Wolf Maahn: "Break Out Of Babylon" (Album)

maahn20 20200217 1630165084VÖ: 07.02.2020; Label: Libero Records; Katalognummer: 886922127427; Musiker: Wolf Maahn (Gesang, Gitarre), Roger Schaffrath (Gitarre), Volker Vaessen (Bass, Back-Voc), Jürgen Dahmen (Keyboard, Back-Voc), Oliver Jäger (Piano), Andy Bickers (Saxofon), Christoph "Zwanie" Kähler (Schlagzeug), Jan Wienstroer (Schlagzeug, Back-Voc), Andrea Kreimendahl, Doris Kurtenbach, Heiko Reich, Christian Willnow (alle Back-Voc); Komponist, Texter, Produzent: Wolf Maahn; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak, mit Booklet und Abdruck der Songtexte. Das Album ist außerdem auch auf Schallplatte erschienen;

Titel:
Tanzen gegen den Wahnsinn • Hamsterrad • Wer wird Visionär? • Slow-Mo in New York • In der Gegenwart von Schönheit • Where the Homeless Go • Aktivist • Im falschen Licht • Star Investor • Williams Daughter • Love Dimension • Break Out Of Babylon • Break Out Of Babylon (Late Night Edition)


Rezension:
Kennt Ihr noch Wolf Maahn? Dann nennt mir doch - mal abgesehen von "Tschernobyl" - einen seiner Songs. Seht Ihr? Wird schwierig, nicht wahr? Den Namen Wolf Maahn kennt man. Klar! Aber was er so gemacht hat und wo er überall seine Finger im Spiel hatte, wissen oft nur wenige. Bei mir ist das ähnlich. Sein Album "Irgendwo in Deutschland" aus dem Jahr 1984 steht in meinem Plattenschrank, die Maxi des eingangs erwähnten Hits ebenso ... Dann ist aber auch schon Pumpe und mehr gibt es von ihm bei mir nicht zu hören. Wenn man aber mal ein bisschen tiefer gräbt, ist man ob seiner Aktivitäten in der deutschen Musiklandschaft dann doch ziemlich überrascht und man stellt fest, dass man doch das eine oder andere Ding mit seiner direkten oder indirekten Beteiligung im Regal hat. Der gebürtige Berliner war 1982 unter dem Pseudonym Neue Heimat (übrigens die Band, mit der Purple Schulz später durchstarten sollte) aktiv und veröffentlichte mitten in der NDW-Zeit eine rockige Version des Heintje-Klassikers "Ich bau' dir ein Schloss". Aber er hat nicht nur eigene Platten veröffentlicht, sondern produzierte im Studio eine ganze Menge für andere Künstler. Wusstet Ihr z.B., dass Klaus Lages Megahits "1000 und 1 Nacht" und "Faust auf Faust" von ihm als Produzent am Mischpult in die richtige Form gebracht wurde? Oder dass er das 1987er Soloalbum des BAP-Frontmanns Wolfgang Niedecken, "Schlagzeilen", produziert hat? Auch für Anne Haigis war er in dieser Funktion tätig. Und als Background-Sänger half er sogar mal bei Nino de Angelo mit. Er selbst hat bis heute über 20 Studio- und Live-Alben veröffentlicht, womit die kurze Vorstellung des Musikers mit dem bekannten Namen und der weniger bekannten Musik an dieser Stelle auch enden soll. Das frischeste Ding ist gerade vor einer Woche auf seinem eigenen Plattenlabel Libero Records erschienen, heißt "Break Out Of Babylon" und bringt 13 Titel mit. Hören wir mal rein ...

