Wolfspelz: "Geliebt und zerrissen" (Album)

wolfspelz20 20200611 1721199066VÖ: 11.06.2020; Label: Blue Bowl; Katalognummer: 4061707327032; Musiker: Tobias Rotsch (Gesang, Kazoo, Klavier, Orgel, u.a.), Simon Henkel (Gitarre), Ian Stewart (Bass), Giuseppe Mautone (Schlagzeug), Johannes Henkel (Violine), Ella Rotsch (Violine), Friederike Imhorst (Viola), Astrid Naegele (Cello), Vera Volz (Oboe), Janne Minke van den Heuvel (Harfe), Norbert Fimpel (Saxophon); Musik/Text: Tobias Rotsch, Bemerkung: Auf CD und Schallplatte erschienen. Sowohl der CD als auch der Platte liegen die Texte in abgedruckter Form bei;

Titel:
Was der Himmel mir verspricht • Hammer Straße • Furchtbares Jahr • Frühlingstag • Ich denke nicht an Dich • Gold mit der Band • Keine Angst • Marionette • Wo Du bist • Warum ich nicht anders bin • Vieles ist gut • Unersetzlich


Rezension:
Paul Kuhns Textzeile, "Geb'n se dem Mann am Klavier | Noch en Bier, noch en Bier", kam mir als erstes in den Kopf, als ich die CD "Geliebt und zerrissen" von Wolfspelz einlegte und startete. Vielleicht spielt er dann ja auch mal ein fröhliches Lied. Aber welches Leben, das einem Lieder schreibt, ist schon durchweg fröhlich oder an jedem Tag positiv? Und weil einem nicht ständig die Sonne aus dem Rektum scheint, darf man ruhig auch mal ein traurig Lied anstimmen, wenn einem danach ist oder das Leben einem blöde Streiche spielt. Die Lieder auf Wolfspelz' CD/Platte sind deshalb auch hauptsächlich getragen vom Klavier und einer insgesamt in tiefen Molltönen getauchten Grundstimmung. "In den Geschichten auf der Platte steckt mein halbes Leben. Die Situationen in WGs, der Ruhrgebietsalltag und die besonderen zwischenmenschlichen Erlebnisse", so sagt der Künstler selbst etwas über die Inhalte seiner Songs. Wolfspelz ist der aus Duisburg kommende Singer/Songwriter Tobias Rotsch, der hier gerade sein Erstlingswerk veröffentlicht, auf dem eben dieses halbe Leben in Form von 12 Liedern festgehalten wurde.

