hrkmeister 20161003 1858721645 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Inhalt:
"Meisterwerke: Verbeugungen"
Heinz Rudolf Kunze
RCA/SONY
30. September 2016

1. Ganz in Weiss
2. Blumen aus Eis
3. Junge, komm' bald wieder
4. Hinterland
5. Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
6. Der Mussolini
7. Ich steh auf Berlin
8. Was ich Dir sagen will
9. Deine Schuld
10. Solang' man Träume noch leben kann
11. Alles aus Liebe
12. Für mich soll's rote Rosen regnen
13. Wenn ein Mensch lebt
14. Haus der Lüge





Was ich schon immer höchst interessant fand und immer noch finde, sind Musiker und Bands, die nach vielen eigenen Songs und Platten eine eigene Handschrift und Wiedererkennbarkeit entwickelt haben, und die mit der über die Zeit erworbenen Erfahrungen und viel Einfühlungsvermögen eigene Versionen von Liedern anderer Komponisten erschaffen. Das haben schon viele kleine und große Namen so gemacht, sogar die Beatles und die Stones, und der Reiz liegt dabei in der Überraschung. Oft kommen bei solchen Ausflügen völlig neue Songs heraus, und manch ein Musiker würzt seine Fassung sogar mit eigenen Ideen. Auch Heinz Rudolf Kunze gönnt sich kurz vor seinem 60. Geburtstag am 30. November ein Album mit Liedern, die ganz andere geschrieben haben. "Meisterwerke: Verbeugungen" heißt die Scheibe, und hier kommt genau die Überraschung vor, die ich eben beschrieben habe ...

Allein der Blick auf die Titelliste des Albums macht unmissverständlich klar, dass es keine Berührungsängste bei Kunze gibt. Das Angebot, aus dem er sich bedient hat, reicht vom volkstümlichen Schlager und seichter Popnummer bis hin zum experimentellen Rock und Industrial. Roy Black trifft auf die Einstürzenden Neubauten, die Münchener Freiheit auf Die Ärzte und die Puhdys auf DAF. Zwischen dem ältesten Stück von 1963 ("Junge komm bald wieder" von Freddy Quinn) und dem jüngsten Song von 2013 ("Hinterland" von Caspar) liegen satte 50 Jahre, und dazwischen wird aus besonderen Songperlen gewählt und umgestaltet. Weiter zu einem Spagat dehnen kann man sich nun wirklich nicht! Aber verbiegen musste sich Kunze bei den Aufnahmen der Songs weder stimmlich noch musikalisch. Es ist Kunze, was wir auf der Platte zu hören bekommen. Er hat sich jedes einzelnen Titels mit viel Respekt und Fingerspitzengefühl genähert und ihre Seele beim "Neuaufbau" bewahrt. In Sachen Arrangements und Produktion stand ihm Swen Meyer, der bereits für Kettcar, Tomte und Tim Bendzko als Produzent tätig war, zur Seite. Ein junger und frischer Geist traf auf einen alten Hasen, und hier scheinen zwei Brüder im Geiste zugange gewesen zu sein. Das Ergebnis kann sich jedenfalls hören lassen.
So wurde von HRK aus "Ganz in Weiss", einer im Original nur so vor Schmalz triefenden Glückseligkeitsnummer aus dem Bereich Schlager, eine folkige und kernige Fassung gezaubert, die sogar einem Johnny Cash gut zu Gesicht gestanden hätte.
Gleich als nächstes wird ein Sprung ins Jahr 1982 gemacht. Die damals aus der DDR stammende Band KARAT hatte auf ihrem mit Gold ausgezeichneten Album "Der blaue Planet" einen Song namens "Blumen aus Eis" mit drauf gepackt. Die zeitlose Romantik dieses Songs hat Kunze eingefangen und in ein neues Klanggewand gesteckt. Herausgekommen ist eine erfrischende Neuauflage dieses Liedes, die mit wunderbar gesetzten Streichern und einer entspannt singenden Gitarre neue Akzente setzt. Die Wahl zur ersten Single aus diesem Album fiel daher völlig zurecht auf diesen Song. Für mich DAS Highlight der CD!
Mit "Junge, komm bald wieder" hat sich Kunze einen sehr schwer übertragbaren Titel ausgewählt. Ein treibender Beat und eine mit Fingerpicking gespielte Gitarre (die stellenweise wie ein Banjo klingt) sind in der neuen Version tragende Elemente. Das Akkordeon wird nur dezent angedeutet, und die Art des Vortrags ähnelt der des Wahl-Hamburgers Quinn sehr. Der Übertrag in die neue Zeit ist als gelungen zu bewerten.
Diesem über 50 Jahre alten Titel steht direkt die jüngste Komposition gegenüber. "Hinterland" von Caspar wurde HRK von Swen Meyer vorgestellt. Er kannte den Titel vorher gar nicht. Aber das Thema bzw. der Inhalt des Liedes "Hinterland" eint beide Musiker, weshalb Kunze aus einem Hip Hop-Titel einen knackigen Post-Rocksong gemacht hat.
Thees Uhlmanns "Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf" kennt der eine oder andere Leser vielleicht nicht so gut oder auch gar nicht. Trotzdem befindet sich dieses Lied vom TOMTE-Frontmann auf Kunzes neuem Album. Und an dieser Stelle fand ich dann auch den zweiten persönlichen Favoriten, denn die tanzbare und treibende Kunze-Version dieser Uhlmann-Komposition klingt von der Musik her ein wenig nach Ray Garvey, besitzt aber eine eindeutig eigene Färbung des Deutschrockers, der daraus schlicht und ergreifend SEIN Lied gemacht hat.
"Tanz den Mussolini" von der Gruppe DAF ist im Original ein ziemlich klinischer und kalt klingender Elektronik-Song, vorgetragen mit monotoner Gesangsstimme. Dies hat Kunze im Prinzip beibehalten, der Nummer mit vielen kleinen Details aber etwas mehr Wärme verpasst. Auch seine Art, dieses Stück zu singen, macht den Titel wesentlich attraktiver als das Original.
In der Zeit von DAF bleiben wir dann auch noch mit einem weiteren Titel hängen, nämlich mit IDEALs "Ich steh auf Berlin". Hier hat man dem Original seinen Punk nicht genommen und gar nicht allzu viel daran verändert. Die Skizzierung des Lebensgefühls von Berlin der frühen 80er aus der Feder Annette Humpes wurde lediglich aus produktionstechnischer Sicht ein neuzeitlicher Anstrich verpasst. Es rumst und scheppert auch in der 2016er Kunze-Fassung noch ordentlich. Das Retro-Feeling stellt sich schon nach wenigen Tönen ein, lässt einen aber doch nicht allzu weit ins Gestern abdriften.
In meiner Rezension möchte ich gar nicht alle Lieder ausführlich vorstellen, darum überspringen wir einfach mal drei Lieder. Nach "Was ich Dir sagen will" (im Original von Udo Jürgens), "Deine Schuld" (Die Ärzte) und "Solang man Träume noch leben kann" (Münchener Freiheit) gibt es mit "Alles aus Liebe", das 1993 von den TOTEN HOSEN erstmals aufgenommen wurde, eine weitere positive Überraschung. Ich muss zugeben, dass ich von Campino als Sänger rein gar nichts halte. Mit dem, was er da über 30 Jahre schon in die Mikros diverser Studios und auf Live-Bühnen gekräht hat, hat für mich den gleichen Charme eines von einer üblen Grippe ausgelösten Hustenanfalls. Trotzdem ist das Lied "Alles aus Liebe" eine ganz wunderbare Nummer, die sich hier dank Kunze erstmals so richtig entfalten kann. Kunze ist eben ein Sänger und kein Marktschreier, und seine Idee, das Lied so zu arrangieren, wie es jetzt auf dieser CD zu hören ist, ist einfach nur großartig. Im Staccato gespielte Töne, ein fantastisches Gitarrensolo und Kunzes Stimme sind die Zutaten für eine mehr als gelungene Version dieses Liedes.
Auch als Chanson-Sänger kann Kunze bei "Für mich soll's rote Rosen regnen" überzeugen. Wer bitte würde sich heute in Anbetracht der vielen Fallstricke schon an eine Hildegard Knef-Nummer trauen? Kunze tut es, macht eine gute Figur und trifft damit voll den Punkt.
Es folgt noch der PUHDYS-Klassiker "Wenn ein Mensch lebt", den die Berliner Band in den 70ern zum Film "Die Legende von Paul und Paula" beisteuerte, und die Kunze im Großen und Ganzen dem Original gleich eingespielt hat. Lediglich das darin eingebaute Saxophon ist anderes und gibt der Nummer einen feinen neuen Ton.
Als letzten Titel bekommt der Hörer noch das "Haus der Lüge" von den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN auf die Ohren, und hier erleben wir HRK als experimentierfreudigen Sänger, der den Text teils im Sprechgesang mit tiefer und verstellter Stimme, teils singend und teils auch überspitzt und aus der Form ausbrechend vorträgt. Kein Musikredakteur würde diese Nummer ins Radioprogramm aufnehmen, denn es würde ihn und seine Hörer einfach nur überfordern, aber den Leuten, die nach wie vor die Tiefe und die Abenteuer in der Musik suchen, macht Kunze damit eine große Freude. Danke!

