Heinz Rudolf Kunze: "Der Wahrheit die Ehre" (Album)

lp45 20200221 1199417431VÖ: 21.02.2020; Label: Meadow Lake Music/Rough Trade; Katalognummer: n.n.b.; Musiker: Heinz Rudolf Kunze (Gesang, Gitarre), Peter Weihe (Gitarre), Leo Schmidthals (Bass), Matthias Ulmer (Keyboards, Piano), Jens Carstens (Schlagzeug, Percussion); Bemerkung: Dieses Album ist auf CD und Schallplatte erchienen. Außerdem gibt es eine limitierte Fanbox mit allerelei Zugaben (u.a. eine Sonnenbrille, Tourpass, Buch);

Titel:
Der Prediger • Völlig verzweifelt vor Glück • Spießgesellen der Lüge • Mit welchem Recht • Nimm mit mir vorlieb • Heute ist gut • Nackter Fischer • Pervers • Wenn du ohne Liebe bist • Ich bin so müde • Ein sorgloses Leben • Die Zeit ist reif • Der Wahrheit die Ehre • Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort


Rezension:
Zusammenfassend kann man zum Album "Der Wahrheit die Ehre" nur sagen: deutsche Rock/Pop-Musik im besten Sinne. HEINZ verdammt und verteufelt nicht - aber er beobachtet scharf, beschreibt treffend, analysiert klar und vertont genial. Jahrelang klangen HEINZ & Verstärkung nicht so erdig, so eingängig - HRK dreht alle Regler Richtung Rock und bleibt sich trotzdem treu. Nicht nur textlich, auch musikalisch ist "Der Wahrheit die Ehre" eines der spannendsten und abwechslungsreichsten Kunze-Alben der letzten Jahrzehnte. Britischer 80er Jahre Rock trifft auf das Jahr 2019. Die musikalische und politische Rebellion der frühen "U2" treffen auf moderne Coldplay-Klangmuster. Zukünftiger Erfolg, Airplay hin oder her, aber es wird nochmals richtig hingelangt. Die Songzeilen aus ZITADELLE vom letzten Album kündigten es ja schon an: "Wir sind die Letzten in der alten Zitadelle / Doch unsern Widerstand macht keiner ungescheh'n / Wir bleiben ungebrochen hier an Ort und Stelle / Wir werden siegen / Oder untergeh'n / Wir werden kämpfen bis zur letzten Platzpatrone / Wir werden streiten bis zum letzten Argument / Wir werden stark sein ohne Aber, Wenn und Ohne"

"Eine Kriegserklärung an den Krieg gegen die Wahrheit" - Heinz Rudolf Kunze
Für einige, eventuell sogar die Mehrheit der KUNZE-Hörerschaft, wird aufgrund der intensiven, sicher auch teuren Promotionskampagne (Plakatierung u.v.m.) das neue Album wie eine Art Comeback eines lange Vermissten sein oder zumindest so empfunden werden. Wenn das dann so kommen sollte, wäre ein oberer Chartplatz im Ergebnis ein toller Nebeneffekt, ohne es zwingend angestrebt zu haben, für das - laut eigener Aussage HRK - wohl "politischste Album" seines Lebens. "Der Wahrheit die Ehre" - Endlich eine wirklich ehrliche, durchaus realistische, von Herzen kommend und das Herz, die Seele berührende, musikalische, künstlerische Alternative für Deutschland.

Den "Prediger" müssen wir ja eigentlich nicht mehr beschreiben. Die erste Single aus dem November hatte mächtig überrascht, nicht weil es diesmal keine aus dem Rahmen fallende Ballade für die falschen Rundfunkstationen und Carmen Nebel gab, sondern weil sogar eine kernige Rocknummer raus ging, die zudem vor Frische und Energie nur so sprühte. Hinter den Kulissen war die Überraschung ähnlich. Der "Produzent auf Testbasis" hatte hier ja bereits alle Register seiner Arbeitsweise gezogen. Die Energie, die Prägnanz, die manipulierten Chöre, die technische Entwicklung eines scheinbar schon fertigen Songs.

