faehrmannlive 20140305 1475498401 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Live in Briescht"
Fährmann
DA Music
29. November 2013

CD 1:
1. Fährmann
2. Vorstadtträume
3. Was ich brauch
4. Denk an mich
5. Bitte tanz auf meinem Grab
6. Noch immer
7. Der Nacktschneck
8. Ich steh noch immer hier

CD 2: 1. Leute reden
2. Feuer im Schnee
3. Quackely & Das Höschen
4. Komm setz Dich ans Fenster
5. Pfingsten
6. Weit entfernt
7. So weit die Füße tragenn
8. Auf einem langen Weg nach Haus
9. Suzanne
10. Fahr bitte nicht so weit hinaus
11. Mariechen
12. Instandbesetzt
13. Wenn Du einen Anderen siehst
14. Anna, komm lass uns verschwinden
15. Ohne Dich
16. Wer weiß? (Shanghai)





Früher habe ich mich immer gefreut, wenn der Postbote klingelte. Fast regelmäßig kam er mit einer Sendung, die Freude in die Bude und Licht in den Alltag brachte. Sehr oft waren auch Schallplatten von weit her dabei und schon Minuten später drehte sich dann eine unbekannte Scheibe auf meinem Plattenteller. Heute kommen die dicken Sendungen von den Ämtern und die Freude bleibt schon auf der Straße im Postauto stecken. Nur manchmal ist auch ein Umschlag dabei, der sich etwas anders anfühlt und dann wächst die Neugier bis zu dem Augenblick, da ich eine neue CD einschieben darf.

Man hört leise Stimmen im Hindergrund und ein Piano tastet sich langsam mit einigen Tupfern zu einer Melodie. Eine Violine kommt hinzu und dann noch eine Mundharmonika. Für einen Moment glaube ich mich in die Folk-Zeiten von Dylan, Donovan und Neil Young versetzt. Doch der Typ singt mit rauchiger Stimme das Lied von einem "Fährmann" und das auch noch in deutscher Sprache. Dabei entsteht eine Stimmung wie in den 1970er Jahren, als fast jede neue Vinyl-Veröffentlichung noch ein Kunstereignis darstellte. Eine faszinierende Stimme nimmt mich gefangen und ich lasse mich schon nach zwei Minuten treiben, wie der FÄHRMANN mit seinem Kahn vom Wasser des Flusses. Doch der FÄHRMANN steht nicht ihm Kahn, sondern live auf einer Bühne und was ich da höre, ist der Beginn eines seiner Konzerte in eine CD gepresst: "Fährmann - live in Briescht".

Dieses erste Lied, das ich höre, heißt auch "Fährmann" und nimmt mich aus dem Stand gefangen mit seinen Klängen von Gitarre, Violine, Akkordeon und den Bildern, von den "Ufern der Träume", die eine eindringliche Stimme in meinem Kopf entstehen lässt. Auch das nächste Lied "ist ein sehr schönes Lied, wirklich". Mir ist, als hätte ich diese Geschichte der "Vorstadtträume" schon immer gekannt und wie der Typ sie singt, ist beinahe wie Magie, so eindringlich und verträumt - "Wirklich schön, dass es so etwas noch gibt", denke ich, während eine Gitarre vollmundig Akkorde, einen nach dem anderen, aneinander reiht. Das sind zwei tolle Songs, ganz traditionell und schlicht, gleich zu Beginn und ich glaube erst einmal, die beiden besten Songs jetzt gehört zu haben. So ein Niveau wird sich schwer halten lassen, denke ich, und dann zupft der Mann mit dieser Stimme "Was ich brauch" aus den Saiten. Ein Liebeslied an einen "Stern, wenn der Himmel mal sein Blau verliert" geht tief unter die Haut und jedes Bild nimmt den Hörer mit auf eine Reise, scheinbar weit weg und dennoch mitten in unser Leben hinein. Das ist einfach großartig in dieser ganz simplen Aufmachung und genau so ergeht es mir bei "Denk an mich" und noch immer singt der FÄHRMANN auf dem gleichen beeindruckenden Level. Inzwischen habe ich es mir bequem gemacht, so als würde ich irgendwo an einem Flussufer sitzen und den Melodien der Natur lauschen oder die von einem Kahn zu mir herüber klingen.

