holofernesschwert 20140124 2074916020 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titelliste:
"Ein leichtes Schwert"
Judith Holofernes
Four Music/SONY Music
07.02.2014

1. Nichtsnutz
2. Pechmarie
3. Ein leichtes Schwert
4. Danke, ich hab schon
5. Liebe Teil 2 - Jetzt erst recht
6. Opossum
7. M.I.L.F.
8. Brennende Brücken
9. Hasenherz
10. Platz Da
11. Havarie
12. John Irving




Ohne Plan nach Absurdistan über Jerewan und Teheran mit Maus und Mann geht es voran weil man es kann
Nee, das ist keine Zeile, die im Debüt-Album der bisherigen Frontfrau der Kapelle WIR SIND HELDEN vorkommt. Das habe ich ohne nachzudenken in Bruchteilen von Sekunden hingeschmiert und ich komme noch drauf zu sprechen, warum. Nach der für nicht informierte Musikfreunde überraschenden Auflösung von WIR SIND HELDEN präsentiert Judith Holofernes ihr erstes Solo-Album und irgendwie haben viele plötzlich das Gefühl, dass sie schon lange drauf gewartet haben. Allerdings kann ich mir nur schwer vorstellen, nach dem Anhören des Werkes, dass sie auf dieses Album gewartet haben.

Ganz alleine hat sie es auch nicht geschaffen. Mitgeholfen haben Jörg Holdinghausen am Bass und Pola Roy am Schlagzeug sowie der Produzent der letzten WIR SIND HELDEN-Scheibe „Bring mich nach Hause“, Ian Davenport. Tobias Jundt war hilfreich bei „Platz da“ und die Schweizer Formation MAMA ROSIN gab dem Titel „Pechmarie“ eine wohlige Abschlussfarbe. Ansonsten ist wohl Judith Holofernes eigenverantwortlich für das Album. So in allem. Neben Musik und Texten und Gesang spielte sie noch E-Gitarre und Ukulele ein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, da hatte jemand Bock auf 'ne Soloscheibe und kann sich das auch – ebenfalls irgendwie und in vielfacher Hinsicht – leisten. Nichts dagegen einzuwenden, wir leben angeblich in einem freien Land und da kann ja jeder machen, was er will. Es gibt einen Haufen wesentlicher schlechterer Alben, insofern … warum  nicht …

Empfangen wird man mit leichter Hand-Made-Musik, natürlich elektronisch verstärkt, legere, trocken, rotzig, bisschen punkiggrungiggroovig, ein Zipfelchen Traditionell im Chorus. Mit einem Hymnus auf die Faulheit, einfach mal ein „Nichtsnutz“ sein. Oder eben eine Nichtsnutzin. Egal. Grundgelegt eine Reggaeline, die für das Anliegen ein wenig zu chaotisch daherkommt. Aber so ist das mit dem Faulsein. Hektische Sache das. Die Reime viel zu viel fürs Faulsein und partiell etwas zwanghaft (was sich fast durch die ganze Scheibe hindurchzieht und so wirkt wie die Überschrift dieser Rezension). Man hat etwas den Eindruck, da kommt eine hyperventilierende Teeniestresserin daher, die aufgeregt Unaufgeregtheit propagiert.

Ebenso schnöde beschreibt die Berliner Göre die „Pechmarie“. Ganz hübsch und sehr flott im etwas abseitigen SingerSongWriterStyle. Der Text ist naja, die Musik weniger. Eigentlich, vermute ich fast, geht es nur um den eigenwilligen und für Judith Holofernes recht charakteristischen Gesang. Da ist der Rest, so scheint es, egal. Es ist ein Song. Aber auch nicht mehr. Und manch sprachliches Bild lässt einem die Zehennägel splittern beim genaueren Hinhören bei diesem Neue-Deutsche-Welle-Revival-Lied („kriegsversehrte Taube“). Das ist im Gesamtkontext dann weder klamaukig noch tiefsinnig noch dadaistisch, es ist einfach … na, nichts.

Gefallen hat mir die – wenn auch da immer etwas leicht an MIA erinnernde – nunmehr Solosängerin erstmalig auf diesem Album mit dem Titel „Ein leichtes Schwert“. Dieser Seicht-Punk, vor allem beim E-Klampfen-Spiel, die eingestreuten musikalischen Ideen, der Text. Das ist schon ziemlich stimmig, da brennt es auch ein klein wenig.

Etwas rockiger kommt „Danke, ich hab schon“ daher, der Punk bleibt aber. Wenn man es nicht anders wüßte, könnte man das glatt für ein jugendliches Frühwerk der Sängerin halten, wie die meisten Titel auf dem Album. Auch und vor allem wenn man den Zwangsreimen hinterherlauscht, die ein wenig davon profitieren, dass sie so leicht säuselnd verbreitgenuschelt werden. Aber das war ja bei „Wir sind Helden“ auch schon so.

Locker-flockig behandelt „Liebe Teil 2 – Jetzt erst recht“ die Gegensätzlichkeiten von Stimmungen und Befindlichkeiten in Beziehungen. Ein echt schöner erwachsen wirkender Text. Musikalisch kommt die Protagonistin auch hier leider nicht aus ihrem spätpubertären Gehabe heraus. Was mir jedoch – bei diesem Titel – gefällt. Ja, neben dem Führen von Beziehungen kann auch das Musikhören mitunter eine recht komplizierte Angelegenheit sein.