Heinz Rudolf Kunze hat in seiner über 30-jährigen Karriere Lieder für die Ewigkeit erschaffen und schreibt nach wie vor wie ein Ausgabeautomat neue Texte. Regelmäßig erscheint eine neue Platte mit neuen Liedern und zwischendrin überrascht er mit Sachen wie diesen hier. Die Wahl der Lieder, die er bearbeitet und neu aufgenommen hat, weicht schon Meilen weit von dem ab, was die Mehrheit der Leute erwarten würde, wenn Kunze ein solches Album lange vorher angekündigt hätte. Man würde wohl eher die großen Hits der deutschen Rock- und Pop-Szene erwarten. Wer käme darauf, dass Heinz Rudolf Kunze bei KARAT, bei Roy Black und bei Die Ärzte Lieder ausleiht? Sicher nicht viele. Und umso mehr Abwechslung hat er in sein Programm gebracht. Kunze schielt schon lange nicht mehr auf DEN Charthit oder das Hit-Album. Auch wenn er offen für neue Einflüsse ist, wie durch Swen Meyer, der ihm bei "Meisterwerke: Verbeugungen" zur Seite stand, geht er konsequent seinen Weg und setzt seine Ideen entsprechend individuell um. Auf den Zeitgeist wird gepfiffen, wenn er sich nicht mit den Inhalten und dem eigenen Geschmack in Verbindung bringen lässt. Das ist auch gut so, denn so glaubt man ihm auch sein Anliegen. Man kauft ihm die Wertschätzung für die Kompositionen und Texte ab, die er hier für sich eingenommen hat. Diese Wertschätzung und der Respekt fließen aus jedem Ton dieser Platte heraus. Sie sind fühl- und hörbar und machen "Meisterwerke: Verbeugungen" selbst zu einem Meisterwerk. Hut ab!
(Christian Reder)



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