mit Rio Reiser rangiert, macht Instrumentalmusik? Ok, dieses Mal überlässt er seinen Hörern die Aufgabe, die Lieder beim Hören seiner CD selbst mit Inhalten zu füllen und sich über seine Musik die eigenen Filme auf die innere Leinwand zu projizieren. Kann man ja mal machen. Aber halt …

Das mit der CD wird wohl so nichts werden, es sei denn man brät sich nach erfolgtem Download am PC eben schnell selbst eine. Ausgerechnet zum 10. Album-Jubiläum - und auch das ist anders - stellt Herwig Mitteregger die physische Veröffentlichung seiner neuen Musik ein und bringt sie nur als Stream und Download bei den gängigen Portalen raus. Tja, und ab diesem Moment endet für den Verfasser dieser Zeilen die Reise in die neue und instrumentale Mitteregger-Welt bereits. Ich bin und bleibe KEIN Kunde irgendwelcher Streaming-Dienste und lade mir auch keine Musik auf den Rechner. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, allem voran will ich keine Mitesser finanzieren, die "meinen" Lieblingsmusikanten die tägliche Wurst vom Brot ziehen. Ein anderer Grund ist der, dass ich Musik noch aufmerksam höre und mir dafür die Zeit nehme, sie mir auf der Anlage und nicht zwischen Tür und Angel am PC reinzuziehen. Ich lese dabei im Booklet und lasse mich beim Hören nicht ablenken. Außerdem zahle ich - abgesehen von Software - nur Geld für etwas, was ich dann auch in Händen halten kann oder wenn ich einen Künstler direkt unterstützen möchte. Aber das Thema Streaming ist ein abendfüllendes, das hier den Rahmen sprengen würde. So geht in fast 40 Jahren, in denen ich Fan der Mitteregger'schen Liedschmiedekunst bin, erstmals ein Album von ihm an mir vorbei. Ich bin dieses Mal nicht einer der Ersten, der es hat und habe es auch einen Monat nach seinem Erscheinen noch nicht gehört. Bin ich nicht neugierig? Bin ich deshalb nicht sogar traurig? Oh doch, sehr sogar … aber ich habe auch meine Prinzipien. Ich verweigere mich dem "neuen Medium" Streaming. Ich mache den Scheiß nicht mit, melde mich bei keinem der Portale an und werde das auch in Zukunft nicht tun. Für keinen Musiker der Welt!

In einer funktionierenden Welt gehört ein Künstler wie Herwig Mitteregger nicht nur mit dem ganz großen Besteck auf die Bühne - ein Erlebnis, das uns Fans seit Jahren auch nicht mehr vergönnt ist -, seine Musik obendrein auf Platte und CD veröffentlicht! Viel mehr als die eines jeden dieser dauertingelnden Ruhestörungen aus dem Partyschlager-Bereich, die dank komplett auf den Kopf gestelltem und schwer beschädigtem Massengeschmack die neue deutsche Folklore bilden. Auf Nachfrage teilt der Künstler mit, dass "CDs am abkratzen" seien und er deshalb diese zeitgemäße Art der Veröffentlichung gewählt habe. Diese Beobachtung mag zwar stimmen, aber auf seine Anhänger dürfte das größtenteils eher weniger zutreffen. Mit seiner Musik hat er noch nie den durch Bequemlichkeit zu verblöden drohenden Teil der Hörer angesprochen, für die Musik letztlich nur noch ein Nebengeräusch in ihrer oberflächlichen Welt darstellt, das über Smartphone oder Pad konsumiert wird. Der Großteil seiner Fans tummelt sich dann doch mehr in dem Kosmos, wo Musik noch Kunst ist und entsprechenden Wert hat, man Lieder eines Albums in der Reihenfolge anhört, in der sie der Künstler zusammengestellt hat und wo schon allein aus Respekt vor den Musikern und ihrer Arbeit nach wie vor Platten und CDs gekauft werden. Deshalb möchte man ihm Mut machen, ebenso oldschool unterwegs zu bleiben wie seine Fangemeinde, die für längst vergriffene und in der Sammlung noch fehlende Scheiben mit seiner und der Musik von SPLIFF sogar bereit ist hohe Summen auszugeben. Man selbst hat vor Jahren für die "Schwarz auf weiß"-CD stolze 100,- DM hingelegt, und würde es wieder zun. Mittereggers Lieder dürfen nicht ausschließlich im weiten Nichts der digitalen Höranstalten lieblos zur Auswahl eingestellt werden. Das ist zu wenig. Das ist Verschwendung!

Wenn das hier aber die Zukunft der Musik und damit unserer Kultur ist, können wir den Laden abschließen, uns vor RTL2 auf der Wohnlandschaft parken und uns zum Takt vitaminloser Ballermann-Lieder mit einem leichten Gummihammer vor den Kopf schlagen. Achso: Letztlich kann ich zu "Im Moment." gar nichts sagen, ich habe das Album - wie gesagt - noch nicht gehört. Darum sorry, wenn ich Euch die Zeit geklaut haben sollte!
(Christian Reder)




   
   
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