Die Geschichte einer Melodie, die man irgendwann mal im Autoradio gehört hat, kenne ich auch. Nur dass ich zu Hause meist die unbekannte Melodie nicht mehr abrufen kann. Der FÄHRMANN aber hat auf diese schwedische Weise einen berührenden Text gemacht und singt von einem, der einfach nur wünscht: "Bitte tanz auf meinem Grab". Ich hab' an gleich mehrere Musiker gedacht und gedanklich versucht, dem Reigen der Melodie zu folgen. Dieser Song trägt mich leichtfüßig weit fort, dorthin wo in meiner Erinnerung die Schären das Meerwasser mit Fels zerschneiden. Zum Träumen schön und so wunderbar berührend. Auch das nächste ist wieder "ein sehr schönes Lied", wie ich zwischendurch erfahre, und danach folgt eine freche Reimerei namens "Der Nacktschneck" und auch diese so dahin gesprochenen Zeilen passen in die Stimmung, die mich bis hierher getragen hat. Der letzte Song der ersten Scheibe "Ich steh noch immer hier" erzählt die Geschichte einer Liebe, die wohl jeder mindestens ein Mal im Leben so ähnlich erlebt oder genau so erlitten hat. Das mit den "Himmel blutrot anmalen" kenne ich auch, nur solche feinen Worte, wie sie der Fährmann hier gemeinsam mit Andreas Hähle gefunden hat, sind mir noch nie zu einer Melodie in den Sinn gekommen. Inzwischen fühle ich mich pudelwohl in der Stimmung des Konzertes und dann sagt der FÄHRMANN etwas von Pause. Zum Glück muss ich die nicht abwarten, ich kann mir gleich die zweite CD nehmen.

Im Booklet der Doppel-CD sind die Namen der Agierenden zu finden. Ich lese, wer die Gitarre spielt und gleichzeitig in die Mundi bläst, wer die Tasten des Pianos drückt und am Akkordeon zieht, wem die helle Frauenstimme gehört oder mit dem Bogen über die Violinensaiten gleitet. Ich habe mir ihre Namen nicht merken können oder wollen. Sie nennen sich FÄHRMANN und diese Bezeichnung haftet der Musik, die ich höre, wie ein Synonym an. Es steht für Gleiten, für Ruhe und Gelassenheit, aber auch für Begegnungen mit Menschen und also mit Erfahrungen. Das alles kann man in jedem Lied hören, wenn man möchte. Die Stimme, die da singt, klingt rauchig, fühlt sich samtweich an und ist außergewöhnlich im Kontrast zur Gitarre oder wenn sie vom Akkordeon umschmeichelt wird. In den besten Momenten entsteht dieses Gefühl, das einen mitnehmen und zum Träumen verleiten kann und dennoch genug Raum lässt, über die vielen kleinen Spitzfindigkeiten der Texte zu lächeln. Diese Songs erzeugen Entspannung, Gelassenheit und so ein kleines warmes Feuer im Herzen, das mir sagt, ich bin zum Glück nicht allein mit meinen Gedanken und Gefühlen und das zu erfahren, reicht "So weit die Füße tragen" und eigentlich wäre damit alles gesagt.