Gleich, nachdem man die CD gestartet hat, kann man gegen den Wahnsinn tanzen, und so lautet auch die Überschrift zu dieser mit Reggae-Beats und einer sich tief ins Gedächtnis brennenden Melodie ausgestatteten Nummer. Eine Hymne für die, die aufstehen und Veränderungen bewirken wollen, die aufstampfen und nicht mehr alles so hinnehmen wollen, wie es der "Money God" vorgibt. Und damit ist man auch schon mittendrin in einem Konzeptalbum, das eine "Systemwarnung" mit 12 Songs und einem Bonus-Mix darstellt, in denen die große Schieflage von Gesellschaft und Welt, z.B. die vom Menschen veränderte Natur, das Artensterben, der Klimawandel und die krankhaften Auswüchse des Kapitalismus, zu zentralen Themen werden.
Eine monotone Töne spielende Gitarre und erneut Reggae-Beats leiten das Stück "Hamsterrad" ein. Passender hätte die Musik zum Thema nicht gewählt sein können, denn es geht um die Monotonie unseres Alltags, in dem alles seinen geplanten Gang geht und in dem man trotz geregeltem Tagesablauf offenbar "nicht vom Fleck" kommt.
Nach zwei vom Reggae geprägten Songs kommt an dritter Position mit "Wer wird Visionär?" der erste waschechte Rocksong an die Reihe. Wütend, aufrüttelnd und alles andere als harmonisch klingt diese zu einem Rocksong gewachsene Systemkritik, die uns all das um die Ohren haut, was eigentlich gar nicht sein dürfte, wir aber kritiklos fressen und ohne uns zu wehren hinnehmen. Aufgrund der gebündelten Wahrheit, wie uns Industrie und Geldsäcke regieren, fast schon ein Depressionsauslöser, den man als sensibler Mensch nur zusammen mit der erforderlichen Portion Medikamente einnehmen sollte.
Was auf den ersten Blick wie ein entspannter Schleicher daher kommt, ist bei näherem Hinhören eine ziemlich unentspannte Geschichte. Zumindest für die Figur, die Wolf Maahn in seinem Song "In der Gegenwart von Schönheit" zu Wort kommen und sein Leben beschreiben lässt. Es geht um einen Mann, einen stinkreichen Entscheider, der alles hat und eigentlich vor Glück platzen müsste, bei dem sich aber das schlechte Gewissen meldet und eine Umkehr im Leben und einen Wandel des selbigen einfordert. Es wird sich Normalität gewünscht und neidisch auf das Leben des "einfachen Mannes" geschielt, und während im zweiten Teil der Nummer ein fantastisches Gitarrensolo seine Kreise zieht, fängt man an, sowas wie Mitleid für den "Bonzen" zu entwickeln und sich zu wünschen, dass genau solche Gedanken bei noch mehr Vertretern dieser Schicht auftauchen und das Leben aufwirbeln mögen.
Musikalisch ähnlich leise aber inhaltlich eine komplett andere Welt beschreibend, wird das Stück "Aktivist" in Szene gesetzt. Das Lied beschreibt die innere Unruhe eines solchen Kämpfers für eine bessere Welt, die manchmal von der erdrückenden Last der Realität gedämpft in Mut- und Kraftlosigkeit münden kann. Zu ruhigen Gitarrenklängen und dezent getrommelten Drums beschreibt Maahn in der Einleitung eben diesen Punkt, in dem die Kraft weg ist und sich die Power, die gestern noch da war, nicht mehr aufladen lässt. Er spricht diesen Menschen Mut zu, bittet sie förmlich in solchen Momenten wieder aufzustehen und sich die Losung, "Jeder Tag ein Neuanfang", immer wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen. Im Verlauf des Stücks wirkt die Musik plötzlich so, als würde der Himmel aufreißen und die Sonne sich ihren Weg in die Welt bahnen. Eine positive Stimmung entsteht, spendet den Mut und die Kraft, die gerade noch verloren schienen, und das Lied entwickelt sich zu einer Hymne für alle, die ihr Gewissen und ihren Sinn nach Gerechtigkeit auf die Straßen und Plätze, ja und auch auf die Bäume, treiben.
Wem Reggae und Deutschrock, schöne Balladen und treibende Beats nicht reichen, bekommt auf "Break Out Of Babylon" noch andere Klänge serviert. In "Williams' Daughter" verirrt sich Maahn in den Chill-Out-Bereich und bedient mal flott noch die Klientel, die sich in den Lounges trendiger Clubs rumlümmelt. Der Sinn hinter diesem Zeit- und Stilsprung hat sich gut versteckt, ich kann ihn jedenfalls nicht finden, und erschwerend hinzu kommt, dass sich der Musiker hier weder musikalisch noch gesanglich ein Fleißbienchen verdient hat.
Am Ende der Platte findet man dann noch zwei Versionen des dem Album seinen Namen gebenden Songs "Break Out Of Babylon". Mit dieser Nummer liefert uns der Künstler eine weitere Hymne, die uns bei der Umkehr der Gesellschaft und beim Einführen eines neuen Systems hilfreich zur Seite stehen soll. "Wir müssen raus hier, und die Zeit ist reif", heißt es da dann auch mit dem Hinweis, dass das Versprechen für ewiges Wachstum ein leeres ist und der ganze Laden hier einen "falschen Preis" hat. Während die erste Version dem von langweiligen und einheitlich zurecht geschneiderten Pop-Nümmerchen a la Tim Bendzko, Mark Forster & Co in letzter Zeit permanent narkotisierten Musikgeschmack mit treibenden Beats, einer sphärischen 80er Gitarre und positivem Grundsound wieder auf die Beine hilft, gibt es in der zweiten Version noch einen Reggae-Nachschlag für alle die, denen das bisherige Ausmaß dieser Musikrichtung auf dem Album noch zu klein ausgefallen ist.

