safijanus 20150623 2004259509 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Janus"
Safi
[PIAS]/Rough Trade
26. Juni 2015

1. Ausgebrannt
2. Sagen und Denken
3. Menschen
4. Fragezeichen
5. Golem
6. Weg
7. Offensichtlich
8. Alle laufen
9. Entschuldigung
10. Ich will ich





Es war 2009, als es mich kalt erwischte. Ich hörte gerade die CD "Kalt" von der Gruppe SAFI. Ich war schlichtweg hin und weg von diesem Werk. Doch was für ein Gefühl werde ich jetzt wohl beim Hören des neuen Albums "Janus" haben? Gegen "Kalt" ist das neue Album musikalisch jedenfalls ein totaler Quantensprung. Ich möchte vieles über die neuen Lieder sagen, aber anderseits ist auch eine totale Stille in mir, so beeindruckt bin ich nach dem ersten Hören diese Albums.

Die in Leipzig geborene Wahl-Berlinerin Safi, die am Mikrofon stehend einen Vulkanausbruch der besonderen Art verursacht, Matthias Becker (Gitarre, Bass) und Frank Semmer (Schlagzeug) haben es als Band SAFI wieder geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Dabei ist bei SAFI jetzt eigentlich alles anders: ein neues Label ("[PIAS]"), neue Booking-Agentur ("Vagabond Vilage") und neue musikalische Facetten (Einsatz von Elektronika), die man so von ihnen noch nicht gehört hat.
Das Cover der CD ist wieder schlicht gehalten. Darauf zu sehen ist eine überbelichtete Schwarz-Weiß-Aufnahme von Frontfrau Safi, die dem Betrachter mit nur einem geöffneten Auge einen stechenden Blick zuwirft. So schlicht das Cover auch sein mag, so umfangreich und bunt sind die Texte. SAFI sind auch beim neuen Album wieder der deutschen Sprache treu geblieben, und es entstanden knallharte und lyrisch angelehnte Texte, die die Frontfrau alle als scharfe Beobachterin ihrer Umgebung selbst verfasst hat. Dabei entdeckt sie bei völlig unterschiedlichen Situationen zwischen scheinbarer Banalität und alltäglicher Verzweiflung ihre Textmosaiksteine, die sie dann in monatelanger Arbeit zusammenfügt, um diese in einem Gesamtwerk mit viel musikalischem Sprengstoff beizumischen. Ich kann mich nur wiederholen: für mich ist es schon sehr beeindruckend, dass Safi mit ihrer Art der Lyrik und Poesie so eine harte Musikrichtung aufmischt, wo doch meist nur kurze und wenigsagende Texte das Genre bestimmen. Safi ist die kombinierte Virtuosität aus viereinhalb Oktaven Stimmumfang und klassischer Gesangsausbildung - vom Flüstern über die Stille bis zum explosionsartigen Schrei-Ausbruch. Trotzdem ist jeder Ton klar, sauber und verständlich, und unverkennbar von einer emotional nicht vergleichbaren, geladenen Kraft geschwängert. Es kämpfen die Stille gegen Brutalität, bevor in uns selbst etwas passiert. Die kraftvolle, laute Musik und die Texte mit ihren lebendigen Emotionen verschmelzen in unserem Ohr zu einem ansprechenden "Menü", das das Gefühl hinterlässt, in einem grenzenlosen Raum zu schweben. SAFIs Musik ist nach wie vor irgendwo zwischen Indie-Rock und Avantgarde-Punk mit ungewohnten Energien, Klängen und Krachphasen einzustufen. Mit ihrer Art, energetische Krachwelten in Schall und Wort zu erzeugen, sind sie ein angenehmer Farbtupfer in der deutschen Musikszene.

