Bürkholz Formation:
"Wer bloß ist heute groß" (Album)


lp01 20211207 1900033316VÖ: 19.11.2021; Label: Marktkram/Buschfunk; Katalognummer: BF 03662; Musiker: Hans-Jürgen Beyer (Gesang), Heinz Geisler (Gitarre), Frank Czerny (Bass), Michael Heubach (Keyboard), Thomas Bürkholz (Schlagzeug), Wolfgang "Suhle" Zahn (Flöte, Tenor-Saxophon, Alt-Saxophon); Bemerkung: CD im Digipak mit 12-seitigem Booklet inkl. Vorwort von Michael Rauhut. Insgesamt 11 Songs, darunter teils bisher unveröffentlichte Rundfunkproduktionen, Live-Mitschnitte eines Konzerts in der Stadthalle Magdeburg am 22.02.1973 sowie einer Neuproduktion aus dem Jahre 2006;

Titel:
Sei kein Vulkan • Finden wir uns neu • Wer bloß ist heute groß? (live) • Kantate Wahrheit Teil 1 (live) • Kantate Wahrheit Teil 2 (live) • Skelington (live) • Hier kommt Suhle • Gewöhnen kann ich mich nicht • Ein Tag kann endlos sein • Leipziger Allerlei (Combo Schluckauf) • Got to be with you


Rezension:
"Wer bloß ist heute groß?", fragten 1973 die Männer der aus Leipzig stammenden Bürkholz Formation. Die Antwort war damals schnell gefunden, denn neben RENFT und electra waren die Musiker um Heinz Geisler (Gitarre) und Namensgeber Thomas Bürkholz (Schlagzeug) die Zugpferde der DDR-Rockmusik. Dabei hatten sie gar nicht so viel Zeit ihre eigene Legende zu stricken, denn die Band bestand nach ihrer Gründung im Jahre 1972 nur knapp 18 Monate. In dieser kurzen Zeit gab es zahlreiche Konzerte, die so verschärft gewesen sein müssen, dass sich die Leute noch heute davon erzählen. Zeitzeugen gibt es noch genug, denn die Bürkholz Formation hatte Fans ohne Ende. Sie reisten ihrer Band zu Konzerten im ganzen Land hinterher und waren am Ende leider auch der vorgeschobene Grund für ein Verbot durch die Behörden der DDR. Doch bevor das Politbüro die Gruppe auseinander riss, entstanden im Studio des DDR-Rundfunks ein paar Song-Aufnahmen, die teilweise vom Plattenlabel AMIGA für Sampler verwendet wurden oder am Ende unveröffentlicht im Archiv landeten. Gleiches galt auch für Live-Aufnahmen, die auf Band mitgeschnitten aber aufgrund des Verbotes im Giftschrank vergraben wurden. Immerhin landete die Gruppe mit dem eingangs erwähnten Stück einen Nummer 1-Hit in der DDR. Fast 50 Jahre später hob nun Bodo Strecke das Material für sein Plattenlabel Marktkram aus den Archiven und vereinte es auf einem Album, das schon lange, lange überfällig war: Die CD "Wer bloß ist heute groß?" ist jetzt im Handel erhältlich.

Der aufmerksame Leser unserer Seite weiß, dass das einstige Label AMIGA heute zu SONY gehört und viele Rechte an der Musik "Made in GDR" dort liegen. Das Thema Ostrock wird dort aber inzwischen eher stiefmütterlich mit sich herum geschleppt. Eher lust- und freudlos werden in den letzten Jahren irgendwelche Kopplungen mit Songs der "großen Tiere" gereicht und zu Themen, die keinen großen Umsatz versprechen, wird nix mehr gemacht. Dazu gehören sicher auch Gruppen wie Panta Rhei, LIFT, REFORM oder eben auch die Bürkholz Formation, deren Werkschauen und Backkataloge inzwischen nur noch bei kleineren Labels wie sechzehnzehn oder Marktkram eine Wiedergeburt erleben dürfen. Gäbe es Leute wie Jörg Stempel (sechzehnzehn) oder Bodo Strecke (Marktkram) nicht, sähen die Fans solcher "Nischen-Acts" aus der Anfangszeit der deutschen Rockmusik ziemlich alt aus - älter jedenfalls, als sie eh schon sind.

