Rheingold: "Im Lauf der Zeit" (CD Album)

lp07 20170630 1038716842VÖ: 30.06.2017; Label: Lucky Bob Records/Soulfood; Katalognummer: LB 17C0008; Musiker: Bodo Staiger (alle Instrumente); Komponist: Bodo Staiger, Brigitte Staiger; Produzent: Rheingold; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak ohne Booklet, also auch ohne Abdruck der Texte;

Titel:
"Kraut" • "Im Lauf der Zeit" • "Sehnsucht" • "Stromaufwärts" • "Theme '84" • "Energie" • "Ins Leben zurück" • "Weißes Licht" • "Paradieshafen" • "Sternstaub"


Rezension:
Als ich im April mit Bodo Staiger sprach und das Interview für Deutsche Mugge mit ihm führte, kam ich vorher und nachher auch mal wieder in den Genuss, die Platten von RHEINGOLD anzuhören. Das tue ich zwischendurch zwar immer mal, aber wenn man sich mit dem Thema so intensiv beschäftigt, wie ich das eben im Frühjahr tat, greift man automatisch im CD-Schrank in Richtung des Buchstaben "R". Songs wie "Fluss", "Dreiklangsdimensionen", "FanFanFanatisch", "Das steht Dir gut" oder "Via Satellit" waren die akustischen Begleiter dieser Tage in Auto und Büro. Als Bodo dann im Gespräch davon erzählte, dass die Band wieder aktiv sei und ein neues Album aufgenommen habe, wurde ich hellhörig. Das wär's ja: Ein neues Rheingold-Album nach so langer Zeit! Auf der einen Seite war ich total gespannt und freute mich auf dieses angekündigte neue Werk. Auf der anderen Seite haben mir "Comebacks" nach vielen Jahren und die damit einhergehenden neuen Lieder und Alben anderer Helden der Jugendzeit schon oft die Laune verhagelt. Was wäre, wenn die neuen Lieder der Düsseldorfer Kapelle den Mythos von Rheingold zerstören? Was ist, wenn die so für Rheingold typische Musik heute eher in Richtung seichtem Schlager-Trallalla abdriftet und viel zu dicht am derzeitigen Zeitgeist entlang schmiert? Zwei Monate ist das Gespräch mit Bodo Staiger nun her und der Gedanke an eben dieses neue Album schon etwas in Vergessenheit geraten (kein Wunder, es war hier ja eine Menge los in dieser Zeit), da lächelte mich gestern aus meinem Postfach heraus ein Briefumschlag aus Düsseldorf an. Darin enthalten die CD "Im Lauf der Zeit" ... von Rheingold!