Ich könnte jetzt schreiben, dass die zweite CD mit einem Klingeln beginnt und wieder diese akustische Gitarre einsetzt. Da gibt es einen frechen Song "Leute reden", kleine Fetzen aus dem Leben gegriffen, die sich zu einem Lied addieren. Ich könnte schreiben, dass ich die Pause längst vergessen habe, weil ich gefesselt werde vom "Feuer im Schnee" und von den beiden Stimmen, die sich beinahe unmerklich ergänzen. Vom Schicksal der kleinen Ente "Qackely" könnte ich schreiben oder vom "Höschen", das man eventuell erblicken könnte, oder wie der FÄHRMANN von all dem erzählt. Doch das sollte man schon selbst hören, genau wie die kleine Geschichte, die irgendwo zu "Pfingsten" geschah, denke ich mir.
Beim Hören, sowohl der ersten, als auch zweiten CD, bin ich mehrmals hängen geblieben und dann war ich manchmal "Weit entfernt" mit meinen Gedanken und dann wieder fühlte ich mich "So weit die Füße tragen", so voller Energie und Lust auf Abenteuer. Es gibt so viele kleine und intime Geschichten zu erleben, die vom FÄHRMANN unaufdringlich, dezent aber verdammt intensiv erzählt werden, wie ich es nur noch selten erlebe. "So weit die Füße tragen" ist aber eine, die mir persönlich besonders nah kommt und dann erst "Suzanne". Dieser FÄHRMANN schafft es doch tatsächlich, diesem genialen Überhit und dem Traum einer ganzen Generation, die mit dem "Bird On the Wire" aufgewachsen sind, ein anderes und glaubhaftes Leben einzuhauchen, eines in deutscher Lyrik und mit wunderschönen Bildern, "von der großen Liebe, die mit dem Verstand kämpft", ohne LEONARD COHEN weh zu tun und ohne Hermann van Veen zu kopieren. Beim Hören habe ich wieder still und leise und zum x-ten Male, anders als im Text, auf den Verstand gepfiffen. So etwas schaffen eben nur starke Songs wie dieser und starke Stimme, wie so eine vom FÄHRMANN.

Kaum zu glauben, dass zwei CDs auch ein Ende haben können. Zumindest unternimmt da jemand den Versuch, sich zu verabschieden und scheitert genial an der Stimmung, die er selbst aufgebaut hat. Wer die Emotionen der Hörer einfängt mit Liedern wie "Auf einem langen Weg nach Haus" oder "Fahr bitte nicht so weit hinaus", der darf sich freuen, wenn seine Gäste noch mehr davon hören möchten. Da meint man das Stampfen der Wellen zu spüren, das Schaukeln dieses Kahns, von dem gesungen wird, und man fühlt sich vom FÄHRMANN, der seine Mannschaft vorstellt, behutsam mitgenommen, aber aussteigen mag noch niemand. Die Zeremonie der gemeinsamen Ovationen fangen die drei Musiker aber leicht auf.
Auch auf einer Live-CD gibt es die Zugaben nach dem Ende. Was "Mariechen" vom Weihnachtsmann möchte und wie "Instandbesetzt" von Silly, vom FÄHRMANN gesungen, klingt, muss jeder, der jetzt neugierig geworden ist, selbst ergründen und wie man mit Gitarre, Banjo und Bluegrass-Feeling richtig Gas geben und Spaß provozieren kann, darf man hier ebenso erleben wie ein treibendes Solo einer Mundharmonika. Man meint fast, die alte Lok durch den Wilden Westen rattern zu hören, ehe nach "Wer weiß?" dann wirklich Schluss und die zweite CD auch am Ende ist.

Bis zu diesem Tag, da mir die Postfrau einen dicken Umschlag in die Hand gedrückt hat, kannte ich den FÄHRMANN mit seinen beiden Mitstreitern nicht, so wie ich viele andere, die im Lande musizieren, auch nicht kenne. In mir war eher Zurückhaltung, statt Neugierde, weil ich weiß, dass man die echten musikalischen Perlen heute, im Gegensatz zu den 70er Jahren, eventuell lange suchen muss. Zu viel geistige Schonkost und geschmacklosen Quark versucht man unter die Leute zu bringen. Umso größer dann die Überraschung, endlich einmal wieder handgemachte Musik, endlich mal wieder Ideen und Gefühle geboten zu bekommen. Der FÄHRMANN hat wie ein Bänkelsänger meine Seele gestreichelt und an mein Herz geklopft. Seine Musik ist so herrlich simpel und dabei so urwüchsig bodenständig, dass man meinen könnte, sie schon immer zu kennen. Doch die meisten Songs sind neu, nicht nur mir, und gerade erst entstanden, doch die Kunst, sie wie alte Bekannte klingen zu lassen, die hat er wohl irgendwo zwischen den Ufern des Flusses aufgenommen, vielleicht auch geschenkt bekommen. Wer weiß das schon selbst zu sagen. Wichtig ist nur, dass diese Kunst noch existiert, und dass man sie live hören kann. Wann und wo, FÄHRMANN, setzt du das nächste Mal über?
(Hartmut Helms)

Info: Weitere Infos über FÄHRMANN findet Ihr in der Rubrik "Insider-Tipp" (Direktlink: HIER).




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