Bei Marktkram ist nun jedenfalls besagte CD der Bürkholz Formation erschienen. Los geht es im Programm mit den Rundfunk-Produktionen "Sei kein Vulkan" und "Finden wir uns neu", die man u.a. schon auf den Hallo-Platten bei AMIGA finden konnte. Ab Lied drei dürften viele Hörer wohl Neuland betreten, denn die Songs "Wer bloß ist heute groß?", "Kantate Wahrheit Teil 1", "Kantate Wahrheit Teil 2" und "Skelington" sind Mitschnitte eines Konzerts am 22. Februar 1973 in der Stadthalle Magdeburg. Diese Aufnahmen dürften nur den wenigsten Fans bekannt sein, ebenso wie die bis zu dieser CD unveröffentlichten Rundfunk-Produktionen "Hier kommt Suhle", "Gewöhnen kann ich mich nicht", "Ein Tag kann endlos sein" und "Leipziger Allerlei". Abschließend bekommen wir noch ein "Spätwerk" zu hören, denn die CD wird mit dem Song "Got to be with you" geschlossen, das die Bürkholz Formation anlässlich eines Band-Treffens im Jahre 2006 eingespielt hat.

Egal welcher der 11 Songs gerade läuft, er ist dokumentierter Beweis dafür, dass man mit der Bürkholz Formation in der DDR eine Band hatte, die durchaus in der Lage gewesen wäre, international abräumen zu können - wenn man sie denn gelassen hätte. Aus dem Westen des damals geteilten Landes ist mir kein Vertreter bekannt, der auf diesem Niveau unterwegs war und sich traute, seine Inhalte auf Deutsch an den Mann und die Frau zu bringen. Allein die Gesangsleistung von Hans-Jürgen Beyer sei hier herausgestellt, denn er schafft es mit seinem Vortrag spielend leicht den Zuhörer staunend und mit ständig aufsteigender Gänsehaut in seinen Bann zu ziehen. Das muss man gehört haben um es zu glauben. Zu glauben, dass so eine Stimme in der deutschen Rockmusik-Szene unterwegs war und man ihr am Ende verbot, dort weiter aktiv sein zu durften. Was für eine Verschwendung und vor allem Verhinderung einer möglichen Weltkarriere. Nicht unerwähnt sollen aber auch seine instrumental tätigen Kollegen bleiben, die mit ihrem Können auf dem jeweiligen Arbeitsgerät eine Menge Freude und Frohsinn bei ihren Zuhörern erzeugen können. Auch heute noch! Sei es Michael Heubach an den Tasten oder Heinz Geisler an der Gitarre, die immer wieder bunte, teils unerwartete Farbkleckse für das Gesamtbild liefern (man lausche nur den Improvisationen in den Songs "Wer bloß ist heute groß" und "Kantate Wahrheit Teil 1"), oder das Rhythmus-Tandem bestehend aus Thomas Bürkholz am Schlagzeug und Frank Czerny am Bass, das für die nötigen Reize in Bein und Magengegend sorgt. Schade, dass man diesem psychodelischen und teils in den Jazz-Rock gleitenden Spektakel live heute nicht mehr beiwohnen kann. Man würde dabei wohl auch ohne die Einnahme von berauschenden Substanzen high werden.

Den hier bereits reichlich eingestreuten positiven Erkenntnissen zu dieser CD möchte ich abschließend nur noch meine Empfehlung folgen lassen, sich dieses Stück Musikgeschichte zuzulegen und selbst davon zu überzeugen, was für eine extrem geniale Band diese Bürkholz Formation war und dass sie mit das Beste war, das die DDR-Musikszene hervor gebracht hat. Diese Disc ist Euer Ticket zu einer Zeitreise mit der Garantie auf ein großartiges musikalisches Abenteuer, die Ihr immer und immer wieder unternehmen könnt. Bodo Strecke und dieser Scheibe sei Dank!
(Christian Reder)





Radiosendungen zum Album-Release:








   
   
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