Da ich mich langsam an die „FickdichweilicheinMädchenbin“-Manier gewöhnt hatte, hatte sie mich mit dem Titel „Opossum“ leicht gekriegt. Wieder das Hin-und-Her-Wandeln oder –schwanken zwischen Punk, NDW, dem sachte eingepaßten Reggaesound und den „Ach-irgendwie-wird-es-schon-passen“-Reimen hatte ich bei diesem vermutlich etwas kritisch sein wollendem Lied Spaß.

„MILF“ knallt uns Garage-Grunge-Sound um die Ohren, wenn auch in sehr naiver und verspielter Weise, die man landläufig mainstreamig angepaßt nennt, angefüttert mit netten New-Wave-Spielerei-Köstlichkeiten, stark an der dynamisierten Grenze sogar dessen, was man wohl als (Zu)-Hörmusik bezeichnet, was das Album anscheinend jedoch irgendwie im Ganzen gar nicht sein will. Irgendwie will dieses Lied ja auch noch poppig sein. Und partiell experimentell. So unentschieden wie das gesamte Album mir erscheint. Es grenzt nur ans Angestrengtsein, insofern macht das Anhören Spaß, wenn dann leider diese albernen platten vorhersehbaren Reime nicht immer dazwischenlispeln würden.

Musikalisch wie eine Johnny-Cash-Hommage wirkt „Brennende Brücken“. So als Liedermacherfan habe ich mich etwas in diesen Titel verliebt. Bißchen Lagerfeuer-Country-Atmo und so 'ne wunderbar-skurille Verliebtseins-Story so in fast alles auch noch dazu, bei der ich nicht sofort den Eindruck hatte, dass der Text mindestens zur Hälfte von einem Reimwörterbuch geschrieben wurde. Mir hat der Song ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Recht gediegen ist auch der Titel „Hasenherz“. Auch dieser etwas weiter weg vom Little-Wild-Girl-Verkokettiere. Einfach gesetzt. Gut gemacht. Gerade. Sehr bewusst wirkend, in sich stimmig. Wenn der Manierismus fehlt (leider so gut wie nie), wirken die Songs auf dem Album richtiggehend gut und finden mich in Gänze.

Aber dann muss man auch gleich wieder elektronisch verbrämt erscheinen, so kommt es mir vor. Und da wird – sich rührig-experimentell sacht in Richtung Pop-Chanson schiebend – mit „Platz da“ verspielt an die Sounds und Riffs der 80er Jahre erinnert, ergänzt mit dem, was man mit Computersoundmodulen für hübsche Spielereien anstellen kann. Wenn ich so etwas höre, kriege ich Angst, dass irgendwann nur noch Programme und Reimwörterbücher Songs schreiben werden. Aber vielleicht ist es ja schon längst soweit und ich habe nur das Glück, zuviele richtige Musiker zu kennen. Na, seinen Platz auf dieser CD hat der „Ja, Nina Hagen war wirklich toll-Gedächtnismedaille“-Song erkämpfen können. Was er nun da soll, weiß er wahrscheinlich selber nicht.

„Havarie“ ist dann wiederum wieder ein sehr guter Song. Auch aufgrund seiner Einfachheit, aufgrund des gut strukturierten erzählenden Textes und der Interpretation. Der hat mich berührt. Ein sachter Blues, still, sehr in sich gekehrt mit einem Hauch Wahrhaftigkeit und der dazugehörenden Nachdrücklichkeit. Nein, Judith Holofernes ist mit Sicherheit kein Wrack, auch keine Havarie, wenn sie auf diese Weise das musikalische Selbst darstellt und ihr Selbstverständnis. Sie ergreift und nimmt auf ihre Seelenreise mit und lässt uns auch mal in ein Lied eintauchen.

Endlich gibt es mal ein Lied über den umtriebigen Schriftsteller John Irving. Eine sehr versponnene und mehr als ambivalente Hommage. Nicht nur an diesen Dichter. Es gibt ja noch mehr davon. Drei schreibende Johns tauchen auf. Und es bleibt nicht nur bei den Schriftstellern. Da kommen noch andere Komponisten, Schauspieler, Regisseure, auf deren Namen sich wohl im Reimwörterbuch Reime fanden. Das kann ja mal ganz witzig sein.

Insgesamt erscheint mir dieses Album etwas wie eine „Schaut-mal-was-ich-habe-und-was-ich-alles-kann“-Compilation. Mit ein paar Sahnehäppchen, etwas Müll und anderen Liedern. Ich werde das Gefühl nicht los, es wäre ein zerrissenes Album einer zerrissenen Person. Aber das ist ja vollkommen normal und absolut okay. Wer auf Judith Holofernes steht, sollte das Album dringendst haben, klar. Wer nicht so sehr, sollte sich hier und da ein paar der Titel irgendwo anhören, vielleicht bei einem Konzert. Das könnte sich lohnen. Alle anderen partiell oder allgemein Interessierten, die sich da nicht so ganz sicher sind, sollten vielleicht doch lieber auf ein nächstes Album warten. Für ein „Hoppla-da-bin-ich-und-ich-kann-fast-alles-ganz-alleine“-Album ist das vorliegende schon ein klein wenig mehr als ausreichend.
(Andreas Hähle)

 


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 Videoclips:

 

"Ein leichtes Schwert""


"Nichtsnutz"

 


   
   
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