lp16 20160925 1531089679 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Inhalt:
"RockArt"
Hubert Kah
Kirschbaum & Kemmler/Soul Food
4. November 2016

1. Terrorist der Liebe (mit Joachim Witt)
2. Todessymphonie
3. Ave Maria
4. Meine Lust
5. Hungrig
6. Paradiso Extremo
7. Funkelnde Spiegel
8. Millionen von Sternen
9. Märchenwald (mit ASP)
10. Fels in der Brandung
11. Dich wiederzuseh'n
12. Stille
13. Parfum Deiner Liebe
14. Komm und bleib auf der Welt





Was sind in den 80ern doch unter dem Namen HUBERT KAH für großartige Songs erschienen. Hubert Kemmler, der hinter dem Namen steckt, mischte zwischen 1982 und 1983 die Neue Deutsche Welle auf und war ein wichtiger Teil dieser Bewegung. Schon damals tat man gut daran, auch abseits der Single-Veröffentlichungen zu schauen, was er und seine Band da abgeliefert haben. "Caruso", "Gigolo" und "Libido" waren Highlights seines Debüt-Albums. Auch das zweite, ein Jahr später veröffentlichte Album "Ich komme" war randvoll mit Liedern, die sich qualitativ von vielen anderen Produktionen dieser Zeit abhoben. "La La Langeweile", "Schön wie noch nie" und "Lass mich träumen" waren für mich die besten Nummern auf der zweiten Langrille. Dann wurde innerhalb kürzester Zeit aus dem schrill-skurrilen Pop-Clown ein Pop-Prinz mit dem richtigen Riecher für Sound und Melodien. Das dritte Album "Goldene Zeiten", das 1984 erschien, zeigte Hubert Kemmler gereift und wesentlich ernsthafter. Weg waren Zwangsjacke und Nachthemd, mit denen er in der Anfangszeit auftrat. Sie waren moderner Kleidung und androgynem Auftreten gewichen. Die Single "Engel 07", die 1984 erschien und aus eben erwähntem Album stammt, ist ein noch heute gut spielbarer Song ohne Abnutzungserscheinungen. Hubert brilliert hier mit Gesang und kompositorischer Klasse. Das war nur der Anfang der bis jetzt brillantesten Phase Kemmlers als Sänger, Komponist und Texter. Es folgten zwischen 1986 und 1989 zwei englischsprachige Alben ("Tensongs" und "Sound Of My Heart") die randvoll mit weiteren Popmusik-Perlen "Made in Germany" gefüllt sind. Melodien und Sound setzten Maßstäbe, Huberts hohe Ansprüche in Musik und Inhalt waren deutlich hörbar und sein Markenzeichen. Nicht umsonst ließen sich zig Künstler aus dem In- und Ausland von ihm produzieren oder Lieder schreiben. Diese Phase endete abrupt. Mit den 80ern schienen auch Kemmlers Gespür für Hits und seine Ideen verschwunden zu sein. Lag es an der Krankheit, dass der Kopf nicht mehr frei war? War es eine innere Veränderung des eigenen Geschmacks? Mit "Hubert Kah" (1995) und "Seelentaucher" (2005) erschienen nur noch zwei weitere Alben, die sich stilistisch und inhaltlich extrem von dem unterschieden, was davor gemacht hat. Keines der Alben konnte sich in den Charts platzieren. Seit "Seelentaucher" sind weitere 10 Jahre vergangen und die Fans warten auf neue Lieder und eine evtl. Rückkehr zu alten Stärken. Ich habe mich jedenfalls sehr über die Nachricht gefreut, dass es was Neues aus dem Hause HUBERT KAH Kah geben wird.

Die gute Nachricht: HUBERT KAH hat eine neue CD veröffentlicht!
Die schlechte Nachricht: HUBERT KAH hat eine neue CD veröffentlicht!
Eine gute Nachricht ist diese Meldung sicher für all die Musikhörer, die sich gern auf Metamorphosen einlassen und es gut finden, wenn sich Künstler weiterentwickeln. Eine schlechte Nachricht ist das hingegen für die, die noch heute den guten alten 80ern hinterher trauern und von Kemmler verlangen, so zu klingen, wie vor 30 Jahren. Mit "Rockart", wie das neue Album heißt, hat sich Hubert Kah nämlich komplett von dem verabschiedet, was er so zwischen 1984 und 1989 gemacht hat. Was auf dem Album zu hören ist, könnte wie eine Rückkehr zu den Wurzeln gesehen werden. Auf dem eben schon erwähnten ersten Album von 1982 tummeln sich auch allerlei skurrile Nummern, die schon damals keine Chance in den Charts gehabt hätten. Und das ist auf "Rockart" wieder der Fall. Das muss man mögen oder hat ein Problem.

Doch was ist es, was Kemmler hier abgeliefert hat? Ist das noch Pop? Ist das Rock? Ist das ein hinter Rammstein und Joachim Witt her jagen? Schwer zu sagen, doch die immer wieder auftauchenden Gitarren rücken das Ganze schon in den Bereich, bewährten und erfolgreichen Trends in der Rockmusik zu folgen. Der Sound der neuen Lieder gehört meiner Meinung nach auch in den Neue Deutsche Härte-, teilweise auch in den Nu Metal-Bereich. Aber wer will sich in seiner künstlerischen Freiheit schon auf irgendwas festnageln lassen, wenn ihn gerade die Muse küsst? Ich muss zugeben, dass ich mich tierisch erschrocken habe, als Kemmler vor einigen Monaten mit dem Song "Millionen von Sternen" um die Ecke kam. Ich glaube, es war 2014, als er gerade aus dem Promi-Container auszog und mit dem Titel im ZDF-Fernsehgarten zu sehen war. Das war nicht schräg ... ich fand das kacke! Und das ist auch immer noch so. Aber wie so vieles andere auch ist das eben Geschmackssache, und ich hab' ja eigentlich immer was zu Nörgeln.

