falkenberggeliebtes 20150304 1750680820 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Geliebtes Leben"
Falkenberg
Mollwerk/Buschfunk
27. Februar 2015

1. Vom Anfang
2. Geliebtes Leben
3. Fühlst du mein Herz
4. Rodeoclown
5. Was würdest du tun
6. Menschensammler
7. Independentfilm
8. Das Lied N8
9. Grandios gescheitert
10. Deine tanzenden Vögel
11. Staub
12. Bis zum Ende





Ich gebe ja zu, ich gehöre zu denen, die anfänglich ihre Schwierigkeiten mit Falkenberg alias Ralf Schmidt hatten. Es war zu einer Zeit, als Plattenverkäufer(innen) noch wussten, was auf den Scheiben zu hören ist, die sie über den Ladentisch schoben. So ging ich - ich war noch sehr sehr jung und gern und viel unterwegs - mit der Stern-Meißen-Platte "Nächte", die ich kurz zuvor erwarb, in den Plattenladen in Stralsund und verlangte die Hälfte des Geldes zurück. Als mich die Verkäuferin fragte weshalb, begründete ich es, da wären ja nur lauter halbe Lieder drauf. Sie lachte sich scheckig. Ich habe die Platte später nicht ganz uneigennützig an ein Mädchen verschenkt, die drauf stand. Herausgekommen ist nur eine Nacht. Das hätte ich mir ja vorher denken können, bei der Platte. Mittlerweile habe ich nicht nur meinen Frieden mit Falkenberg gemacht, sondern ihn auch als Künstler und Menschen in mein Herz geschlossen. Dass ich ihm bei unserer ersten persönlichen Begegnung zuerst noch sagen musste, dass ich das toll finde, wie er mit einem einzigen Song ganze Platten bespielen kann, brachte ihn zum Lachen und da hatte er mich gehabt. Zudem traf ich jenes Mädchen wieder und das ganze Dilemma erwies sich dann - von heute aus betrachtet - als enormer Glücksfall. Ich wollte sie auch nicht fragen, ob sie die Platte noch hat, um ihr nicht mir unliebsame Erinnerungswiederholungsbedürfnisse zu suggieren.

Nun liegt sein sechstes Solo-Studio-Album vor, mittlerweile nur noch firmierend unter dem Namen Falkenberg. Es ist fast ein Solo-Album im wahrsten Sinn des Wortes. Mit Ausnahme der Drums, die von Frieder Hentze eingespielt wurden, hat Falkenberg alle Instrumente selbst eingespielt und produziert. In der Arbeit von ca. 2 Jahren huldigt Falkenberg dem geliebten Leben, sehr facettenreich, sehr ideenreich und auf gar keinen Fall nur auf sich selbst bezogen. Für mich schließt sich dieses Album an seinen Vorgänger "Freiheit" nahtlos an, ohne eine lapidare Fortsetzung dessen zu sein. Ich würde sagen, was er mir mit seinem fünften Album versprach, welches ich sehr mag, das hält und überbietet er gar mit seinem sechsten.

Rein instrumental geleitet er uns ins Album oder ins "Geliebte Leben" "Vom Anfang". Das kleine Stück kann man ruhig auf sich wirken lassen. Ich habe diese Musik dreimal hintereinander gehört, bevor ich mich weiter dem Album widmete. Solche Wirkung haben Instrumentalstücke oft auf mich. Wenn sie gut sind, geht der Geist spazieren, schafft sich eigene Räume und Bilder zur Musik und dieser Spaziergang ist dann noch nicht beendet, wenn das Stück es bereits ist. Wenn ich sie doof finde, mache ich sie einfach aus. Herrje, ich bin wohl doch schon zu alt, um mich nerven zu lassen. Aber noch so jung, um gutes instrumentales Spiel so oft zu hören, wie meine Gedanken es möchten. Danach unterbrach ich schon das Anhören des Albums, um mich zu sammeln und neu darauf zu konzentrieren.

