KARAT: "Im Konzert" (DVD)

karatbautzen 20180828 2095128192VÖ: 19.07.2018; Label: Telepool/Eurovideo; Katalognummer: 222573; Musiker: Herbert Dreilich (Gesang, Gitarre), Bernd Römer (Gitarre), Henning Protzmann (Bass), Ed Swillms (Tasteninstrumente), Michael Schwandt (Schlagzeug); Bemerkung: Live-Mitschnitt eines Konzerts in Bautzen aus dem Jahre 1982. Laufzeit ca. 60 Minuten;

Titel:
45-01 • Tanz mit der Sphinx • Falscher Glanz • Schwanenkönig • Jede Stunde • Albatros • Marionetten • Der blaue Planet • He Mama • Blues • Über sieben Brücken • Blumen aus Eis


Rezension:
KARAT-Fans der ersten und zweiten Stunde können sich jetzt einmal mehr wieder in Erinnerung rufen, warum sie diese Band einst für sich entdeckt und lieben gelernt haben. Dies konnte man bisher zwar sehr gut über die Platten und CDs tun, aber in bewegten Bildern war das bisher nicht möglich. Einen Konzertmitschnitt auf VHS oder DVD, der die Band in ihrer erfolgreichsten Besetzung zeigt, wurde nämlich noch nie veröffentlicht. Diese Besetzung existierte von Ende der 70er bis Mitte der 80er, und es gibt unter den Anhängern Leute, die damals keine Gelegenheit hatten, sich ein Konzert anzuschauen. Der Schreiber dieser Zeilen gehört dazu. Filmmaterial aus dieser Phase scheint rar zu sein und bei einer Recherche im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) ist es der Firma Telepool gelungen, einen Schatz zu heben: den Mitschnitt eines Konzerts von KARAT in Bautzen aus dem Jahre 1982, und dieser Mitschnitt ist inzwischen auf DVD erschienen.

Das Jugendfernsehen des DFF schuf in den 80ern eine Reihe, die sich "Im Konzert" nannte und vergleichbar mit dem westdeutschen "Rockpalast" war. Während im BRD-Format auch internationale Bands auftraten, spielten in der DDR-Version nur nationale Bands auf. Ihre Konzerte wurden aufgezeichnet und später dem musikinteressierten Publikum in der gleichnamigen Sendereihe im TV präsentiert. Alles was Rang und Namen hatte trat dort auf: CITY, Stern Meissen, Petra Zieger, WIR und im Jahre 1982 eben auch KARAT. Wie man den Ansagen von Herbert Dreilich während der Show entnehmen kann, fand das Konzert nach der Sommerpause statt, die sich die Band damals wohl immer gönnte, und offenbar genau in die Phase, in der ihr damals neues Album "Der blaue Planet" erschien. Womit wir wieder bei der "erfolgreichsten Besetzung" wären, die eingangs erwähnte wurde.

Zum Intro "45-01", das eingespielt wird, betreten die Musiker die Bühne in Bautzen. Micha Schwandt ist der erste, der sich auf die Bühne begibt und anfängt zu spielen. Ihm folgen die anderen Musiker und als Bernd auf seiner Gitarre die ersten Töne spielt weiß der Kenner sofort, dass KARAT mit dem Song "Tanz mit der Sphinx" beginnen wird. Nach dem instrumentalen Einstieg kommt nun auch Herbert auf die Bühne gestürmt und obwohl er noch keinen Mucks von sich gegeben hat, jubelt das Publikum ausgelassen. Und schon ist man mittendrin. Mittendrin auch in den 80ern mit all seinen Modesünden und "Bühnentechniken", die es heute nicht mehr gibt. Herbert gibt hier offenbar den Trendsetter, denn mit seinem pastellfarbenen Sakko über dem weißen Hemd könnte er gut und gern der Vorlagengeber für die Modewelle gewesen sein, die erst drei Jahre später durch die TV-Serie "Miami Vice" losgetreten würde. Damit war er seiner Zeit also auch schon voraus ... dazu eine gestreifte Hose und Turnschuhe, womit er sich deutlich von seinem Bandkollegen Henning abhebt, der mit einer schwarz-weiß-karierten Hose den Weg an seinen Arbeitsplatz fand. Sonnengebräunt und ganz im Stil eines Adriano Celentano trägt Henning zudem ein Shirt mit einem Ausschnitt bis runter zum Nabel. Auch bei Eds ärmellosem Shirt im Zebra-Muster fleht das Auge um Erbarmen, aber wir schauen uns ja schließlich kein Mode-Programm sondern ein Konzert an. Und hey ... wer frei von Modesünden in den 80ern war, werfe den ersten Stein ;-) Was die noch erwähnten "Bühnentechniken" betrifft: Hier wird noch fleißig mit Pyrotechnik gearbeitet. Wohlgemerkt in einer Halle. Heute dank Brandschutzverordnung und anderer so gar nicht nach Rock'n'Roll klingenden Vorschriften undenkbar.