Zu Hause wieder angekommen war die erste Amtshandlung natürlich, die CD auszupacken, in den Player zu schieben und laufen zu lassen. Die Neugier war unglaublich groß. Würde mich Rheingold wieder so packen, wie sie es in den 80ern mit ihren drei wunderbaren Alben gemacht haben? Bis heute lief das Ding schon einige Male hier durch. Hier meine Eindrücke ...
Gleich der Opener "Kraut", ein instrumental gespieltes Stück, lässt bei mir einen wohligen Schauer über den Rücken schießen. Es ist eine Mischung aus nostalgischen Gedanken, Vertrautheit und einem innerlich deutlich spürbaren Paukenschlag, das dieses Lied in mir auslöste. Der Beat, die Gitarre, die sphärischen Syntie-Teppiche ... die Melodie ... Das ist Rheingold pur! Unglaublich, wie eine fast 40 Jahre musizierende Band mit einem neuen Song so unverkennbar wie sie selbst und doch so erfrischend zeitlos klingen kann. Ein toller Anfang!
Es geht weiter mit dem Song, der bereits als Videoclip im Netz zu finden ist und der dem Album seinen Namen gibt. "Im Lauf der Zeit". Das Lied lebt von Bodos Gitarrenspiel, aber auch vom Text und Bodos Gesang. Die Botschaft, "Die Welt dreht sich weiter | im Lauf der Zeit | es gibt nichts | was für immer bleibt", ist keine neue Erkenntnis und keine, die man vorher noch nie gehört hat, aber sie ist selten so schön in Musik gekleidet worden, wie hier bei Rheingold. "Die Musik klingt weiter | im Lauf der Zeit | in ihr lebt die Ewigkeit", singt er ergänzend und trifft damit den Nagel voll auf den Kopf. Musik übersteht tatsächlich alles, auch wenn sich links und rechts der Rest komplett verändert.
An nächster Stelle wird die "Sehnsucht" besungen. Die Sehnsucht nach schönen Worten und Inhalten, die einen erreichen? Möglicherweise ... Inhaltlich geht es nämlich um Gedanken, die schriftlich festgehalten und transportiert werden. Früher tat man dies mit Stift und Papier, man schrieb einen Brief oder einfach nur so Poesie und Gedichte auf ein Blatt Papier. Heute macht man das auch noch schriftlich, aber ganz anders ... "Worte, in Deiner Tastatur geboren | lassen Träume zu mir fliegen | Worte, banal in Arial geschrieben | Bilder Deiner Phantasie", heißt es im Text. Was aber heute wie früher gleich ist: Die richtigen Worte - egal wie festgehalten - treffen, wenn sie richtig gewählt sind, beim Adressaten den Punkt. Egal, ob als Brief oder E-Mail. Womit wir auch bei einer Neuerung bzw. Veränderung bei Rheingold sind. Wofür früher Lother Manteuffel zuständig war, haben für dieses Album Karl Bartos (Kraftwerk), Uli Luciano und Brigitte Kunz (inzwischen Staiger) übernommen: Das Texten. Und ihre Worte erreichen den Adressaten auf jeden Fall, und das nicht nur bei diesem Song hier.
Mit "Stromaufwärts" geht es weiter. Eine "Gute-Laune-Nummer" mit positiver Energie versprühender Melodie, flottem Beat und sich im Ohr festsetzendem Refrain. Ihm folgt mit "Theme '84" ein weiteres Instrumental-Stück. Und diesem '84 kann sich beim Hören der Nummer wirklich keiner entziehen. Die Musik könnte aus dieser Zeit stammen - tut sie vielleicht sogar - und liefert seinem Hörer nach dem Schließen der Augen den Soundtrack zum Träumen, zum Erinnern an die Zeit damals, vorausgesetzt man hat sie erlebt, und einen Moment des Innehaltens in einer Zeit, 33 Jahre später, die uns speziell dafür kaum noch Zeit lässt. Ein wunderbares Stück Musik und eine Empfehlung, es mir gleich zu tun. Augen zu ... träumen ...
Bei "Energie" gibt es das Déjà Vu, auf das der eine oder andere sicher schon länger gewartet hat. Ich nicht unbedingt, aber enttäuscht hat es mich trotzdem nicht. Die ersten Klänge des Stücks erinnern verschärft an die "Dreiklangsdimensionen". Beat und Gitarrenfigur zeigen deutliche Rheingold-Anleihen bei sich selbst. Das ist aber nur ein kurzer Anflug, denn das Lied über "neue Energien durch neue digitale Welten und neue Vernetzungen" hat ein komplett eigenes Leben - musikalisch wie inhaltlich. Ein weiteres Highlight auf der neuen Scheibe.
Etwas völlig anderes, als das bis dahin gehörte stellt "Ins Leben zurück" dar. Ruhiger arrangiert und mit deutlich wahrnehmbaren Synthie-Sounds wird die Botschaft transportiert, dass man nur mit Vertrauen zurück ins Leben findet, auch wenn das Glück und der Glaube verloren gegangen sind. Keine Beschreibung der sich wandelnden Zeit, nichts Digitales ... Das Innenleben des Menschen ist das Thema. Auch dabei macht die Band eine gute Figur.
Das Tempo wieder angezogen wird beim folgenden "Weißen Licht". Es geht um die Reise in eine Welt ohne Zeit, in der Musik einen von der Wirklichkeit löst. Das im Titel schon angekündigte "Weiße Licht" ist in den Augen der hier besungenen Frau zu sehen, die das Lied-Ich - auch ohne dass sie ein Wort sagt - ohne Probleme versteht. Hier wird auf ganz kreative Weise der Zustand des Verliebtseins oder der Moment, in dem man jemanden ganz besonders doll vermisst und in dem man nur in Gedanken bei ihm sein kann, beschrieben. Das mag jeder für sich selbst interpretieren. Mir gefallen beide Varianten der Interpretation und möglicherweise findet ja jemand noch eine weitere. Dieser herrliche Text wird im Mittelteil des Stücks zusätzlich noch durch ein feines Gitarren-Solo veredelt, was der Nummer noch einen weiteren Schub gibt.
Mit dem "Paradieshafen" beginnt bereits das Abschied nehmen. Das vorletzte Lied auf dem Album bietet dem Hörer nochmals Gelegenheit, die Augen zu schließen und tief in sich zu gehen. Den "Paradieshafen" darf bei diesem Instrumental jeder für sich selbst suchen, erkunden und sich vor dem inneren Auge ausmalen, wie er wohl aussehen mag. Im Song entdecke ich leichte Spurenelemente von OMD aus der Zeit vor ihrer Pop-Phase Mitte der 80er, die sehr angenehm von Gitarren- und Bass-Klängen flankiert werden. Ein großartiges Stück. Den Abschluss des Albums bildet ein letzter Song - ein weiteres Instrumental: "Sternstaub". Auch hier überlässt es die Band seinen Hörern, das Lied mit Inhalt durch die eigenen Gedanken und Phantasien zu füllen. Ziemlich 80er und ziemlich "Computerspiel-Musik"-mäßig klingt der Rausschmeißer, der mir persönlich durch sein hektisches Synthie-Arrangement nicht so gut gefällt. Aber hey ... 9 von 10 kann sich absolut sehen lassen und meine Meinung ist ja schließlich auch nicht das Maß aller Dinge.