Auch wenn ich die Vorzüge und Besonderheiten der anderen Songs, wie z.B. "Slow-Mo in New York" oder "Where The Homeless Go", noch hätte nennen können, muss ich ja irgendwo ein Ende finden, und damit sind wir auch schon beim Fazit und dem ersten Punkt, der auffällig ist. "Break Out Of Babylon" ist sehr "Karibik-lastig", auch wenn inhaltlich so gar kein Urlaubs-Feeling aufkommen will. Knapp die Hälfte der auf der CD befindlichen Songs sind ganz deutlich dem Reggae zuzuordnen oder haben zumindest unüberhörbare Spuren dieser Musikrichtung implantiert bekommen. Trotzdem bringt die Scheibe eine Menge Abwechslung mit sich, denn auch wenn es hier ein Ungleichgewicht der Genres gibt, findet sich in der Auslage auch was für andere Geschmäcker. Dass Maahn ein Kind der 80er ist, bzw. seine musikalischen Wurzeln dort liegen, ist unüberhörbar. Gerade im Spiel auf der Gitarre wird man ein ums andere Mal ein paar Dekaden zurückversetzt, ohne dass es antiquiert oder altbacken klingt. Ganz im Gegenteil, der Sound der Scheibe ist fett, druckvoll und sorgt für ordentlich Frohsinn beim Konsumenten. Der Musiker könnte damit sogar eine Retro-Welle beim Jungvolk auslösen, das von ihm sehr schmackhaft gezeigt bekommt, wie geil und verspielt der Sound der 80er doch war und wie geschmeidig man ihn in die Neuzeit transferieren kann. Und dieses Jungvolk spricht Maahn mit seiner neuen Platte auch an. Die Fridays For Future-Generation, der er Mut macht ("Aktivist") und der er zeigt, dass es mehr im Leben gibt, als sich der Herde anzuschließen wie all die anderen Schafe ("Hamsterrad"). Der Musiker verbindet mit dem Album mehrere Generationen. Die älteren Mitglieder unserer Gesellschaft, die er ebenso an die Hand nimmt, wie die eben erwähnte und von Greta auf die Straße getriebenen, noch schulpflichtigen Menschenkinder. Weder von der Musik noch von den direkt auf den Punkt kommenden Texten wird hier irgendwer überfordert oder mit zu vielen Farben überfrachteten Wortgebilden geblendet. Die Lieder zünden sofort, sind teilweise echte Ohrwürmer und stellen vieles von dem, womit der Markt seit einiger Zeit in Sachen "Made in Germany" überflutet wird, in den Schatten. Tolles Album und eine gute Gelegenheit für die Menschen im Land, Wolf Maahn demnächst auch mal mit seinen Liedern in Verbindung bringen und dann auch "Namen nennen" zu können …
(Christian Reder)





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