Konstantin Wecker & die Bayerische
Philharmonie:
"Weltenbrand" (Album)


weckerweltenbrand 20191011 1903231784VÖ: 11.10.2019; Label: Sturm & Klang MV/AL!VE; Katalognummer: S&K042; Musiker: Konstantin Wecker (Gesang), Fany Kammerlander (Cello), Severin Trogbacher (Gitarre), Jo Barnikel (Tasteninstrumente) + Kammerorchester der Bayrischen Philharmonie; Bemerkung: Doppel-Album (2 CDs) im aufklappbaren Digipak inkl. Booklet mit vielen Bildern und Angaben zum Inhalt;

Titel:
CD 1: Nur dafür lasst uns leben • Ein Plädoyer für die Ohnmächtigen • Stürmische Zeiten mein Schatz • Ballade vom Puff das Freiheit heißt • Ansage Schlaflied / An meine Kinder (Medley) • Schlaflied • An meine Kinder • Liebesdank • Ansage an den Mond • An den Mond • All die unerhörten Klänge • Zeig's ihnen Greta - Die Welt muss weiblich werden • Und das soll dann alles gewesen sein • Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? (Erich Kästner) • Frieden im Land • Das macht mir Mut • Nur dafür lasst uns leben (Reprise) • Im Namen des Wahnsinns • Hexeneinmaleins • Der Gefangene (Erich Mühsam) • Den Parolen keine Chance • Immer wieder Beethoven • Jetzt, da du Abschied bist
CD 2: Heiliger Tanz • Ansage Kir Royal • Kir Royal Titelmusik • Ansage Tango Joe • Der Tango Joe • Ansage vom Schwimmen in Seen und Flüssen • Vom Schwimmen in Seen und Flüssen • Aus: An die Nachgeborenen (Bertholt Brecht) • Ich habe Angst • Empört euch • Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen (Rainer Maris Rilke) • Weltenbrand • Die weiße Rose • Warum ich kein Patriot bin • Ich habe einen Traum • Ansage Das Leben will lebendig sein • Das Leben will lebendig sein • Ansage Lied der Lieder • Lied der Lieder • Sage nein • Caruso • Schlendern • Aus: Wunderliches Wort: Die Zeit vertreiben! (Rainer Maria Rilke)


Rezension:
"Weltenbrand" - Konstantin Wecker hätte keinen besseren Titel für seine auf der Doppel-CD enthaltenen Liveaufnahmen aus der gleichnamigen Tour finden können. Sagt dieses Wort vielleicht indirekt, was vor allem in den Köpfen junger Menschen vor sich geht: Kritischer Zustand der Erde in klimatischer und ökologischer Sicht, eine gewisse Endzeitstimmung? So könnte man spontan denken. Allerdings hat dieser fantastische Song ganz andere Facetten zu bieten - eine gehörige Portion Poesie, wie z.B.:

"Tauchst entzündet vom Weltenbrand
Ins Jetzt gepflanzt
Ewig in Rhythmen gebannt
Aus Klängen in die Fluten du ein
Bis alles erlischt
Würdest gern Brandung sein
Endest als Gischt" ...


Diese Komposition fügte er bereits 2011 dem Album "Wut und Zärtlichkeit" bei. In einem Interview erklärte er: "Das zugrundeliegende Gedicht ist auch nicht apokalyptisch. Aber natürlich erleben wir einen Weltenbrand, gerade mit den neuen Rechten in Europa, mit Trump in Amerika und Erdogan in der Türkei: all diese hilflosen, kleinen Machos, die hoffentlich das letzte Aufbäumen des Patriarchats sind."

Erstmals tourte er im ablaufenden Jahr mit einer klassischen Formation, dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie unter Leitung von Mark Mast durch die Lande. Ist dadurch alles "symphonisch glattgebügelt"? Eben nicht, denn die Musiker können auch rockig, sensibel, mit Tanzelementen und mächtigen Klangkaskaden perfekt umgehen.

Aus den fast 40 Liedern kann im Rahmen dieser Besprechung nur eine kleine Auswahl erwähnt werden. Die erste CD startet mit "Nur dafür lasst uns leben" aus dem Jahr 1982 mit der markanten Textzeile

"Noch sind uns Vieh und Wälder
Erstaunlich gut gesinnt
Obwohl in unsern Flüssen
Schon ihr Verderben rinnt".


1982 wohlgemerkt! Gleich danach beginnt er mit einem gesprochenen "Plädoyer für die Ohnmächtigen".