Aus dem einstigen Trio Rheingold ist inzwischen ein Duo geworden. Bodo und Brigitte haben geheiratet und bilden das Line-Up der Band im Jahre 2017. Während Bodo sämtliche Instrumente bei den Aufnahmen eingespielt hat, die Aufnahme geleitet und den Mix dazu gemacht hat, brachte sich Brigitte mit ihrem Gesang und dem Texten einzelner Songs ein. Der Rest der Texte stammt - wie oben schon erwähnt - von musikalischen Freunden aus der Düsseldorfer Szene. "Im Lauf der Zeit" ist das erste Album mit ganz neuen und eigenen Songs der Band seit 33 Jahren. Meine anfängliche Skepsis, ob ich nach dem Hören noch immer so ein begeisterter Fan dieser Band sein würde, wurden schon nach wenigen Sekunden des Hörens weggeblasen. Der Band ist hier - für meinen Geschmack - ein Geniestreich gelungen. Wer nach einer so langen Zeit der eigenen künstlerischen Abwesenheit - das Album mit Coverversionen anderer Düsseldorfer Bands aus dem Jahre 2007 rechne ich mal nicht mit - mit so viel neuen Ideen und schon aus der Anfangszeit bekannter Qualität in Sachen Handwerk zurückkehrt, hat alles richtig gemacht. Zwar wird Rheingold mit diesem Album nicht die Charts erobern, denn es ist - bei allen neuen Einflüssen und Ideen - ein Retro-Album geworden, aber genau das erwartete ich auch von einer Band wie ihr. Bodo und Brigitte knüpfen eigentlich nahtlos da an, wo sie 1984 aufgehört haben. Die Musik hat zwar deutlich mehr Gitarren-Einschlag bekommen, aber das tut ihr sehr gut und verfälscht auch die Handschrift nicht. Der Umgang mit minimalistischen Computer-Beats und atmosphärischen Keyboard- bzw. Synthie-Sounds, die eben ausreichend Platz für Bodos Gitarrenspiel, sowie seinem und Brigittes Gesang lassen, scheint für das Duo ein Leichtes zu sein. Bis auf den eher experimentell zu sehenden letzten Song des Albums klingt die Musik frisch und doch vertraut. Ein Album zum genussvollen Hören unter Ausschluss sämtlicher Störungen von Außen ebenso, wie ein Album für eine längere Autofahrt oder den Abend mit Freunden in gemütlicher Runde. All diese Optionen bietet "Im Lauf de Zeit". Ich bin jedenfalls hellauf begeistert!
(Christian Reder)



 
 
 

   
   
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