Rammstein: "Rammstein" (Album)

rammstein2019VÖ: 17.05.2019; Label: Rammstein/Universal; Katalognummer: 0602577493973 (europäische Standard-Version als CD im Digipak); Musiker: Till Lindemann (Gesang), Richard Kruspe (E-Gitarre, Hintergrundgesang), Paul Landers (Rhythmusgitarre, Hintergrundgesang), Oliver Riedel (Bass), Christoph "Doom" Schneider (Schlagzeug, Percussion), Christian "Flake" Lorenz (Keyboard, Synthesizer, Klavier), Carla Bruhn (Hintergrundgesang), Meral Al-Mer (Hintergrundgesang); Produzent: Olsen Involtini, Rammstein; Bemerkung: Das Album ist als Standard-Version im Digipak (lag dieser Rezension als Grundlage vor), als Special Edition CD im großen Digipak (mit Buch) sowie als Schallplatte (Doppel LP) erschienen. Allen Versionen liegen die Texte in abgedruckter Form bei;

Titel:
Deutschland • Radio • Zeig Dich • Ausländer • Sex • Puppe • Was ich liebe • Diamant • Weit weg • Tattoo • Hallomann


Rezension:
Rammstein-Fans reden nicht, sie machen. Im Herbst '18 wurde eine Tour für das kommende Jahr angekündigt und bevor man sich versah, waren die ersten Konzerte schon ausverkauft. Da kannste noch so schnell mit der Maus sein ... wenn andere noch schneller sind, guckste in die Röhre. Aber auch Rammstein redet nicht, Rammstein macht. Innerhalb kürzester Zeit kündigte man das siebte, schlicht nach sich selbst benannte, Studioalbum an und veröffentlichte es wenige Wochen später. Kein monatelanges Getue und Gemache, denn das braucht Rammstein nicht. Die bloße Ankündigung und ein oder zwei Trailer versetzten die Fans - genau wie bei eben erwähnter Tour - schon in eine sich bis ins Unendliche steigernde Vorfreude. Und ihre Hater versetzen sie ebenfalls in Stimmung ... in eine entsprechend große Negativstimmung und Lauerstellung, welch negatives Etikett man dem Berliner Sextett jetzt wieder anheften kann. Einer konkreten Ansage folgte pünktlich zum genannten Termin die VÖ der Scheiblette in verschiedenen Ausführungen und vorab die Single "Deutschland" auf CD Maxi und als YouTube-Video. Textlich, musikalisch und visuell (mit dem Video) setzte die Band mit "Deutschland" als Vorab-Single gleich wieder Duftmarken. Einige können sich nicht satt daran "riechen", anderen steigt es quer in der Nase auf, die sie darum auch rümpfen. Alles wie immer also ...