Zum zweiten Stück fällt mir in der gesamten Diskografie nichts ein, was damit auch nur entfernt vergleichbar wäre. So wie die Widerhaken im Text ist auch der Song ungewöhnlich gestrickt. "Völlig verzweifelt vor Glück" enthält sechs Strophen, aber keinen Refrain, in der Mitte taucht noch ein komplexer Einschub auf. Das Ganze wird vor allem von seltsam verfremdeten Keyboards und sehr lebendigen Drums getragen. Dazu kommen ein sehr gefühlvoller Bass, verfremdete Chöre und schließlich eine glasklar gezupfte Gitarre. Wie übrigens kein einziger Song wird auch hier nicht ausgeblendet, obwohl das sicher der einfachere Weg gewesen wäre. Aber Heinz spricht am Ende auch noch einige Worte.

"Spießgesellen der Lüge" klingt deutlich. Und das "Wir sind" macht es noch wesentlich zorniger. Diesmal gibt es ein verzerrtes Keyboard-Intro mit Alarmpotential und eine so fette und vordergründige Gitarre, dass sie glatt Heinz' Stimme unterbuttert. Überhaupt erleben wir auf dieser Platte, dass dem Produzenten wenig heilig ist. Die Vocals werden nicht selten eingebaut, verzerrt, gar entstellt. Und nicht nur die Vocals. Einige Musiker werden sich beim fertigen Mix gewundert haben, wie dominant oder runter gedimmt sie hier und da im Song stehen. Der Fan hatte diesen Kontrast zuletzt 2002, als Franz Plasa Heinz eine recht radikale Frischzellenkur verpasste, dabei aber eben auch mit einer fast komplett neuen Band arbeitete, die bei ihm ein und aus ging. Eine Band übrigens, von der drei Musiker bis heute dabei sind, und Matthias Ulmer demnächst sein Vierteljahrhundert in der Verstärkung feiert.

"Mit welchem Recht" ist textlich "Aller Herren Länder" Part 2, diesmal aber weniger lyrisch, sondern pragmatischer angelegt. Eher hymnenhaft, schöne Synergie aus Chorgesang und einer sakral hohen Keyboardspur. Hier hätte ich eine Prise mehr Bass gefällig gefunden. Als gebranntes Kind vermeidet Heinz diesmal alle Missverständnisse, weshalb die Botschaft sowohl in Wort wie auch in Musik ohne Schnörkel entsandt wird.

Eigentlich ist "Nimm mit mir vorlieb" die erste Ballade, aber auch die legt mit flockigem Intro los. Und der Song arbeitet toll auf einen irre schönen Refrain hin, der von den Drums sehr offensiv untermalt wird. Überhaupt wirkt das Schlagzeugspiel von Jens auf der ganzen Platte breiter und fordernder. Und das liegt nicht nur an der fetteren Produktion, Effekten und mehr Bassdrum, sondern sicher auch daran, dass der Drummer sich mehr Freiraum für sein Instrument nehmen konnte, als bei den vorherigen Produktionen, in denen er ja das Ganze im Auge haben musste.

"Heute ist gut" hat ein großartiges Gitarrenintro, welches sich toll entwickelt, biegt dann aber irgendwie in die Sackgasse ab. Dieser Beitrag Heiners fürs Album ist eine stramme Rocknummer, aber mit einer Botschaft, die sich nicht so recht setzen möchte. Der Refrain gibt sich auch etwas monoton. Wird aber live sicher gewinnen.

"Nackter Fischer" ist der Favorit von Heinz selbst. Erinnert irgendwie an die Sanduhr, hat aber einen stärkeren philosophischen Ansatz mit wunderbaren Bildern und Gleichnissen. Der Grundtenor ist akustisch, aber durchtränkt von den Soli einer von Heinz selbst gespielten Leadgitarre. Nicht nur hier kommen gleich 3 Gitarren zum Einsatz, die wohl längste Instrumentalstrecke auf dem Album ist ein Traum.