Den Einstieg in die Lieder auf dem Album und zur wohlvertrauten Falkenberg-Stimme erhält man mit dem Titelsong "Geliebtes Leben". Rockige Gitarre, jedoch nicht aggressiv. Dass beim Nachdenken übers eigene Leben auch zwangsläufig Sachen, Geschehnisse, Personen auftauchen, die nerven, singt Falkenberg auch im Text. Man kann ja spekulieren, ob einige Texte aus dem Erlebnis entstanden sind, dass Falkenberg sich plötzlich, aus allem heraus gerissen, im Krankenhaus wiederfand. Schon möglich. Aber solch ein Erlebnis wäre wohl nicht nötig gewesen, um solch ein Album zu schaffen.

Bei der Adaption von "Fühlst du dein Herz", wohlgemerkt einer Eigen-Adaption, fiel mir ein, dass Falkenberg ja einst - ist lange her - vom Punk kam. Punkgötter sind eh die Guten. Ich finde es sehr interessant, wie er eine sehr gewachsene (was nicht er-wachsen heißen muss) Sichtweise auf diesen 80er-Jahre-Hit legte. Allgemein sind es die Brüche, auch die metrischen und kompositorischen, die diese Platte sehr interessant und sehr eigenständig machen. Vielleicht kann man dieses 6. Solo-Album auch als eine Art Bruch-Album ansehen. Nicht im negativen Sinne, eher im Sinne der Loslösung von Abgelebtem und dem Aufbrechen zu neuen Ufern. Das hat sich eigentlich bei "Freiheit" schon deutlich abgezeichnet. Sich selbst in diesem Bruch - Ab- und Aufbruch - natürlich mitnehmend. Es ist ja auch ein - wenn auch weit verbreiteter - Irrtum zu glauben, dass alles besser werde, wenn man sich nur ändere. Nein, man muss die Umstände ändern. Klingt leichter, ist aber total schwer. Doch das Herz kennt seinen Fluss. Und weiß auch, wann es an der Zeit wird, ihn zu unterbrechen, um zu seinem eigentlichen Lebens-Fluss zurückzukehren, dessen Lauf die Umstände mit den Jahren verändert haben.

Immer auf Achse als "Rodeoclown". Und die Zweifel an der "Show". Ob die noch geht. Ob die noch etwas bringt. Ja, das alles ruft Veränderung herbei. Abrechnung, Zwischenrechnung mit dem Selbst-Bewusstsein. Der Rodeoclown präsentiert sich nun völlig ungeschminkt. Und siehe da, das Herz lauscht auf und lächelt der Melancholie. Jeder geht damit so um, wie es sich für jeden am Besten anfühlt. Sollte es jedenfalls. Manche schreiben Bücher über sich, in denen sie feiern, was nicht mehr feierlich ist. Falkenberg schrieb ein liebevolles Album an sein Herz. Die künstlerisch ausgedrückte Selbstermahnung, die immer ein Zeichen von Demut vor dem Publikum in sich trägt, ist so eine Abrechnung und ein Ratschlag zugleich.

Am liebsten mag ich Falkenberg allein am Klavier. Nicht, dass ich die anderen Musiken nicht mag. Aber in diese leisen Lieder kann ich mich vollends hineinbegeben. So wie in "Was würdest du tun". Diesen Titel empfehle ich Euch mehrmals anzuhören. Die darin gelegte Vorstellung ist für uns wie auch für den Künstler sicherlich schwierig nachzuvollziehen, doch liegt hier zumindest eine gute Hilfe für den Versuch vor. Sich vorzustellen, "was würdest du tun, wenn dein Land ein Krieg wär". Allein diese Zeile erzeugt doch schon Gänsehaut.

Zwischen Zirkusmusik und Punk bewegt sich musikalisch der "Menschensammler". Der passt sehr gut nach "Was würdest du tun". Schade, dass dieser Song noch nicht erschienen war, bevor die ganze Gida-Blase sich breit blubberte. Vielleicht hätte uns das einiges erspart. Es bleibt zu befürchten, dass nicht. Würden solche Typen, wie in diesem Lied beschrieben, nicht funktionieren, weil die immer genug Idioten finden, die ihnen nachlaufen, bräuchten wir solche Lieder ja überhaupt nicht. Warum auch immer so etwas immer noch oder wieder geht. Aber die sprachlich sehr gelungene witzige Beschreibung sollte sich jeder zu Gemüte führen, bevor er wutmanipuliert oder euphoriemanipuliert aus seiner Parzelle zu Menschenansammlungen rennt.