Und mit "Deutschland" wird auch das neue Album eröffnet. Es ist ein Song, in dem es mehr als deutlich um die gespaltenen Gefühle bezüglich des Heimatlandes und seiner Liebe zu ihm geht. Die Band positioniert sich hier eindeutig und ohne irgendwelche doppelten Böden. Es wird ja immer wieder von deutschen Künstlern verlangt, sich in diesen schweren Zeiten vom Populismus "rechter Vertreter" zu distanzieren und dies auch laut zu sagen. Rammstein als Band, der immer wieder das Spielen mit Symbolen und eine Liaison mit "rechts" unterstellt wurde, hat dies nun getan, was die meisten "Everybody's Darlings" (noch) nicht getan haben. Unaufgefordert übrigens ... Wo sind sie jetzt, die Krakeeler? Wie auch immer ... der kantigen und mit viel Druck versehenen Rock-Nummer wurden durch das Tamtam vorab jedenfalls keine Beulen ins Stahlkleid gekloppt. Ganz im Gegenteil! Ein großartiger Opener eines Albums, auf das man fast 10 Jahre warten musste.
Gleich an zweiter Stelle lauert der Song "Radio" auf seine Opfer. Opfer deshalb, weil einen dieser Song so schnell nicht loslässt. Besonders gut kommt er in Verbindung mit dem extremst gelungenen Videoclip, in dem sich die Gruppe im 20er- bzw. 30er-Jahre-Look präsentiert und von einem Sprecher als Tanzmusikkapelle anmoderieren lässt. Inhaltlich verarbeiten Lindemann und Kollegen in "Radio" offenbar ein Stück weit auch ihre eigene DDR-Vergangenheit, als der Konsum westlicher Musik und die sie präsentierenden Radiosendungen "von oben" alles andere als gern gesehen waren. Im Video lässt man aber auch Erinnerungen an die NS-Zeit hoch kommen und schickt ein Stück Geschichte ins Rennen. Die Band hat aus einer Song-Idee eines der besten Ohrwürmer der letzten Zeit entstehen lassen. Ein Lied, das einen nicht wieder loslässt, wenn man es erst mal gehört hat. Vorausgesetzt, man bekommt es zu hören, denn gerade das Radio wird "Radio" wohl eher nicht spielen. Die Nummer stampft ordentlich, hat eine ausgesprochen gute Hookline und die Band haut einem die harten Gitarren förmlich um die Ohren. Dazu diese feine Extra-Beilage in Form von Elektronik, offenbar eine Art Huldigung der Düsseldorfer Pioniere dieser Musik, denn die Effekte erinnern stark an eine andere Band und eine andere Zeit. Ihr merkt schon ... hat mit seiner Komplexität neben Sarah Conner und Katy Perry im Formatfunk auch nichts zu suchen.
Die dritte Single aus dem Album heißt "Ausländer" und hat inhaltlich wie musikalisch einiges zu bieten. Lindemann stellt sich in der Nummer als Sextourist dar, der überall auf der Welt zu Hause ist und sich - zumindest für die Erfüllung sexueller Bedürfnisse - auch international ausdrücken kann ("Du kommen mit | ich Dir machen gut"). Er sei kein Mann für eine Nacht, verschwinde bereits nach ein ... zwei Stunden. Auch hier stampft der Beat wieder, macht den Song sogar ein Stück weit tanzbar und die Gitarren knallen gehörig. Ein klassischer Rammstein-Song, der zurecht als Single das Licht der Welt erblickte und auch hier folgt mein Verweis auf das ebenfalls gelungene Video, das die Band als Kolonialherren in Afrika zeigt. Mit augenzwinkernden Wendungen und Anspielungen.
Wenn man nicht alle 11 Titel der neuen Platte auf den Seziertisch legen und bis in die hintersten Winkel obduzieren will, sollte man an dieser Stelle mit der Rezension enden. Man darf bei einer solchen Beschau aber keinesfalls Titel wie "Puppe" vergessen zu erwähnen. Ein Lied, das am Anfang ruhig und unaufgeregt daher kommt und im Mittelteil wie die vertonte Entladung einer psychischen Erkrankung mit Gewaltphantasien krawallierend und überfallmäßig den Raum erobert. Schildert Lindemann hier anfangs noch ruhig seine eher verstörenden Lebensumstände und seine Situation im abgeschlossenen Zimmer, schreit er kurz darauf wie von Sinnen, wie er einer Puppe den Kopf abreißt, ihr den Hals abbeißt und dass es ihm "nicht gut" geht ("Dam Dam"). Klingt auf den ersten Blick krank ... ist es auf den zweiten immer noch. Aber verdammt gut gemacht. Nachdem der aufgestaute Druck raus ist, endet der Titel genauso ruhig, wie er anfing, und instrumental mit Gitarre und einer Piano-Melodie, die auch Soundtrack eines Horrorfilm sein könnte. Die "Spieluhr" lässt schön grüßen.
Auf der Suche nach dem Herrn begibt man sich in "Zeig Dich", das ich ebenfalls noch erwähnen möchte. Wahrscheinlich sucht man hier diesen Herrn um zu hinterfragen, ob das alles so in seinem Sinne ist, was die Kirche da in seinem Namen vollbringt. Jedes Wort fängt mit "V" an, so dass aus einem einfachen Text ein Tautogramm wurde. Auch wenn man sich damit in der Textgestaltung selbst limitierte, hat man das "Problem", das man hier anspricht, aber ganz wunderbar eingefangen ("Aus Versehen, sich an Kindern vergehen ... im Namen des Herrn"). Die Aufforderung "Zeig Dich" hat dann eher was von einem Befehl an den Satan bei einem Exorzismus sein Gesicht zu zeigen. Die Verwendung des Chores am Anfang und Ende mit einem Gesangs-Part, der stark an Jerry Goldsmiths "Ave Satani" aus dem Kinofilm "Das Omen" erinnert, ist sicher nicht ganz ohne Hintergedanken hier eingepflegt worden. Genial gemacht! Es handelt sich hier übrigens um den Academic Choir und das Symphony Orchestra Of The National Television And Radio Company aus Minsk in Weißrussland, die diese Stimmung bei der Produktion dieses Albums im Studio erzeugt haben.

Unterhält man sich mit Leuten über das neue Rammstein-Album, hört man schon mal Sätze wie, "Das ist alles alter und kalter Kaffee. Das gab es alles schon." Das ist eine Sicht der Dinge. Man könnte aber auch sagen, dass man bei Rammstein das bekommt, auf das man gewartet hat. Wer bitte möchte denn, dass sich diese Band in der Form weiterentwickelt, dass man sie am Ende nicht mehr erkennt? Mit Ausnahme von sich selbst gern Reden hörenden Fachleuten aus besonders schlauen Musikredaktionen wohl niemand! Auf "Rammstein" findet man eine Menge neuer Ideen, und das nicht nur, wenn man ganz genau hinhört. Vieles springt einen förmlich an und es ist besonders erfreulich, dass die Qualität der Lindemann-Texte auf dem hohen Niveau geblieben ist, wie sie immer schon war. Manches ist sogar unerwartet, wie eben näher beschriebenes "Zeig Dich". Da man den Rock'n'Roll sowieso nicht mehr neu erfinden kann, den gibt es bekanntermaßen ja schon ein paar Jahre, darf man froh sein, dass Bands wie Rammstein so ein feines Filet aus dem großen Stück anbieten und damit definitiv in die Delikatessen-Ecke der Frischetheke gehören. Man höre bei anderen Vertretern dieses Genres nach und stelle fest, dass diese inzwischen nur noch nicht meldungspflichtige Störfälle produzieren, während man aus Berlin einmal mehr ein Meisterwerk kredenzt bekommt. Alles wie immer also ...-
(Christian Reder)





Videoclips:












   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.