Schon der Opener "Was der Himmel mir verspricht" macht deutlich, dass es hier in der nächsten Stunde eher nicht laut oder stromgitarrenförmig zugehen wird. Auch auf den Zeitgeist mit seinem plastikpoppigen Gute-Laune-Sound wird man hier eher nicht stoßen. Nur mit Klavierbegleitung lässt uns ein junger Mann an seinen Gedanken über die Beziehung zu einer Frau teilhaben, in der er gerade steckt. Gedanken, die auch mal einen Blick auf Nebensächlichkeiten werfen, wie den Schrittzähler auf dem Smartphone während man die Nachricht der Geliebten entdeckt. Mit ruhiger Stimme vorgetragen und ebenso ruhig am Klavier in Szene gesetzt - hier nimmt man sich sogar die Zeit, den Nachklang einzelner Tastenanschläge einzufangen - wird die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten abgebildet, in die man sich gut hinein versetzen kann.
Zeit genommen wird sich auch in "Hammer Straße", in dem der Künstler einen Tag beschreibt, den er in der Stadt Münster und der dort liegenden Hammer Straße erlebt hat. Hier lebte er für ein Jahr in einer WG, und das scheint alles andere als prickelnd gewesen zu sein. Auch bei diesem Stück ist das Klavier das im Vordergrund stehende Instrument, das - anders als im ersten Lied - so richtig im Moll verhaftet ist und die Beobachtungen, dass der Grüne Tee gelb und der trübe Tag hell geworden ist, der Stimmung entsprechend mit den richtigen Tönen einkleidet.
Dem schließt sich das "Furchtbare Jahr" an, das die WG-Situation noch einmal konkretisiert. Schwer wie ein nasser Schwamm liegt die Stimmung im Raum, die mit Harfen-Tönen und tieftraurigen Streichern gerahmt, und mit einer der Situation angepassten Stimme ergänzt, fast greifbar wird.
Nach so viel Schwermut bietet der Künstler seinen Hörern einen Instrumenten- und Stimmungswechsel an. Vom Klavier zur Gitarre und von gedrückt zu aufgeheitert verändert "Frühlingtag" spürbar den Luftdruck. Das Lied fängt das Phänomen ein, wie ein Tag das ganze Leben entscheidend verändern und in eine ganz andere Bahn lenken kann. Ein äußerst positiver Song, in dem Dinge beobachtet werden, an denen man unter "normalen Umständen" vielleicht einfach so vorbei gegangen wäre.
In ähnlich luftigen Gefilden gleitet dann "Ich denke nicht an Dich" dahin. Auch hier fällt die Entspanntheit auf, die das Lied ausstrahlt. Wolfspelz hat hier den spielerischen Umgang mit dem Beziehungsthema gewählt und fängt diese besondere "Verliebtseinssituation" mit einem Augenzwinkern und bemerkenswert andersartigen Bestandsaufnahmen ("… dabei sind Deine Beine giraffenlang und Dein Rock lässt jede Blumenwiese blass aussehen") ein. Schlagzeug und ein Retro-Orgelsound breiten den Teppich für diese appetitlich vorgetragene Geschichte aus.
Etwas Zirkusluft steigt Dir in die Nase, wenn "Keine Angst" erklingt. Zirkus zum Einen, was das Thema betrifft, denn wer als Künstler aktiv ist und ein Publikum unterhalten möchte, ist immer irgendwo einer der Artisten in der Manege. Und um die Besonderheit, geschminkt und so hinter einer Fassade versteckt zu sein, geht es hier u.a. auch. Zum Anderen ist es aber auch die Musik, die einen in diese einzigartige Welt im Zelt reisen lässt. Schon lange habe ich nicht mehr den Klang eines Kazoo in einem Song gehört. In Verbindung mit einer Ratsche erst recht nicht.
Und dann ist er wieder da ... dieser nachdenklich machende und melancholische Grundton in der Musik, mit dem wir schon zu Beginn des Albums empfangen wurden. "Marionette" heißt das Lied, in dem Wolfspelz seine Kindheit und Jugend zum Hauptthema macht und in dem er den Problemen, die er mit den Eltern hatte, eine Kulisse baut. Die ausschließlich auf dem Klavier gespielte Musik ist alles andere als heiter und der Künstler lässt der Phantasie mit der Aussage, dass die Windschutzscheibe eines Autos nicht nur durch Regen verschwimmen kann, wenig Spielraum für Interpretationen. Wie im Text beschrieben, läuft die erzählte Geschichte wie ein Film oder Song ab, und schleicht sich zum Ende hin immer leiser werdend durch die Hintertür davon.
Dort wartet dann "Wo Du bist", das den Faden des vorher gehörten Stücks aufnimmt. Auch dieses Lied ist sehr persönlich und traurig, und das, was Wolfspelz mit Worten nicht zu sagen vermochte, überließ er bei den Aufnahmen der Oboe.
Noch erwähnen möchte ich das Lied "Unersetzlich", das das Album abschließt und noch einmal den Topf mit der dunklen Farbe vor die blütenweiße Leinwand stellt. Als Wolfspelz dieses Stück schrieb, sind ein paar Dinge passiert, die ihn in eine depressive ernüchternde Stimmung versetzt haben. Trotz dieser Stimmung liegt doch auch Trost darin, der sich nicht erklären und helle Stellen zwischen den dunklen Flächen auf dem gemalten Bild entstehen lässt.

Nein, mit einem Bier wird sich eine trübe Stimmung nicht aufhellen lassen. Auch mit zweien nicht. Manchmal muss man die schlechten Zeiten und die nicht so schönen Erlebnisse einfach auch mal ertragen. Und um sie nicht mit sich rum zu schleppen und ewig als bleiernes Gewicht am Bein zu haben, kann man sie in Musik und Texte verwandeln, mit anderen Menschen teilen und schauen, ob es da draußen Schnittmengen gibt. Die gibt es, was Wolfspelz sicher auf seinen Konzerten schon mitbekommen haben wird. Und das sind dann wiederum die Momente, die ein dickes Dur in die demnächst entstehenden Lieder bringen könnte. "Geliebt und zerrissen" heißt das erste Album von Wolfspelz, und treffender hätte der Name nicht gewählt sein können. Dem Künstler und seiner Platte solltet Ihr ein Ohr und etwas Zeit schenken. Als Gegenleistung lernt man einen klugen und sensiblen Musiker kennen, der die passenden Arrangements zu seinen Gedanken gefunden hat. Seine Lieder sind authentisch und zeigen das echte Leben, von dem die "Le-li-la"-Welt der Schlagerszene Lichtjahre entfernt ist. Es zeigt auch, dass man sein Pech und/oder Unglück gut in Liedern verarbeiten kann, und dass man ein Publikum damit berühren kann ohne es in tiefe Depressionen zu stürzen.
(Christian Reder)





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