Im Land der Dichter und Denker werden diese leider immer seltener. Dichten scheint out zu sein und zum Denken haben viele scheinbar auch keine Lust mehr. Aber Menschen, denen die Kunst mit Worten und ihrer Sprache umzugehen mit in die Wiege gelegt wurden, oder solche, die sich um aktuelle Dinge Gedanken machen und Lösungen für Probleme anbieten, gibt es noch. Manch ein Zeitgenosse hat auch beide Talente gleichsam in sich vereint, und einer davon ist Tino Eisbrenner. Wer seine Lieder kennt, und hier insbesondere die Texte, weiß das mit seinem großen Talent beim Dichten schon längst. Wer ihm zuhört oder seine Beiträge in sozialen Netzwerken liest, weiß auch von seinen klugen Ansichten, stets fundierten Aussagen und erkennt allein daran, dass es sich dabei nicht nur um wichtigtuerisches Blabla handelt. Wir haben es bei Tino also mit einer Person des öffentlichen Lebens zu tun, die Stellung bezieht und eigene Gedanken offen darlegt. Na, ist es nicht gerade das, was hierzulande immer von den Promis verlangt wird? Dieser Tino Eisbrenner wird noch in diesem Jahr 60 Jahre alt, und auch aus diesem Anlass erscheint das hier vorliegende und zu besprechende Buch "Hinterland".

Auf 92 großformatigen und mit vielen Fotos illustrierten Seiten bekommt der Leser die Biographie des musizierenden Friedensbotschafters in Form von zwei Gesprächsniederschriften gereicht. Diese Gespräche führte die Publizistin Ida Kamarada mit Eisbrenner; eins vor dem Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar 2022, ein Ergänzendes kurz danach. Darin antwortet der Songpoet auf biographische Fragen zu seiner Person und gibt witzige, inhaltsreiche, teils träumerische Einblicke in sein Leben und Denken. Man erfährt dabei vieles über seine Kindheit und die Anfänge seiner Karriere ebenso wie über sein Verständnis von Heimat bzw. Herkunft. Letzteres nicht platt vor den Latz, sondern auf eine ganz andere und überraschende Art und Weise, wie man sie so nicht wirklich vermutet hätte. Auch in Sachen Politik hat der Mann klare Sichtweisen. Man erlebt mit ihm nochmal die Zeit der Wende, die er gar nicht in seinem Heimatland DDR miterlebte, sondern aus der Ferne beobachten musste, und erfährt seine Meinung zur Wiedervereinigung und den sich daraus ergebenden "Nebeneffekten" in seinem direkten Umfeld. Auch seine Meinung zur aktuellen Lage in der Welt teilt er seiner Gesprächspartnerin und somit auch uns im Verlauf des Gesprächs mit und wird auch hier nicht müde, einen anderen als den gewaltsamen Weg zur Lösung einer Krise zu propagieren. Immer in lupenreinem Hochdeutsch redend und in seinen Antworten keine Fragen offen lassend, plaudert Eisbrenner über all das, was ihn betrifft, bewegt und was den Leser interessieren könnte. Er zeigt sich im Gespräch als Mensch, der eigene Fehler erkennen und entsprechend darauf reagieren kann, der zudem reflektiert auf die vergangenen Jahre zurückblickt und der einen anderen Weg wählt, als den Zeigefinger zu erheben und in irgendeine Richtung zu ermahnen. Seine Erzählungen sind kurzweilig, mit viel Inhalt und klug, stellenweise auch witzig und amüsant. An dieser Stelle soll gar nicht alles an Inhalten dieser Lektüre verraten werden, und das Entdecken der Eisbrenner'schen Vergangenheit und Gegenwart vielmehr Euch überlassen bleiben.

"Hinterland" wird ohne Frage jede Bücher- oder Fanartikel-Sammlung aufwerten. Im eingangs beschriebenen Land, in dem Dichter und Denker knapp werden, wird zumindest noch gut verfasster Lesestoff angeboten. In diesem Fall eine Biographie, die überrascht und über einen unserer Künstler berichtet. Und zwar aus erster Hand, nämlich vom Künstler, einem der letzten Dichter und Denker, selbst.
(Christian Reder)