Dem Opener, bei dem sofort klar wird, was für ein geiler Bassist Henning Protzmann ist, folgt mit "Falscher Glanz" ein Titel des damals noch frischen Albums "Der blaue Planet". Vorab begrüßt Herbert das Publikum während die Band schon instrumental zum nächsten Song hinüber gleitet. Der Frontmann hat das Mikrofon-Kabel bereits locker und leger um seinen Nacken gelegt - wie er es immer zu tun pflegte - und zelebriert die Lieder. Von Singen kann da keine Rede sein, denn er lässt die Stücke leben, die er da singt. Das ist besonders auch beim "Schwanenkönig" zu sehen und hören, dem er auch bei den von mir Jahre später besuchten Konzerten immer ordentlich Wind unter die Flügel blies. Ganz so souverän ist Herbie hier nicht immer unterwegs, denn die neuen Stücke bereiten zu dem Zeitpunkt offenbar noch ein paar Probleme. Speziell beim Titel "Jede Stunde" kann man Textunsicherheiten und somit "freie Interpretationen" des Frontmanns hören. Aber das macht rein gar nix, denn selbst wenn er an dieser Stelle ersatzweise Textstellen aus dem Bautzener Stadtführer eingebaut hätte, wäre es eine geile Gesangsleistung gewesen.

Etwas getrickst wurde leider auch, denn nicht alles, was einem hier als "live" präsentiert wird, ist auch "live". Beim Titel "Der Blaue Planet" ist unüberhörbar (und auch unübersehbar) die Studioversion des Stücks über die in Bautzen aufgenommene Tonspur gebügelt worden. Da haben die Macher vom Jugendfernsehen im Nachgang kleine Schönheitskorrekturen vorgenommen. Vermutlich war die Live-Version nicht so fehlerfrei wie man sich das seitens der Produzenten und vielleicht auch der Band gewünscht hatte, weshalb man in die Trickkiste griff. Wer genau hinhört erkennt es natürlich, aber auch wer genau hinschaut: Herbie hat z.B. einen Schellenkranz, den man ihn zwar spielen sieht, den man aber nicht hören kann. Auch wer Ed genau auf die Finger schaut wird bemerken, dass das, was er da spielt, nicht so zu hören ist. Erst am Ende des Stücks wird der in Bautzen entstandene Live-Ton wieder eingespielt und das Original raus geregelt. Auch das ist entschuldbar und wäre gar nicht aufgefallen, könnte man im Mitschnitt hier nicht jedem der Musikanten genau auf die Finger gucken. Und das ist ein weiterer Pluspunkt, den sich die DVD hier verdient, denn man ist tatsächlich mittendrin in dem Geschehen. Die verschiedenen Kameraeinstellungen lassen einen zusehen, wie Henning Protzmann gefühlvoll seinen Viersaiter die herrlichsten Brummtöne entlockt, wie Herbie beim "Albatros" die Rhythmus-Gitarre spielt, wie Römer in sein Gitarrenspiel versinkt und wie Ed teilweise richtige Schwerstarbeit an den Tasteninstrumenten leistet, von denen er z.B. (auch) beim "Albatros" drei davon gleichzeitig bedient.

Für das TV zusammengeschnitten kommt der Auftritt von KARAT in Bautzen letztlich auf knapp 60 Minuten. Auch wenn das ziemlich kurz ist - ich persönlich hätte dem Geschehen in der Zusammensetzung gern noch drei weitere Stunden zugeschaut und zugehört - hat die Produktions-Truppe hier alles eingefangen, was man einfangen konnte. Die geniale Stimmung vor der Bühne, wo das Publikum schon recht früh in Feierlaune versetzt wurde und das am Ende bei "He Mama", "Blues" und "Blumen aus Eis" zu beobachten ist, wie es komplett aus dem Häuschen war, die nicht weniger geniale Leistung der Band auf der Bühne, die in jedem Moment ihres Auftritts eine überzeugende Leistung abgeliefert hat und auch der noch heute für Gänsehaut sorgende Moment bei "Über sieben Brücken", wo das Publikum eigentlich gar keine Band bräuchte, um das Stück allein vorzutragen. Das klappte also auch vor 36 Jahren schon. Die hier vorliegende DVD ist ein Stück Zeitgeschichte aus dem Bereich Musik und eine Premiere für die Fans, denn - wie eingangs erwähnt - gab es bisher keinen Live-Mitschnitt mit KARAT in dieser Besetzung. Die Genialität eines Ed Swillms auch mal in bewegten Bildern sehen zu können, hat schon was. Ebenso, wie diese Formation funktioniert hat und die filigranen Melodien und Arrangements live auf der Bühne umsetzte. Auch heute ist KARAT noch immer eine ausgesprochen gute Live-Band, aber das was hier zu sehen und hören ist, ist eben - sorry - das Original.
(Christian Reder)