Das zwiespältige im künstlerischen Kosmos von SAFI ist allumfassend. Folgerichtig trägt SAFIs aktuelles Album den Titel "Janus". Die Janusköpfigkeit verstehen SAFI als schöpferischen Ausgangspunkt. "Janus", das sind 10 Songs die musikalisch und inhaltlich alle nur so vor Kraft strotzen und unsere Ohren mit ungewohnten Klängen sowie musikalischen Extremsituationen (die sich schwer beschreiben lassen) konfrontieren. Drei dieser Songs hatten SAFI den Fans in den letzten Wochen schon in sehr aufwendig gestalteten Videos nahe gebracht. Zuerst das Stück "Sagen und Denken", danach "Offensichtlich" und vor ein paar Tagen schließlich noch "Ausgebrannnt". "Ausgebrannt" ist auch der erste Song auf dem neuen Album. Darin geht es um ganz aktuelle Bezüge ... "alle laufen mit der Zeit", heißt es da im Refrain. Jeder rennt mit der Masse, ohne zu überlegen oder etwas anderes zu tun. Stark sind hier das Schlagzeug und der Einsatz der elektronischen Elemente, welche den stampfenden Rhythmus durchgängig bestimmen - unterbrochen von Safis Schrei inmitten der Textpassagen. "Sagen und Denken" fängt mit einem Gitarrensolo an, welches wieder durch Franks tolles Schlagzeugspiel unterstützt und durch den Einsatz einer zweiten Gitarre eine Melodie erhält, die schon fast Ohrwurmcharakter hat (wenn man sich bei dieser Musik überhaupt zu so einer Aussage hinreißen lassen darf). Das Lied beinhaltet zudem ausdrucksvolle lyrische Textpassagen wie z.B. "Wir lügen uns die Augen leer und bluten Versprechen aus ... bequeme Systeme ... wir sagen und denken, was wir sagen und denken".
"Menschen" ist ein Lied, das es etwas ruhiger angehen lässt und von der Alltagsroutine und der Gleichförmigkeit in unseren Leben erzählt. Darüber, dass sich die Menschen immer wieder wiederholen und ihren Schwermut auf der Straße abtreten.
"Fragezeichen" ist ebenfalls ein sehr gelungener Titel. Er beginnt mit einem knarrenden Bass, zu dem sich Safis Stimme und später auch das Schlagzeug kraftvoll dazugesellen. In diesem Song werden die Fragen des Lebens gesammelt.
In "Golem" nimmt Safi Bezug zu aktuellen Europa-Fragen und gibt ihre persönliche Stellung dazu ab.
In den "Weg" werden wir zu Beginn mit Pianoklängen geführt, bevor sich die Musik im Verlauf des Stücks wieder zu einer Wand aus lauten und kraftvollen Tönen aufbäumt.
"Offensichtlich", für mich der stärkste Song mit "Sagen und Denken", handelt von dem Mitteilungsbedürfnis, von offensichtlich wichtigen Dingen ... und darüber, dass andere alles anders machen, man selber aber nicht anders ist, wenn man schweigt.
Auch in dem Lied "Alle laufen" geht es wieder um Dinge, die sich in gewissem Maße schon in anderen Songs textlich widerspiegeln, ohne aber wie eine Wiederholung zu wirken. Ein sehr stimmungsvoll aufgebauter Song!
"Entschuldigung" ist dann wieder so ein lauter Song, bei dem es musikalisch richtig abgeht. Mit wechselnden musikalischen Phasen in allen Lautstärken und mit allen zur Verfügung stehenden instrumentalen Mitteln. Der Text selbst tritt dadurch etwas in den Hintergrund und die schreiende, fast schon bohrende Stimme von Safi wirkt eigentlich wie ein weiteres Instrument. Sie gibt dem Stück auf ganz besondere Weise zusätzlich Kraft.
Mit "Ich will ich" endet dann das Album. Es zeigt weider eine ganz andere Facette der Band und ihrer Musik. Safi trägt den Text im Sprechgesang vor, der im weiteren Verlauf immer kräftiger von den Gitarre und der Elektronik getragen wird. Einfach super.

Man merkt bei den Texten, dass Safi Probleme und Situationen nicht nur einseitig betrachtet. Es entstehen regelrechte Gedankenbündel, die nur so aus ihr heraussprudeln. Safi formt daraus eine explosive Masse, die sie mit extremen Gitarrenakkorden und anderen Elementen als eine Art Aufschrei ihrer Gedanken an den Zuhörer übermittelt. Dahinter steckt die Idee, die Gedanken selbst weiter zu denken und dabei vielleicht auch neue Überzeugungen zu gewinnen. "Janus" ist eine CD, die dem Zuhörer schon einiges abverlangt, seinen Horizont aber auch erweitert und den Sinn für Musik bereichert ... Ich möchte jedenfalls alle auf dieses Album aufmerksam und auch neugierig machen. Ich glaube schon, dass sehr viele Leute angenehm überrascht sein werden, wenn sie ihre sonstigen Hörgewohnheiten mal über Bord werfen und offen für Neues sind. Bei dem einen funktionieren die Lieder sofort, bei anderen vielleicht erst nach mehrmaligem Hören. Die Platte lohnt sich aber auf jeden Fall!
(Dietmar Meixner)

 

 



Videoclips:

"Sagen und Denken"


"Offensichtlich"


"Ausgebrannt"



 


   
   
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