Im nächsten Song "Pervers" wird wieder gebraten. Und hier liegt jetzt sogar eine Portion Distorsion auf Martins Steel Guitar. Da muss man erstmal drauf kommen. Die Leadgitarre sägt in den Refrain hinein, als wolle sie das Studio in Trümmer legen. Heinz wird wieder verfremdet, Drums und Bass knallen dazu, und Matthias hisst die weiße Fahne und bespielt ansonsten die erholsamen Luftholpassagen. Dass es dann plötzlich ein Break mit folkiger Akustikklampfe gibt, klingt irgendwie pervers, dauert aber auch nicht lange. Die Nummer eignet sich live für eine ausufernde Session mit längeren Soli.

Jetzt wieder ein maximaler Kontrast. Wunderschönes Klavierintro mit nackter Gitarre, einsetzender betörender Gesang, weiche Orgel. Es klingt fast so, als habe Heinz seinem Produzenten gesagt, "Den Song lässt du mir in Ruhe." Die Titelzeile "Wenn du ohne Liebe bist" kommt zwar auch sehr gefällig und toll gesungen daher, findet aber mit gefühlten 30 Mal ein bisschen oft Verwendung.

Dann kommt die inzwischen unvermeidliche Folk-Nummer. "Ich bin so müde". Nur diesmal eben verzerrter Folk. und ein Heinz, der in die unterst mögliche Oktave greift und deshalb rauchig und whiskeygespült klingt. Der Text ist amüsant, aber nicht so ernst gemeint, wie Kalle das gern hätte.

Dann ist die Kreissäge wieder da. Die Idee zu "Ein sorgloses Leben", eine Aufarbeitung eines nicht völlig geglückten Raubüberfalls, hatte Heinz während der Springsteen-Übersetzungen. Einer, der berühmten Texte, die so schnell entstehen, dass der Autor kaum mitschreiben kann. Ein knackiger Rocksong, eingängig und nicht unamüsant. Matthias Ulmer spielt ein geiles Keyboardsolo, welches gegen die Säge kaum ankommt.

Der zweite Vorabtrack "Die Zeit ist reif" hatte sich Heiner vermutlich als Liebeslied gedacht. Stattdessen wurde die wunderschöne Ballade eine Aufforderung zum globalen Optimismus, und damit zu einer Art Gegenvorschlag für das darauf folgende Stück. Und auf diesem Album findet es endlich mal wieder statt, dass die Singles sich ins Gesamtwerk perfekt einpassen, statt als rosentypische Fremdkörper am Roten Faden zu sägen. Der Song geht schnell ins Blut und nutzt sich vor allem bei häufigem Hören nicht ab.

Das Titelstück "Der Wahrheit die Ehre", und zugleich der längste Song, versteckt sich mal wieder ziemlich am Ende. Er beginnt mit fröhlicher Mandoline, die in den weiteren Strophen immer mehr Gesellschaft bekommt. Unterbrochen werden die Strophen von einem überraschend donnernden Zwischenspiel. Die Message ist eine bitterböse Abrechnung mit dem fast selbstverständlichen Siegeszug der Fakes und Täuschungen. Die fröhliche Mandoline hält sich bis zum Schluss, ungefähr so fröhlich wie Orwells Erzählung von der Farm der Tiere.

Edle Klavierballaden am Ende hatten wir öfter, nehmen wir den "Faulen Trick", den "Alten Herr" oder "Tu nur was du nicht lassen kannst". Aber so in Szene gesetzt hatten wir es noch nicht. "Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort" ist das monumentale Stoßgebet am Grand-Piano und riesiger altehrwürdiger Konzerthalle. Heinz singt grandios und hier auch glasklar, die Begleitung steigert sich in einen orchestralen Teppich, der dieser langsamen Ballade eine ungeahnte Wucht vermittelt. Die Mittel der Produktion sind hier scheinbar sparsam dosiert, entfalten aber eine Wirkung im höchsten Gänsehaut-Modus. Das muss auch die letzte Zugabe der anstehenden Tour werden, der die Besucher mit offenem Mund zurück lässt.
(Franky Thofern, Kalle Prigge)





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