Punkrockig bleibt Falkenberg im "Independentfilm". Ich dachte ja erst, der macht sich über mich persönlich lustig. Ich habe mich tatsächlich einmal mit Quentin Tarantino unterhalten. Das war aber nicht auf einer Party. Ich hatte ihn lediglich auf der Straße erkannt, als er mir zufällig entgegenlief. Und ich habe zwar 20 Nick-Cave-Songs für ein musikalisches Projekt ins Deutsche übertragen, aber keinen für ihn geschrieben. Und bei der letzten Strophe fühlte ich mich gar nicht mehr angesprochen. Da habe ich aber nochmal Glück gehabt. Das Leben ist tatsächlich nach außen hin mehr und mehr eine Galerie. Oder wie ein Drehbuch zu einem Independentfilm eben. Wenn es so wirkt, in sich selbst, ist es ja eigentlich gut. Blöd ist nur, wenn alles nichts ist. Aber nicht jeder Spinner ist auch ein Verlierer.

Das "Lied N8" ist wunderschön. Ich mag es nach mehrmaligem Hören sehr, ich liebe seinen Text. Es ist so eine der Geschichten, glaubt man, immer wieder gern und alt und neu erzählt. Was in diesen zählt, ist die Wahrhaftigkeit, die berührt. Wie ein wirklich gutes Gespräch. Hier ein Lied für ein Lied.

Mit einer High-Noon-Western-Gitarre wird "Grandios gescheitert" eingeleitet und von ihr begleitet. Eine Art Psychogramm eines Verlierers. Das trägt auch etwas Verbissenheit in sich. Die in solchen beschriebenen Momenten oder Tagen auch gut tun kann. Mal abgesehen davon, dass ein Leben ohne Scheitern nun wirklich nichts taugt. Als lebendiges Leben, liebendes Leben, geliebtes Leben. Leben budgetiert sich nicht. Die Berechenbarkeit dessen ist eine Illusion. Ja, man kann das fast schon als kollektive Halluzination bezeichnen. Manchmal wünsche ich, wir würden mehr das Scheitern, unser persönliches und unser kollektives, eingestehen. Und nicht - wie leider oft üblich - es im Kopf oder verbal in Erfolge umformulieren. Das Scheitern ist nicht die Krankheit. Die Krankheit ist, es zu ignorieren.

Es kommen ja auch andere Tage. Tage der Veränderungen. Eben des Auf-Bruchs. Der Liebe. Ja, sogar der zu sich selbst. Da wird es auch Zeit für ein gelungenes Liebeslied. An wen. An alles. Auch ans Leben. An "Deine tanzenden Vögel (im Haar)". Es ist auch irgendwie gerade mal wieder die Zeit für Lieder voller Liebe. Und notwendig ist es auch. Schön, dass es Menschen gibt, die sie schreiben und sie uns singen.

Alles nicht mehr ohne Resümee. Der Aufbruch liegt im eigenen Erkennen. Um fliegen zu können, die Seele fliegen zu lassen, "Staub über den Wellen" zu sein. So möge es werden. Insofern ist auch die Dramaturgie des Albums überaus gelungen. Ich hoffe und wünsche, sehr sehr viele werden es für sich erschließen und sie sich ins Herz. Und sich noch sehr lange nicht nur daran erinnern, sondern es auch hören. Wieder und wieder. "Bis zum Ende", einem instrumentalen Ausklang, einfach halt um sich an das eben gerade Gehörte ... zu erinnern.

Falkenberg hat ein neues Studio-Album vorgelegt. Es wäre fatal, wenn Ihr Euch das nicht gönnen würdet. Ich bin mir sicher, dass wer diese Seite besucht, sich dieses Album auch von Herzen verdient hat.
(Andreas Hähle)




   
   
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