Ein sanfter Wecker spricht aus zwei Songs, die er für seine beiden Kinder schrieb. Einmal, als sie ganz klein waren mit einem "Schlaflied" und später mit "Liebesdank" samt schöner Celloeinleitung ("Jetzt möchte ich dir endlich einmal danken, daß du mich schon so lang ertragen hast"). Gefühlvoll, direkt aus dem Herzen heraus gesungen.

Er erzählt dann vor zahlreichem Publikum von seinem Vater, der Opernsänger war und seiner Mutter, die oft zu kurz gekommen sei, aber sehr gerne Gedichte rezitiert habe. Man spürt, wie sehr dies sein eigenes Leben, seine Kreativität prägte. So ist es nur logisch, dass er beispielsweise ein Gedicht von Goethe vertonte: "An den Mond". Perfekt mit dramatischen Musikpassagen orchestral begleitet. Er zelebriert es am Klavier mit unvergleichlicher Hingabe. Es lohnt, dieses unter die Haut gehende Gedicht mitzulesen, wenn man für diese Art Lyrik empfänglich ist.

Im Cha-Cha-Cha-Rhythmus erzählt er von "All die unerhörten Dinge", ein schöner farbiger Tupfer im Verlauf des Konzertes. Ganz aktuell und mit der ihm eigenen Wortgewalt ereifert er sich bei "Zeig's ihnen Greta - Die Welt muss weiblich werden" über Christian Lindner von der FDP, der meinte, den Klimaschutz solle man den Profis überlassen und Schüler sollten freitags zur Schule gehen. Auszugsweise sein Statement: "...Es waren doch genau die Profis, die unsere Erde in diesen katastrophalen Zustand versetzt haben. Eine kriminelle Vereinigung von unbelehrbaren oder korrupten Politikern, bestechlichen Wissenschaftlern, geldgeilen Lobbyisten - aber: Profis allesamt. Nein Herr Lindner, viele Jugendliche haben zu Recht die Schnauze voll von all diesen Profis. Was wir jetzt brauchen, sind idealistische Amateure, Schulschwänzer, Träumer, die uns alten Säcken immer wieder vor Augen führen, dass wir ihre Zukunft schon fast zerstört haben ...". Ja, er nimmt mit seinen "Weckrufen" kein Blatt vor den Mund, dieser Wecker! Genau wie der Schriftsteller Erich Kästner, der 1928 das Gedicht "Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn" schrieb. Wie heisst es dort u.a. "... Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen ...". Ein weiteres seiner Zitate aus "Im Namen des Wahnsinns": "Der Wahnsinn schleicht durch die Nacht und nennt sich Recht und nennt sich Macht." Der Anarchist, wie er sich selbst bezeichnet, ist stets hörbar.

Auf der zweiten CD findet sich eine Ansage zur sechsteiligen TV-Kultserie "Kir Royal" von Helmut Dietl aus dem Jahr 1986. Die Reihe beschreibt den Aufstieg und Niedergang des Boulevard-Reporters Baby Schimmerlos in der Münchner Schickeria der 1980er Jahre. Er komponierte die Titelmelodie, die vom Orchester dann intoniert wird. Weitere Vertonungen nach Vorlagen von Berthold Brecht und Rainer Maria Rilke folgen, bis der eingangs erwähnte "Weltenbrand" an der Reihe ist. Im Lied "Die Weiße Rose" erinnert er an die 1943 ermordeten Geschwister Scholl aus der gleichnamigen Widerstandsbewegung.

In keinem Konzert dürfen "Empört euch" und "Sage Nein" fehlen. Das letztere schrieb er vor über 20 Jahren. Es hat an Aktualität leider nichts verloren. In einem weiteren Interviewausschnitt sagt er darüber folgendes:
"Musikalisch großartig, inhaltlich erschütternd: Denn vieles ist nicht nur 'immer noch' aktuell. Es ist leider viel konkreter als ich es mir damals je hätte vorstellen können: Wenn sie jetzt ganz unverhohlen / Wieder Nazi-Lieder johlen,/ Über Juden Witze machen,/ Über Menschenrechte lachen. / Wenn sie dann in lauten Tönen / Saufend ihrer Dummheit frönen, /Denn am Deutschen hinterm Tresen / Muss nun mal die Welt genesen,/ Dann steh auf und misch' dich ein: /Sage nein!"
Dabei möchte ich es bewenden lassen.

Resümee: Eine beeindruckende, unter die Haut gehende Konzertinszenierung, genau wie seine Wortgewalt. Alles ist perfekt von seinem "Bruder im Geiste" Jo Barnikel arrangiert. Schade, dass keines der Konzerte visuell aufgezeichnet wurde. Dennoch eine absolute Kaufempfehlung auch für - bisher - Weckerverweigerer.
(Gerd Müller)





Videoclip:




   
   
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