Nun sind es incl. der eben erwähnten Nummer insgesamt 14 neue Lieder, die den neuen HUBERT KAH wiederspiegeln. Hier trifft Kemmler auf Kinski ... Dramatik auf Humor ... Dunkelheit auf strahlenden Sonnenschein. Das erste Durchhören der Platte hinterlässt erst mal viele Fragezeichen. Das liegt insbesondere daran, dass man hier auch beim besten Willen keinen roten Faden entdecken kann. Das Album ist ein Konglomerat aus verschiedenen Ideen und Stimmungen, die wahrscheinlich auch aus verschiedenen Zeiten und Köpfen entsprungen sind. Womit wir wieder bei "nichts mehr wie es war" sind, denn bei der Produktion seiner neuen Platte scheint sich Kemmler nicht auf seine eigenen Ideen verlassen, sondern sich auf die Ideen und Vorlagen anderer Musiker eingelassen zu haben. Es fehlt neben der eigenen Handschrift zudem die früher gern verwendete Romantik in seinen Liedern ("Love Is So Sensible") komplett. Das war immer eine Stärke, die gänzlich verloren gegangen zu sein scheint. Die zerbrechliche Liebe, mit poetischen Worten beschrieben, weicht der direkten Art über die eigene Lust zu singen ("Das unterdrückte geile Tier, es will zu dir, es will zu dir!"). So erlebt der Hörer im Jahre 2016 die dunkle Seite des Sängers, der mal wie Klaus Kinski nahe dem Wahnsinn in tiefe Lyrik versinkt oder mit übertriebener Betonung nur einen einzigen Satz spricht/singt, und den Hörer damit völlig allein auf weiter Flur stehen lässt. Daran muss man sich erst mal gewöhnen und braucht möglicherweise den einen oder anderen Hördurchgang mehr, um hier irgendeinen Plan entdecken zu können.

Was allerdings richtig auffällt ist eine ziemlich gravierende Veränderung bei Hubert, nämlich die in seiner Stimme. Sie kommt hier kaum so rüber, wie man sie kennt, und blitzt nur gelegentlich, wie z.B. im Song "Meine Lust" oder in "Märchenwald" in altbekannter Schönheit auf. Über die übertriebene Betonung in manchen Passagen ("Funkelnde Spiegel", "Ave Maria", "Terrorist der Liebe") habe ich ja schon geschrieben. Von der Produktion her hat HUBERT KAH jedoch alles richtig gemacht. Als Co-Produzent saß unserem Hubert der ehemalige NINE INCH NAILS-Schlagzeuger Chris Vrenna zur Seite, der in seinem Portfolio als Kreativer im Studio schon Namen wie Marilyn Manson, Gary Numan, David Bowie und U2 stehen hat. Übrigens auch Rammstein ... Darum fällt es wohl auch so schwer, das Album in irgendeine Schublade zu stecken, denn sowohl Kemmler als auch Vrenna mögen es gar nicht, sich selbst an die Kette zu legen. Vorausgesetzt man mag weit in die Tiefe gehende und teils komplizierte Musik, dürfte die Platte kaum irgendwelche Wünsche offen lassen. Einzig die mit einem unüberhörbaren Augenzwinkern präsentierte Nummer "Dich wiederzuseh'n" mit allerlei Anleihen aus eigenen Songs ("Rosemarie") und derer anderer Bands ("Da Da Da" von Trio) sticht da extrem heraus. Hält man sich damit vielleicht sogar das Türchen für einen Auftritt in einer der noch verbliebenen Samstagabendshows im TV offen? Mit vielen anderen Titeln der CD würde man das Mainstream-Publikum wahrscheinlich erschrecken. Aber auch das wäre für HUBERT KAH nichts Neues, tat er dies ja bereits 1982 schon in der ZDF-Hitparade mit Erfolg.

Ich gehöre zu denen, die es gut finden, wenn sich ein Musiker weiterentwickelt. Manchmal ist das nur eine nette Umschreibung dafür, dass die Musik mit den Jahren einfach nur schlecht geworden ist und dem Künstler nix mehr einfällt. Das ist bei Kemmler sicher nicht der Fall, wie einige Passagen aus dem neuen Album ja deutlich zeigen. Jeder Künstler muss in erster Linie das machen, was in ihm schlummert und sich seine Bahn bricht. Was raus will, muss raus. Das kann man als Fan gut finden oder auch nicht. Es bleibt jedem die Option, den vom Musiker eingeschlagenen Weg mitzugehen oder eben nicht. Wenn es Leute gibt, die die Entwicklung HUBERT KAHs als eine vom Kristallglas hin zum Blecheimer sehen, dann sei ihnen diese Meinung zugestanden. Ich würde das nicht ganz so krass bezeichnen, aber so richtig warm werde ich mit "Rockart" (noch) nicht. Andere hingegen werden die Platte für den großen Wurf halten. Geschmäcker sind eben verschieden.
(Christian Reder)



Albumplayer:






   
   
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