Silly: "Instandbesetzt" (Album)

lp35 20210917 1135537247VÖ: 17.09.2021; Label: Electrola/Universal Music; Katalognummer: 0602438212316; Musiker: Tamara Danz (Gesang), Julia Neigel (Gesang), AnNa R. (Gesang), Uwe Hassbecker (Gitarre, Violine), Ritchie Barton (Tasteninstrumente), Jäcki Reznicek (Bass), Ronny Dehn (Schlagzeug); Produktion: Silly, Ingo Politz, Leo Vaessen; Bemerkung: CD im Jewel-Case, inkl. Booklet und Abdruck der Songtexte; außerdem ist das Album auf Schallplatte erschienen.

Titel:
Unter'm Asphalt • Hamsterrad • Bye Bye • Wo bist Du • Die wilde Mathilde • Werden und Vergehn • So 'ne kleine Frau • Verlorne Kinder • Halloween in Ostberlin • Puppe Otto • Leg mich fest • Lautes Schweigen • Instandbesetzt


 
Rezension:


Was bisher geschah
Die Ära "Anna Loos" ist bei SILLY seit zwei Jahren beendet. 14 Jahre lang hat sie die vor 25 Jahren verstorbene Tamara Danz als Frontfrau der Berliner Band vertreten. Zusammen mit den Stammmusikern Uwe Hassbecker, Ritchie Barton und Jäcki Reznicek, und nicht zu vergessen dem genialen Textdichter Werner Karma, gelang es ihr, die kommerziell erfolgreichste Phase der Bandgeschichte einzuläuten. Alle drei Studioalben mit Anna Loos als Sängerin landeten in den Top 10 der deutschen Album-Charts. Mit dem dritten Album und Loos' Ambitionen, die Texte für SILLY selbst schreiben zu wollen, begann es im Gebälk zu knacken. Der Kreativabteilung gelang es zwar, ihre doch eher wenig herausfordernden Texte in gute Kompositionen zu kleiden, aber aus Sicht einiger Fans und auch aus Sicht der Musiker selbst entfernte man sich doch zu weit von der SILLY-DNA. Die eigene Handschrift drohte zu verschwinden. Logische Konsequenz: Man ging getrennte Wege. Schon vor dem endgültigen Aus hatte die singende Schauspielerin mit "Werkzeugkasten" bereits ihr Solo-Album aufgenommen und schon für die Veröffentlichung vorbereitet. Diese Tatsche hat noch immer ein Geschmäckle.

Zwei Stimmen statt nur einer
Uwe, Ritchie und Jäcki schauten sich nach neuem Personal für die Position am Mikro um. Dieses fanden sie in der Sängerin Julia Neigel, die bereits seit Ende der 80er als Solistin tätig und erfolgreich ist. ("Schatten an der Wand", "Sphynx") und in AnNa R., die lange Jahre die Stimme von Rosenstolz war und mit Gleis 8 eine eigene Band hat. Beide muss man nicht mehr großartig vorstellen, denn die Namen und ihre bisher in der Szene hinterlassenen Spuren sprechen für sich. Ab Herbst 2019 ging man in den Proberaum und kurze Zeit später auch gemeinsam auf die Konzertbühne. Bei der Tour "10 Alben - 10 Städte (SILLY analog)" konnte man sich davon überzeugen, dass diese Kombination perfekt passt, denn das Publikum war bei der fast überall ausverkauften Tour schlicht aus dem Häuschen. Nun ist es auch an der Zeit, den aktuellen Stand der Dinge auf einer neuen CD abzubilden.

