Anonym: "Blindflug" (Album)

anonym2022 20221207 2027822466VÖ: 02.12.2022; Label: Anonym/Eigenvertrieb; Katalognummer: 4020796492489; Musiker: Manja Stockhausen (Gesang), Dirk Orlowsky (Gitarre), Günter Schenten (Gitarre),Andreas Schlapeit (Bass), Christoph Glässer (Keyboard), Michael "Mick" Schaller (Schlagzeug); Bemerkung: Ausscließlich auf CD erschienen. Das Album ist über die Homepage der Band www.anonymdieband.de erhältlich;

Titel:
"Du trägst grau", "Im Blindflug", "Mein Weg zu Dir (Uranus)", "Sag mir warum", "Das Leben wie es ist" Nicht gut für mich", "Mein Kuss", "Ich steh auf", "Irgendwo verloren", "Seemann", "Immer wenn Dir kalt ist", "Hey Du", "Alles beim Alten"


Rezension:


Eine der dienstältesten Bands aus der NDW-Zeit meldet sich mit neuem Album "Blindflug" zurück. ANONYM ist eine Ruhrgebiets-Band, deren Wurzeln bis zum Anfang der 80er Jahre in die Zeit der Neuen Deutschen Welle zurückreichen, als die aus Bottroper Schulfreunden entstandene Band ihre LP "MM" (Pläne-Vertrieb) veröffentlichte.

Ende 1982 gründete sich die Gruppe ANONYM aus der Formation NIGHTMARE. Die Bandmitglieder kannten sich aus dem Vestischen Gymnasium Bottrop, in dem sich auch der Proberaum befand. Dort entstanden die Titel des Albums "MM". Diese LP wurde dann im Eigenvertrieb (1000er Auflage) an den Mann, bzw. die Frau gebracht; nebenher spielte man einige Gigs in der näheren Umgebung. Höhepunkt der Gruppe war der Auftritt als Vorgruppe von Herbert Grönemeyer 1983. Aber auch gemeinsame Konzerte unter anderem mit HERNE 3, GEIER STURZFLUG oder den STRAY CATS waren ziemlich erfolgreich. Nachdem Frontfrau Elle Sauer auf Grund Babypause ausfiel, rockten die übrig gebliebenen Fünf nun ohne Sängerin weiter. Den Gesang übernahmen Dirk Orlowsky und Chris Glässer wie bereits auf einigen Stücken der LP "MM". Nachdem dann Orlowsky 1984 zur Bundeswehr musste, fiel die Gruppe vorerst auseinander.

Im Jahre 2007 wird die Band wieder belebt; neben den vier Gründungsmitgliedern Andreas Schlapeit (b), Christoph Glässer (key), Dirk Orlowsky (git) und Günter Schenten (git) ist nun Christoph Schott am Schlagzeug sowie als neue Sängerin Monika Ollig dabei. In dieser Besetzung entsteht das 2012er Comeback- Album "Anonym". Eine erste Umbesetzung erfolgt 2014: Martina Dostatni ersetzt Ollig als Sängerin. Ein Jahr später erschien der Longplayer "Inuit". Ein erneuter Wechsel der Frontfrau folgte, Manja Stockhausen ersetzt 2016 Sängerin Dostatni. Das Album "Inuit" wird mit Stockhausen nochmal eingespielt. Mitte 2018 dann ein Wechsel am Schlagzeug, Michael "Mick" Schaller ersetzt Schott. Seit 2018 arbeitete die Band an neuen Songs samt Album, welches nun endlich - auch bedingt durch die Corona-Pause - Ende 2022 erscheint.

Die lange Zeit hat sich gelohnt. Mir persönlich gefällt das neue Album "Blindflug" deutlich besser, als seine beiden Vorgänger. Mit der NDW-Phase Anfang der 80er kann man ANONYM heute natürlich nicht mehr vergleichen. Die Band spielt jetzt gereiften, melodiösen Deutsch-Poprock mit intelligenten Texten. Mit der Sängerin Manja Stockhausen hat man nun endlich die passende Frontfrau gefunden, auch hier bin ich sehr positiv überrascht. Man sollte mit "Blindflug" durchaus an die jüngeren Erfolge anknüpfen können, schließlich waren die Band 2012 und 2015 jeweils 3-maliger Wochensieger im NRW-weiten WDR2-Radio-Song-Wettbewerb "Szene NRW". 2012 mit dem Song "Dinge" vom damaligen Album "Anonym" (darauf folgendes Radio-Portrait) und 2015 mit der Ballade "Lichtgeschwindigkeit" vom Album "Inuit".

Das Album bietet eine bunte Mischung zwischen langsamen und schnelleren Songs, es lohnt sich genauer hinzuhören. Die Spannbreite ihrer Einflüsse reicht von gitarren-betonteren Rockstücken, bei denen der Synthesizer meist auch eine große Rolle spielt ("Im Blindflug") über Synthie-Pop-Einflüsse (wie bei "Mein Weg zu dir") hin zu mehr akustischem Gitarren-Pop (z.B. "Das Leben…") und gefühlvollen Piano-Balladen (wie beim berührenden Abschlussstück "Alles beim Alten"). Höhepunkt und gleichzeitig Auftakt des Albums ist wohl das bewegende, hymnische "Du trägst grau". Über allem schwebt die helle klare gefühlvolle Stimme von Manja, die seit 2016 mit ihrer sehr persönlichen Klangfarbe der Musik neue Nuancen und der Band seitdem ein neues Gesicht verleiht sowie jungen frischen Wind in die Herrenriege bringt. 2019 gab es eine weitere Verjüngung mit Michael Schaller am Schlagzeug, der noch auf dem neuen Album zu hören ist, wobei sich die Arbeiten an dem Album Corona bedingt stark verzögerten. Aber es geht noch jünger: seit 2021 sitzt nämlich Tobias Mölders (35) an den Drums.

Die oft poetischen Texte kreisen auf dem neuen Album, auf dem Manja sich auch textlich mehr einbringt, oft um sehr persönliche Erfahrungen wie z.B. bei "Du trägst grau", in dem es darum geht, dass man nicht vor sich selbst fliehen kann, oder bei "Irgendwo verloren" das Verlorengehen zwischen zu hochgesteckten Zielen. Das weite Feld der Liebe spielt natürlich auch eine Rolle, meist mit einer melancholischen Komponente wie bei "Alles beim Alten" oder beim treibenden "Sag mir warum".

Insgesamt ein sehr abwechslungsreiches Album, an dem man sich auch nach mehrmaligen Durchläufen nicht satthören wird. Hier legen die sechs "Anonymen" ihr vermutlich bestes Werk vor. Meine Anspieltipps: "Mein Weg zu Dir (Uranus)", "Seemann", "Du trägst grau", "Irgendwo verloren"
(Michael Tann)