Neue Töne
Diese heißt "Instandbesetzt", erscheint Freitag (17.09.2021) und der aktuelle Stand der Dinge ist ganz offenbar Freude am Beruf und große Lust auf Rockmusik. Es gibt insgesamt 13 Lieder auf dem Album, wovon drei ganz neu sind. SILLY zeigt sich dabei zum einen dicht am Puls der Zeit, ohne dabei zu klingen, wie irgendeine der Chartbands, und zum anderen typisch nach SILLY. Die Inhalte und Botschaften der drei neuen Stücke liefern Jörn Kalkbrenner (Vater von Fritz und Paul Kalkbrenner) und Max Prosa. Der Song "Hamsterrad", der davon erzählt, wie fast alle Menschen ihr Leben nach Plan leben und das Leben selbst vergessen, wurde ja bereits als Single bzw. Video veröffentlicht. Besonders ist hier nicht nur das moderne Arrangement, sondern auch die sarkastische Anmerkung in einem Nebensatz, dass man für alles andere außer der Arbeit und den Verpflichtungen ja schließlich noch in der Grube genügend Zeit habe. Die Nummer geht musikalisch ins Bein und widerlegt die Aussage Heinz Rudolf Kunzes, dass wir mit der Rockmusik am Ende sind.
Noch etwas flotter geht es bei "Lautes Schweigen" zur Sache. Hier rumst und scheppert es. Uwe Hassbecker packt die Geige aus und auch inhaltlich bewegt sich der Boden. Der Text passt so wunderbar in unsere aktuelle Zeit mit seinen seltsamen Ereignissen.
Der dritte Song heißt "Werden und Vergehn" und ist eine Ballade, dessen lyrischer Text dem Hörer viel Spielraum für Interpretationen lässt.

Vertraute Töne
Dazu gibt es eine Menge Remakes von Klassikern der Band. Bei manch einem Song wurde wenig verändert. Lieder wie "Verlorne Kinder" haben dafür ein neues Intro bekommen, und der Opener "Unter'm Asphalt" - bei dem zum Ende hin auch Tamara Danz mittels einer alten Tonspur gesanglich hinein gesampelt wurde - klingt wesentlich druckvoller und bombastischer, als das 80er Original. Allein die Idee, Tamara mit ins neue Jahrtausend zu holen, sorgt für Gänsehaut. Alle Überarbeitungen haben aber eins gemeinsam: Es rappelt im Karton. Die Band spielt die teils 35 Jahre alten Songs nicht etwa routiniert runter, sondern setzt mit Feinheiten im Arrangement neue Akzente. Uwe Hassbecker bricht immer wieder zu kleinen Soli aus und gibt dem Affen mal wieder richtig Zucker. Etwas, das auf den letzten beiden Alben sehr vermisst wurde. Ronny Dehn am Schlagzeug ist eine Klasse für sich und Jäcki lässt ein ums andere Mal ein ordentliches Tiefdruckgebiet aufziehen. Ritchie an den Tasten ließ bei den Aufnahmen seiner Phantasie auch freien Lauf, so dass neben bekannten Tönen auch mal ein Stage-Piano oder ein Blues-Klavier zu hören ist. Nicht vergessen zu erwähnen sei das goldene Händchen der Stamm-SILLYs bei der Wahl ihrer neuen Sängerinnen. Hier treffen zwei erstklassige Künstlerinnen mit verschiedenen Stimmfarben aufeinander, die sich herrlich ergänzen. Julia Neigel ist die Röhre, die sehr nah an Tamara heran kommt, AnNa R. ist die Frau für die sanften Töne, die aber durchaus auch mal aufdrehen kann und dies auch tut. Mein Favorit auf der CD, die "Puppe Otto" wird von ihr ganz außergewöhnlich und stark interpretiert. Beide Sängerinnen geben den alten und auch den neuen Liedern den Kick in die richtige Richtung und lassen hier und da regelrecht nostalgische Gefühle an die Zeit mit Tamara Danz aufkommen. Klasse Job, Mädels.

Zurück zu alten Qualitäten
Wie eingangs schon erwähnt, hat Anna Loos eine längere Zeit lang gute Arbeit abgeliefert, mit dieser neuen CD und den neuen Sängerinnen ist bei SILLY jedoch eine neue Zeitrechnung angebrochen. Die Band hat die Popschiene wieder verlassen und ist Gott sei Dank zum Deutschrock zurückgekehrt. Eine Rückverwandlung, die mit Anna Loos weder "handwerklich" noch inhaltlich machbar gewesen wäre. Bei den Musikern wurde unüberhörbar eine Aufbruchstimmung ausgelöst. Das ganze Album strotzt vor Power und macht mächtig viel Spaß. Man ist auch zukünftig gewillt, nicht nur die alten Klassiker aufzulegen, sondern mit Vergnügen auch mal zu "Instandbesetzt" zu greifen. Ich freue mich auf mehr im kommenden Jahr.

Fazit:
Diese Scheibe ist vergnügungssteuerpflichtig.
(Christian Reder)
schriftliche Übertragung: Nicola Reder
 




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